03-02-2010, 22:36
Hikikomori
gut, dass du Gefühle ansprichst. Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Deshalb möchte ich mich korrigieren: Es geht mir nicht darum, ein „heiliges Grundgefühl“ zu erlernen oder einzuüben.
Vielleicht eine persönliche Anmerkung aus meiner Lebensgeschichte dazu. Ich habe noch drei Jahre meines Lebens Krieg und faschistische Propaganda erlebt. Als Dreikäsehoch hieß es immer: Psst, dafür kommt man ins KZ. Zugleich suggerierte die Propaganda ein Gefühl des vaterländischen Stolzes. So habe ich angesichts der Trauer in der Familie schließlich gelernt, Gefühlen in höchstem Maße zu misstrauen. Insofern rennst du bei mir offene Türen ein.
Stattdessen handelte es sich darum, Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens und Kommunizierens so aufzubereiten und zu gestalten, dass Menschen sich als eingeladen, einbezogen und akzeptiert fühlen. Ich hoffe, dass der Unterschied nun klarer geworden ist.
Gleichwohl bleibt die Gottesvorstellung ein gemeindlicher Konsens und hat mit Gefühl zunächst einmal nichts zu tun. Sie generiert einfach eine Vorstellungshierarchie, die gewisse andere Vorstellungen als wichtig oder richtig definiert (steht alles in meinem voran gehenden Beitrag und wurde von dir z. T. zitiert).
Ganz falsch ist sicher die erste Reaktion, nämlich Schweigegeld zu zahlen. Auch zutreffend!
Wie weit schließlich Kommunikation zwischen Kirche und Betroffenem stattgefunden hat, und ob dies hinreichend für das Seelenleben des Opfers war, ist aus den dürren Berichten nicht zu entnehmen. Und Entrüstung ist nichts weiter als ein Gefühl, das nicht weiterhilft.
Ich bin ohnehin der Auffassung, dass „Vergebung“ der letzte von drei Schritten ist, aber meistens der einzige bleibt: Bekennen (Kommunikation mit dem Opfer) – Umkehr mit Reue des Täters eventuell mit Wiedergutmachung – Vergebung durch das Opfer.
Also, hier gibt es mehr offene Fragen als Antworten, die ein öffentliches Urteil im Grunde verbieten. Gleichwohl kann ich die Entrüstung verstehen.
Die Hoffnung auf Kraft zur Vergebung präjudiziert doch nicht per se eine Pflicht z. B. sich in Therapie zu begeben oder den Hass zu unterdrücken. Die Frage nach einem Täter-Opfer-Ausgleich wird in deiner Darstellung nicht beantwortet. Insofern ist die Darstellung einseitig. An einem Recht (wie du schreibst) zu hassen zweifle ich gar sehr. Vorhandener Hass ist eine Tatsache; aber auf Hass gibt es kein Recht. Es mag ein Recht auf Wiederherstellung der seelischen Gesundheit geben.
Auch diese Fälle sehen wir im Forum in Klein: Da flippt jemand aus, weil er die ständigen Sticheleien und Abwertung seiner Beiträge satt hat. Und wird gesperrt: zu Recht! Es gibt kein Recht auf Ausflippen. Und dabei spielt Vergebung eine wesentliche Rolle; oder nenne es aktive Gelassenheit, aktives Schweigen, Klarmachen, warum manche Menschen so aggressiv argumentieren.
gut, dass du Gefühle ansprichst. Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Deshalb möchte ich mich korrigieren: Es geht mir nicht darum, ein „heiliges Grundgefühl“ zu erlernen oder einzuüben.
Vielleicht eine persönliche Anmerkung aus meiner Lebensgeschichte dazu. Ich habe noch drei Jahre meines Lebens Krieg und faschistische Propaganda erlebt. Als Dreikäsehoch hieß es immer: Psst, dafür kommt man ins KZ. Zugleich suggerierte die Propaganda ein Gefühl des vaterländischen Stolzes. So habe ich angesichts der Trauer in der Familie schließlich gelernt, Gefühlen in höchstem Maße zu misstrauen. Insofern rennst du bei mir offene Türen ein.
Stattdessen handelte es sich darum, Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens und Kommunizierens so aufzubereiten und zu gestalten, dass Menschen sich als eingeladen, einbezogen und akzeptiert fühlen. Ich hoffe, dass der Unterschied nun klarer geworden ist.
Gleichwohl bleibt die Gottesvorstellung ein gemeindlicher Konsens und hat mit Gefühl zunächst einmal nichts zu tun. Sie generiert einfach eine Vorstellungshierarchie, die gewisse andere Vorstellungen als wichtig oder richtig definiert (steht alles in meinem voran gehenden Beitrag und wurde von dir z. T. zitiert).
(03-02-2010, 19:32)Hikikomori schrieb: Ich finde Begriffe die diffuse Gefühle ausdrücken sollen wie "Nächstenliebe, Achtung, Barmherzigkeit, Bewahrung des Lebens, Würde, Gerechtigkeit" nicht so unproblematisch wie Du das hier zu tun scheinst.An welchen Stellen glaubst du, dass die oben aufgelisteten Begriffe problematisch werden? Du verquickst sie etwas weiter unten im Zitat mit „immer gut“ bzw. ihre Antagonisten als „immer schlecht“. Könnte es sein, dass darin das Problem liegt, wie es dir vorschwebt?
Mir ist dabei durchaus klar das Du, nach allem was ich bisher über Dich zu wissen glaube, auch nicht so naiv bist die Gefahren hinter diesen "heiligen" Dingen nicht zu sehen. Aber ich glaube daß das ungeheuer oft der Fall ist, weswegen ich das Postulat Gefühle wären gottgebenene Dinge und die fast zwangsläufigen Assoziationen und Implikationen, daß man aufgrund der Neigung des Menschen zum Dualismus sie in "immer Gut" und "immer Schlecht" einteilen könnte auch ohne die Situation in Bezug zu setzen, oder über das vermeintlich Gute müsse nicht reflektiert werden um Beispiele zu nennen, für sehr gefährlich halte.
(03-02-2010, 19:32)Hikikomori schrieb: Nehmen wir nur einmal Nächstenliebe. Das klingt zunächst wie eine unheimlich gute Sache. Aber nicht wenige Menschen nehmen das erste Wort wichtiger als das letzte, sehen nicht das eine "echte" Nächstenliebe eigentlich eine Fremdliebe sein müsste. Sie neigen dazu aufgrund der gottgegebenen Nächstenliebe beispielsweise auch dazu ein anderes "Gefühl", oder besser gefühltes Ideal zu überhöhen, Vergebung.Im ersten Moment möchte man dir zustimmen. Ja, es ist erst einmal gut, begangenes Unrecht zu benennen, Mut zu machen, in die Öffentlichkeit zu gehen, kurz das Böse zu kommunizieren. Richtig!
Ich habe in einem aktuellen Artikel über die Mißbrauchsfälle die gerade momentan publik werden und für Empörung sorgen etwas abscheuliches über Vergebung und ihre "Heiligkeit" gelesen.
[Beispiel über einen Missbrauchsfall, siehe #194.]
Ganz falsch ist sicher die erste Reaktion, nämlich Schweigegeld zu zahlen. Auch zutreffend!
Wie weit schließlich Kommunikation zwischen Kirche und Betroffenem stattgefunden hat, und ob dies hinreichend für das Seelenleben des Opfers war, ist aus den dürren Berichten nicht zu entnehmen. Und Entrüstung ist nichts weiter als ein Gefühl, das nicht weiterhilft.
Ich bin ohnehin der Auffassung, dass „Vergebung“ der letzte von drei Schritten ist, aber meistens der einzige bleibt: Bekennen (Kommunikation mit dem Opfer) – Umkehr mit Reue des Täters eventuell mit Wiedergutmachung – Vergebung durch das Opfer.
Also, hier gibt es mehr offene Fragen als Antworten, die ein öffentliches Urteil im Grunde verbieten. Gleichwohl kann ich die Entrüstung verstehen.
(03-02-2010, 19:32)Hikikomori schrieb: Nein, (Papst Johannes-Paul II) fand es wäre angebracht über seine Hoffnung zu schwabulieren er, das Opfer, möge Kraft für Vergebung finden. Das ist vernichtend für ein Opfer von Mißbrauch, denn es weist ihm eine Teilschuld zu, als wäre er zwar das Opfer aber es wäre seine göttliche Bestimmung zu vergebenNein, nicht zu vergeben, zerfrisst im Laufe der Zeit das Opfer. Wir sehen doch bereits im Forum, wie ein gewisser Rechtfertigungszwang einsetzt, wenn Beiträge herab gewürdigt werden. Täter sehen doch in den seltensten Fällen ihre Schuld unmittelbar ein. Erst die Kommunikation des schuldhaften Verhaltens macht klar, dass Leid entstanden ist.
Die Hoffnung auf Kraft zur Vergebung präjudiziert doch nicht per se eine Pflicht z. B. sich in Therapie zu begeben oder den Hass zu unterdrücken. Die Frage nach einem Täter-Opfer-Ausgleich wird in deiner Darstellung nicht beantwortet. Insofern ist die Darstellung einseitig. An einem Recht (wie du schreibst) zu hassen zweifle ich gar sehr. Vorhandener Hass ist eine Tatsache; aber auf Hass gibt es kein Recht. Es mag ein Recht auf Wiederherstellung der seelischen Gesundheit geben.
Auch diese Fälle sehen wir im Forum in Klein: Da flippt jemand aus, weil er die ständigen Sticheleien und Abwertung seiner Beiträge satt hat. Und wird gesperrt: zu Recht! Es gibt kein Recht auf Ausflippen. Und dabei spielt Vergebung eine wesentliche Rolle; oder nenne es aktive Gelassenheit, aktives Schweigen, Klarmachen, warum manche Menschen so aggressiv argumentieren.
(03-02-2010, 19:32)Hikikomori schrieb: Sogar andere Opfer, ja ein Großteil der Gemeinde in der man schon früher immer wieder über sowas getuschelt hatte es aber nie laut auszusprechen wagte, griffen ihn darauf hin an. Als wäre ein Verbrechen laut auszusprechen auch ein Verbrechen.Das ist ein schrecklicher Gesichtspunkt, den ich ausdrücklich ablehne (und damit dir zustimme). Er gehört zu den inakzeptablen Eigenschaften von Gemeinschaften: WIR, die Guten und ihr ANDEREn, die Bösen, die Nestbeschmutzer.
(03-02-2010, 19:32)Hikikomori schrieb: Nachtrag: Ich finde den Platz in unseren Herzen und den Wert den Menschen Gott zumessen braucht er nicht. Die Menschen selbst bräuchten ihn. Das ist Humanismus so wie ich ihn begreife.Hier unterscheiden wir uns überhaupt nicht. Ich hoffe, das konnte ich weiter oben bereits ausreichend belegen.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Ekkard

