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Kritische Weihnachtsgedichte
#1
Rudolf Otto Wiemer: Nachrichten aus Bethlehem

Gestern übernachtete ich in
Bethlehem. Als ich den Wirt
fragte: Wo ist der Stall?
sagte er: Abgebrannt.
Wo Ochs und Esel? ?
Geschlachtet. Maria und Joseph?
Vergast.

Die Weisen, bevor sie eintraten,
zweifelten. Sie versteckten
Gold, Weihrauch, Myrrhe
unter den Mänteln und sagten
Hier nicht.
Weshalb, frage ich, handelten sie,
gegen die Verabredung?

Der Mörder, der in Handschellen
den Hirten begegnete, auf dem
Weg zum Galgen, hörte reden
vom Engel, vom Stern, vom Kind.
Er sagte: Verdammt. Kein Wort
von Begnadigung.

Die Krippe wurde oft von Reportern
fotografiert. Man fand sie großartig
hart, bemängelte jedoch, daß sie,
entgegen den Gerüchten,
leer sei.

Engel sollten damals an allen Ecken
gesehn worden sein, besonders
von Blinden.

Die Lokalpresse schrieb von der
Friedenskonferenz, von der Ankunft
dreier Minister, vom hellen Stern des
Explorer, vom überraschenden Anstieg der
Börsenkurse, vom zukünftigen Heil durch
Raketen, von den Hirten und ihrem
Tariflohn, von der Geburt
eines unehelichen Kindes.

Die Revolte im Gefängnis wurde
niedergeschlagen. Die Aufrührer,
peinlich befragt, erklärten, sie
hätten die vom Engel verkündete Amnestie
wörtlich genommen.

Man probt die Sirenen. Man rechnet
mit einem neuen überfall der
himmlischen Heerscharen.
Die Mutter säugte den Sohn.
Sie hörte Klirren.
Sie dachte: Speere.
Die dachte: der Wind.
Dachte: so grausam
kann Gott nicht sein.

Die Kinderschlächter sind endlich
vor Gericht gestellt. Sie gaben an,
auf allerhöchsten Befehl
gehandelt zu haben.
Antrag: man höre den
Allerhöchsten.

Einer der Hirten kam nicht zur Krippe.
Er wollte die Schafe nicht allein lassen.
Als die andern heimkehrten, glaubte er
nichts, er hatte den Wolf abgewehrt.

Die Zählung geht weiter. Längst
sind die Mörder gezählt, die Planer,
die Ausführer, die Mitläufer,
keiner gezählt, der sagt: Ich bin schuld.
Inschrift auf dem kürzlich eingeweihten
Gedenkstein: Welch ein Gott, dessen
Rettung erkauft werden muß durch
getötete Kinder.

Als der Krieg kam, wurden drei Hirten
Soldat. Sie gedachten des Engels und
sagten: Friede auf Erden.
Der erste verlor ein Bein,
der zweite bekam das Ritterkreuz.
Der dritte wurde am Pfahl
erschossen.

(Aus: Fietkau, Wolfgang, Hg.: Thema Weihnachten. Gedichte der Gegenwart. Jugenddienst-Verlag Wuppertal-Barmen, Seite 92-94)
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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#2
Arnim Juhre
Anderes Weihnachtslied


Die Weihen der Weihnacht
sind nachgemacht,
Legenden umwirbeln
die Krippe, den Stall,
dahingestellt bleibt, an welcher Statt
Mirjam ihren Sohn gebar.

Jochanan hat ihn getauft,
Pontius schickte ihn ans Holz,
denn um Gottes Liebe willen
war der Rabbi ein Rebell,
gute Botschaft ist bestellt.

Bruder Jesus, deine Krippe,
Felsengrab und Kreuz,
schimmern leer zu uns herüber,
durch den Vorhang der Geschichten
leuchtet deine Spur,
deine Worte, deine Taten
enden weder dort noch hier.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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#3
Rudolf Hagelstange:
Die unheiligen Drei Könige


Zepter, Kron'und Diadem,
Macht und Stand und Gold,
kämt ihr heut nach Bethlehem,
hätt' ich nicht gewollt.

Mutter, wend dein Angesicht
nicht nach ihrem Tand.
Josef, schließ die Türe dicht,
eh' sie uns erkannt.

Tränen, Schweiß und wieviel Blut
klebt an ihrem Tun.
Ach, ich kenn' die Myrrhe gut
und den Weihrauch nun.

Wo die Macht die Geißel schwingt,
trifft sie meinen Leib;
denn der Völker Seufzen klingt
nicht wie Zeitvertreib.

Wie die Hoffahrt Blasen läßt!
Eh' ich mich besann,
auf der Dornenkrönung Fest
speien sie mich an.

Und ihr Gold bringt blut'gen Zins
Tod und Not und Gram.
Witwen und die Waisen sind's,
die ich übernahm.

Zepter, Diadem und Kron',
Rang und Gold und Macht
eure Gab' ist Judaslohn
schon in heil'ger Nacht.

Melchior, Kaspar, Balthasar
da beruft euch nicht!
Wer wie sie in Gnade war,
selbst der Kron' und Weisheit bar,
findet schon mein Licht.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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#4
Peter Huchel
Die Hirtenstrophe


Wir gingen nachts gen Bethlehem
und suchten übers Feld
den schiefen Stall aus Stroh und Lehm,
von Hunden fern umbellt.

Und drängten auf die morsche Schwell
und sahen an das Kind.
Der Schnee trieb durch die Luke hell
und draußen Eis und Wind.

Ein Ochs nur blies die Krippe warm,
der nah der Mutter stand.
Wie war ihr Kleid, ihr Kopftuch arm,
wie mager ihre Hand.

Ein Esel hielt sein Maul ins Heu,
fraß Dorn und Distel sacht.
Er rupfte weich die Krippenstreu,
o bitterkalte Nacht.

Wir hatten nichts als unsern Stock,
kein Schaf, kein eigen Land, geflickt
und fasrig war der Rock,
nachts keine warme Wand.

Wir standen scheu und stummen Munds:
Die Hirten, Kind, sind hier.
Und beteten und wünschten uns
Gerät und Pflug und Stier.

Und standen lang und schluckten Zorn,
weil uns das Kind nicht sah.
Griff nicht das Kind dem Ochs ans Horn
und lag dem Esel nah?

Es brannte ab der Span aus Kien.
Das Kind schrie und schlief ein.
Wir rührten uns, feldein zu ziehn.
Wie waren wir allein!

Daß diese Welt nun besser wird,
so sprach der Mann der Frau,
für Zimmermann und Knecht und Hirt,
das wisse er genau.

Ungläubig hörten wir's - doch gern.
Viel Jammer trug die Welt.
Es schneite stark.
Und ohne Stern
ging es durch Busch und Feld.

Gras, Vogel, Lamm Netz und Hecht,
Gott gab es uns zu Lehn.
Die Erde aufgeteilt gerecht,
wir' hätten's gern gesehn.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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#5
Erich Kästner:
Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag


2000 Jahre sind es fast
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens.

Du sahst Gewalt und Polizei.
Du wolltest alle Menschen frei
und Frieden auf der Erde.
Du wusstest, wie das Elend tut
und wolltest alle Menschen gut,
damit es schöner werde!

Du warst ein Revolutionär
und machtest dir das Leben schwer
mit Schiebern und Gelehrten.
Du hast die Freiheit stets beschützt
und doch den Menschen nichts genützt.
Du kamst an die Verkehrten!

Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.
Bis man an dir, weil nichts verfing
Justizmord kurzerhand beging.
Es war genau wie heute.

Die Menschen werden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst. - -
Und alles blieb
beim Alten.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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#6
Dagmar Beiersdorf
du bist zu früh gegangen


du bist zu früh gegangen
du solltest noch einmal
unter uns leben so wie damals
mit deiner liebe deinen worten
die menschen verlernten es
dir gegenüber ehrlich zu sein

damals haben sie die
armut ihrer seele
offen gezeigt den haß
ihres zweifelnden herzens:

sie wollten dich töten
als du geboren wurdest
sie verlachten und verachteten dich
sie spuckten dir vor die füße
sie nagelten dich an das kreuz
und würfelten um deine kleider

heute kennen sie dich
nicht mehr sie behängen dich
im winter mit lametta
und bunten kugeln
im frühling verstecken sie
eier süße bemalte dinger
in deinen händen
deinen augen
deinen wunden

du bist zu früh gegangen christus
sie kennen dich nicht mehr
sie behängen dich mit gold
und lametta im winter
sie kennen dich nicht mehr
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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