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Moderne Theologie - was ist das?
#1
Weil danach gefragt wurde, was moderne Theologie überhaupt ist und ob da jemand die Definitionshoheit hat, eröffne ich mal diesen Thread und stelle ein paar Sachen rein.

Zunächst: Der Begriff "moderne Theologie" ist ein umgangssprachlicher und legt nicht fest, was damit unbedingt gemeint sein muss.

Meist wird damit Folgendes assoziiert:
a. Die historisch-kritische Forschung bezüglich der Bibel
b. Die liberale Theologie z.B.

a. ist Grundlage eines jeden Theologiestudiums.
Die Methodik ist im Prinzip die gleiche wie in den Geschichtswissenschaften, den Literaturwissenschaften und natürlich den Religionswissenschaften allgemein.
Die Bibel wird als eine Sammlung von Texten gesehen, die von Wissenschaftlern genauso untersucht und erforscht werden wie andere Texte.

Angezweifelt wird diese Art der Textforschung vom Prinzip her nicht an den Universitäten. Sie hat aber - vergleichbar mit den Literaturwissenschaften - eine Vielzahl an Einzelmethoden, die je nach Vorliebe des Forschers gewählt wird.

Wer - als streng Evangelikaler z.B.- die historische Untersuchung ablehnt, da die Bibel wörtlich zu nehmen sei - wird an den Universitäten wohl eher nicht studieren. Die Evangelikalen haben, so viel ich weiß, ihre eigenen Ausbildungsstätten.


b. Die liberale Theologie gilt darum als besonders modern, da sie viele alte Zöpfe abgeschnitten hat.
Aber sie ist eigentlich schon relativ alt, sie ist mit der Aufklärung entstanden und hat heute eine weite Verbreitung.

Hier ein paar Namen, die ich aus Wikipedia kopiert habe:

Vertreter liberaler Theologie

* Johann Salomo Semler (1725–1791) (Kanon-Kritik)
* Raymund Dapp (1744–1819)
* Friedrich Schleiermacher (1768–1834) (Erfahrungstheologie)
* Ferdinand Christian Baur (1782–1860) (Tübinger Schule)
* David Friedrich Strauss (1808–1874) (Tübinger Schule)
* Alois Emanuel Biedermann (1819–1885)
* Albrecht Ritschl (1822–1889)
* Wilhelm Herrmann (1846–1922)
* Adolf von Harnack (1851–1930)
* Heinrich Lang (1826–1876)
* Ernst Friedrich Langhans (1829–1880)
* Ernst Troeltsch (1865–1923)
* Albert Schweitzer (1875–1965)
* Rudolf Bultmann (1884–1976) (bis in die 1920er Jahre)
* Paul Tillich (1886–1965)
* Fritz Buri (1907–1995)
* John A. T. Robinson (1919–1983)


Und ein Textausschnitt, aus demselben Wikipedia-Artikel:

"Liberale Theologie ist eine im 19. Jahrhundert beginnende, breite (aber in sich nicht einheitliche) theologische Strömung vor allem im evangelischen Christentum, mit dem Ziel, die Theologie auf der Grundlage von humanistischen und geisteswissenschaftlichen Grundlagen zu betreiben, und dadurch unabhängiger von Dogmen, kirchlichen Traditionen und Glaubensinhalten zu sein. Die Säkularisierung ursprünglich religiöser Inhalte und die Auflösung von „Kirche“ in die Kultur der „Welt“ hinein wird von vielen liberalen Theologen als Jesus gemäß bezeichnet und begrüßt. Allerdings fühlen sich viele liberale Christen nicht an die liberale Theologie gebunden, sondern vertreten eine eher individualistische Auslegung der Bibel.
[...]
Wesentliche Themen der liberalen Theologie sind Exegese (Literarkritik, historisch-kritische Exegese) und Kirchengeschichte, insbesondere die geschichtliche Erforschung des Lebens Jesu, wobei Jesus weniger im Sinne der traditionellen kirchlichen Christologie als Gottmensch Christus und Weltenrichter gesehen wurde, der mit seinem Tod am Kreuz die Sünden der Welt gesühnt hat, sondern eher als 'Lehrer des Reiches Gottes, der Moral und Religiosität'".
Wikipedia

Anders aber als die historisch-krtische Methode, die für alle eine Grundlage ist, ist die liberale Theologie nur eine vieler Richtungen.

Zum einen gibt es noch weit modernere und radikalere Richtungen -
zum Beispiel die holländischen Radikalkritiker, die von Hermann Detering, Pfarrer in Berlin, auf sehr rührige Weise unters Volk gebracht und weiterentwickelt werden:
Website der Radikalkritiker -
zum anderen gibt es konservativere Richtungen.


Zu diesem ganzen Komplex ist aber Folgendes zu sagen, und das ist wohl einer der Gründe, weshalb hier im Forum oft fo hoffnungslos aneinander vorbeigeredet wird:

Zum einen muss ein Unterschied zwischen Universität und Kirche gemacht werden.
Die Pfarrer der Kirche sind zwar alle an einer Universität ausgebildet worden, aber die Praxis in den Kirchen sieht anders aus. Sie haben dort meist mit sehr viel konservativeren Kirchenmitgliedern zu tun als ihre Professoren waren.

Zum andern gibt es die riesige Menge der sog. Laien, die weder mit Kirche noch mit Universität viel am Hut haben.
Diese spielen in Wogen sozusagen eine Rolle: man sind sie völlig unbedeutend, mal sind sie fast dominant.

Zur Zeit sind sie extrem dominant, und es ist nicht auszuschließen, dass sie heute 30-50 % aller evangelischen Christen im deutschsprachigen Bereich ausmachen. Genaue Zahlen gibt es leider nicht. Aber sie sind rapide angestiegen, in den sechziger Jahren waren sie quasi unbedeutend.

Je nachdem, welche der drei Gruppierungen - Universität, Kirche, Laienbewegung - man im Auge hat, kommt man zu unterschiedlichen Bewertungen der "Christenschaft".
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#2
(18-06-2009, 03:20)Saldo schrieb: Zum andern gibt es die riesige Menge der sog. Laien, die weder mit Kirche noch mit Universität viel am Hut haben.
Diese spielen in Wogen sozusagen eine Rolle: man sind sie völlig unbedeutend, mal sind sie fast dominant.

Zur Zeit sind sie extrem dominant, und es ist nicht auszuschließen, dass sie heute 30-50 % aller evangelischen Christen im deutschsprachigen Bereich ausmachen

versteh ich jetzt nicht: laien machen "30-50 % aller evangelischen Christen im deutschsprachigen Bereich" aus?

und theologie wird anscheinend nur von protestanten betrieben?

die auseinandersetzung zwischen traditionellen und "moderneren" theologen wird doch gerade im katholischen bereich viel intensiver geführt. wie würdest du "moderne katholische theologie" beschreiben?
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#3
Ist moderne Theologie wissenschaftlich betriebene Theologie?

Die Frage, ob sich Theologie und Wissenschaft verträgt, stellt sich ja nicht erst seit dem 18., 19. Jh. Schon Petrus Damiani (1007-1072) und Bernhard von Clairvaux (1090-1153) traten gegen das Verwissenschaftlichen der Theologie in der Frühscholastik auf. Sie weigerten sich, die Notwendigkeit einzusehen, den biblischen Texten, die vordergründig eine Menge schwer Verdauliches anbieten, mit philosophischer Wissenschaftlichkeit begegnen zu müssen, um der abscheulichen Ethik, die hinter vielen Aussagen steht, Widersprüchlichem und Unsinnigem die Schärfe zu nehmen.

Die theologiekritische Grundhaltung von P. Damiani und B. v. Clairvaux ist schon bei den Kirchenvätern nachweisbar. Aufgegriffen wurde sie von der Reformation, die die theologische Tradition mit den fundamentalistischen Aussagen abtat, das Evangelium sei in sich selbst theologiekritisch bzw. die Bibel bedürfe keinerlei Auslegungskünste und kirchlicher Lehrbriefe, sondern müsse durch den Text selbst verstanden werden.

Dazu ist es nötig, anzumerken, dass sich sehr bald die protestantische (besser gesagt die neuprotestantische) Theologie mit der Theologiefeindlichkeit der Anfänge nicht mehr identifizierte und dem Ideal der Vereinbarkeit von Wissen und Glauben als Maßstab der Schriftauslegung und des theologischen Denkens Vorrang einräumte.

Eine eindeutige Aussage zur Wissenschaftlichkeit der Theologie stammt von Franz Overbeck (1837-1905). Von Nietzsche beeinflusst, bestreitet er rundweg die Möglichkeit, Glauben mit den Kategorien der Erkenntnis beschreiben zu können. Wissenschaft sei Wissenschaft, und Glaube sei Glaube. Eine Wissenschaft des Glaubens könne es nicht geben. Dass Teilbereiche der Theologie (Kirchengeschichte, Patristik, einschlägige Sprachwissenschaft, etc.) wissenschaftlich betrieben werden müssen, täte der Grundaussage keinen Abbruch.

Was mich an der Theologie interessiert ist vor allem Theologiegeschichte. Es überaus interessant, wie sich die Positionen zu den verschiedensten Dingen immer wieder verändert haben. Wie zu jeder Zeit gestritten wurde, sich Meinungen durchsetzten, andere verworfen und (samt ihren Repräsentanten) geächtet wurden. Und so ist es bis heute geblieben. Auch die auf den Universitäten und theologischen Hochschulen betriebene (wissenschaftliche) Theologie kann alles sein: reaktionär, konservativ und fortschrittlich, je nachdem, wer dort lehrt. Und wenn einer übers Ziel schießt, ist er draußen (Strauß, Holl, Küng, Ranke-Heinemann).

MfG E.
MfG B.
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#4
(18-06-2009, 14:06)Epicharm schrieb: Eine eindeutige Aussage zur Wissenschaftlichkeit der Theologie stammt von Franz Overbeck (1837-1905). Von Nietzsche beeinflusst, bestreitet er rundweg die Möglichkeit, Glauben mit den Kategorien der Erkenntnis beschreiben zu können. Wissenschaft sei Wissenschaft, und Glaube sei Glaube. Eine Wissenschaft des Glaubens könne es nicht geben. Dass Teilbereiche der Theologie (Kirchengeschichte, Patristik, einschlägige Sprachwissenschaft, etc.) wissenschaftlich betrieben werden müssen, täte der Grundaussage keinen Abbruch

dem bin ich geneigt zuzustimmen

Zitat:Es überaus interessant, wie sich die Positionen zu den verschiedensten Dingen immer wieder verändert haben. Wie zu jeder Zeit gestritten wurde, sich Meinungen durchsetzten, andere verworfen und (samt ihren Repräsentanten) geächtet wurden. Und so ist es bis heute geblieben. Auch die auf den Universitäten und theologischen Hochschulen betriebene (wissenschaftliche) Theologie kann alles sein: reaktionär, konservativ und fortschrittlich, je nachdem, wer dort lehrt. Und wenn einer übers Ziel schießt, ist er draußen (Strauß, Holl, Küng, Ranke-Heinemann)

so ist es. auch der hochschulgeist weht erst mal, wie er will (und in zweiter linie so, wie die dogmatischen windkanäle das vorgeben). eine bestimmte richtung als "modern" zu adeln, hat wohl weniger mit wissenschaft zu tun als mit eigenen vorlieben
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#5
Ich würde Thelogie als "Wissenschaft von der christlichen Kirche" beschreiben.

Das hat zwei Vorteile:
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass sie eine Wissenschaft ist, weil man die Kirche ebenso wissenschaftlich erforschen kann wie jede andere Gruppe von Menschen.
Ihre kirchliche Bindung bleibt bestehen, weil der Begriff "christliche Kirche" von den real existenten christlichen Gruppierungen unterschiedlich definiert wird.
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