Religionsforum (Forum Religion)
Christianentum - Druckversion

+- Religionsforum (Forum Religion) (https://religionsforum.de)
+-- Forum: Allgemeines (https://religionsforum.de/forumdisplay.php?fid=25)
+--- Forum: Religionsübergreifendes und Interreligiöses (https://religionsforum.de/forumdisplay.php?fid=2)
+--- Thema: Christianentum (/showthread.php?tid=3895)

Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28


RE: Christianentum - VolkersList - 15-11-2009

(11-11-2009, 10:03)Romero schrieb:
(10-11-2009, 18:51)VolkersList schrieb: Wie Du Dir sicher denken kannst, glaube ich fest an ein indeterministisches Universum, aber halte die Einteilung nach deterministisch oder indeterministisch für typisch für das menschenzentrierte Denken mit dem berühmten Balken im Auge des Betrachters. Wieder setzt bei mir diese ebenfalls typische christianische Denkweise ein: Innerhalb deterministischer weil unveränderlicher ewiger Gesetze bleibt genügend Raum für nicht vorhersehbare und nicht im voraus festgelegte Abläufe und Entwicklungen. Das ist zunächst nur eine Behauptung des Christianentums. Der Beweis wird mir schwer fallen, weil es sich eher um Analogien handelt und nicht um schlüssige Beweise nach Menschenart. Ich versuche es.

Guten Morgen, Volker

Innerhalb eines deterministischen Universums gibt es in der Tat genügend Raum für nicht vorhersehbare Begebenheiten. Nicht vorhersehbar, weil zu komplex für uns. Hingegen "nicht im Voraus festgelegt" ist ein direkter Widerspruch zum Wort "deterministisch", es ist das genaue Gegenteil davon, kann also nicht sein. Wenn in einem Universum irgend etwas "nicht im Voraus festgelegt" ist, dann ist es ein indeterministisches Universum.
Guten Morgen, lieber Romero,
ich hoffe, daß ich das Schlimmste bei der Spiegelung meines EDV-Systems überstanden haben.
In Bezug auf die Einteilung "deterministisch" und "indeterministisch" habe ich mich mal wieder unklar ausgedrückt. Was Du mit Deiner Korrektur im obigen Text meinst, ist natürlich richtig. Ich habe mich in meiner christianischen Denkweise mal wieder hinreissen lassen, Sachverhalte zu behaupten, die der Logik widersprechen. Du kannst es mir glauben, ich selbst habe mit dieser Denkweise meine Probleme. Aber ich will meinen Denkproblemen und meinen Sprachproblemen nicht ausweichen. Also mache ich, wie so oft einen neuen Versuch.
Das Christianentum geht von einem indeterministischen Universum aus. Als Beweis führe ich die These 102 an:" Wer glaubt, daß Gott einen vollkommenen Plan hat und nicht würfelt, hat ihn nicht begriffen. Jeder seiner neuen Versuche ist ein Würfelspiel, bei dem er versucht, seine schlechten Würfe als Irrtum auszusortieren."
Aber jetzt kommt die christianische Denkweise ins Spiel, die behauptet, daß innerhalb eines indeterministischen Systems auch deterministische Gesetze herrschen können. Als Beispiel nenne ich die unheimliche Kraft der Natur, fast immer und fast überall jedes Lebewesen zur Verbesserung und zur Leistungssteigerung zu drängen. Aber nur fast, weil es unzählige Sackgassen gibt, wie zum Beispiel die heutigen Einzeller, die seit 3 Milliarden Jahren in einer Sackgasse leben, obwohl die damaligen Einzeller sich zum Menschen bergan entwickelt haben. Eine Sackgasse in der Evolution kann doch nicht als Beweis angeführt werden, daß es keine Evolution gegeben hat. Beides, die bergan-Entwicklung und die unzähligen Sackgassen leben nebeneinander und bitte frage mich nicht, warum das so ist. Ich weiß es nicht. Aber es kommt noch schlimmer. Die unheimliche weil vorherrschende Kraft der Natur zur bergan-Entwicklung verirrt sich öfter als wir glauben mögen in eine falsche Richtung, zum Beispiel, wenn ein Verbrecher, der immerhin ein Irrtum Gottes ist, diese bergan-Kraft der Natur benutzt, seine verbrecherischen Methoden des Betrügens, des Raubens und des Mordens zu verbessern. Das ist leider so , ich kann es nicht ändern.
Dieses widerspüchliche Gesicht Gottes, dieses Doppelgesicht Gottes hat das Christianentum mit der Muttermilch aufgesogen. Die christianische Denkweise möchte ich als zwittrig bezeichnen. Das Christianentum ist nicht monogam, sondern polygam. Es kommt noch schlimmer. Ich möchte die christianische Art zu denken an einem schlimmen Beispiel der Natur aufzeigen.
Es mögen vielleicht 0,1 Prozent aller menschlichen Geburten sein, also vielleicht 10 Geborene unter 1000 Geburten, bei denen sich die Natur nicht entscheiden konnte, welches Geschlecht sie diesen Menschenkindern mit auf ihren Lebensweg gibt. Das hat dramatische Folgen. Als erstes ist dieser Irrtum Gottes in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema. In über 50 Jahren habe ich kein Sterbenswörtchen aus der Kirche gehört, das sich auch nur näherungsweise mit diesen Unglücklichen beschäftigt hätte. Und jetzt kommt zu diesen Irrtümern Gottes etwas hinzu, was das Christianentum dieses verdammte menschenzentrierte Denken nennt. In der überwältigenden Mehrzahl dieser Unglückswürmer entscheidet ein Arzt, daß der Säugling oder das Kleinkind operiert werden muß, und zwar in eine diagnostizierte Richtung vom Buben zum Mädchen oder vom Mädchen zum Buben, mit dem schrecklichen Erfolg, daß im Falle die Diagnose des Arztes falsch war, dieser Unglückliche ein Leben lang in einem falschen Körper leben muß. Glaube mir, Romero, das Christianentum ist die einzige Religion auf der Welt, die diese Dinge beim Namen nennt und diese Vorgehensweise als Verbrechen bezeichnet. Das ist der tiefere Grund, warum das Christianentum zwittrig denkt und zum Beispiel nicht das Vaterunser betet, sondern das VaterundMutter.
Das ist der tiefere Grund, warum das Christianentum das indeterministische Endergebnis so mißtrauisch betrachtet, weil so viele deterministische Gesetze darin vorherrschen. Das ist der tiefere Grund, warum das menschenzentrierte, weil ergebnisorientierte monogame Denken dem Christianentum nicht gefällt und warum das christianische Denken eine kognitive Wende fordert und sie auch lebt.
Wie immer, es tut mir leid, lieber Romero, meine sprachlichen Fähigkeiten sind begrenzt, aber dennoch betrachte ich sie mindestens zur Hälfte als Gottesgeschenk.
Dein Volker


RE: Christianentum - VolkersList - 15-11-2009

(11-11-2009, 12:42)Ekkard schrieb: Ich bin kein Christiane, sondern Christ - ein Bisschen atheistisch und agnostisch. Gott ist, wenn man sich an Genesis hält, die andere, die allgemeine und das allgemein Menschliche transzendierende Seite der Menschheit. Deshalb sind unsere Hände die Werkzeuge Gottes. Doch diese Werkzeuge bedürfen der Führung durch das Allgemeine - physikalisch: eine Randbedingung. Bei der Betrachtung der einzelnen Handlungen erkennt man nur die Fluktuationen menschlichen Handelns bzw. des Werdens. Aber nur durch Versuch und Irrtum kann im Laufe der Zeit ein Mehr an "göttlichen Strukturen" geschaffen werden.
Das wäre für mich die Erklärung der vielen Irrtümer und der wenigen Verbesserungen mit Bestand.

Lieber Ekkard,
entschuldige, daß ich erst jetzt nach Tagen auf Deinen Beitrag antworte. Es gab soviel zu tun für mich und dafür bin ich auch noch dankbar. Du schreibst, daß Du kein Christianer bist, sondern Christ und schränkst es sogleich etwas ein mit "ein Bisschen atheistisch und agnostisch". Darüber hätte ich gern mehr von Dir erfahren, zum Beispiel an welcher Stelle atheistisch und wo agnostisch.
Dann habe ich mir Genesis angesehen und finde es im Christianentum wieder unter der Voraussetzung, daß ein Tag in der Schöpfung leicht eine Milliarde Jahre ausmacht.
Deine Begründung, warum die Hände des Menschen ein Werkzeug Gottes sind, habe ich noch nicht verstanden. Es würde mich freuen, wenn Du es mir erklärst.
Deine Glaube, daß nur durch Versuch und Irrtum im Laufe der Zeit ein Mehr an "göttlichen Strukturen" geschaffen werden kann, diesen Glauben sieht, wie Du sicher inzwischen weißt, das Christianentum ganz anders, denn die göttliche Struktur wohnt bereits von Anfang an in jedem Lebewesen und wird durch Versuch und Irrtum und neuen Versuch ständig zu einer Verbesserung und zu mehr Leistung angetrieben.
Sind unsere Vorstellungen von Gott vielleicht einander näher, als wir glauben wollen ?
Du schreibst, daß Dein von Dir beschriebener Glaube für Dich eine Erklärung der vielen Irrtümer und der wenigen Verbesserungen mit Bestand ist. Das allerdings sieht das Christianentum fundamental anders, nämlich genau umgekehrt, die vielen Verbesserungen Gottes ertränken und begraben die kriminellen Handlungen der Menschen, die seine Irrtümer sind. Die überwältigende Mehrheit der Menschen folgt dem göttlichen Gesetz der Bemühung um Verbesserung und Leistungssteigerung und nur eine Minderheit handelt kriminell oder verbrecherisch. Und es ist eine der Kernthesen des Christianentums, daß diese überwältigende Mehrheit der Normalos die kriminellen Irrtümer in die Schranken weist indem sie diese in Gefängnisse steckt.
Das Christianentum glaubt an die 1000 Fähigkeiten und Talente und positiven Eigenschaften des Menschen, die alle mindestens zur Hälfte die Geschenke Gottes sind.
Daß das Christianentum daran glaubt, daß Gott auch mal, wenn er sich irrt, hassen kann, bedeutet nicht, daß das Christianentum eine kulturpessimistische Religion ist, sondern im Gegenteil, der Christianer sucht ständig in sich nach seinen Talenten und seinen Fähigkeiten und nach seiner Kraft, diese anzuwenden, denn darin sieht er den Sinn seines Lebens.
Danke Dir für Deinen Beitrag.
Volker


RE: Christianentum - VolkersList - 16-11-2009

(10-11-2009, 18:51)VolkersList schrieb: Warum hat die Evolution sich soviel Mühe gegeben, die Dinos so groß zu machen, wenn ein Zufall, mit dem die Evolution nicht rechnen konnte, gerade dieses Größenwachstum als entscheidenden Nachteil nachweist ?

Je grösser desto besser ist sowieso grundsätzlich nicht die Richtlinie der Evolution. Die erfolgreichsten Lebewesen der Erde, nämlich gewisse Einzeller sowie Insekten, sind sehr klein.
[/quote]
Lieber Romero,
gern komme ich nochmal auf die Mühe zurück, die sich die Natur gibt, damit jedes Lebewesen besser und leistungsfähiger wird.
Du schreibst, je größer desto besser, ist sowieso grundsätzlich nicht die Richtlinie der Evolution. Das sehe ich genauso. Dann setzt Du Deinen Gedankengang fort mit der Bewertung, daß gewisse Einzeller und Insekten die erfolgreichsten Lebewesen der Erde sind. Wie kommst Du zu diesem Schluß ? Was macht die Einzeller so erfolgreich ? Wie kann man Erfolg in der Natur definieren ? Sind Lebewesen dann erfolgreich, wenn sie lange leben ? Sind sie erfolgreich, wenn sie Katastrophen überleben ? Sind nicht die damaligen Einzeller viel erfolgreicher als die heutigen Einzeller, weil sie sich bis zum Menschen entwickelt haben ? Warum soll der Mensch nicht das erfolgreichste Lebewesen auf der Erde sein ? Wer ist erfolgreicher, die Viren, die immer neue und gefährlichere Varianten erfinden oder der Mensch, der immer neue Impfstoffe dagegen erfindet ? Das Christianentum tut sich schwer bei der Definition von Erfolg in der Natur. Ein ketzerischer Gedanke lebt im Christianentum. Erfolgreich ist, wer Gott auf seiner Seite hat. Gott wohnt in den Viren und macht sie flexibel, damit sie in der Lage sind, die Menschen zu vernichten. Gott wohnt in den Menschen und macht sie erfinderisch, damit sie durch Impfstoffe die Viren wirkungslos machen. Auf welcher Seite steht nun Gott, auf der Seite der Viren oder auf der Seite der Menschen ? Ich liebe die Musik von Abba und nicht nur die Musik, sondern auch Teile der Texte. The winner takes it all. Im Christianentum lebt der Gedanke, daß Gott auf der Seite der Sieger steht. Dieser Gedanke ist höchst problematisch, denn das hieße, daß Gott auf der Seite der Nazi-Truppen stand, solange sie siegten. Aber Gott hat seinen Irrtum eingesehen und sie haben verloren. Unser menschenzentriertes Denken tappt von einer Falle in die andere. Das Christianentum versucht aus diesem circulus vitiosus auszubrechen, aber es gelingt nicht. Kannst Du mir helfen, Romero ?
Danke für Deine Gedanken,
Dein Volker


RE: Christianentum - Ekkard - 16-11-2009

Lieber Volker,
ich erwarte ohnehin von keinem User eine Antwort. Wird sie gegeben, schön, dann geht es weiter. Kommt nichts mehr - auch gut!
Du brauchst dich weder zu entschuldigen noch dich zu beeilen.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Du ... schränkst es (das Christsein) sogleich etwas ein mit "ein Bisschen atheistisch und agnostisch".
Ich lehne sämtliche Gottesbilder (und zwar auch textliche Beschreibungen) ab. Es gibt für mich daher auch keine Definitionen von Gott (außer der begrifflichen Festlegung als "idealtypisches Deutungsgerüst"). Die (sprachliche und bildliche) Symbolik dient nur dazu, idealtypische Vorstellungen kommunizierbar zu machen. Sie sind zwar notwendig zum Austausch, aber nicht Grund des Glaubens. Aus dem gleichen Grunde bin ich Agnostiker: Es mag Gott irgendwie geben, aber seine Existenz ist für mich kein Bestimmungsgrund des Glaubens, sondern ein Deutungsgerüst.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Dann habe ich mir Genesis angesehen und finde es im Christianentum wieder unter der Voraussetzung, daß ein Tag in der Schöpfung leicht eine Milliarde Jahre ausmacht.
Die Zeiträume in Genesis sind keine. Sie wären unterschiedlich lang. Ihre Reihenfolge widerspricht einigen Erkenntnissen der Paläontologie. Das mit den Jahrmilliarden kann so nicht stimmen. Was also?
Liest man die Genesis allerdings als Beschreibung der Seinsweise des Menschen, dann gewinnt sie den Sinn eines Glaubensbekenntnisses.

Dazu muss man wissen, dass die alten Israeliten Zustände durch Werdensgeschichten beschreiben. Darauf hat u. a. Drewermann hingewiesen.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Deine Begründung, warum die Hände des Menschen ein Werkzeug Gottes sind, habe ich noch nicht verstanden. Es würde mich freuen, wenn Du es mir erklärst.
Nun, einmal ist es Teil der evangelischen Theologie: Gott handelt durch die Hand des liebenden Menschen. Zum anderen: Gott ist "überall und nirgends", wie es in einem Kirchenlied heißt. Mit anderen Worten, Gott hat weder Ort noch Zeit. Im Glauben werden wir Werkzeuge dessen, was wir als das Gute für uns und andere annehmen und folgerichtig umsetzen. Motto:
Es geschieht nichts Gutes
außer man tut es.


(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: die göttliche Struktur wohnt bereits von Anfang an in jedem Lebewesen und wird durch Versuch und Irrtum und neuen Versuch ständig zu einer Verbesserung und zu mehr Leistung angetrieben.

Sind unsere Vorstellungen von Gott vielleicht einander näher, als wir glauben wollen?
Ja, religionshistorisch sehe ich das jedenfalls so.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: die vielen Verbesserungen Gottes ertränken und begraben die kriminellen Handlungen der Menschen, die seine Irrtümer sind. ...
So fundamental anders sehe ich das gerade nicht. Der christianische Gott ist hier der Handelnde, weil er im Menschen wohnt. Diese Vorstellung ist deutlich konkreter als meine. Wie ober bereits erwähnt, bin ich nicht für Festlegungen Gottes zu haben. Ich brauche diese nicht, um das Wesen des Glaubens zu erfassen. Deshalb habe ich bereits mit der Grundthese: "Gott kann irren", ganz erhebliche Probleme.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Das Christianentum glaubt an die 1000 Fähigkeiten und Talente und positiven Eigenschaften des Menschen, die alle mindestens zur Hälfte die Geschenke Gottes sind.
Ja, das habe ich in deinem Büchlein auch gelesen. Die Talentsuche klingt sehr idealistisch, an manchen Stellen auch gekünstelt, weil sich die Erkenntnis zeigt: Das Ideal hat Brüche, siehe 354: Das Geschenk der Wahrheit von Versuch und Irrtum.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Daß das Christianentum daran glaubt, daß Gott auch mal, wenn er sich irrt, hassen kann, bedeutet nicht, daß das Christianentum eine kulturpessimistische Religion ist, sondern im Gegenteil, ...
Das sehe ich auch so.
Der Unterschied ist folgender: Das Christentum sieht den Menschen als nicht vollendet, also mitten im Feld der Interessensgegensätze. Ein "guter Mensch" ist jener, dessen Haltung sich an zentralen, ethischen Geboten ausrichtet, aber nicht in jedem Falle ohne ethische Versagensfälle durchkommt.

Im Christianentum wird die gesamte Problematik auf das göttliche Teilelement "Mensch" verlagert, der nicht mehr faustisch "strebend sich bemüht", sondern schicksalhaft dem Erfolg oder Misserfolg seines Gottes ausgeliefert ist.

Gewiss, der menschliche Teil sucht nach "Geschenken", besser Fähigkeiten (erinnert stark an die Evolution). Der Mensch kann aber kaum selbst kreativ sein in dem Sinn, dass er etwas prinzipiell Neues entwickelt. Jede Entwicklung ist gewissermaßen durch ein verborgenes "Geschenk" vorgegeben.

Ich sags mal vorsichtig: Wir kommen damit zu einer Sonderform der Prädestination, die wir auf christlicher Seite weitgehend überwunden glauben.

Ein weiteres Feld ist das Böse als Irrtum des christianischen Gottes. Ist es nicht so, dass damit der Mensch seiner Verantwortlichkeit enthoben wird?

Das göttliche Böse hat natürlich auch eine faszinierene Seite: Damit ist das polare Denken aufgehoben: Gutes und Böses sind in Gott vereint. Die Menschheit ist damit weder gut noch böse, sondern folgt ihren Interessen in einem Versuch/Irrtumsverfahren. Leider ist dies für eine Gesellschaft ein sehr unökonomisches Verhalten. Der christianische Gott muss also neben seinen Irrtümern Freiheiten für die menschliche Gesellschaft zulassen, die im v. g. Sinne Ethik als ökonomisches Verhalten ermöglicht (schenkt). Große Fragen ...

Uch, ist das lang geworden! Ich hatte leider keine Zeit, mich kürzer zu fassen (frei nach Goethe), daher mein herzlicher Dank, wenn du bis zum Schluss durchgehalten hast.


RE: Christianentum - Romero - 16-11-2009

(16-11-2009, 02:21)VolkersList schrieb: Lieber Romero,
gern komme ich nochmal auf die Mühe zurück, die sich die Natur gibt, damit jedes Lebewesen besser und leistungsfähiger wird.
Du schreibst, je größer desto besser, ist sowieso grundsätzlich nicht die Richtlinie der Evolution. Das sehe ich genauso. Dann setzt Du Deinen Gedankengang fort mit der Bewertung, daß gewisse Einzeller und Insekten die erfolgreichsten Lebewesen der Erde sind. Wie kommst Du zu diesem Schluß ? Was macht die Einzeller so erfolgreich ? Wie kann man Erfolg in der Natur definieren ? Sind Lebewesen dann erfolgreich, wenn sie lange leben ? Sind sie erfolgreich, wenn sie Katastrophen überleben ? Sind nicht die damaligen Einzeller viel erfolgreicher als die heutigen Einzeller, weil sie sich bis zum Menschen entwickelt haben ? Warum soll der Mensch nicht das erfolgreichste Lebewesen auf der Erde sein ?

Guten Morgen Volker

Nun, wie komme ich zu dem Schluss. Es ist tatsächlich eine heikle Frage, wie man "Erfolg" definieren will.


Definieren wir als Erfolgreich, wenn eine Spezies lange überlebt hat? Dann sind Einzeller sicher in der Sparte der Erfolgreichsten Spezies vertreten, während der Mensch sehr jung ist.

Definieren wir als Erfolgreich wie viele Individuen einer Spezies es auf dem Planeten gibt, wie gross die Biomasse dieser ist? Auch hier ist der Mensch bei weitem nicht die erfolgreichste Lebensform. 60% der Biomasse der Erde werden durch Mikroorganismen dargestellt.



(16-11-2009, 02:21)VolkersList schrieb: Wer ist erfolgreicher, die Viren, die immer neue und gefährlichere Varianten erfinden oder der Mensch, der immer neue Impfstoffe dagegen erfindet ?

Nun, ein Virus hat keineswegs die Absicht gefährlich zu sein. Es ist nicht der Zweck des Virus, jemanden auszulöschen. Das Virus hat wie jede andere Spezies das Ziel sich zu vermehren und auszubreiten. Ein Menschen-Virus tötet Menschen nur selten. Wenn, dann meist nur chronisch Kranke, Alte und Kinder. Denn es ist an den Menschen angepasst, wenn der Mensch stirbt, dann stirbt auch das Virus.

Krankheiten die auf Lebewesen zugeschnitten sind, die dem Menschen (konstitutionell) sehr, sehr ähnlich sind, sind auch nicht gefährlicher als Menschen-Krankheiten, z.B. die aktuelle Schweinegrippe.

Ein Virus jedoch, das eigentlich auf ein ganz anderes Lebewesen spezialisiert ist, kann für den Menschen tödlich sein. Für die Lebewesen, auf die es spezialisiert ist, wirkt es nichtmal so heftig, während es uns kurzerhand dahinrafft.


RE: Christianentum - VolkersList - 18-11-2009

Zitat:Ich lehne sämtliche Gottesbilder (und zwar auch textliche Beschreibungen) ab. Es gibt für mich daher auch keine Definitionen von Gott (außer der begrifflichen Festlegung als "idealtypisches Deutungsgerüst"). Die (sprachliche und bildliche) Symbolik dient nur dazu, idealtypische Vorstellungen kommunizierbar zu machen. Sie sind zwar notwendig zum Austausch, aber nicht Grund des Glaubens. Aus dem gleichen Grunde bin ich Agnostiker: Es mag Gott irgendwie geben, aber seine Existenz ist für mich kein Bestimmungsgrund des Glaubens, sondern ein Deutungsgerüst.

Lieber Ekkard,
danke für Deinen ausführlichen Beitrag, den ich natürlich nicht sofort und ganz beantworten kann.
Wenn ich Dich einwenig begriffen habe, stehen wir auf den getrennten Ufern des Glaubensflusses und rufen uns gegenseitig Erkennungssignale zu. Aber verstehen wir sie auch ? Der Agnostiker glaubt an die Nichterkennbarkeit Gottes im Gegensatz zum Christen. Kaum wage ich zu sagen, woran der Christ glaubt, denn obwohl ich 70 Jahre lang im Christentum aufgewachsen bin, kann ich mit dem Christentum nicht viel anfangen. Jetzt bin ich nach über 50 jährigen Grabungsarbeiten auf das Christianentum gestoßen. Plötzlich wird es hell in meinem Inneren und ich versuche erste zaghafte Schritte auf dem dünnen Eis des noch sehr jungen Christianentums. Das Christianentum lehnt das bisherige menschenzentrierte Denken ab und fordert ein zwittriges, ein zweigesichtiges Denken. Beispiele: Gott ist Liebe und Hass, ein Apparat , der vom gleichen Apparat kontolliert wird, macht systemimmanente Fehler, das zentrale Gebet heißt nicht das Vaterunser, sondern das VaterundMutter, Gott ist nicht unfehlbar, sondern er kann irren, Sackgassen der Evolution widersprechen nicht der mäandrierenden Evolution, der Erfolg der Natur bemißt sich nicht nach Meßgrößen, sondern nach agnostischer Leistung. Stop.
Das Christianentum erkennt nicht nur das Drängen der Natur nach mehr Leistung, sondern es fordert die Suche nach Fähigkeiten in der Natur mit dem Ziel, diese Fähigkeiten anzuwenden, mit dem weiteren Ziel, die Leistung der Natur zu steigern. An diesem Punkt gelangt das Christianentum an eine Barriere, die es bis jetzt nicht überwinden kann. Die Barriere heißt, und das habe ich durch Dich gelernt, diese Barriere heißt, daß nicht erkennbar ist, was Leistung in der Natur heißt. Die Leistung der Natur ist agnostisch. Ist die Erfindung der Atombombe eine Leistung der Natur ? Gibt es Plutonium in der Natur ?
Dazu nimmt das Christianentum in seiner These 196 eindeutig Stellung:" Wer glaubt, daß Plutonium nicht in der Natur vorkommt, hat Gott nicht begriffen, denn Gott macht immer öfter, je mehr Verantwortung er den Menschen überträgt, den Umweg über den Menschen, wenn er zu seiner Liebe gelangen will und manchmal irrtümliche Wege geht."
Ist die Erfindung der Atombombe ein Irrtum Gottes ? Die Atombombe ist ein eklatantes Beispiel für die Zweigesichtigkeit Gottes. Einerseits bedroht uns die Atombombe, andererseit schützt sie uns. Wie bitte ? Die Atombombe beschützt uns ? Solange der Mensch weiß, daß er den Rubikon überschritten hat, schützt sie uns. Aber wehe, wenn dieses Wissen im menschenzentrierten Denken untergeht.
Du schreibst, daß Du sämtliche Gottesbilder und auch textliche Beschreibungen Gottes ablehnst.
Wenn ich versuche, Deine Ablehnung auf mich zu übertragen, dann habe ich das Gefühl, daß ich mit dem Christianentum gegen eine Wand fahre. Ich bin umgeben von Gottesbildern, kaum daß ich die Tür zum Garten öffne. Und das ist nur der menschgeformte Garten und nicht einmal Gottes wilde Natur.
Mein gefühl und mein Verstand sagen mir, daß wir knietief in Gottesbildern stecken, von ihnen umzingelt, ja eingekesselt sind. Geht es uns wie den Fischen im Wasser, die das Wasser nicht als solches erkennen können, weil sie darin leben ? Es kommt noch schlimmer.
Wir sind nicht nur von Seinen Bildern bis zur Halskrause eingehüllt, sondern Er schenkte uns obendrauf die Fähigkeit, diese Bilder nach Belieben zu reproduzieren, als Gedanke, als Sprache und last not least als Fantasie oder gar übersinnlich/untersinnlich in unseren Träumen.
Es kommt noch schlimmer.
Auch wenn wir versuchen, Seiner Bilderflut zu entkommen und sagen, ich will das nicht sehen und über diese Flut auch nicht sprechen, und wenn wir dann weglaufen, stellen wir fest, daß Er uns gefolgt ist, daß wir Ihm nicht entkommen können, weil er in uns wohnt.
Das , lieber Ekkard, ist das Glaubensbekenntnis der Christianentums.

Ich klammer mich an einen Gedanken von Dir, wie Du sagst, es mag Gott irgendwie geben, aber seine Existenz ist für mich kein Bestimmungsgrund des Glaubens, sondern ein Deutungsgerüst. Es mag Gott irgendwie geben. Dieses "irgendwie" schmerzt einen Christianer, der ganz konkret ein vertrocknetes Blatt aufhebt und sagt:" Dieses armselige verdorrte Blatt ist ein Gottesbeweis, denn 8,6 Milliarden ach so fähiger Menschen können nicht einmal das erschaffen. Dieses staubige trockene Blatt ist das Bild, das sich der Christianer von Gott macht. Dieses Blatt ist Gottes ebenbild."
Auch das ist ein Glaubensbekenntnis des Christianentums.
Danke , daß Du mich so anfeuern kannst.
Herzlich, Volker.


RE: Christianentum - petronius - 18-11-2009

(18-11-2009, 13:48)VolkersList schrieb: Jetzt bin ich nach über 50 jährigen Grabungsarbeiten auf das Christianentum gestoßen

du tust immer so, als wäre dieses "christianentum" etwas von dir völlig unabhängiges, dessen existenz du eben als bisher einziger weltweit entdeckt hast

in der praxis ist es doch einfach so, daß halt du dir dieses "christianentum" für dich ausgedacht hast

nicht mehr, und nicht weniger


RE: Christianentum - VolkersList - 19-11-2009

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Deine Begründung, warum die Hände des Menschen ein Werkzeug Gottes sind, habe ich noch nicht verstanden. Es würde mich freuen, wenn Du es mir erklärst.
Ekkard schrieb:Nun, einmal ist es Teil der evangelischen Theologie: Gott handelt durch die Hand des liebenden Menschen. Zum anderen: Gott ist "überall und nirgends", wie es in einem Kirchenlied heißt. Mit anderen Worten, Gott hat weder Ort noch Zeit. Im Glauben werden wir Werkzeuge dessen, was wir als das Gute für uns und andere annehmen und folgerichtig umsetzen. Motto:
Es geschieht nichts Gutes
außer man tut es.

[Quoting-Tag repariert./Ekkard]

Lieber Ekkard,
hoffentlich nervt es Dich nicht, daß meine Kraft oft nur für die Beantwortung eines Punktes Deines Beitrags reicht.
Es geht jetzt also um die Antwort auf die Frage, warum die Hände des Menschen ein Werkzeug Gottes sind. Wenn ich es nicht falsch verstanden habe, sind wir beide einig, daß es so ist. Warum stört mich dann die Verschiedenartigkeit unserer Begründungen so sehr, daß sie unsere Einigkeit in dieser Frage überschattet ?
Aus dem Geist und aus dem Herzen des Christianentums versuche ich unsere unterschiedlichen Denkweisen mir selbst zu erklären. Die evangelische Theologie sagt, Gott handelt durch die Hand des liebenden Menschen. Das Christianentum sagt, eure Hände sind nicht eure Hände, sondern die Hände Gottes, die er schuf, euch und Gott zu begreifen.
Das klingt ganz einfach und schlüssig, ist es aber nicht. Im seltenen Fall, daß Gott sich irrt und hasst, dann begreifen die Menschen weder sich selbst noch Gott. Sie können es oft nicht fassen, daß ihre Hände einen Menschen ermordet haben und daß Gott nicht nach ihrem Gewissen gerufen hat, um sie vor dieser Tat zu warnen.
Es ist der noch nicht ausgesprochene Wille des Christianentums, daß es die Thesen präzise formuliert. Vielleicht könnte eine These 356 so aussagen:" Wer glaubt, daß sich das Christianentum durch These 114 (nichts steht geschrieben) vor seiner Verantwortung für präzise Formulierungen drücken will, hat nicht begriffen, welchen Wert das Geschenk der Ehrlichkeit hat.
Die evangelische Theologie sagt ganz präzise, daß Gott durch die Hand des liebenden Menschen handelt. Die These 16 des Christianentums ist ungenau. Vielleicht sollte sie wie folgt lauten: Eure Hände sind nur zur Hälfte eure Hände, die Gott schuf, damit ihr die 1000 Fähigkeiten, die er euch dazu auch schenkte, zur Verbesserung und Leistungssteigerung benutzt, denn das ist ihr Sinn.
Es läuft wie immer das Kurzprogramm des Christianentums: Versuch und Irrtum und neuer Versuch. Das halbe Gottesgeschenk unserer Hände und die menschliche Resthälfte versuchen in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle eine Verbesserung und Leistungssteigerung. Aber Gott kann sich irren. Selten zwar, aber es kommt vor. Es kommt vor , daß Menschen mit ihrer Situation überfordert sind und eine kriminelle Hand anlegen. Hier unterscheidet sich das Christianentum vom Christentum. Das Christentum sieht Gott wie es auf Schwedisch heißt, tva han att han bliver vitare än snö, das heißt, wasch ihn, damit er weißer bleibt als Schnee. Das Christianentum wäscht Gott nicht. Es denkt zweigesichtig, bipolar, polygam. Das Christianentum möchte in unsere tägliche Realität hineinkriechen. Die Christianer gehen nicht Sonntags in die Kirche, weil sie ihre Kirche mit sich herumtragen. In ihrer inneren Kirche feiern sie ihren Gottesdienst, indem sie aus 1000 Fähigkeiten die heraussuchen, die für ihre sichere Heimkehr im Auto maßgebend sind. Das ist der christianische Gottesdienst. Christianer zelebrieren ihren Gottesdienst vorzugsweise am Steuer ihres Autos.
Die These 16 muß also verbessert werden, sie muß mehr Leistung bringen, indem sie glaubhafter wird.
Danke, lieber Ekkard, für Deine Hebelkraft in der Causa Christianentum.
Volker


RE: Christianentum - VolkersList - 20-11-2009

Ekkard schrieb:
(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Das Christianentum glaubt an die 1000 Fähigkeiten und Talente und positiven Eigenschaften des Menschen, die alle mindestens zur Hälfte die Geschenke Gottes sind.
Ja, das habe ich in deinem Büchlein auch gelesen. Die Talentsuche klingt sehr idealistisch, an manchen Stellen auch gekünstelt, weil sich die Erkenntnis zeigt: Das Ideal hat Brüche, siehe 354: Das Geschenk der Wahrheit von Versuch und Irrtum.

(15-11-2009, 21:10)VolkersList schrieb: Daß das Christianentum daran glaubt, daß Gott auch mal, wenn er sich irrt, hassen kann, bedeutet nicht, daß das Christianentum eine kulturpessimistische Religion ist, sondern im Gegenteil, ...
Das sehe ich auch so.
Der Unterschied ist folgender: Das Christentum sieht den Menschen als nicht vollendet, also mitten im Feld der Interessensgegensätze. Ein "guter Mensch" ist jener, dessen Haltung sich an zentralen, ethischen Geboten ausrichtet, aber nicht in jedem Falle ohne ethische Versagensfälle durchkommt.

Im Christianentum wird die gesamte Problematik auf das göttliche Teilelement "Mensch" verlagert, der nicht mehr faustisch "strebend sich bemüht", sondern schicksalhaft dem Erfolg oder Misserfolg seines Gottes ausgeliefert ist.

Gewiss, der menschliche Teil sucht nach "Geschenken", besser Fähigkeiten (erinnert stark an die Evolution). Der Mensch kann aber kaum selbst kreativ sein in dem Sinn, dass er etwas prinzipiell Neues entwickelt. Jede Entwicklung ist gewissermaßen durch ein verborgenes "Geschenk" vorgegeben.

Ich sags mal vorsichtig: Wir kommen damit zu einer Sonderform der Prädestination, die wir auf christlicher Seite weitgehend überwunden glauben.

Ein weiteres Feld ist das Böse als Irrtum des christianischen Gottes. Ist es nicht so, dass damit der Mensch seiner Verantwortlichkeit enthoben wird?

Das göttliche Böse hat natürlich auch eine faszinierene Seite: Damit ist das polare Denken aufgehoben: Gutes und Böses sind in Gott vereint. Die Menschheit ist damit weder gut noch böse, sondern folgt ihren Interessen in einem Versuch/Irrtumsverfahren. Leider ist dies für eine Gesellschaft ein sehr unökonomisches Verhalten. Der christianische Gott muss also neben seinen Irrtümern Freiheiten für die menschliche Gesellschaft zulassen, die im v. g. Sinne Ethik als ökonomisches Verhalten ermöglicht (schenkt). Große Fragen ...

Uch, ist das lang geworden! Ich hatte leider keine Zeit, mich kürzer zu fassen (frei nach Goethe), daher mein herzlicher Dank, wenn du bis zum Schluss durchgehalten hast.
[Quoting-Tag repariert./Ekkard]

Lieber Ekkard,
nochmals danke für Deinen intensiven Beitrag. Für mich wird es jetzt immer schwerer, denn der Teufel, den es nicht gibt, steckt im Detail. Aber das ist ja gerade die Herausforderung des Denkens an ein menschenzentriertes Weltbild, das sich von der Zentrierung auf den Menschen lösen soll. Das ist ja gerade die Problematik, daß ein Apparat sich selbst kontrollieren soll, was unweigerlich zu systemimmanenten Fehlern führen muß. Die systemimmanente Frage unseres Daseins lautet: Und wer kontrolliert die Kontrolleure ?
Du schreibst, der Unterschied ist folgender: Das Christentum sieht den Menschen als nicht vollendet, also mitten im Feld der Interessengegensätze. Wenn ich jetzt sage, das Christianentum sieht den Menschen inmitten der Flusses der Evolution, also genauso unvollendet wie das Christentum , dann verlangst Du zu Recht ein Beleg von mir. Ich versuche es mit der These 11: "Die Menschen fragen Gott tausende Male, was sein System von Versuch und Irrtum und neuen Versuch antreibt. Gott antwortet: Es ist meine Sehnsucht, Meine Liebe zu steigern, es ist die Sehnsucht Meines ewigen Lebens nach sich selbst, es ist die Entfesselung toter Materie, um sie mit Meiner Schöpfungsenergie zu größerer Leistung zu bringen."
Kein Wort von Vollendung, mitten im Fluß des Lebens, mitten im Gewühl der Interessengegensätze und je mehr Verantwortung Gott an den Menschen überträgt, desto beschwerlicher wird sein Gang durch die Evolution.
Es tut mir leid, Lieber Ekkard, ich muß an dieser Stelle abbrechen, aber ich melde mich bald.
Herzlich, Volker


RE: Christianentum - Romero - 21-11-2009

Der Unterschied hier zwischen Christianen- und Christentum liegt nicht bei der (Un-)Vollkommenheit des Menschen, sondern bei der (Un-)Vollkommenheit Gottes.


RE: Christianentum - VolkersList - 22-11-2009

Romero
hellenistisch Denkender

Beiträge: 1,506
Registriert seit: Jul 2009
Zitat:
RE: Christianentum
Der Unterschied hier zwischen Christianen- und Christentum liegt nicht bei der (Un-)Vollkommenheit des Menschen, sondern bei der (Un-)Vollkommenheit Gottes.

--------------------------------------------------------------------------------
"Wie? ist der Mensch nur ein Fehlgriff Gottes? Oder Gott nur ein Fehlgriff des Menschen?" - Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung
Guten Morgen lieber Romero,
es freut mich, Deine Stimme zu hören, so sehr leben wir unser Doppelleben im Klang unserer Sprache.
Für das Christianentum ist das Wort "Vollkommenheit" reines Ketzertum, ein Wort zum Sterben, aber nicht zum Leben, eine Blendgranate für unsere an die Dunkelheit gewöhnten Augen, ein sinnverwirrender falscher Freund aus der Fremdsprache menschenzentristischen Denkens, hilf mir, lieber Romero, daß ich nicht anfange, dieses nun mal existierende Wort, das soviel Unheil anrichtet, totzuschlagen.
Es tut mir unendlich leid, daß ich meine Emotionen als Sprachatmender, als Sprachleidender , als Sprachmusiker, meinetwegen nenne es auch Lyriker, nicht zurückhalten kann.
Darf ich Dich an die sehr stümperhaft formulierte These 321 erinnern ? Du hast damals zu Recht nach dem Sinn dieser These gefragt und ich konnte Dir nur sehr unvollkommen antworten. Aber jetzt hast Du Deine Antwort, was Sprache sein kann.
Das Einzige, auf das der Begriff "Vollkommenheit" nach Meinung des Christianentums zutrifft, ist der Tod. Die einzige Materie, die vollkommen ist, das ist die tote Materie, die wir, Gott sei Dank, vor 3,5 Milliarden Jahren hinter uns gelassen haben. In dem wild gewachsenen göttlichen Garten der lebenden Materie gibt es keine Vollkommenheit und wird sie nie geben. Warum kann ich meine Hassgefühle gegenüber dem Wort Vollkommenheit nicht abwehren und die Nähe des Wortes Verkommenheit in die Schranken weisen ? Du siehst, ich leide daran, daß man mir, ohne mich zu fragen, die Sprache wie einen Schlips umgebunden hat, für dessen lebenslange gedankenlose Zierde ich mich heute schäme.
Es tut mir leid, daß ich Dich mit meinem Kampf um das Christianentum beschwere, bitte mach Dir keine Probleme, wo Du keine hast.
Wenn ich jetzt für den Unterschied zwischen Chritianentum und Christentum die These 229 heranziehe, dann ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich tue es trotzdem:
"Wer glaubt, daß der Mensch die Sache Gottes in die Hand nehmen muß, hat ihn nur halb begriffen, denn für die fehlende Hälfte des Erfolges muß Gott dem Menschen seine Hand reichen, die präzise die Hand des Menschen ist, damit beide Partner keine Irrtümer begehen."
Alle Lebewesen sind der Leib Gottes und alle Irrungen und Wirrungen der Evolution sind der Berganstieg Gottes zur Steigerung seiner Liebe über alle Geröllhalden des Hasses hinweg.
Auch das ist das Glaubensbekenntnis des Christianentums.
Danke, Dein Volker


RE: Christianentum - Romero - 22-11-2009

Hallo Volker

Dann sind wir uns ja einig, genau das meinte ich mit meinem Beitrag 115. Vereinfacht gesagt: Der Unterschied zwischen Christentum und Christianentum bezüglich der Frage der Vollkommenheit, ist, dass das Christianentum Gott nicht als Vollkommen ansieht, wärend das Christentum dies sehr wohl tut. Dass Menschen unvollkommen sind, darin sind sich beide jedoch einig.


RE: Christianentum - VolkersList - 02-12-2009

Zitat:Der Unterschied ist folgender: Das Christentum sieht den Menschen als nicht vollendet, also mitten im Feld der Interessensgegensätze. Ein "guter Mensch" ist jener, dessen Haltung sich an zentralen, ethischen Geboten ausrichtet, aber nicht in jedem Falle ohne ethische Versagensfälle durchkommt.

Im Christianentum wird die gesamte Problematik auf das göttliche Teilelement "Mensch" verlagert, der nicht mehr faustisch "strebend sich bemüht", sondern schicksalhaft dem Erfolg oder Misserfolg seines Gottes ausgeliefert ist.

Gewiss, der menschliche Teil sucht nach "Geschenken", besser Fähigkeiten (erinnert stark an die Evolution). Der Mensch kann aber kaum selbst kreativ sein in dem Sinn, dass er etwas prinzipiell Neues entwickelt. Jede Entwicklung ist gewissermaßen durch ein verborgenes "Geschenk" vorgegeben.

Ich sags mal vorsichtig: Wir kommen damit zu einer Sonderform der Prädestination, die wir auf christlicher Seite weitgehend überwunden glauben.

Ein weiteres Feld ist das Böse als Irrtum des christianischen Gottes. Ist es nicht so, dass damit der Mensch seiner Verantwortlichkeit enthoben wird?

Das göttliche Böse hat natürlich auch eine faszinierene Seite: Damit ist das polare Denken aufgehoben: Gutes und Böses sind in Gott vereint. Die Menschheit ist damit weder gut noch böse, sondern folgt ihren Interessen in einem Versuch/Irrtumsverfahren. Leider ist dies für eine Gesellschaft ein sehr unökonomisches Verhalten. Der christianische Gott muss also neben seinen Irrtümern Freiheiten für die menschliche Gesellschaft zulassen, die im v. g. Sinne Ethik als ökonomisches Verhalten ermöglicht (schenkt). Große Fragen ...
Lieber Ekkard,
ich war dann mal eben weg, wie Du sicher bemerkt haben wirst. Aber die Pflügearbeit auf dem weiten Acker des Säens und des Erntens muß weiter gehen.
Du schreibst, daß im Christianentum die gesamte Problematik, woher das Böse kommt ( so habe ich es jedenfalls verstanden ), auf das göttliche Teilelement "Mensch" verlagert wird, der nicht mehr faustisch "strebend sich bemüht", sondern schicksalhaft dem Erfolg oder Misserfolg seines Gottes ausgeliefert ist.
Das Christianentum lehnt dieses " Ausgeliefertsein" strikt ab oder, wenn es in Teilaspekten nicht mehr geleugnet werden kann, schränkt es dieses möglichst stark ein. Ein Beleg hierfür ist u.a. die These 36:
" Wer vom Abgrund der menschlichen Existenz spricht, hat Gott nicht begriffen, denn Gott bekämpft seine Irrtümer indem die Menschen sie bekämpfen."
Diese These kann man gutwillig nur als Aufruf zum Kampf gegen Irrtümer, sprich, das Böse, interpretieren. Und wo ist hier auch nur im Ansatz erkennbar, daß der Mensch sich nicht mehr faustisch strebend bemüht ?

Auch die These 72 ist vom täglichen modernen Kampf unserer Tage erfüllt: "Wer fragt, wozu bin ich da, und Gott sagen hört," du bist der Manager aller Meiner Geschenke, sie zu nutzen", der hat Gott begriffen.

Das Kämpferherz des Menschen, das vom Christianentum als die ewig drängende Kraft der Natur zur Leistungssteigerung erkannt wird, findet seine Beschränkung nur in der irrtümlich von Gott vorenthaltenen Schenkung an den Menschen, wie z.B. bei der 13jährigen Denise, der vom "lieben" Gott der linke Fuß, das linke Bein, die linke Hand, der linke Arm, die rechte Hand und der rechte Arm verweigert wurde. Ich zähle das furchtbare Schicksal dieses armen Mädchens absichtlich an jedem nicht fehlenden Finger meiner Hand auf. Das und nur das, lieber Ekkard, läßt das Christianentum gelten von Deiner Ansicht, daß der Mensch im Christianentum schicksalhaft dem Erfolg oder Misserfolg seines Gottes ausgeliefert ist.

Das grausame Schicksal der Denise ist, wie Du sicher weißt, in meinem Büchlein mit einem Gedenktext dokumentiert, denn Denise, ein bildhübsches Mädchen, ist keine Fantasiegestalt, sondern sie lebt. Hoffentlich.
Leider muß ich mal wieder weg und melde mich dann wieder.
Danke, Ekkard.
Volker


RE: Christianentum - VolkersList - 07-12-2009

Liebe Kritiker,
mir brennt das Christianentum auf meinen Nägeln und bei Euch schleicht sich die Müdigkeit ein, daß ein Thema in unserer hektischen Welt in nicht einmal 2 Monaten alt und verbraucht ist.
Kommt aus dieser Ecke Eure Kritik, daß das Christianentum nicht neu ist ?
Wahrlich, das Kriterium "neu" ist keines, denn wenn es um die Wahrheit einer These geht, kann "neu" niemals ein Maßstab sein.
Nach den Ermüdungserscheinungen der Kritik, wird es für mich Zeit, das Christianentum in die tägliche Ringschlacht der Medien zu schicken, damit es den Tageskampf besteht oder untergeht.

Ein aktueller Anlaß fordert von mir die These 355: " Wer glaubt, daß er seinen Nächsten nur beschützen kann, indem er einen Unbeteiligten tötet, begeht ein Verbrechen, wenn nicht jeder einzelne Todesfall vor weltlichen Gerichten gesondert auf Schuld oder Unschuld untersucht und mit einem Urteil abgeschlossen wird.
Eine Regierung, die dieses unterläßt oder verhindert, begeht ein Verbrechen."

Das Christianentum stellt sich zum Kampf um Gerechtigkeit und nennt die These 355 die Kundus - These, die sich auf eine Katastrophe bezieht, bei der 179 Menschen getötet wurden, darunter 5 Taliban.

Die Zeit, daß der Religion ein Ghetto zugewiesen wird, ist vorbei.

Mit freundlichen Grüßen,
Volker


RE: Christianentum - Romero - 07-12-2009

Und wie machst du das?