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Religiöser Wahn
#1
Im Thread "Soll man sich mit der Bibel beschäftigen?" hat @Geobacter im heutigen Beitrag #2 den überaus informativen Internettext "Religiöser Wahn - Definition, Ursachen und Diagnose" empfohlen. Ich habe darin inhaltlich nichts auszusetzen. Mancher Leser könnte aber allzu voreilig zum Schluss kommen, dass jeder, der sich als überzeugter Gläubiger bezeichnet, in unserer heutigen aufgeklärten Zeit nur noch müde als  "unheilbar Bekloppter" belächelt werden kann.

Das Paradebeispiel einer Person, die man schwerlich so abschätzig bewerten wird, ist etwa der Philosophieprofessor Karen Swassjan (siehe Wikipedia). Er hat eine beachtliche Lebensleistung vorzuweisen. Unter anderem ist er Forschungspreisträger 1994/95 der Alexander von Humboldt Stiftung in Bonn. Im Jahr 2009 erhielt er den Ersten Preis im Essay-Wettbewerb des Instituts für Philosophie der Russischen Akademie der Wissenschaften. (Dort wurden die eingereichten Essays anonymisiert der Jury vorgelegt. Ein bekannter Name oder Professorentitel konnte also, weil der Jury unbekannt, bei der Bewertung nicht ins Gewicht fallen.)

Karen Swassjan ist Anthroposoph. (Über die  Anthroposophie, ihren Begründer Rudolf Steiner und die anthroposophische Weltzentrale "Goetheanum" gibt Wikipedia ausführliche und zutreffende Auskunft.) Was nun außerordentlich überrascht: Swassjan ist von der Anthroposophie so absolut überzeugt, dass man ihn ohne weiteres für "päpstlicher als der Papst" (hier also Rudolf Steiner selbst) bezeichnen darf.

Beweis: In seinem Buch "Rudolf Steiner - Ein Kommender" (2005) lautet die Überschrift des 5. Kapitels tatsächlich "Weltmacht Rudolf Steiner".  Dessen erster Satz klingt noch ganz annehmbar: "Es spräche zweifelsohne nur für unsere seelisch-geistige Rüstigkeit, wenn wir vor der Schöpfung Rudolf Steiners mindestens mit der gleichen Gesinnung und Demut zu stehen wüssten, wie wir normalerweise vor einem Bild Raffaels oder einer Sonate Beethovens zu stehen pflegen. - Dann aber folgt sechs Seiten später etwas, bei dem man sich die Augen reibt. Es ist im Buch durchgehend in Großdruck zu lesen, so wie ich es hier tippe: "ANTHROPOSOPHIE IST DAS PERSÖNLICHE ERLEBNIS RUDOLF STEINERS. UNS ANDEREN IST SIE ABER OBJEKTIVE WELTOFFENBARUNG."

Das oberste Gremium der Anthroposophischen Gesellschaft im Goetheanunm bei Dornach (Schweiz) hat sich scharf gegen dieses Buch verwahrt ("Versuch einer Religionsgründung"), konnte aber nicht verhindern, dass es im "Verlag am Goetheanum" erschien. Weil meine Mutter 17 Jahre lang Mitglied war, ist mir diese Gedankenwelt vertraut, ich wollte aber niemals Mitglied werden. Dennoch fehlt mir etwas, wenn ich nicht immer wieder einmal in die Schweiz reise, um dort wie ein Anthroposoph den Dornacher Hügel zum Goetheanum "hinanzuschreiten". Im Internet findet man den übervollen Terminkalender mit anspruchsvollen künstlerischen und sonstigen Darbietungen. Vor dem Goethejahr 1999 war Dornach die einzige Bühne der Welt, die beide Teile von Goethes "Faust" ungekürzt aufführte. In einem früheren Forumsbeitrag habe ich es schon einmal mitgeteilt.

In seinen Beiträgen schreibt @Geobacter auffallend oft vom Narzissmus bei Leuten, die religiösen, spirituellen und ähnlichen Gruppierungen angehören. Bei Anthroposophen ist das auch häufig festzustellen. Meine Mutter trat nach 17 Jahren Mitgliedschaft mit der originellen Begründung aus, dass zu viele Anthroposophen so täten, als ob sie die höheren Welten, von denen Rudolf Steiner spricht, selbst erschaffen hätten. Das tat aber ihrer Wertschätzung für Steiner keinen Abbruch.
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#2
Nun ja, Anthroposophie (und in gewissem Sinne auch Homoeopathie) sind anscheinend Bereiche, wo sich die Religiositaet in eher humanistisch gepraegten Kreisen ausdrueckt. Beides sind ja wohl hauptsaechlich Phaenomene im Bildungsbuergertum. Dass es auch da mal zu Ausreissern kommt, ist klar.

Dazu kommt, dass gerade bei genialen Leuten die Genialitaet manchmal in Wahn umschlaegt. Das habe ich auch schon in meinem Bekanntenkreis gesehen: Anthroposophisch angehauchte Familie, die 75-jaehfige Mutter loest zur Unterhaltung z.B. auf Flugreisen Differentialgleichungen, einer der beiden Soehne ist Professor, der andere in der Anstalt. Die folgende Generation ist auch nicht ganz ohne diese Ambivalenz.

Das klingt jetzt aber eher wie ein Thema fuer "Religionsuebergreifendes".
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#3
(28-10-2020, 14:37)Felix schrieb: Im Thread "Soll man sich mit der Bibel beschäftigen?" hat @Geobacter im heutigen Beitrag #2 den überaus informativen Internettext "Religiöser Wahn - Definition, Ursachen und Diagnose" empfohlen. Ich habe darin inhaltlich nichts auszusetzen. Mancher Leser könnte aber allzu voreilig zum Schluss kommen, dass jeder, der sich als überzeugter Gläubiger bezeichnet, in unserer heutigen aufgeklärten Zeit nur noch müde als  "unheilbar Bekloppter" belächelt werden kann.

Vielleicht liegt das ja auch dem Umstand zugrunde, dass Atheisten/Gottlose in Gläubigenkreisen in der Regel  pauschal als amoralische Unmenschen mit einem besonders schlechten Charakter eingeschätzt werden. Gibt noch ziemliche einige Staaten  auf dem Planeten Erde, in denen sich-bekennenden Atheisten die Todesstrafe droht. Aber wer regt sich darüber schon auf...Überzeugte Gläubige ganz sicher nicht... Darüber, dass bekennende Atheisten auch in einigen säkularen westlichen Ländern  noch immer nicht die vollen Bürgerrechte zu teil werden, brauchen wir auch nicht  zu diskutieren Icon_wink


Ergo... muss man sie halt als "unheilbar Bekloppte" belächeln.. all diese überzeugten Gläubigen.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#4
@Geobacter: Du sprichst mit Recht den religiösen Fanatismus an, der in diesem Zusammenhang keinesfalls übersehen werden darf. Er hat die unterschiedlichsten Facetten. Für alle gilt der Stoßseufzer: "O Unvollkommenheit, dein Name ist Mensch!"
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#5
(29-10-2020, 02:57)Felix schrieb: @Geobacter: Du sprichst mit Recht den religiösen Fanatismus an, der in diesem Zusammenhang keinesfalls übersehen werden darf. Er hat die unterschiedlichsten Facetten. Für alle gilt der Stoßseufzer: "O Unvollkommenheit, dein Name ist Mensch!"

Nein...das was ich anspreche ist die ganz gewöhnliche Einschätzung überzeugter Gläubiger gegenüber Atheisten..........

Ich finde es übrigens auch sehr hässlich, diesen ganzen Irrsinn mit der alleinigen Unvollkommen des Menschen entschuldigen oder gar rechtfertigen zu wollen... und die es zu überwinden gelte.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#6
(29-10-2020, 01:08)Geobacter schrieb: Ergo... muss man sie halt als "unheilbar Bekloppte" belächeln.. all diese überzeugten Gläubigen.

Wenn seine Messerorgie in Notre-Dame Nizza nicht so tieftraurig wäre, könnte man den Täter unter dieser Doppelrubrik auch einordnen. Es sind einzelne, aber sie sind mitten unter uns.

MfG
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#7
(29-10-2020, 13:05)Davut schrieb:
(29-10-2020, 01:08)Geobacter schrieb: Ergo... muss man sie halt als "unheilbar Bekloppte" belächeln.. all diese überzeugten Gläubigen.

Wenn seine Messerorgie in Notre-Dame Nizza nicht so tieftraurig wäre, könnte man den Täter unter dieser Doppelrubrik auch einordnen. Es sind einzelne, aber sie sind mitten unter uns.

Natürlich gibt es auch "Vollbekloppte" @Davut, die zum Glück  und meistens nur als Einzelfälle in Erscheinung treten.  Aber Felix will darüber diskutieren, was der Unterschied zwischen falschen und wahren "Schotten" ist. Er ist so wie du davon überzeugt, dass die Unvollkommenheit des Menschen nur von seinen jeweiligen Weltanschauung.. bzw. seinen jeweiligen falschen religiösen Überzeugungen abhinge.. und somit eigentlich überwindbar wäre, wenn er die richtigen Glaubensüberzeugungen annehmen täte.
Wir wissen aber weder was die die richtige Glaubensüberzeug ist, noch was einen vollkommenen Menschen ausmacht. Diejenigen die in ihren eigenen Glaubensvorstellungen das Ideal der absoluten Wahrheit und Gerechtigkeit zu erkennen meinen, sind es ganz sicher nicht.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#8
Richtig, @Geobacter - jeder so wie er kann. Den Messerstecher aus Nizza hatte ich gerade vom Autoradio im Ohr. Ich bin davon ueberzeugt: Auch er tat, wie er kann. Und "morgen" wird es wieder einer sein. Wie gesagt: Sie sind mitten unter uns. Die Religion hat sie so geformt. 

MfG
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#9
(29-10-2020, 15:39)Davut schrieb: Und "morgen" wird es wieder einer sein. Wie gesagt: Sie sind mitten unter uns. Die Religion hat sie so geformt. 

Ob allein die Religion sie so geformt hat..?! Ich gehe  eher nicht davon aus. Die Religion selbst hätte zwar das Potential.. Aber das selbe Potential hat auch die biologische Veranlagung.  Hormone.. leichte Erregbarkeit.  Solche halblustigen "Kaliber" die sich von außen leicht radikalisieren/emotionalisieren lassen, tragen die günstigen Voraussetzungen dafür schon in sich.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#10
(28-10-2020, 14:37)Felix schrieb: Im Thread "Soll man sich mit der Bibel beschäftigen?" hat @Geobacter im heutigen Beitrag #2 den überaus informativen Internettext "Religiöser Wahn - Definition, Ursachen und Diagnose" empfohlen. Ich habe darin inhaltlich nichts auszusetzen. Mancher Leser könnte aber allzu voreilig zum Schluss kommen, dass jeder, der sich als überzeugter Gläubiger bezeichnet, in unserer heutigen aufgeklärten Zeit nur noch müde als  "unheilbar Bekloppter" belächelt werden kann.
- - -

Wie würde man heute einen Menschen bezeichnen, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein und  schon seit Jahrtausenden lebe; dass man ihn töten, doch nicht lange tot sein werde, die Erde verlassen, aber wieder zurückkehren werde?

Angeblich um die zwei Milliarden Menschen stoßen sich nicht an diesen Behauptungen. Haben die alle was am Sträußchen?
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#11
(30-11-2020, 14:30)konform schrieb: Wie würde man heute einen Menschen bezeichnen, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein und  schon seit Jahrtausenden lebe; dass man ihn töten, doch nicht lange tot sein werde, die Erde verlassen, aber wieder zurückkehren werde?


Das würde als Religiösenwahn klassifiziert werden. Denn Jesus war schon auf der Welt
Allerdings gab es seit der Zeit von Bar Kochba und gibt es auch heute Juden, die behaupten, der Messias zu sein . . . dies deshalb, weil die Juden Jesus nicht als Messias akzeptieren

Die Juden warten noch auf den Messias !
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#12
(30-11-2020, 14:30)konform schrieb: Wie würde man heute einen Menschen bezeichnen, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein und  schon seit Jahrtausenden lebe;
Zu leben bedeutet, einen Energieumsatz zu haben, den man bei Menschen und anderen Säugetieren auch Stoffwechsel nennt. Dem Leben muss also ständig Energie zugeführt werden, welche es zur Regeneration der Zellen aus denen es besteht, und auch für deren optimale Betriebstemperatur zwischen ziemlich genau 36-37° C benötigt. Schaut man sich die inneren Bauteile/Organe/Innereien von Menschen so an, die diese Energie aus anderem Leben herstellen, sind sie ohne äußerliches Gehäuse/Körper kaum von  jenen Innereien zu unterscheiden, die man auch bei Schweinen oder Affen beobachten kann. Selbst das Gehirn des Menschen  unterscheidet sich rein äußerlich fast nur bezüglich der Größe.

Das Leben eines Menschen der schon Jahrtausende überlebt haben will und dazu auch noch behauptet Gottes Sohn zu sein.. hätte also nichts mit jenem Leben zu tun, was wir so als Leben kennen. Mittels Blutprobe, Körpertemperaturmessung und notfalls auch einiger Röntgenaufnahmen seiner Innereien, müsste Jesus also sehr leicht von normalen Menschen zu unterscheiden sein.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#13
(30-11-2020, 14:30)konform schrieb: Wie würde man heute einen Menschen bezeichnen, der von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein...

Ich kann mich vage erinnern, dass wir hier auf dem Forum so jemanden hatten, der das oder zumindest etwas Aehnliches von sich behauptete. Im Normalfall handelt es sich ja um Wahnvorstellungen oder Trickbetruegerei. Auch Glaeubige lassen ja nur eine einzige Ausnahme zu bei all den Leuten, die das von sich behauptet haben oder immer noch tun, reagieren also, bis auf sehr wenige Ausnahmen, auch nicht anders.
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#14
(30-11-2020, 17:27)Ulan schrieb: Auch Glaeubige lassen ja nur eine einzige Ausnahme zu


Weit gefehlt!
Siehe im Wikipedia: Menachem Mendel Schneerson
Geboren 1902 in Nikolajew, Gouvernement Cherson

Und mehrere andere Beispiele im strenggläubigen Judentum seit Bar Kochba (dem "Sohn des Sterns")

Man denke an Rabbi Zvi
Sabbatai Zvi, geboren 1626 in Smyrna. Siehe im Wikipedia: Schabbtai Zvi
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#15
Das faellt unter die von mir genannten Ausnahmen. Solche Ausnahmen sind selten und erreichen meist nur ene sehr begrenzte Anhaengerschaft, auch unter Glaeubigen.

Und Bar Kochba hat nur angedeutet, Gottes Sohn zu sein wie David Gottes Sohn war, also als Gesalbter Gottes (Messias), nicht das, worum es hier geht, ein wiedergekehrtes, goettliches Wesen.

Wiedergekehrte Goetter gibt's natuerlich schon als messianische Figuren; siehe z.B. die verschiedenen Nero-Figuren, die 666 der Offenbarung, an was ja wohl viele Leute glaubten.

Heutzutage gibt's auch irgendsoeinen wiedergekehrten Jesus in Sibirien (wurde glaube ich gerade festgenommen), der einige Tausend Anhaenger hatte. Das sind aber meist sehr begrenzte Phaenomene; die meisten Christen glauben so etwas nicht.
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