Hallo Diener!
Sicher kann ich natürlich nicht sein - aber ich habe den Eindruck, dass der von Dir genannte Satz in dem Kontext, den Du beschrieben hast, nicht positiv gemeint ist, sondern eher bedauernd. Oder vielleicht einfach nur beschreibend. Es wird erläutert, wie es damals war, und wie es heute ist. Früher bekam man die ethischen Normen durch die Kirche vermittelt, heute aber eher durch das Fernsehen.
Der Diener schrieb:Damit ist gemeint dass der Fernseher viele der damaligen Funktion der Religion übernimmt, z.b. die ethische Funktion. Somit war der Mann der Meinung, das der Fernseher zur Religion wird, da er die Aufgabe übernimmt..
Meiner Meinung nach hat er aber z.b. die spirituellen Dingen der Religion ganz ausser Acht gelassen wie z.B. der Glaube an ein höherer Wesen oder die religiöse Kultur selber.
Nach meiner Deutung hat der Mann nicht gesagt, dass das Fernsehen die Religion sein SOLL, sondern dass es heute so ist. Nicht der Mann hätte dann die spirituellen Dinge außer Acht gelassen, sondern die Menschen, die vor dem Fernseher sitzen und sich von ihm sagen lassen, was sie zu tun haben.
Ob der Mann das positiv oder negativ sieht, kann man aus der Ferne so nicht beurteilen - aber ich vermute eben, dass er das eher negativ sieht. Denn niemand sieht so etwas positiv. So etwas wird immer bekrittelt. Und schon mal in einer Fernsehsendung (!) - paradoxerweise.
Denn wenn das Fernsehen selber wie eine Religion ist - aber hallo! Da läuft dann schon einiges schief. Frage ist allerdings, ob das überhaupt stimmt. Ich habe da nicht so den Überblick. Mir kommt es eher so vor, als ob das Fernsehen nicht mehr so das Zentrum ist. Man kommt davon wieder mehr weg. Zeitweise war ja auch das Kino out, weil man abends meinte, das selber auch in der Glotze ohne Geld zu haben. Aber inzwischen boomen die Kinos wieder - so attraktiv war das TV dann auf die Dauer wohl doch nicht. Und viele steigen inzwischen aus, meiner Beobachung nach. Schaffen sich den Fernseher wieder ab.
Aber insgesamt kann ich mich da auch fatal irren.
Trotzdem: damals, als es noch zwei Kanäle gab, oder auch drei - da guckten alle dasselbe. Kriegten alle die Nachrichten auf so ziemlich dieselbe Weise präsentiert. Heute guckt der gewitzte Fernsehgucker alle möglichen Sender durch, liest eventuell auch im PC in ganz exotischen Zeitungen nach, wie eine Nachricht dort aufbereitet wurde. Religionscharakter kann dann der Fernseher heute nicht mehr so haben, weil man nicht dem ZDF mehr "glauben" muss.
Vielleicht meinte der Mann aber das auch nicht so, sondern so, dass der Fernsehgucker seine ganzen Emotionen dort verarbeitet. Heult mit, wenn in einer Schnulze die schöne junge Braut stirbt, und identifiziert sich mit irgendeinem tapferen Helden. Aber ob das wirkich so ist?
Ich beobachte, dass die Harry-Potter-Fan-Gemeinde massivst Religionscharakter annimt. Früher die Tolkien-Gemeinde, nun die Harry-Potter-Gemeinde. Letztere allerdings auf sehr gespaltene Weise. Sodass man da fast von einem "Religionskrieg" sprechen kann.
Die Basis des Austausches ist da nicht das Fernsehen, sondern das Internet. Und da laufen in der Tat Ethikdiskussionen ab, die an Schärfe nicht ihresgleichen haben und in den Kirchen, vermute ich, so überhaupt nicht ablaufen. Nicht unter den Mitgliedern.
Was die Spiritualität betrifft, so weiß ich nicht. Bestimmte Sendungen können sie vielleicht vermitteln. Auch Internet-Foren können das mitunter - so wie ich grad in einem mitlese, wo eine Userin (zufällig evangelische Pastorin) plötzlich auf dem Totenbett lag und das Forum durch ihren Sohn täglich Berichte bekam. Das (eher christlich-fundamentalistishe) Forum, in der Regel nicht gut auf Theologen zu sprechen, erlebt überrascht, dass sie die Pastorin lieb gewonnen haben und beten in einem fort für sie. Der Sohn, der das mitgelesen hat, liest ihr, der Sterbenden, diese Gebete vor. Da der Arzt - gegen ihren ausdrücklichen Wunsch - nach drei Herzstillständen sie reanimiert hat, ist sie dem Tod abgerungen worden. Nun saßen ihre Kinder Tag und Nacht bei ihr, um zu verhindern, dass der Arzt das erneut tun kann - müssen dafür sorgen, dass ihre Mutter sterben darf. Wenn DAS keine spirituellen Erlebnisse in den Forumlesern auslösen kann, dann weiß ich nicht.
Die Pastorin wusste, dass die Operation (ich vergaß zu sagen: sie hatte Krebs) tödlich verlaufen kann. Das hatte sie auch vorher ins Forum geschrieben, und auch dies, dass sie überhaupt keine Angst hat. Dass sie mit dem Leben abgeschlossen hat und bereit ist zu gehen.
Aber der Arzt mit seinem eigenmächtigen Übertreten des Patientenwillen hat dafür gesorgt, dass sie nun wohl überleben wird.
Das alles erschüttert viele der Forum-User, und so denke ich, dass zwar nicht das Fernsehen in ausdrücklichem Maße, wohl aber das Internet durch die Diskussionsgemeinschaften Spiritualität erzeugen kann.
Ich bin mal auf ein Unterforum gestoßen, wo Kinder und Jugendliche, die durch den Tod nahe Menschen verloren haben, sich gegenseitig aufrichteten. Was ist das für eine Chance, die das Internet bietet! Manche hatten auch ihre Haustiere verloren und verzehrten sich fast in Sehnsucht nach ihrem Hund, der da immer durch die Stube gelaufen war und das nun nie wieder tun wird. Und es war für mich schon seltsam zu lesen, wie so ganz, ganz junge Menschen, die schon vor längerer Zeit einen Tod erlebt haben, dem anderen, der das frisch erfahren musste, vermitteln können, was Schmerz bedeutet und wie er sich entwickeln kann. So etwas nenne ich auch Spiritualität.