13-02-2008, 15:08
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 14-02-2008, 15:03 von Alanus ab Insulis.)
Sangus schrieb:Nichtsdestotrotz bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass wir bei dem Versuch, die uns erscheinende Welt zu verstehen und zu ordnen, zwischen verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen unterscheiden: Die Dinge der "realen" Welt, die über "Zustände" und "Eigenschaften" verfügen und über Ursache/Wirkungsverhältnisse miteinander verwoben sind, untersuchen wir nach meinem Verständnis nicht ohne Grund in dem paradigmatisch abgegrenzten Bereich der "Naturwissenschaften". Die hier gewonnenen Erkentnisse werden ja gerade deshalb mit dem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit vertreten, weil die den Erkenntnisobjekten innewohnende Seins-Wirklichkeit unabhängig von der Konstruktionsleistung erkennender Subjekte vorausgesetzt wird. Wie sonst würdet Ihr erklären, dass man von jedem Chemielaboranten erwartet, die Aussage "Wasser kocht bei Umgebungsdruck von 1 Bar bei exakt 100°C" als "wahr" zu akzeptieren, während man ihm gleichzeitig einräumt, hinsichtlich der Aussage "Jesus Christus ist der eingeborene Sohn Gottes" eine durchaus abweichende Meinung haben zu können?
Was ist den eine den Erkenntnisobjekten innewohnende Seins-Wirklichkeit?
Mir scheint dieser Begriff etwas missverständlich zu sein. Den die Frage nach der Seins-Wirklichkeit ist eine ontologische Frage danach ob eine Sache ist oder nicht ist, und wenn sie ist, wie sie ist! Immerhin hat ein Gedanke von mir, selbst Harry Potter oder sonst eine Fiktion auch eine Seins-Wirklichkeit, insofern sie mehr sind als nichts - Eine Gedanke ist etwas und nicht nichts, weshalb sein Sein wirklich ist.
Folglich ist alles Seiende in sofern es nicht nichts ist, wirklich Seiend!
Daher sagt die Tatsache, dass Wasser bei 1Bar Außendruck und 100°C verdampft nichts über das Wesen des Wassers aus, sondern beschreibt viel mehr eine seiner Eigenschaften. Insofern ist der methodische Zugang, den sowohl die Physik, als auch andere Naturwissenschaften haben, auf die Beschreibung von Verhaltensmuster (Theorien) von diversen Sachen beschränkt. Es handelt sich dabei letztlich nur um eine qualitative und quantitative Bestimmung, die aber unter den genannten Bedingungen als wahr zu bezeichnen sind. Der Satz, dass eine Sache naturwissenschaftlich gültig oder wahr ist, ist also ein bedingter!
Völlig unberührt und auch nicht erklärt wird von deinem Ansatz was eigentlich das Wesen des Wassers ist. Und das meint nicht die Frage nach der chemischen Zusammensetzung (Dihydrogenoxid), sondern viel mehr was das Wasser zu dem macht was es ist.
Vielleicht wird das am Menschen plakativer. Es ist eben völlig unzureichend zu behaupten ein Mensch ist ein Lebewesen mit zwei Armen, zwei Beinen, einem Kopf und er besteht aus jenen und diesen Zellen und Organen. Denn niemand würde einem Amputierten absprechen Mensch zu sein.
Ein Konglomerat an sachlich richtigen und gültigen Aussagen über Eigenschaften und Akzidenzien des Menschen oder einer Sache, sagt noch lange nichts über die Sache an sich aus, sondern nur über sein Verhalten unter bestimmten Bedingungen.
Aber gerade das Wesen einer Sache schreiben wir den eigentlichen Wahrheitsgehalt zu. Denn wie gesagt auch ein amputierter Mensch ist ein Mensch, weil es sein Wesen ist Mensch zu sein und nicht weil er die und die Extremitäten oder bio-chemischen oder bio-physikalischen Eigenschaften hat.
Sangus schrieb:Diese aus meiner Sicht essentielle Unterscheidung zwischen "realen" Dingen einerseits und kulturellen Artefakten andererseits (vielleicht ein etwas unverfänglicherer Begriff als "mentale Konstrukte") ist für mich sozusagen die weltanschauliche Grundlage, auf der letztlich auch religiöse Toleranz beruht:...
Also erst einmal sind Kulturgegenstände und -artefakte nicht zwingend mentale Konstrukte. Zweitens machst du hier einen Fehlschluss den Kant unlängst aufgedeckt hat. Denn das "Sein ist offenbar kein reales Prädikat" (KdrV)!
Würde man dir zustimmen, dass es mentale Konstrukte einerseits (mit einem geringeren Seins- und Wahrheitswert) und den Sachen ex mente die real, also in Wirklichkeit sind, (mit einem höheren Seins- und Wahrheitswert)gibt, dann müsstest du sofort den ontologischen Gottesbeweis von Anselm v. Canterbury (Proslogion) akzeptieren. Da es aber wie Kant deutlich gemacht hat keinen Unterschied in der Sache setzt ob ich über ihre Möglichkeit oder ihre Wirklichkeit spreche, ist deine Unterscheidung hinfällig: "Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Denn, da diese den Begriff, jene aber den Gegenstand und dessen Position an sich selbst bedeuten, so würde, im Fall dieser mehr enthielte als jener, mein Begriff nicht den ganzen Gegenstand ausdrücken, und also auch nicht der angemessene Begriff von ihm sein." (KdrV)
Sangus schrieb:Wenn mir klar ist, dass das, was ich "Gott" nenne und dieser Entität an Eigenschaften sowie Wirkmechanismen zuschreibe, keine objektive Entsprechung im naturwissenschaftlichen Sinne besitzt, ...
Soweit uneingeschränkte Zustimmung. Es gibt keinen durch die Methode der Naturwissenschaften erfassbaren Beweis des Seins Gottes, aber auch keine Widerlegung.
Auch hier noch einmal Kant: "Wo will der angebliche Freigeist seine Beweise hernehmen, dass es kein höchstes Wesen gebe?"
Sangus schrieb:..., sondern (im besten Sinne) eine primär sprachlich begründete Verdinglichung zur Beschreibung von (ansonsten schwer Fass- und Ausdrückbahren) Regungen meiner Seele sind, dann habe ich überhaupt keine Probleme damit, die Ausdrucksformen anderer Kulturen als gleichwertig zu akzeptieren.
Das ist eine ziemlich kühne und unbelegte Behauptung. Erstens kann ich dennoch andere Ausdrucksformen ablehnen. Zwar werde ich dies dann nicht mehr unter Berufung auf heilige Texte, sondern dann unter Berufung auf die Regungen meiner Seele, die eine subjektive Wahrheit für mich bilden.
Zweitens ist deine Definition von Gott als sprachliche Chiffre für seelische Gemütserhebungen völlig unzureichend. Auch wenn Anselms Gottesbeweis im Proslogion nicht haltbar ist, so hat er dennoch recht, wenn er sagt, dass der Begriff Gott immer "dasjenige [bezeichnet], über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann." Und dieser Satz ist selbstevident, ansonsten wäre es nicht Gott. Die Regung meiner Seele kann vieles sein, sie aber als Gott zu bezeichnen wäre eine Selbsttäuschung. Der Begriff Gott stimmt einfach sinngemäß nicht mit der bezeichneten Sache, der Regung der Seele oder auch der reinen sprachlichen Bestimmung, über ein.
Sangus schrieb:Umgekehrt hingegen scheinen mir nicht wenige religiös motivierte Auseinandersetzungen und die ewige Streiterei um die "eine" Wahrheit auf der (m.E. eben irrigen) Annahme zu beruhen, hinter dem religiösen Konzept "Gott" stecke eben doch eine letztlich intersubjektiv gültige und von dem denkenden und fühlenden Menschen unabhängige Entität, über deren Wesen und Wirklichkeit schließlich doch verbindliche Einsichten gewonnen werden könnten.
Das ist gar nicht so falsch...
Der Gottesglaube setzt unbedingt voraus, dass Gott als ens perfectissimum eine eigenständige und unabhängige Wesenheit ist. Und zwar in dem Sinne, dass sie vollkommen und souverän gegenüber jeder anderen Sache ist, folglich auch Inbegriff jeder Wahrheit ist.
Dennoch ist die Frage der Gotteserkenntnis eine andere. Schon Pseudo-Dionysius Aeropagita macht deutlich, dass die natürliche Vernunft unzureichend ist um definitive Aussagen über Gott zu machen. Sowohl der affirmative Weg (Gott ist gut, vollkommen, allmächtig, usw.), als auch der negative Weg (Gott ist nicht Mangel, abhängig, usw.) sagen nichts über das Wesen Gottes aus. Da Gott als das Höchste immer wieder unsere sprachlichen Vorstellungen transzendiert (übersteigt). Albert Einstein fasste diese Erkenntnis so zusammen: "Nicht Gott ist relativ, und nicht das Sein, sondern unser Denken." Nach Ps-Dionysius kann man also nur sagen, dass Gott das Über- Gute, usw. sei.
Thomas von Aquin wird diesen Weg weitergehen und sagen, der Mensch allein kann mit seiner Vernunft nur erkennen das Gott ist und nicht wie er ist. Weiterhin könne man Gott nur deshalb beschreiben, weil wer sich selbst geoffenbart hat und dort beginnt auch der Akt des Glaubens. Aber ein solcher, der mit der Vernunft im Einklang steht.
"fides quaerens intellectum - Glaube, der nach Einsicht sucht!" (Anselm v. Canterbury)
Sangus schrieb:Die Akzeptanz anderer Glaubensbekenntisse ist demnach nämlich kein Akt individueller Toleranz, sondern beruht vielmehr auf der vernünftigen Einsicht, dass "Wahrheit" eine höchst untaugliche Kategorie zur Beurteilung von Glaubensüberzeugungen ist.
Im Gegenteil, sonst wäre das ja ein Freibrief an die Religion. Wenn der Glaube sich nicht an das Maß der Vernunft und damit auch an Wahrheit gebunden ist, so gibt es keinen legitimen Grund eklatante Verstöße der Religionen gegen die Wahrheiten unserer Wirklichkeit zu tadeln.
Die Rationalität, im Wissen darum, dass sie nur armseliges Abbild der göttlichen Vernunft ist, ist meiner Meinung nach für uns Menschen die letzte Instanz nach der wir Glauben beurteilen müssen. Und zwar nicht in dem Sinne, dass alles was wir nicht verstehen in Welt und Glauben sofort aburteilen, sondern dialektisch auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und reformulieren.
Ein Glaube der nicht Anteil hat an Wahrheit ist nämlich letztenendes bedeutungslos, sowohl was die Deutung dieser Welt, als auch einer Kommenden angeht.
Soweit Presbyter
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
-
Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
-
Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)

