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Wenn und Aber
#33
Hi Mandingo & Karla,
bitte entschuldigt, dass ich auf Eure Beiträge erst mit soviel Verzögerung reagiere - aber ich finde leider nur sehr selten Zeit für etwas umfänglichere Forumsbeiträge.
Mandingo schrieb:Ich kann die von dir beschriebenen Polarisierungen
nicht alle in deinem Sinne nachvollziehen. Es fehlt mir die bescheidene Größe des Nichtwissens von Realität.
[...]
Karla schrieb:Das ist allerdings jetzt wirklich heikel. Unser menschlicher Körper "übersetzt" ja die Außenreize. Wenn keiner mehr da ist, der diese übersetzt, ist da eventuell ein amorpher Klumpen, über den gar keine Aussage gemacht werden kann.
Ich habe die beiden obigen Äußerungen einmal stellvertretend für den (oder zumindest einen) wesentlichen Aspekt Eurer Ausführungen zitiert. Darin wendet Ihr Euch nach meinem Verständnis gegen ein aus Eurer Sicht wohl allzu naives Realitätsverständnis, das den subjektiven Anteil einer bestimmten Klasse unserer Wahrnehmungen und Bewusstseinsgegenstände leugnet bzw. zumindest für vernachlässigbar hält.

Möglicherweise habe ich in meinen Ausführungen einen etwas zu "klotz-reduktionistischen" Eindruck vermittelt. Selbstverständlich teile ich die Einschätzung, dass uns 100%ig objektive Realitätskenntnis nicht möglich ist und dass wir im Prinzip nicht einmal mit Sicherheit sagen können, ob es so etwas wie "Realität" ausserhalb unseres Denkens und Fühlens überhaupt gibt. Eine solpsistische Geisteshaltung ist, genau genommen, nicht widerlegbar.

Nichtsdestotrotz bin ich nach wie vor der Überzeugung, dass wir bei dem Versuch, die uns erscheinende Welt zu verstehen und zu ordnen, zwischen verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen unterscheiden: Die Dinge der "realen" Welt, die über "Zustände" und "Eigenschaften" verfügen und über Ursache/Wirkungsverhältnisse miteinander verwoben sind, untersuchen wir nach meinem Verständnis nicht ohne Grund in dem paradigmatisch abgegrenzten Bereich der "Naturwissenschaften". Die hier gewonnenen Erkentnisse werden ja gerade deshalb mit dem Anspruch auf intersubjektive Gültigkeit vertreten, weil die den Erkenntnisobjekten innewohnende Seins-Wirklichkeit unabhängig von der Konstruktionsleistung erkennender Subjekte vorausgesetzt wird. Wie sonst würdet Ihr erklären, dass man von jedem Chemielaboranten erwartet, die Aussage "Wasser kocht bei Umgebungsdruck von 1 Bar bei exakt 100°C" als "wahr" zu akzeptieren, während man ihm gleichzeitig einräumt, hinsichtlich der Aussage "Jesus Christus ist der eingeborene Sohn Gottes" eine durchaus abweichende Meinung haben zu können?

Diese aus meiner Sicht essentielle Unterscheidung zwischen "realen" Dingen einerseits und kulturellen Artefakten andererseits (vielleicht ein etwas unverfänglicherer Begriff als "mentale Konstrukte") ist für mich sozusagen die weltanschauliche Grundlage, auf der letztlich auch religiöse Toleranz beruht: Wenn mir klar ist, dass das, was ich "Gott" nenne und dieser Entität an Eigenschaften sowie Wirkmechanismen zuschreibe, keine objektive Entsprechung im naturwissenschaftlichen Sinne besitzt, sondern (im besten Sinne) eine primär sprachlich begründete Verdinglichung zur Beschreibung von (ansonsten schwer fass- und ausdrückbaren) Regungen meiner Seele sind, dann habe ich überhaupt keine Probleme damit, die Ausdrucksformen anderer Kulturen als gleichwertig zu akzeptieren. Umgekehrt hingegen scheinen mir nicht wenige religiös motivierte Auseinandersetzungen und die ewige Streiterei um die "eine" Wahrheit auf der (m.E. eben irrigen) Annahme zu beruhen, hinter dem religiösen Konzept "Gott" stecke eben doch eine letztlich intersubjektiv gültige und von dem denkenden und fühlenden Menschen unbhängige Entität, über deren Wesen und Wirklichkeit schließlich doch verbindliche Einsichten gewonnen werden könnten.

In diesem Zusammenhang finde ich auch die an anderer Stelle von Karla aufgeworfene Frage nach der Bedeutung und Sinnhaftigkeit sog. "Heiliger Schriften" bemerkenswert. Meiner Meinung nach ist nämlich die Verbrämung (z.T doch recht fragwürdiger) religiöser Bekenntnisse zu "heiligen" Texten ein notwendiger Schritt, um die Vorstellung eines objektiv existierenden Gottes gewissermaßen auf eine erkenntnistheoretisch belastbare Grundlage zu stellen. Anstelle der naturwissenschaftlich-rationalen Konzepte wie z.B. "Theorie" und "Experiment" treten "Offenbarungen", und Propheten übernehmen in einer Mittlerrolle die Vermittlung von Erkenntnissen, die als "absolut" zu akzeptieren sind. In der Summe gelten diese "geoffenbarten" Wahrheiten dann als sakrosankt, weil sie sozusagen die elementare Grundlage für die Begründung aller weiteren (und dann mit Bezug auf diese Grundlage durchaus oft sehr rational hergeleiteten) Glaubensaussagen bilden: Viele vordergründig durchaus rationale Argumentationen gläubiger Zeitgenossen, denen ich im Laufe der Jahre begegnet bin, rekurrieren schlussendlich auf die "Heilige Schrift" als Letztbegründung; wer die dort manifestierten "Wahrheiten" dann nicht als "ewig geltend" akzeptiert, ist nicht etwa einfach nur anderen religiösen Ausrucksformen zugewandt, sondern ein "Leugner" und "Ungläubiger", den man wahlweise bekehren oder bekämpfen muss.

In diesem Sinne würde ich denn auch meine Klassifizierung des Gottesbegriffs als "mentales Konstrukt" gern weniger als naive Reduktion auf ein letztlich naturwissenschaftlich fassbares Phänomen verstanden wissen, sondern vielmehr als Appell, bei der Formulierung des Geltungsanspruchs religiöser Überzeugungen sozusagen prinzipiell Bescheidenheit walten zu lassen. Die Akzeptanz anderer Glaubensbekenntisse ist demnach nämlich kein Akt individueller Toleranz, sondern beruht vielmehr auf der vernünftigen Einsicht, dass "Wahrheit" eine höchst untaugliche Kategorie zur Beurteilung von Glaubensüberzeugungen ist.

Aber ich schätze, dass wir in diesem Punkt eigentlich gar nicht so sehr weit auseinanderliegen ...

Viele Grüße
Sangus
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Nachrichten in diesem Thema
Wenn und Aber - von Lea - 17-10-2007, 08:42
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 19-10-2007, 11:17
RE: Wenn und Aber - von Fritz7 - 22-10-2007, 23:22
RE: Wenn und Aber - von Karla - 23-10-2007, 00:57
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 23-10-2007, 18:49
RE: Wenn und Aber - von Karla - 23-10-2007, 19:49
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 23-10-2007, 21:04
RE: Wenn und Aber - von Fritz7 - 24-10-2007, 18:46
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 20-10-2007, 14:51
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 20-10-2007, 14:53
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 20-10-2007, 21:24
RE: Wenn und Aber - von adagio - 22-10-2007, 01:54
RE: Wenn und Aber - von Lea - 22-10-2007, 14:31
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 22-10-2007, 16:56
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 22-10-2007, 17:01
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 23-10-2007, 16:31
RE: Wenn und Aber - von Lea - 22-10-2007, 17:42
RE: Wenn und Aber - von Lea - 24-10-2007, 07:54
RE: Wenn und Aber - von Lea - 24-10-2007, 08:02
RE: Wenn und Aber - von Karla - 24-10-2007, 17:08
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RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-10-2007, 16:27
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 25-10-2007, 12:28
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-10-2007, 16:13
RE: Wenn und Aber - von Lea - 25-10-2007, 19:15
RE: Wenn und Aber - von Sangus - 26-10-2007, 00:29
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 28-10-2007, 21:11
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 26-10-2007, 11:01
RE: Wenn und Aber - von Karla - 28-10-2007, 21:29
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-12-2007, 04:05
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-12-2007, 04:06
RE: Wenn und Aber - von Sangus - 12-02-2008, 22:13
RE: Wenn und Aber - von Alanus ab Insulis - 13-02-2008, 15:08

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