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Wenn und Aber
#26
Hi Karla,
Karla schrieb:Der Satz "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht" hingegen bringt mich ins Grübeln. Was bedeutet denn genau: "etwas gibt es"? Von welcher Perspektive aus soll es denn etwas geben oder nicht geben? [...]
Also "gibt" es dann auch sämtliche "Götter", die Menschen sich vorstellen: sie sind vorhanden. Denn "Vorstellungen" haben wir von allen Dingen. Wir sagen es nur nicht immer dazu. [...]
Das, was als wirkend wahrgenommen wird, "gibt" es. Auch ein Phantomschmerz " existiert, selbst wenn jeder ihn als Nonsens erklären würde.
An der Frage nach "objektiver Existenz" habe sich nun wohl schon andere Köpfe dieselben zerbrochen als wir hier in diesem Forum.
Und natürlich liegt den allzu selbstbewussten Unterscheidungen zwischen "real" und "nicht real" oft ein eher naives Welt- und Wirklichkeitsverständnis zu Grunde.

Aber andererseits ist mir die "irgendwie-existiert-alles-was-wirkt"-Haltung auch etwas zu wischi-waschi. Es erinnert mich an die Position, die Ekkard hier oft bezieht, wenn sich Diskussionen über die Frage nach intersubjektiver Gültigkeit von naturwissenschaftlichen Theorien und Hypothesen einerseits und Glaubensüberzeugungen andererseits entwickeln: Letztlich sei doch alles "gesellschaftliche Konvention", auch naturwissenschaftliche Modelle wären schlussendlich mentale Konstruktionen und würden sich in ihrem ontologischen Wirklichkeits-Status damit nicht grundsätzlich von Gottesvorstellungen und religiösen Weltdeutungen unterscheiden.

Obgleich ich nun natürlich auch nicht die letzte Antwort auf die Frage nach "Sein" oder "Nicht-Sein" geben kann, habe ich für mich ein recht taugliches Maß für die Differenzierung zwischen "realer Existenz" und "mentalem Konstrukt" gefunden: Für mich macht sich der Unterschied fest an der Antwort auf die Frage, ob das "Etwas", das in meiner Vorstellung repräsentiert wird, wohl auch noch existieren wird, wenn die letzte Vorstellung davon ausgestorben ist.

Selbstverständlich ist auch diese Frage nicht mit letzter Sicherheit und vor allen Dingen nicht intersubjektiv verbindlich zu beantworten (ein fundamental-konservativ Gläubiger wird natürlich immer der Überzeugung sein, dass sein Gott unabhängig von allen diesseitigen Abhängigkeiten existiert), aber es ist für mich persönlich eine recht gute Orientierungslinie, an der ich entscheiden kann, ob ich einem "Etwas" "echte" Existenz beimesse oder ob ich es für ein rein mentales Konstrukt halte, das natürlich mglw. durchaus bedeutsam für mein Leben ist, aber eben nicht mit dem Anspruch auf intersubjektives "Dasein" vertreten werden kann.

In diesem Zusammenhang sind für mich alle kulturellen Artefakte keine real existierenden Dinge, sondern mentale Konstrukte. Eine Sinfonie beispielsweise hört in meinem Weltbild in dem Augenblock auf zu "sein", in dem niemand mehr da ist, der sie hören und damit sozusagen "konstruieren" kann. Selbst ein in alle Ewigkeit mit Beethovens 9ter vor sich hin dudelnder CD-Spieler erzeugt in der realen Welt lediglich ein "Geräusch", bedeutungslosen Schall, der erst dadurch zur "Sinfonie" wird, indem er gehört und in einem menschlichen Gehirn zu eben dieser konstruiert wird.

Bei "echten" Dinge hingegen gehe ich - unabängig davon, dass mir vollständig objektive Einsicht in ihre "wahres Sein" nicht möglich ist - davon aus, dass sie unabhängig von menschlicher Vorstellungskraft (simpel gesagt: unabhängig von menschlichen Gehirnen) "da sind". Die Sonne z.B. wird wohl auch noch existieren, wenn das mentale Konzept "Sonne" lange ausgestorben ist, und sie hat wohl auch bereits existiert, bevor das entsprechende Pendant in unserer Vorstellungswelt erstmalig auftauchte.

In diesem Sinne sind für mich auch alle Assoziationen mit dem Begriff "Gott" rein mentale Konstrukte, denen keine "wirkliche" Existenz zukommt; deshalb "sterben" Götter auch, wenn keiner mehr an sie glaubt.  Der zwischenmenschliche Austausch, der auf Basis dieser Begrifflichkeiten stattfindet, ist kann daher m.E. auch kein Rede über eine objektive Entität "da draußen" sein, über deren Natur - zumindest theoretisch dem Wesen nach - objektive Übereinstimmung erzielbar wäre. Für mich handelt es sich dabei vielmehr um die sprachliche Verdinglichung von Kräften, Empfindungen, Sehnsüchten und Emotionen, die wir als wesentlich für unser Leben sehen und von denen wir uns abhängig und getrieben empfinden. Wir stehen nun einmal hier mit großen Strebungen in unserer Seele, mit der Sehnsucht nach Liebe, der Hoffnung auf Sinn, und der Angst vor dem Tod. Und es drängt nun einmal aus uns heraus, dass wir uns zu diesen Fragen positionieren, dass wir Antworten versuchen, und dass wir immer wieder hadern und (ver)zweifeln und uns abmühen, weil es uns offenbar wohl vergönnt ist, die Fragen zu sehen, aber nicht die Antwort zu finden.

Religion ist für mich demnach auch nicht etwas, das als Offenbarung "metaphysischer Wirklichkeit" sozusagen "von außen" über den Menschen kommt. Religion ist für mich etwas, das durch und durch aus dem Innersten des Menschen herausdrängt. Sie ist also in dem Sinne "real", als dass sie offenbar untrennbar und unvermeidbar mit der Existenz von Menschen einhergeht.

Aber in demselben Augenblick, in dem der letzte Mensch seinen letzten Atemzug getan haben wird, wird auch jede Religion, jeder Gott, jeder Engel und jeder Heilige aufgehört haben, zu existieren ...

Gruß
Sangus
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Wenn und Aber - von Lea - 17-10-2007, 08:42
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 19-10-2007, 11:17
RE: Wenn und Aber - von Fritz7 - 22-10-2007, 23:22
RE: Wenn und Aber - von Karla - 23-10-2007, 00:57
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 23-10-2007, 18:49
RE: Wenn und Aber - von Karla - 23-10-2007, 19:49
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 23-10-2007, 21:04
RE: Wenn und Aber - von Fritz7 - 24-10-2007, 18:46
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 20-10-2007, 14:51
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 20-10-2007, 14:53
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 20-10-2007, 21:24
RE: Wenn und Aber - von adagio - 22-10-2007, 01:54
RE: Wenn und Aber - von Lea - 22-10-2007, 14:31
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 22-10-2007, 16:56
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 22-10-2007, 17:01
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 23-10-2007, 16:31
RE: Wenn und Aber - von Lea - 22-10-2007, 17:42
RE: Wenn und Aber - von Lea - 24-10-2007, 07:54
RE: Wenn und Aber - von Lea - 24-10-2007, 08:02
RE: Wenn und Aber - von Karla - 24-10-2007, 17:08
RE: Wenn und Aber - von Lea - 24-10-2007, 20:49
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-10-2007, 16:27
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 25-10-2007, 12:28
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-10-2007, 16:13
RE: Wenn und Aber - von Lea - 25-10-2007, 19:15
RE: Wenn und Aber - von Sangus - 26-10-2007, 00:29
RE: Wenn und Aber - von Mandingo - 28-10-2007, 21:11
RE: Wenn und Aber - von Lhiannon - 26-10-2007, 11:01
RE: Wenn und Aber - von Karla - 28-10-2007, 21:29
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-12-2007, 04:05
RE: Wenn und Aber - von Karla - 25-12-2007, 04:06
RE: Wenn und Aber - von Sangus - 12-02-2008, 22:13
RE: Wenn und Aber - von Alanus ab Insulis - 13-02-2008, 15:08

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