(24-07-2025, 00:35)Ulan schrieb: Nichtsdestotrotz laesst sich Bewusstsein ohne ein funktionierendes Gehirn (sowohl was "Sender" als auch "Empfaenger" angeht) halt gar nicht beobachten...Entschuldige, ich muss diesen Halbsatz mal aus dem Kontext reißen. Nein, noch einmal: Wir beobachten Bewusstsein gar nicht. Nicht nur nicht ohne funktionierendes Gehirn, sondern nicht einmal mit funktionierendem Gehirn. Und das ist dann eben auch der springende Punkt, d.h. hier wird letztendlich mit zweierlei Maß gemessen, wenn es bspw. heißt, es gäbe keinerlei Belege für ein Bewusstsein ohne funktionierendes Gehirn, während es aber eben nicht einmal Belege für ein Bewusstsein mit funktionierendem Gehirn gibt. Was beobachtbar ist: Verhalten, Sprache, neuronale Aktivität. Wir beobachten also nie Bewusstsein selbst, sondern nur Äußerungen und physiologische Muster, aus denen wir auf Bewusstsein schließen - ein Vorgang, der Beobachtung und Interpretation vermischt, aber keine ontologische Aussage über Ursprung oder Wesen des Bewusstseins erlaubt. Der Unterschied liegt also nicht in der "Datenlage", sondern in der Bereitschaft, bestimmte Deutungen als "gesichert" zu betrachten, obwohl sie auf denselben indirekten Grundlagen beruhen wie alternative Hypothesen (bspw. Orch-OR-Modell oder Integrated Information Theory).
Und die Analogien dienten lediglich der Erläuterung, nicht der logischen Beweisführung, dass es anders sein müsse. Letztendlich hinkt auch jeder Vergleich irgendwo, sonst wäre es ja keiner.
(24-07-2025, 00:35)Ulan schrieb: Die Aufklaerung von Mechanismen ist immer vorlaeufig und kann verbessert werden. Erkenntnis kommt halt schrittweise. Tun wir nicht so, als wuessten wir rein gar nichts.Sicher. Aber der Zusammenhang zwischen Gehirn und Geist ist bereits seit der Antike bekannt (etwa Hippokrates oder Alkmaion von Kroton). Bis heute gibt es aber kein Modell, welches eben den qualitativen Sprung von neuronaler Informationsverarbeitung zu subjektivem Erleben schlüssig erklärt (Stichwort: Hard Problem of Consciousness oder Qualiaproblem). Und das ist nun einmal keine erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Kleinigkeit. Nicht selten wird dieser Umstand auch gerne mal durch Verweis auf zukünftige Forschung relativiert oder gar belächelt - so, als handle es sich lediglich um eine Lücke im aktuellen Erkenntnisstand, die sich mit der Zeit von selbst schließen werde. Doch genau hier lohnt ein Blick in die Wissenschaftsgeschichte: Vor dem Durchbruch der Quantenmechanik und deren weitreichendem Impact für unser Weltbild wurde Max Planck von seinem Professor noch vom Physikstudium abgeraten mit dem Hinweis, dass die Physik im Wesentlichen abgeschlossen sei und es nur noch ein paar unwichtige Lücken zu füllen gäbe. Eine dieser Lücken war die sogenannte Ultraviolett-Katastrophe - eine scheinbar kleine und unbedeutende Anomalie, die sich rückblickend aber als Sprengsatz für die komplette klassische Physik und das damalige Weltbild erwies. Der Rest ist bekanntlich Geschichte...
Und was die Geschichte der Wissenschaft also vor allem zeigt: Erkenntniskrisen und Paradigmenwechsel entstehen weniger dort, wo gar nichts erklärbar ist, sondern vor allem dort, wo etwas scheinbar bereits hinreichend verstanden ist, aber doch eine kleine, unbequeme Anomalie zurückbleibt. Das war nicht nur bei der Quantenphysik so, sondern bspw. auch bei der Relativitätstheorie oder dem geozentrischen Weltbild. Und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir es im Fall des Qualiaproblems oder "Hard Problem of Consciousness" mit einem ähnlichen Kaliber zu tun haben.
Für diese eigentlich recht banale Einsicht, dass die Schließung scheinbar unbedeutender Erklärungslücken einen gewaltigen Impact für unser Weltbild nach sich ziehen können, muss man hier auch keine eigene und bis ins letzte Detail ausformulierte "Theorie des Bewusstseins" präsentieren, wie manch einer sie vielleicht einfordern würde. Dahinter steckt letztendlich auch kein Glaubensbekenntnis, sondern lediglich der eigentlich recht bescheidende Ausdruck eines gesunden, erkenntnistheoretisch begründeten Zweifels gegenüber vorschnell als "gesichert" deklarierten Deutungen der gegenwärtigen Datenlage.