27-09-2022, 15:25
(26-09-2022, 14:43)Geobacter schrieb: Ich lasse mich nicht von Menschen deines Schlages täuschen, die der autoritären Selbstüberschätzung frönen. Dafür ist ein gutes naturwissenschaftliches Hintergrundwissen die allerbeste Basis.
... Du wirst hier im Forum von niemendem "getäuscht", denn eine Meinung oder die eines anderen wiederzugeben, ist keine Täuschung, vor allem schon deswegen nicht, weil ja stets Gegenrede erhoben werden kann.
Bereits die Frage, ob uns unser Gehirn auf seine Weise eine Welt vortäuscht, die es so nicht gibt, lässt diesen Punkt nochmals in einem anderen Licht erscheinen, als nur von Selbstüberschätzung zu reden.
Wer behauptet: „Ich glaube nur, was ich sehe“, sollte sich zunächst ein neues Gehirn anschaffen. Denn die möglichst detailgetreue Abbildung der Wirklichkeit ist nicht gerade die Stärke unseres Denkorgans.
Vielmehr erweist sich das menschliche Gehirn immer wieder als besonders fantasievoll. Es konstruiert aus vorhandenen, oft lückenhaften Informationen und Sinneseindrücken eine Welt im Kopf, die der Wirklichkeit nahe kommt, sie aber nicht eins zu eins abbildet. Entscheidend ist lediglich, dass diese Welt im Kopf ausreicht, damit wir Menschen uns in der tatsächlichen Welt zurechtfinden.
Durch die Demonstration optischer Täuschungen und die Beschreibung zahlreicher Versuchsergebnisse der Kognitionsforschung belegt Chris Frith diese Kernaussage seines Buches (Titel gebe ich absichtlich wegen Schleichwerbung nicht an!). Dann taucht eine fiktive Englischprofessorin auf und stellt die mühsam erarbeiteten Ergebnisse der Wissenschaftler mit Argumenten des „gesunden Menschenverstands“ in Frage. Sie vertraut ihren subjektiven Wahrnehmungen und ihrer Erfahrung. Sie unterscheidet – wie wir alle im Alltag – nicht zwischen Gehirn, Wahrnehmung und Bewusstsein. Mit ihren Argumenten aus Alltag und geisteswissenschaftlicher Tradition setzt sich der naturwissenschaftlich denkende und arbeitende Chris Frith auseinander und hat dabei keinen leichten Stand.
Das Buch liefert trotz der meist verständlichen Sprache und einfachen Erklärungen keine leichte Kost. Zahlreiche, manchmal auch widersprüchliche Informationen fordern den kritischen Leser. Chris Frith will keine Konsumenten, die ihm, dem Experten, alles glauben. Er möchte seine Leser von den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft und Kognitionsforschung überzeugen – wohl wissend, dass sich deren Gehirne gegen ihre Enttarnung wehren werden. Wer wird schon gerne als Illusionskünstler und Geschichtenerzähler bezeichnet, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt?
Es lohnt sich, sich auf die Gedankenspiele des Professors aus England einzulassen. Denn er bietet nicht nur interessante Fakten über das Gehirn, sondern verleitet die lesenden Gehirne immer wieder zum Nachdenken über sich selbst und die eigene Wahrnehmung.
Dein gutes naturwissenschaftliches Hintergrundwissen ist also keinesfalls "die allerbeste Basis", allenfalls vergleichbar mit einem kleinen Ruderboot auf stürmischer See.

Gruß von Reklov