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Der mesopotamische Ursprung der biblischen Sintflut-Geschichte
#62
(03-03-2022, 00:53)Ulan schrieb: Das Buch Genesis hoert ja nicht da auf, wo unsere Betrachtung der Sintflutgeschichte aufhoert. Die Erzaehlungen ueber Noah gehen weiter. Nach der biblischen Version des Uranos-Mythos kommt die ausfuehrliche Genealogie der Nachkommen Noahs, was dann auch Deine Idee entsorgt, mit "Eretz" koenne nur Israel gemeint sein.

Ich habe nirgends behauptet, dass mit eretz nur das Land Israel gemeint sei. Was ich behauptet habe war zum einen: eretz bedeutet Land und nicht Erde im Deutschen (siehe unten Land Schinar = eretz shinar). Zum anderen: Die Bibel handelt vom Judentum für welches das Land Israel (= eretz jisrael) zentral und ein durchgängiges Thema in der Bibel ist: Verheißung des Landes, Landnahme, Teilung des Landes, Vertreibung der Eliten aus dem Land ins Exil, Rückkehr ins Land, Bau des 2. Tempels im Land.

(03-03-2022, 00:53)Ulan schrieb: Du hast sogar daraus schon (mit einer aehnlich sinnentstellenden Interpretation) zitiert, aber dabei vollkommen das Detail uebersehen, dass hier die Besiedlung und Aufteilung der ganzen Welt (nun gut: des kleinen Teils der Welt, vom afrikanischen Kusch ueber Aegypten ueber Assyrien bis in den Iran, das den Israeliten bekannt war) durch die Nachkommen Noahs beschrieben wird.
Was war denn daran sinnentstellend? Natürlich wird da die bekannte Landmasse (im Gegensatz zum Meer) in Länder aufgeteilt.
Noach > Sem > Eber (= Hebräer) > Peleg, das ist die JHWH anrufende Linie die zum Judentum hinführt. Also in diesem Teil der bekannten Welt wird das Land Pelegs (nicht die Erde) geteilt. Das ist der Link in der Ouvertüre auf das einzige Land, das dann in der "Oper" geteilt wird. Passt doch.

Andere Linie die nicht zum Judentum hinführt, weil sie nicht JHWH anruft: Noach > Ham > Nimrod > Land Schinar (= eretz shinar) > Turmbauerzählung über die Nachkommen Nimrods:
Zitat:Gen 11,2
Als sie ostwärts aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar (eretz schinar) und siedelten sich dort an.
Ähnliches Spielchen wie in der Sintfluterzählung
Zitat:Gen 11,1
Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte.
Das ganze Land Nimrods, also das Land Schinar hatte eine Sprache ... Es geht also nicht um die Sprache aller Menschen, sondern nur um einen bestimmten Teil, der mit einem bestimmten Land, aber einer fremden, anderen Religion assoziiert wird - analog zur Linie Kain, die nicht JHWH anruft und vernichtet wird, wird Nimrods Linie "zerstreut" weil einer die identitätsbildende Sprache, das theologisches Narrativ des anderen Glaubensgenossen nicht mehr versteht. Das ist eine Warnung für das auserwählte Volk, am Negativbeispiel eines der Fremdvölker, unbedingt am eigenen theologischen Narrativ (AT) festzuhalten. 

Wenn es das Christentum damals schon gegeben hätte, hätte die innerchristliche Verwirrung um theologische Fragen, die zu unzähligen Kirchenspaltungen geführt hat, und in der die jeweilige Kirchensprache vom christlichen Glaubensgenossen kaum noch verstanden wird, ein ebenso gutes Negativbeispiel abgegeben. Das ist der gemeinte Plot der Darstellung der Turmbaugeschichte. Im Judentum gibt es auch verschiedene Meinungen, aber für die Juden ist das mehr wie gemeinsames Schachspielen auf dem Brett der Tora. Christen haben das miteinander Schachspielen verlernt, und jeder ist dem anderen seiner Genossen zum Spielverderber geworden, und will ihm sein eigenes, neues Spiel aufdrängen. Die einen spielen Mühle, die anderen Dame, die nächsten Halma usw. Darum ist das Christentum dabei, völlig unglaubwürdig und deswegen "zerstreut" zu werden, und wird seine "Stadt und ihren Turm der zum Himmel reichen soll" bald nicht mehr weiterbauen können.

(03-03-2022, 00:53)Ulan schrieb: Die Geschichte geht davon aus, dass alle Menschen auf der Erde, ausser Noahs Familie, in der Flut vernichtet wurden, und alle existierenden Voelker also "Kinder" Noahs sind, was irgendwie nicht so ganz mit Deiner Interpretation zusammenpassen will.
Wieso nicht? Passt doch alles.

(03-03-2022, 00:53)Ulan schrieb: Sicherlich kann ich dem Autor des Textes nicht direkt in den Kopf sehen, aber wenn als Folge des Aktes Noahs waehrend der Sintflut alle heute existierenden Menschen gerettet wurden, kann ich mit einer Deutung, die sich auf ein diese Details vollkommen ignorierendes Modell stuetzt, nichts anfangen.
Wenn du mich nicht richtig verstanden hast, bedeutet das nicht automatisch, dass ich etwas ignoriert hätte. Die Urgeschichte ist der Gründungsmythos des Judentums, eine Allegorie, in der das Dargestellte nicht das Gemeinte ist, aber genug versteckte Hinweise auf das Gemeinte enthält. Das geteilte Land Pelegs in der Linie Sems nach der Sintflut ist solch ein versteckter Hinweis. In der Oper später findet die Reichsteilung vor den beiden Kriege und dem Exil statt, und nicht wie hier nach der Sintflut (dem Exil). Das ist eben auch wieder so eine notwendige logische Inkonsistenz im Dargestellten, welche auf das eigentlich Gemeinte hinweist. Dieser, diesmal zeitlich-chronologische, Widerspruch ist die nötige Auffälligkeit, damit das Versteck des Hinweises gefunden werden kann, weil es gefunden werden soll. Fände man es nicht, wäre es kein Hinweis. 

Irgendwie müssen die Autoren schließlich einen Übergang von der Ouvertüre in die Oper bewerkstelligen, in der die gleiche Geschichte ein zweites Mal, aber wieder von Anfang an erzählt wird, wo das Dargestellte dann nichts anderes meint, als das Dargestellte. Mythen, Allegorien brauchen ein gutes Stück künstlerische Freiheit, sind wie logisch inkonsistente Träume. Diese Traumbilder müssen inkonsistent genug sein, damit man den Traum (das Dargestellte) der auf die Wirklichkeit (das eigentlich Gemeinte) verweist, noch als Traum erkennen und von der Wirklichkeit auseinander halten kann.

Dieser literarische Übergang aus der Traumwelt in die Wirklichkeit ähnelt dem alltäglichen Aufwachen, das jeder aus eigener Erfahrung kennt, dieser anfänglichen Desorientierung und Neuorientierung der Gedanken, das dauert etwas, bis man wieder ganz zu sich selbst gekommen ist, und die Traumbilder abgeschüttelt hat. Das ist Literatur vom Feinsten, voller Poesie, deren Wesen ebenfalls ist, indirekt darzustellen, was eigentlich gemeint ist.


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RE: Der mesopotamische Ursprung der biblischen Sintflut-Geschichte - von Balsam - 03-03-2022, 08:29

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