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Das Judentum als Geschichtsreligion oder Schriftreligion
#8
Der Begriff "Geschichtsreligion" wird politisch verwendet. Im Grunde ist damit ein politisch-religiöses (bzw. quasi-religiöses) Konzept gemeint, das den Anspruch erhebt, für die gesamt Menschheit gültig zu sein. Vereinfacht gesagt: Das Judentum erhebt diesen Anspruch mit dem Noachidischen Bund, den Gott mit den Menschen eingeht, das Christentum  mit dem allumfassenden  Verkündigungsauftrag, der Islam mit dem religiös-politischen Auftrag, die gesamte Menschheit dem rechten Glauben zuzuführen bzw. Juden und Christen unter der Oberhoheit des Islam zu versammeln.

Ein geschichtsreligiöses Konzept im vergleichbaren Sinn liegt auch dem Marxismus in seiner leninistischen Prägung zugrunde.

Um den Begriff richtig verstehen zu können, empfiehlt es sich, die Schrift von Moses Hess: Rom und Jerusalem zu lesen.


Moses Hess: Rom und Jerusalem (Zitate)

2. Brief

…das Ende der Tage, von welchem das Judentum seit dem Anfang der heiligen Geschichte, in seinen guten und bösen Tagen, stets geweissagt hat, ist nicht, wie andere Völker es missverstanden haben, das Ende der Welt, sondern die Vollendung der Entwicklungsgeschichte und Erziehung des Menschengeschlechts.

Wir stehen am Vorabend dieses Geschichtssabbats und haben uns auf unsre letzte Mission vorzubereiten durch das Verständnis unsrer Geschichtsreligion.
[…]
Das Judentum ist vor allen Dingen eine Nationalität, deren Geschichte, Jahrtausende überdauernd, mit jener der Menschheit Hand in Hand geht, eine Nation, die schon einmal das geistige Regenerationsorgan der sozialen Welt war, und welche heute, nachdem der Verjüngungsprozess der weltgeschichtlichen Kulturvölker seiner Vollendung entgegenreift, mit der Wiedergeburt derselben ihre eigene Auferstehung feiert.

6. Brief

So oft ein Wendepunkt in der Entwickelungsgeschichte der welthistorischen Völker eintritt, entsteht eine große Bewegung in demjenigen Volk, welches der Träger der Geschichtsreligion ist. Der Übergang, aus dem Altertum ins Mittelalter, dieses Herbstäquinoxium der Menschheit, kündigt sich an durch große Stürme innerhalb des Judentums, welche das Christentum, und innerhalb des Judentums selbst jene Sekten erzeugte, die nach der Krisis wieder spurlos verschwunden sind.
[…]
Auch die modernen Sadduzäer, Pharisäer und Essäer, ich meine die Reformisten, die Rabbinisten und Chasidäer werden wieder spurlos verschwinden, nachdem unsere kritische Epoche, die letzte Krisis der Weltgeschichte, vorüber gegangen sein wird, nachdem die Völker, welche dem Judentum  ihre Geschichtsreligion verdanken, und mit ihnen das jüdische Volk selbst, zu neuem Leben auferstanden sein werden.
[…]
Vor dem Erscheinen der germanischen Rassen auf dem Schauplatz des Welttheaters gab es überhaupt nur zweierlei Kultusarten -. einen Natur- und einen Geschichtskultus. Jener hatte in Griechenland, dieser in Judäa seinen klassischen Ausdruck gefunden.

7. Brief

Die großen Denker und edlen Charaktere haben dieses Wesen der jüdischen Geschichtsreligion auch nie verkannt; sie erblickten nicht in jeder Modifikation der Lebensanschauung eine neue Religion, und bildeten sich nicht ein, die historische Basis unsres Kultus reformieren zu können. - Sadia und Maimuni, Spinoza und Mendelssohn sind, trotz ihrer fortgeschrittenen geistigen Entwickelung, keine Apostaten geworden, obgleich es nicht an dogmatischen Ketzerrichtern fehlte, die sie ausstoßen wollten oder wirklich ausgestoßen hatten.
[…]
Jeder Schöpfung aber liegt etwas zu Grunde; aus Nichts wird nichts geschaffen. - Den zukünftigen sozialen Schöpfungen liegt das national-humanitäre Wesen der jüdischen Geschichtsreligion als Keim zu Grunde.

9. Brief

So lange noch kein andres Volk, als das jüdische, diesen national-humanitären Geschichtskultus hatte, waren die Juden allein das Volk Gottes. Seit der großen Revolution, welche von Frankreich ausging, haben wir im französischen Volke, sowie in denjenigen Völkern, die sich der französischen Nation anschließen, edle Rivalen und treue Bundesgenossen gewonnen.

10. Brief

Die Offenbarungen des heiligen Geistes weisen wirklich auf keine andre Zukunft hin, als auf die der sozialen Welt im reifen Lebensalter. – Dieses Weltalter beginnt nach unsrer Geschichtsreligion mit der Messiaszeit.
[…]
Die Messiaszeit ist das gegenwärtige Weltalter, welches mit Spinoza zu keimen begonnen hat, und mit der großen französischen Revolution ins weltgeschichtliche Dasein getreten ist.  Mit der französischen Revolution begann die Wiedergeburt der Völker, die dem Judentum ihren nationalen Geschichtskultus verdanken.

Epilog. 1. Hellenen und Israeliten

Wenn wir den Geschichtsplan, wie er uns in den heiligen Schriften der Israeliten vorliegt, mit vorurteilsfreiem Geiste erfassen, so erkennen wir in demselben nicht nur die Einheit des Menschengeschlechts, sondern das einige Wesen des ganzen kosmischen, organischen und sozialen Lebens.
MfG B.
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RE: Das Judentum als Geschichtsreligion oder Schriftreligion - von Bion - 04-05-2016, 11:14

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