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Historisch-kritische Theologie
#2
Es ist interessant, dass Du ueber die historisch-kritische Methode in der Vergangenheitsform redest, so, als sei sie heute nicht mehr relevant. Ich bin mir dessen bewusst, dass heutzutage wieder sehr konservative Theologen publizistischen Erfolg haben, die das Rad der Geschichte gerne wieder zurueckdrehen wuerden, aber das hat mit der Realitaet an neutestamentlichen Fakultaeten wenig zu tun. Aussagen wie diese:

Zitat:Durch Archäologie, Text- und Sprachforschung ist heute zwar nachgewiesen, daß die Texte des Neuen Testaments tatsächlich aus der Zeit der Augenzeugen Jesu stammen und es keinen rational begründbaren Zweifel an der Verfasserschaft der Jünger gibt, doch werden die Theorien der Bibelkritiker trotzdem weiter vertreten, da sich die Behauptungen von ihrer realen Grundlage längst gelöst haben...

... sind einfach nur Glaubenserklaerungen, die im luftleeren Raum stehen und durch keinerlei Forschungsergebnisse gedeckt sind. Ganz im Gegenteil. Im Jahre 2012 gab es die letzte bitterboese Veroeffentlichung, die noch einmal darauf hinweist, dass sehr viele Theologen immer noch heutzutage alte Manuskripte notorisch zu frueh datieren und dabei Methoden anwenden, die wissenschaftlich unhaltbar sind (Pasquale Orsini and Willy Clarysse, “Early New Testament Manuscripts and Their Dates: A Critique of Theological Palaeography,” Ephemerides Theologicae Lovanienses 88, no. 4 (2012): 443-74).

Im Prinzip, wenn man vernuenftige historische Methoden anwendet, sieht es mit neutestamentlichen Schriften schlimmer aus, als Du das hier darstellst. Wenn Du also liest, dass sogenannte "liberale" Theologen das Matthaeus-Evangelium auf etwa das Jahr 80 datieren, dann ist das schon ein Friedensangebot, um die Wogen zu glaetten. Realistischerweise muesste man 70-170 sagen; falls man an eine genuine Vorhersage glaubt kann man auch 50-170 ansetzen. Und dieser Zeitraum heisst einfach nur das: es ist irgendwann in diesem Zeitraum geschrieben; es gibt keinerlei Moeglichkeit, das besser einzugrenzen.

Falls Du bessere Kenntnis der Literatur hast, wirst Du wohl mit dem Einwand kommen, dass Matthaeus in den Briefen von Ignatius zitiert wird, und das wird in vielen theologischen Standardwerken auf das Jahr 107 angesetzt, so dass das dann der Terminus ante quem waere. Das erste Problem ist, dass die 107 auch nur ein Zitat von Zitaten ist, und Ignatius kann das irgendwann vor 117 geschrieben haben. Wenn man der Hypothese folgt, dass die Ignatius-Briefe eine Faelschung durch Polykarp sind, ist man schon bei 168. Allerdings braucht man gar keine weithergeholten Hypothesen anzunehmen; selbst wenn man sie fuer echt haelt und dann nachschaut, was denn in den Ignatius-Briefen eigentlich drinsteht, so ist das angeblich die Weihnachtsgeschichte von Matthaeus. Schaut man aber darauf, was da wirklich steht, so ist das eine Mischmasch der Weihnachtsgeschichten von Matthaeus und Lukas, aber nicht einfach eine Zusammenfassung, sondern Jesus ist hier selbst der Weihnachtsstern. Etwas ganz anderes also, vielleicht sogar der Ursprung von beiden kanonischen Weihnachtsgeschichten. Der Rest sind Paraphrasen, die oft ganz andere Zusammenhaenge haben. Fazit: Ignatius faellt als Hinweis fuer den Terminus ante quem flach.

Der naechste, gern genannte Matthaeus-Zeuge, ist Papias (120-140). Leider hat die Kirche es nicht fuer notwendig befunden, seine Texte zu ueberliefern, also muessten wir Irenaeus beim Wort nehmen.

Dann gibt's als naechsten Zeugen Justin den Martyrer, der einen Terminus ante quem von 165 liefern wuerde und von dem in der Literatur gerne behauptet wird, er haette aus dem Matthaeus-Evangelium zumindest aehnlich zitiert. Dazu wurde vor zwei Jahren festgestellt, dass diese "Fast-Matthaeus"-Zitate exakte Zitate aus Markions Evangelikon sind. Zu dumm. Schon wieder ein Zeuge weg.

Tja, und dann kommen wir halt zu Irenaeus. 175 bis 185. Das ist der Terminus ante quem fuer das Matthaeus-Evangelium. Und da sage noch jemand, die historisch-kritische Forschung ist mit der Datierung von Matthaeus zwischen 80-100 in irgeneiner Weise radikal. Die haben nur keine Lust, sich endlos zu streiten.
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Nachrichten in diesem Thema
Historisch-kritische Theologie - von bridge - 07-04-2014, 00:26
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 07-04-2014, 01:55
RE: Historisch-kritische Theologie - von bridge - 09-04-2014, 00:24
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 09-04-2014, 01:36
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 07-04-2014, 06:32
RE: Historisch-kritische Theologie - von bridge - 09-04-2014, 00:14
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ekkard - 07-04-2014, 10:23
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ekkard - 09-04-2014, 23:09
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 10-04-2014, 23:22
RE: Historisch-kritische Theologie - von bridge - 09-04-2014, 23:43
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 10-04-2014, 22:36
RE: Historisch-kritische Theologie - von bridge - 10-04-2014, 22:14
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 10-04-2014, 23:19
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ulan - 10-04-2014, 23:57
RE: Historisch-kritische Theologie - von Ekkard - 12-04-2014, 16:27

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