06-01-2014, 19:53
(06-01-2014, 15:31)paradox schrieb: Ok, aber was mich dabei eben stutzig macht, ist, wenn Evolution nicht auf ein Ziel hinausläuft und es ständig Mutationen gibt, die rein zufällig geschehen, also auch mit Fehlversuchen dann müsste es doch auch zufällig zb Krokodile mit - sagen wir mal - Flügeln geben, oder aber auch Menschen, die viel unterschiedlicher sein müssten - also Kiemen, Flügel usw.
Die Veränderungen des Phänotyps, von denen ich sprach, sind allerdings (fast immer) winzig. Es wird nicht eines Tages ein Krokodil mit Flügeln geboren. Es wären umfassende Mutationen notwendig, die alle ganz genau stimmen müssten - ich glaube nicht, dass das möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist vermutlich zu gering, um selbst in Milliarden von Jahren Relevanz zu haben. Wenn Krokodile Flügel entwickeln würden, dann über winzig kleine Schritte, von denen jeder einzelne selbst bereits einen Überlebensvorteil darstellen müsste, damit er sich durchsetzen würde. Hab da bspw. mal von einer Theorie gehört, wie die Flugsaurier "fliegen lernten": Modifizierte Schuppen boten zunächst einmal besseren Schutz gegen die Wärme, weil sie mehr Luft halten konnten - daraus wurden über viele tausende Generationen hinweg Federn. Diese Federn verbesserten aber gleichzeitig (quasi als Nebenprodukt der Evolution) auch die Aerodynamik der Tiere, die damit effizienter springen konnten. Von dort bis zum ersten Flattern war es erneut ein langer Weg, und erst als sich die Körper stark verändert hatten, war es möglich, tatsächlich zu fliegen.
Es könnte aber natürlich sein, dass ein Krokodil zur Welt kommt, dessen Schuppen minimal fehlgebildet sind und plötzlich besser Wärme speichern. Ich versuche weiter unten zu erklären, warum das bei Krokodilen nicht mehr so einfach zu einer Veränderung der gesamten Population führen würde.
(06-01-2014, 15:31)paradox schrieb: Da Evolution nach den bisherigen Erklärungen gar nicht zielgerichtet ist, also nicht darauf schaut, ob man so besser überleben kann oder ob man sehr gut angepasst ist oder nicht, also als Prinzip immer stattfindet, müsste doch die Frequenz der Veränderungen bei allen Lebewesen immer gleich hoch sein?
Die Frequenz der Veränderungen (wenn ich dich jetzt hoffentlich richtig verstehe) ist vermutlich auch ziemlich gleich. Rekombination findet ja bei der Reproduktion durch zwei Geschlechter immer in gleichem Maße statt und Mutation vermutlich auch. Die Frage, die man stellen kann, ist allerdings, warum sich Spezies dann nicht immer gleichschnell weiterentwickeln.
Der Grund dafür ist, dass selbst bei gleicher Mutationsrate eine andere Komponente der Evolution von Spezies zu Spezies stark variieren kann: Der Selektionsdruck.
Die Veränderung einer ganzen Population finden extrem langsam statt - unabhängig von den Genotypänderungen der Einzelnen. Die Änderung bei einem Individuum verändert, auch wenn sie einen enormen Überlebensvorteil bietet, den gesamten Genpool der Population in jeder Generation nur um den Bruchteil eines Prozents. Bei einer sehr erfolgversprechenden Veränderung verlagert sich das Verhältnis alter Genotyp versus neuer Genotyp Schritt für Schritt hin zum neuen Merkmal. Jede Generation ein paar Prozentbruchteile, bis die Generation davon durchdrungen wurde. Es ist also wirklich ein sehr langsamer Prozess.
Dieses "Durchdringen" einer Population durch ein neues Merkmal erfordert aber, dass der Genotyp mit dem neuen Merkmal gegenüber dem Genotyp ohne dieses neue Merkmal einen Vorteil besitzt, sonst findet die Verlagerung auf den neuen Genotyp nicht statt. Unter stabilen Umständen, wenn die Spezies bereits ausreichend gut angepasst ist, bietet ein neues Merkmal keinen solchen Überlebensvorteil. Denn natürlich ist es nicht so, dass die Population einer Spezies mit den Mutationen und Rekombinationen wartet, bis sich ein neues Merkmal durchgesetzt hat - diese zwei Dinge passieren ständig, was dazu führt, dass zu jedem Zeitpunkt jedes Individuum einer Population seine eigenen, minimalen Besonderheiten hat. Manche Krokodile haben Schuppen, die ein ganz klein bisschen aerodynamischer sind; manche Krokodile haben Schuppen, die das Sonnenlicht ein ganz klein bisschen schneller absorbieren; manche Schuppen sind ein ganz klein bisschen stabiler als andere. Unter stabilen Umständen sind also verschiedene "Vorteile" in verschiedene "Richtungen" vorhanden (und natürlich zum selben Zeitpunkt auch das Gegenteil davon). Unter stabilen Umständen, in denen eine Spezies bereits ausreichend gut angepasst ist, macht keines der abweichenden Merkmale einen Unterschied, der groß genug ist, um zu einer Verhältnisänderung der Genotypen innerhalb einer Population zu führen. Wenn sie nun aber die Umweltbedingungen ändern, führt das zum sogenannten Selektionsdruck. Bspw. könnte es im Umfeld der Krokodile kälter werden. Eine verbesserte Wärmespeicherkapazitätät würde hier womöglich zum entscheidenden Vorteil werden. Von den ohnehin schon vorhandenen Unterschieden der Genotypen würde dasjenige Merkmal, das diesen Vorteil liefert, das Überleben erleichtern, bzw. statistisch wahrscheinlicher machen. Weitergedacht über viele Generationen könnte sich somit das Merkmal der wärmenden Schuppen gegenüber den nicht so sehr wärmenden Schuppen durchsetzen, die Population durchdringen und damit zu einer langfristigen Änderung des gesamten Genpools führen. Ohne den Selektionsdruck durch sich ändernde Umweltbedingungen hätte es für die Reproduktionswahrscheinlichkeit der Krokodile keinen Nutzen, von der "alten Form" abzuweichen. Also wird, obwohl Mutation und Rekombination ständig vorkommen, nur dann eine Änderung beobachtbar sein, wenn sich die Umweltbedingungen von dem Milieu, an das sich bisher angepasst worden war, abweichen.
Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen. (Friedrich Nietzsche)