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05-12-2007, 18:59
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 05-12-2007, 19:02 von Mandingo.)
Ich habe eine Reihe kritischer Weihnachtsgedichte gesammelt und will sie hier einsetzen. Vielleicht können sie ja zur Diskussion anregen und vielleicht haben ja auch noch andere solche Texte auf Lager.
Kästner: Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag
2000 Jahre sind es fast
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens.
Du sahst Gewalt und Polizei.
Du wolltest alle Menschen frei
und Frieden auf der Erde.
Du wusstest, wie das Elend tut
und wolltest alle Menschen gut,
damit es schöner werde!
Du warst ein Revolutionär
und machtest dir das Leben schwer
mit Schiebern und Gelehrten.
Du hast die Freiheit stets beschützt
und doch den Menschen nichts genützt.
Du kamst an die Verkehrten!
Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.
Bis man an dir, weil nichts verfing
Justizmord kurzerhand beging.
Es war genau wie heute.
Die Menschen werden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst. - - Und alles blieb
beim Alten.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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Dagmar Beiersdorf: du bist zu früh gegangen
du bist zu früh gegangen
du solltest noch einmal
unter uns leben so wie damals
mit deiner liebe deinen worten
die menschen verlernten es
dir gegenüber ehrlich zu sein
damals haben sie die
armut ihrer seele
offen gezeigt den haß
ihres zweifelnden herzens:
sie wollten dich töten
als du geboren wurdest
sie verlachten und verachteten dich
sie spuckten dir vor die füße
sie nagelten dich an das kreuz
und würfelten um deine kleider
heute kennen sie dich
nicht mehr sie behängen dich
im winter mit lametta
und bunten kugeln
im frühling verstecken sie
eier süße bemalte dinger
in deinen händen
deinen augen
deinen wunden
du bist zu früh gegangen christus
sie kennen dich nicht mehr
sie behängen dich mit gold
und lametta im winter
sie kennen dich nicht mehr
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!" (Gustav Mahler nach Thomas Morus)
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Rudolf Hagelstange: Die unheiligen Drei Könige
Zepter, Kron'und Diadem,
Macht und Stand und Gold,
kämt ihr heut nach Bethlehem,
hätt' ich nicht gewollt.
Mutter, wend dein Angesicht
nicht nach ihrem Tand.
Josef, schließ die Türe dicht,
eh' sie uns erkannt.
Tränen, Schweiß und wieviel Blut
klebt an ihrem Tun.
Ach, ich kenn' die Myrrhe gut
und den Weihrauch nun.
Wo die Macht die Geißel schwingt,
trifft sie meinen Leib;
denn der Völker Seufzen klingt
nicht wie Zeitvertreib.
Wie die Hoffahrt Blasen läßt!
Eh' ich mich besann,
auf der Dornenkrönung Fest
speien sie mich an.
Und ihr Gold bringt blut'gen Zins
Tod und Not und Gram.
Witwen und die Waisen sind's,
die ich übernahm.
Zepter, Diadem und Kron',
Rang und Gold und Macht
eure Gab' ist Judaslohn
schon in heil'ger Nacht.
Melchior, Kaspar, Balthasar
da beruft euch nicht!
Wer wie sie in Gnade war,
selbst der Kron' und Weisheit bar,
findet schon mein Licht.
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Peter Huchel: Die Hirtenstrophe
Wir gingen nachts gen Bethlehem
und suchten übers Feld
den schiefen Stall aus Stroh und Lehm,
von Hunden fern umbellt.
Und drängten auf die morsche Schwell
und sahen an das Kind.
Der Schnee trieb durch die Luke hell
und draußen Eis und Wind.
Ein Ochs nur blies die Krippe warm,
der nah der Mutter stand.
Wie war ihr Kleid, ihr Kopftuch arm,
wie mager ihre Hand.
Ein Esel hielt sein Maul ins Heu,
fraß Dorn und Distel sacht.
Er rupfte weich die Krippenstreu,
o bitterkalte Nacht.
Wir hatten nichts als unsern Stock,
kein Schaf, kein eigen Land,
geflickt und fasrig war der Rock,
nachts keine warme Wand.
Wir standen scheu und stummen Munds:
Die Hirten, Kind, sind hier.
Und beteten und wünschten uns
Gerät und Pflug und Stier.
Und standen lang und schluckten Zorn,
weil uns das Kind nicht sah.
Griff nicht das Kind dem Ochs ans Horn
und lag dem Esel nah?
Es brannte ab der Span aus Kien.
Das Kind schrie und schlief ein.
Wir rührten uns, feldein zu ziehn.
Wie waren wir allein!
Daß diese Welt nun besser wird,
so sprach der Mann der Frau,
für Zimmermann und Knecht und Hirt,
das wisse er genau.
Ungläubig hörten wir's - doch gern.
Viel Jammer trug die Welt.
Es schneite stark. Und ohne Stern
ging es durch Busch und Feld.
Gras, Vogel, Lamm Netz und Hecht,
Gott gab es uns zu Lehn.
Die Erde aufgeteilt gerecht,
wir' hätten's gern gesehn.
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Rudolf Otto Wiemer: Nachrichten aus Bethlehem
Gestern übernachtete ich in
Bethlehem. Als ich den Wirt
fragte: Wo ist der Stall?
sagte er: Abgebrannt.
Wo Ochs und Esel?
Geschlachtet. Maria und Joseph?
Vergast.
Die Weisen, bevor sie eintraten,
zweifelten. Sie versteckten
Gold, Weihrauch, Myrrhe
unter den Mänteln und sagten
Hier nicht.
Weshalb, frage ich, handelten sie,
gegen die Verabredung?
Der Mörder, der in Handschellen
den Hirten begegnete, auf dem
Weg zum Galgen, hörte reden
vom Engel, vom Stern, vom Kind.
Er sagte: Verdammt. Kein Wort
von Begnadigung.
Die Krippe wurde oft von Reportern
fotografiert. Man fand sie großartig
hart, bemängelte jedoch, daß sie,
entgegen den Gerüchten,
leer sei.
Engel sollten damals an allen Ecken
gesehn worden sein, besonders
von Blinden.
Die Lokalpresse schrieb von der
Friedenskonferenz, von der Ankunft
dreier Minister, vom hellen Stern des
Explorer, vom überraschenden Anstieg der
Börsenkurse, vom zukünftigen Heil durch
Raketen, von den Hirten und ihrem
Tariflohn, von der Geburt
eines unehelichen Kindes.
Die Revolte im Gefängnis wurde
niedergeschlagen. Die Aufrührer,
peinlich befragt, erklärten, sie
hätten die vom Engel verkündete Amnestie
wörtlich genommen.
Man probt die Sirenen. Man rechnet
mit einem neuen überfall der
himmlischen Heerscharen.
Die Mutter säugte den Sohn.
Sie hörte Klirren.
Sie dachte: Speere.
Die dachte: der Wind.
Dachte: so grausam
kann Gott nicht sein.
Die Kinderschlächter sind endlich
vor Gericht gestellt. Sie gaben an,
auf allerhöchsten Befehl
gehandelt zu haben.
Antrag: man höre den
Allerhöchsten.
Einer der Hirten kam nicht zur Krippe.
Er wollte die Schafe nicht allein lassen.
Als die andern heimkehrten, glaubte er
nichts, er hatte den Wolf abgewehrt.
Die Zählung geht weiter. Längst
sind die Mörder gezählt, die Planer,
die Ausführer, die Mitläufer,
keiner gezählt, der sagt: Ich bin schuld.
Inschrift auf dem kürzlich eingeweihten
Gedenkstein: Welch ein Gott, dessen
Rettung erkauft werden muß durch
getötete Kinder.
Als der Krieg kam, wurden drei Hirten
Soldat. Sie gedachten des Engels und
sagten: Friede auf Erden.
Der erste verlor ein Bein,
der zweite bekam das Ritterkreuz.
Der dritte wurde am Pfahl
erschossen.
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Reimar Lenz: Frohes Fest
Im Mannheimer Bekleidungshaus, da sieht es weihnachts-
festlich aus - und nicht nur dort; brennende Weihnachtsbäume
machen unsere Städte hell - und nicht einmal von oben.
Purpurne Kugeln zieren noch die Hammelkeule im Metzger-
laden; das Oberhemd trägt voller Innigkeit das rosa
Schleifchen und den Tannenzweig.
Von Watteschnee bestäubt, hängt zwischen feschen Winter-
sportmodellen verheißungsvoll der Briefkasten
"fürs Christkind".
Und morgen kommt der Weihnachtsmann, streicht sich den
Rauschebart und zieht Bilanz.
Ein gesundes erfolgreiches neues Jahr wünscht uns selbst-
vergessen das Wettbüro vom Fußballtoto; nur ein erfolgreiches:
Leder-Krause.
Im Funk Odufröhlichehe, zum x-ten Male Oratorium - ist eben
auch eine durch und durch religiöse Anstalt.
Vom Kaufhaus kam die frohe Botschaft: Friede unter den
Konkurrenten während der Absatzschlacht.
Dafür erscheinen Tanks, Flugzeuge, Granatwerfer, Atom-
kanonen, en miniature, versteht sich, auf manchem Kindertisch.
MP's aus Kunststoff, mit handlichem Schulterriemen, winken
anspornend unseren Kleinen.
Das Krippensymbol hat solches nicht verhindert.
Früh schon genügten den Gläubigen die Weisen aus dem
Morgenlande nicht. Die Gebärde der Könige wurde unver-
zichtbar; alle, alle befanden sich ja auf dem Boden des
positiven Christentums.
Heute steht nun Herodes nicht nur in Ost-Berlin, sondern
auch mitten unter den Anbetenden.
Weihnachten, zitternde Atempause im andauernden kalten
Bürgerkrieg. Fürchterlich entlarvende Heilige Nacht.
Sturmglockenhochzeit. Kirchtürme wandern und verkünden
den Verfall des Glaubens.
Du aber geh hinaus in die Hauslosigkeit der City. Spende das
Sakrament des Lächelns. Neige dich über die Schlagzeilen-
Opfer. Teil deine Armut aus. Teile aus vom Frieden.
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Wer jetzt daheim ist und sein Tor verriegelt,
Wer sein Brot hat und nicht teilt,
Das Feuer löscht und seinen Mund versiegelt,
Auf seinem Lager ruht und müßig weilt…
Wer noch ein Kleid hat und es nicht zerschneidet,
Wer noch zwei Hände hat und sie nicht rührt,
Die Freude liebt und keinen Kummer leidet,
Ein Herz noch hat und keine Kälte spürt…
Und wen noch nie die Liebe überwunden,
Und wem kein Werk in dieser Nacht gelingt,
Wer nie im Leben einen Mensch gefunden,
Der ihm ein köstliches Geheimnis bringt…
Wer nichts, kein Leben, keine Liebe spürte,
Der bleibe stumm und starr bei diesem Leid,
Ihr aber, Schwestern Christi, und ihr, Brüder,
Was wollt ihr tun in dieser kalten Zeit?
Georg Thurmair
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Arnim Juhre: Begebenheit
Es begab sich aber zu der Zeit,
da die Bibel ein Bestseller war,
übersetzt in mehr als
zweihundert Sprachen,
dass alle Welt sich fürchtete:
vor selbstgemachten Katastrophen,
Inflationen, Kriegen, Ideologien,
vor Regenwolken, radioaktiv,
und Raumschiff-Flottillen,
die spurlos verglühn.
Als die Menschenmenge
auf dem Wege war,
ungeheuer sich vermehrend,
hinter sich die
Vernichtungslager der Vergangenheit,
vor sich die
Feueröfen des Fortschritts,
und alle Welt täglich
geschätzet und gewogen wurde,
ob das atomare Gleichgewicht stimmt,
hörte man sagen:
Lasst uns nach Bethlehem gehn.
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Peter Schütt: Bethlehem
Wenn man absieht von allem,
was fromme Legende hinzutat,
Ochs, Esel, Hirten auf dem Feld,
Engel, den Stern, die Heiligen Drei Könige,
Jungfräulichkeit und Theologie,
bleibt ein Ereignis,
das in der Dritten Welt alle Tage vorkommt:
irgendwo zwischen Delhi und Benares,
zwischen Bahia und Santiago,
zwischen Saigon und Danang.
Ohne ärztlichen Beistand, unterernährt,
nicht seßhaft und kaum, daß auf den Mann Verlaß ist,
bringt eine Frau ihr Kind zur Welt,
das lebt entweder oder stirbt mit der Mutter
noch im Kindbett, es siecht dahin,
verendet am Hunger oder an der Schwindsucht.
Von Zeit zu Zeit hat so ein Wurm Glück,
es lernt Krankenhaus und Schule kennen
und kriegt satt zu essen. Dann verkünden
die Weisen aus dem Morgenland: ein Mensch
ist Mensch geworden. Ziemlich sicher, daß er,
sollte er Ansprüche geltend machen,
bald mit den Mächtigen in Konflikt gerät,
man wird ihn erledigen, und Wenigermutige
werden ihn als Märtyrer feiern,
die Mörder werden seine Lebensgeschichte ausschmücken
bis sie wohnlich geworden ist und weihnachtlich.
(Uwe Wandrey, Hg.: Stille Nacht allerseits! Ein garstiges Allerlei. Reinbek: rororo 1972, S. 74)
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Heidi Frommann: weihnachten klemme ich mir...
weihnachten klemme ich mir
je ein sträußchen beifuß hinter die ohren
streiche eine brust silbern die andere golden
und stecke mir eine honigkerze in den nabel
durch die nasenlöcher drehe ich mir
weihrauchstäbchen in die augen
flechte lamettafäden zwischen meine zehen
und male mir grüne tannenbäume
auf die fingernägel
in die kehle lege ich verheißung
unter die zunge ein zimtplätzchen
und singe
oh meine schmucken öhrlein
meine duftenden äuglein
meine süßen christbaumbrüste
mein herrlichster stallzubethlehemnabel
oh setzt mich auf mein schaukelpferd
tragt mich durch alle straßen der welt
und sprecht mich heilig
(Aus: Wolfgang Fietkau: Thema Weihnachten. Jugenddienst Verlag Wuppertal, Seite 55)
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Josef Dirmbeck: Weihnachten für Anfänger
Im Anfang war kein Lametta,
im Anfang war dreckiges Stroh.
Keine Blumensträuße,
keine Blasmusik,
keine Blitzlichter.
Still ist die Nacht in Bethlehem,
bis auf ein gewisses Gloria.
Aber das wissen nur die,
die ein Ohr für Engel haben.
Finster ist die Nacht in Bethlehem,
bis auf einen gewissen Stern.
Aber der ist nur denen ersichtlich,
die sich in Planetenstellungen auskennen.
Keine Kameraleute, keine Reporter,
nur ein paar Männer, die das Vieh bewachen.
Und die sind immerhin menschlich genug,
sich um die fremde Wöchnerin zu kümmern.
Still ist die Nacht in Bethlehem,
aber die Betroffenen können sich
stillere Nächte vorstellen.
Keine Zeit für behagliche Feiern,
keine Zeit für Kammermusik,
keine Zeit für ein frohes Fest.
Im Anfang war kein Lametta:
In der stillen Nacht ging es vor allem
darum, dass man überhaupt überlebt.
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Robert Gernhardt: Weihnachten
Ich bin Erika.
Jetzt kommt Weihnachten.
Ich schenke Vati ein Tischfeuerzeug zu 22,50 DM.
Vati schenkt Michael Tennisschläger zu 22 DM.
Michael schenkt Mutti eine Schälmaschine zu 19,70 DM.
Mutti schenkt mir Schallplatten im Wert von 18 DM.
4,50 DM muß ich noch bekommen.
Von wem?
Ich bin so gespannt auf Weihnachten.
(Wandrey, Uwe, Hg.: Stille Nacht allerseits! Reinbek 1972, S. 56)
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Walter Bauer: Als alle die Hütte verlassen hatten
Als alle die Hütte verlassen hatten-
Als die Könige fortgeritten waren,
Wie benommen von dem Erstaunlichen, doch mit einem
Blick des Einverständnisses: wir werden schweigen-
Als die Hirten zu ihren Schafen auf den Hügeln
Zurückkehren mußten
(Auch der jüngste Hirt, Nathanael, jener, der so gerne
Bei den dreien geblieben wäre, um das Kind zu schützen,
Auch er ging, obgleich zögernd)-
Als alle, wer immer es war, alle fortgegangen waren
Und das Gesumm der Anbetung erloschen,
Als nur noch der Himmel, Nacht und Sterne
Mit der Erde über das Ereignis sprachen,
Ging ich, Ja, auch ich ging dorthin,
Zurückhaltend, ich gestehe es: aber ich ging,
Durch Schnee wanderte ich,
Der dem kalten Schnee von Rußland glich, vor Jahren,
Über Felder, die vor nicht langer Zeit
Sich gehoben hatten in riesigen Zuckungen,
Durch die Vorräume, Kammern und Hallen der Zeit ging ich,
Durch viele Stimmen, an vielen Gesichtern vorbei-
Bis ich in Stille trat,
Bis ich zum Stall kam im Morgengrauen.
Er hatte sich nicht verändert.
Nein, nichts hatte sich verändert.
Dann stand ich im Schatten der Hütte und sah hinein,
Um zu sehen, was die Könige und Hirten gesehen hatten,
Nicht weniger, nicht mehr.
Ich konnte die beiden erblicken sie schliefen nun.
Wie seltsam:
Sie glichen meinen Eltern, wie ich sie
Von verblichenen Bildern kannte.
Ich sah das Kind. Auch das Kind schlief. Wie erstaunlich:
Es glich dem Kinde meiner Nachbarn.
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