Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Das Sezieren von Leichen
#1
Geschichte
"Bereits im 12. und 13. Jahrhundert wurden in Europa vereinzelt Leichenöffnungen zur Feststellung der Todesursache durchgeführt. 1286 fand ein Arzt in Cremona bei der Sektion eines während einer Epidemie verstorbenen Menschen die gleiche krankhafte Veränderung am Herzen wie bei untersuchten Hühnern. Die ersten, die menschliche Anatomie betreffenden belegbaren Lehrsektionen fanden um 1300 in Bologna statt, 1391 durch Mondino dei Luzzi, in Padua 1341, in Montpellier 1366 und in Lérida 1391. Auch der für Karl VI. von Frankreich tätige, aus Portugal stammende und als Professor in Montpellier und Arzt in Bordeaux wirkende Chirurg Valescus de Taranta führte um 1400 selbst Sektionen durch, deren Erkenntnisse er in einem Lehrbuch publizierte. Pioniere der anatomischen Sektion im deutschsprachigen Raum waren in Marburg 1535 Burghard Mithobius (1501–1564) und Johannes Dryander, aber auch vor 1530 wurden in Deutschland schon „Anatomien“ durchgeführt."
Obduktion - Wikipedia
3. Geschichte

Es wäre interessant zu wissen, ob das Sezieren im Mittelalter tatsächlich verboten war, wie heute oft behauptet wird.

Wenn ein berühmter Arzt wie Valescus de Taranta um 1400 selbst Sektionen durchführte und deren Erkenntnisse in einem Lehrbuch publizierte, so kann mir niemand glaubhaft machen, daß das Sezieren generell verboten war.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß die Kirche die Leichen von hingerichteten Verbrechern oder von im Kampf gefallenen Sarazenen beschützte

Das Sezieren war wohl grundsätzlich verboten, aber Ausnahmen wurden geduldet (Leichen von hingerichteten Verbrechern oder von im Kampf gefallenen Sarazenen)

Interessant wäre, ob es biblische Bestimmungen betreffen das Sezieren gab.

"In den altorientalischen Kulturen, das Alte Israel eingeschlossen, gibt es keine über das planmäßige Sezieren von Leichen gewonnenen Erkenntnisse über den inneren Körper"
Lexikon :: bibelwissenschaft.de
Körperteile
3.2. Innere Körperteile

Wir wissen aber, daß im alten Ägypten die Leichen der Pharaonen zum Zwecke der Mumifizierung geöffnet wurden, der Darm und andere Innereien herausgenommen wurde (Kanopenkrüge)

Stimmt es, daß Moses in aller Weisheit der Ägypter ausgebildet wurde ?
"Mose wurde in aller Weisheit der Ägypter ausgebildet" Apg 7,22 (Einheitsübersetzung)
Woher wußte das der Schreiber der Apostelgeschichte ?

Ich will das Thema nicht kulturhistorisch diskutieren, sondern im Bereich "Christentum und Theologie"*), da ich mich für die betreffenden biblischen Stellen (AT und/oder NT) interessiere, und die wohl vielen theologischen Diskussionen und Kontroversen von Kirchenvätern und Konzilen wohl sicher interessant sind

Es geht mir um die theologische Frage, ob und ggf. wo das Sezieren von Leichen verboten wurde

Zweite Frage: Hat die Katholische Kirche jemals das Sezieren von Leichen (von Christen) explizit erlaubt ?

Bejahendenfalls: Nur für Zwecke der Kriminologie (Aufklärung eines Mordes) oder auch für die Ausbildung von Studenten ?

In welchem Jahr ?

*) Dennoch gehört das Thema in den Bereich "Kulturgeschichte" und wird dorthin verschoben./Bion
Zitieren
#2
In der Antike wurden (in Alexandria) vereinzelt Sektionen an menschlichen Körpern vorgenommen. Nach den 1. Jh nC allerdings nicht mehr. Galen übernahm das Wissen seiner Vorgänger. Er selbst  beschränkte sich auf das Sezieren von Tierkörpern. Seine anatomischen Arbeiten waren über das Mittelalter hinaus hoch angesehen und von Mondino de Liucci kommentiert bis in die Neuzeit in Gebrauch.

Ich halte fest, dass das Sezieren menschlicher Leichen auch schon im Altertum mit einem Tabu behaftet war, das nur selten übertreten wurde.

Dieses Tabu wurde bis ins Hochmittelalter beachtet. Ein ausdrückliches kirchliches Verbot der Sektion menschlicher Leichen hat es aber nicht gegeben. Ausdrücklich erlaubt wurde das Sezieren menschlicher Leichen durch Papst Sixtus IV. (1482).
MfG B.
Zitieren
#3
(17-05-2019, 11:20)Sinai schrieb: Ich will das Thema nicht kulturhistorisch diskutieren, sondern im Bereich "Christentum und Theologie"*)

*) Dennoch gehört das Thema in den Bereich "Kulturgeschichte" und wird dorthin verschoben./Bion


Bitte wieder aus dem Bereich "Kulturgeschichte" herausnehmen, da ich heutige aktuelle Probleme diskutieren will

Da heute das Sezieren zur Grundausbildung im Medizinstudium gehört, und es heute wohl zigtausende Medizinstudenten in Europa und den USA gibt, ist der Bedarf an Leichen nicht mehr zu decken. Diese vielen Leichen werden aus Südostasien geholt. Dort wird alten Armen die sich kein Pflegeheim leisten können, von Spezialunternehmen der Aufenthalt bis zum Tod bezahlt, wenn sie einen Vertrag abschließen daß sie im Falle ihres Todes ihren Leichnam der Wissenschaft zur Verfügung stellen und dieser zu ausländischen Universitäten gebracht werden darf.

Ich bin hier geteilter Meinung.
Zwar dient es einem guten Zweck und die Ausbildung von Ärzten in Europa kommt außerdem vielen Regionen der Dritten Welt zu Gute, andererseits ist es ein kommerzieller Vorgang

Ich würde dieses Thema gerne diskutieren

Nun habe ich von einem Medizinstudenten gehört, daß davon geredet wird, in einer armen Region in Osteuropa auch dieses Modell einzuführen. Ein Platz in einem schönen Pflegeheim (Einzelzimmer mit eigenen Möbeln und dreimal tägliche Pflege und Hilfe beim waschen und ankleiden) ist für viele dort unerschwinglich

So ein Angebot würde für viele Alte die einzige Möglichkeit für ein menschenwürdiges Alter mit professioneller Pflege sein

Wenn das Schule macht, wird es wohl nicht lange dauern bis solche Verträge im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" (USA) üblich werden und zwei Jahre später haben wir das in Mitteleuropa

Viele alleinstehende Mindestrentner können sich kein schönes Pflegeheim leisten, ein Mehrbettzimmer ist für Alte fürchterlich
Und auch viele Obdachlose würden bereit sein, solche Verträge abzuschließen, haben ja keine andere Wahl

Ich empfinde das im Falle von Christen als ein Problem der Ethik, der Medizinethik
Für Atheisten mag es egal sein, was mit ihrem Körper nach dem Tode geschieht

Die Katholische Kirche schreibt eine Bestattung vor, die außerdem nicht anonym sein darf
"Eine anonyme Bestattung widerspreche dem christlichen Glauben."
Das sind die Regeln zur Feuerbestattung - katholisch.de

Eine gar nicht Bestattung ist nun die Frage

Wenn die Katholische Kirche das ausstreuen der Asche auf einem Friedwald ohne Grabstein verbietet (Verbot der anonymen Bestattung) dann stellt sich die Frage wie es beim Sezieren ist, wo der Körper in seine Einzelteile getrennt wird (Körper, Kopf, Arme, Beine) und diese dann zerlegt werden: Augen, Großhirn, Kleinhirn, Herz, Lunge, Leber, Niere, Gedärme, Finger, Zehen) und an unterschiedliche Studenten verteilt werden.

Hier dürfte in gewissen Fällen eine Grauzone vorliegen

Wenn Atheisten ihren Körper der Wissenschaft vermachen, haben sie wohl keine Probleme

Aber wie ist es mit Katholiken, Altkatholiken, Russisch Orthodoxen, Anglikanern, Lutheranern, Calvinisten

Ich kann mir vorstellen, daß so manche Arme so einen Vertrag abschließen, und gut davon leben, aber wenn das Leben dann zu Ende geht, die Panik aufkommen kann. Dann will der Arme raus aus dem Vertrag, kann aber nicht mehr. Denn er hat vielleicht zwei Jahre lang Geld kassiert und längst verbraucht
Verzweifelte Angehörige werden vergeblich versuchen, den Alten zu lösen

Beispiel Krebs: Wenn jemand an Krebs erkrankt, glaubt er noch an ein langes Leben. Krebspatienten haben aus Selbstschutz immer einen unglaublichen, manchmal sogar weltfremden Optimismus, wieder gesund zu werden
Und sie brauchen bekanntlich sehr viel Geld für teure Privatärzte und dann für Hilfe im Haushalt, Putzfrauen und Leute die für sie einkaufen gehen usw

In dieser Situation würden viele so einen Vertrag unterschreiben.

Nach ein paar Jahren ist der Mensch so schwach, daß er in ein Pflegeheim will. Aber nicht ein Sterbeheim mit Mehrbett Schlafsälen sondern eines mit Privatsphäre: Einzelzimmer mit eigenem Bad, tägliche Betreuung durch eine Putzfrau, Hilfe beim Waschen, das Bett wird gemacht usw

Dann kommt die letzte Station. Der Mensch hängt an der Infusion und kann nicht mehr aufstehen, er bekommt einen Katheder

Jetzt wird ihm klar, daß es zu Ende geht. Er will eine würdige Bestattung im Familiengrab. Er will nun raus aus dem Vertrag - aber es geht nicht

Er ruft einen katholischen Priester der ihm das Sterbesakrament gibt, er klagt dem Priester sein schlimmes Problem

Die Angehörigen rennen auch dem Priester die Türe ein, er soll helfen

Doch es gibt kein Zurück

Was sagt dann der Priester dem Todkranken ??

Ein spannendes Thema

Für Katholiken ist das ein religiöses Dilemma

Sicher werden Anwälte eingeschaltet und die kassieren viel Geld in einer ziemlich aussichtslosen Sache. Sie werden vermutlich versuchen, Wucher geltend zu machen (Ausnützen einer Notlage) und / oder behaupten, der Alte war bei Vertragsunterzeichnung nicht ganz zurechnungsfähig. Teure medizinische Sachverständig werden eingeschaltet. Diese können zwar schreiben, daß der Alte jetzt unzurechnungsfähig ist - aber wenn sie schreiben, daß der Alte schon vor 3 Jahren unzurechnungsfähig war, wird der Prozeßgegner dies in Frage stellen und bestreiten, daß es jetzt unmöglich sei den Geisteszustand eines Menschen vor 3 Jahren zu beurteilen. Der Prozeßgegner wird auch Anwälte bezahlen.
Ein aussichtsloses Verfahren, da die Zeit gegen den Todkranken spielt. Gerichtsverfahren dauern lange und wenn jemand will , kann er es hinauszögern, immer neue Sachverständige rufen, in die nächste Instanz gehen

Ich würde das Thema gerne aus religiöser Sicht diskutieren.

Sicher geht so was in 99 % der Fälle glatt, der Alte stirbt und seine Leiche wird im Kühlwagen zur Anatomie gebracht.
Aber in 1 % wird es gewaltige Probleme geben, der Sterbende wird sich an die Zeitung wenden, wird die Kirche um Hilfe rufen, die Kirche wird versuchen, sich einzuschalten

Möglicherweise wird dann ein Sterbetourismus aufkommen. Der alte Sterbende wird seinen Sohn bitten, ihn mit dem Auto ins Ausland zu führen, damit er dort in Ruhe sterben kann

Vielleicht zu einer Verwandten

Dort verbringt er die letzten zwei Wochen - und dann wird er dort katholisch begraben

Die Unternehmung kann dann den Gestorbenen nicht zur Haftung ziehen Icon_cheesygrin

Höchstens den Sohn - wenn sie herausfindet, daß er es war, der den Todkranken mit dem Auto geführt hat

Wenn der Sohn gescheit ist, wird nicht er persönlich fahren sondern einen Freund ersuchen, das zu tun
Dann verliert sich jede Spur

Ich kann mir auch vorstellen, daß ein Kloster der hilfesuchenden Familie hilft - und den Sterbenden anonym aufnimmt

Da es viele Klöster gibt, kann die Unternehmung den Kranken nicht suchen

Das kirchliche Verbot einer "anonymen Bestattung" betrifft meiner Meinung nach auch die Nichtbestattung (das heißt wenn der Mensch seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellt) weil da überhaupt keine Bestattung stattfindet

Hier könnte alibimäßig eine symbolische Bestattung inszeniert werden; ein Leichenteil (Herz) der angeblich vom Verstorbenen stammt könnte dann im Auftrag der medizinischen Universität bestattet werden - wobei nicht alle davon überzeugt sind, daß es wirklich das Herz des betreffenden Verstorbenen ist - kann ja irgend eine Hand sein

Derzeit ist es nur in Südostasien üblich, seinen Körper gegen eine Leibrente der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen (zu verkaufen)

Wie beim internationalen Organhandel gibt es darüber keine Statistiken

Über die Religionszugehörigkeit der Leichen ist überhaupt nichts bekannt - somit wäre eine religiöse Bestattung eines Leichenteils nicht möglich, da ja gar nicht gesagt werden kann, auf welchem Friedhof wenn die Konfession nicht bekannt ist
Zitieren
#4
Was du nicht alles zu wissen vorgibst.

Nochmals!

Das ist ein kulturgeschichtliches Thema. Historisch gesehen, aber auch die Gegenwart betreffend.

Die Bereitschaft, den Körper der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, ist größer als der Bedarf an Leichen. Das ist zumindest für Österreich und Deutschland der Fall. Für Körperspender fallen in Österreich Kosten von rund  € 1000,-- an. Stand 2016.

Ein christliches Bekenntnis ist kein Hindernis. Einmal im Jahr werden für die Körperspender Gedenkmessen abgehalten.
MfG B.
Zitieren
#5
Ich fand einen interessanten Artikel:

"Körperteile, Köpfe - sie kommen tiefgefroren aus dem Ausland zu uns, für die medizinische Weiterbildung. Klingt makaber, ist jedoch notwendig.
Es gibt zwei Bereiche in der Medizin, die mit Körperspenden, also mit Leichen oder Teilen von ihnen, arbeiten: Zum einen werden sie für die Aus- und Weiterbildung von Medizinstudenten genutzt. Zum anderen zu Übungszwecken, damit sich Ärzte auf Operationen vorbereiten können.
( . . . )
In Deutschland gibt es vor allem mit Formalin konservierte Leichen. Die eignen sich zwar für den Anatomiekurs, den Medizinstudenten absolvieren müssen, aber nicht, um Operationen zu üben. Dafür braucht man sogenannte freshly frozen bodies - also frisch gefrorene Körper. Ihr Gewebe hat ähnliche Eigenschaften wie das einer lebenden Person."
Medizin: Import von Leichteilen · Dlf Nova
deutschlandfunknova.de/beitrag/medizin-import-von-leichteilen
23.03.2018

In den USA gibt es sogar eine "Body-Broker-Industrie", die den Handel mit Körperspenden erlaubt und reguliert. Vgl. Ebd

Ich finde diesen Artikel glaubwürdig
Anm.: Deutschlandfunk Nova ist öffentlich-rechtlich.
Siehe: Deutschlandfunk Nova - Wikipedia
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste