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Qumran
#1
(Text in Arbeit)

1946 suchte ein junger Beduine in den Bergen am Toten Meer eine Ziege, die sich verlaufen hatte. Als er während einer Rast gelangweilt Steine in eine kleine Öffnung im Fels warf, hörte er ein Geräusch, das an das Zerspringen von Geschirr erinnerte. Erschrocken lief er weg, um mit einem seiner Cousins wiederzukommen. Gemeinsam legten sie den Eingang zur Höhle frei und drangen ein. Dort fanden sie inmitten eines Haufens Scherben auch intakte Krüge, in denen sich in Tüchern eingepackte Schriftrollen befanden. 

So in etwa lautet die Fundgeschichte, die erzählt wird. Die Einzelheiten der Geschichte sind ↗legendär. Da seit 1936 die Spannungen zwischen Einwanderern und der eingesessenen Bevölkerung zunahmen und es auch schon zu ersten bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen war, ist es denkbar, dass nicht nach Ziegen, sondern nach geeigneten Verstecken für den Waffenschmuggel gesucht wurde.

Jedenfalls versuchten die beiden die Schriftrollen zu verkaufen, was mit Schwierigkeiten verbunden war. Weil gegen Ende des 19. Jts althebräische Textfunde, die sogenannten ↗Shapira-Fragmente, von der Fachwelt als Fälschung angesehen wurden, waren die für solche Textfunde ansprechbaren Antiquitätenhändler sehr vorsichtig geworden.

Auf abenteuerliche Weise kamen ein paar Rollen in den Besitz von Eliezer Sukenik, einem Archäologen und Epigraphiker an der Hebräischen Universität in ↗Jerusalem. Weitere Rollen kamen im Februar 1948 in den Besitz der American School of Oriental Reserch (heute  Albrigth-Institut, Jerusalem), wo sie ein junger Wissenschafter, John Trever, als Texte (möglicherweise) hohen Alters erkannt hatte. Die von Trever angefertigten Fotos wurden einem führenden Experten für derlei Texte, William Albrigth, vorgelegt, der Trever in seiner Abnahme bestärkte.

Für den jungen Staat ↗Israel waren die Schriftrollen vom Toten Meer außerordentlich wertvolle Dokumente ihrer Identität. Die Überreste einer jüdischen Bibliothek aus der Zeit des ↗Zweiten Tempels wurden gerne als Zeugnis jüdischer Alteingesessenheit entgegengenommen. Sukenik gelang das Kunststück, in den unsicheren Zeiten des Jahres 1948 über Mittelsmänner weitere Fragmente zu erwerben, eine wissenschaftliche Arbeit über sie zu verfassen und diese zu veröffentlichen. Er war auch der erste Wissenschafter gewesen, der die Texte mit den ↗Essenern in Verbindung gebracht hatte.

In den Jahren 1949-1956 kam es zu weiteren Entdeckungen1. Der ergiebigste Fund war jener der Höhle 4 (eigentlich zwei Höhlen 4 a/b) gewesen. Zwar wurden die Texte nicht mehr verdächtigt, Fälschungen zu sein, doch gab es hinsichtlich ihres Alters unter den Fachgelehrten erheblich voneinander abweichende Meinungen. U.a. wurden von Godfrey Driver Teile von ihnen, die er später als ↗zelotische Texte identifiziert hat, die um 70 nC entstanden sein müssen, zunächst mit 500 nC datiert. Was die Umstände des Entstehens der Texte betraf, lagen die Annahmen der Fachgelehrten ebenfalls weit auseinander. Als Extrembeispiel sei die Vermutung, die Texte seien ↗mittelalterlich und ↗karäischen Ursprungs, genannt. Einige dieser ↗Thesen wurden mit der ersten physikalischen Untersuchung (1950) widerlegt. Das Ergebnis eines untersuchten Leinentuchs, in das ein Text eingepackt gewesen war, ergab: 30 nC +/- 200 Jahre.

1956 lag ein Bestand von Fragmenten von über 1000 Schriftrollen vor. Die Schriften sind die größte Sammlung antiker religiöser Texte. Die Edition der Texte erfolgte schleppend und nicht immer mit der nötigen wissenschaftlichen Sorgfalt. Bibliotheken, die fotografische Kopien der Textfragmente erworben hatten, war die Veröffentlichung der Fotos vertraglich untersagt. Ab 1977 wurde das auch von namhaften Experten angeprangert und als "wissenschaftlicher Skandal" bezeichnet2.

Einige wichtige Texte, und zwar solche aus dem Bestand des Israel-Museums in Jerusalem, waren allerdings schon 1960 veröffentlicht und ins Deutsche übersetzt worden. 1977 wurde die ↗Tempelrolle publiziert. Der Großteil der Texte aber, der sich im Palestine Archaeological Museum (Rockefeller-Museum) befindet, war nur wenigen Wissenschaftern zugänglich. Bis 1967 befand sich das Museum auf jordanischem Hoheitsgebiet, danach wurde es eine Außenstelle des Israel-Museums.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass eine wohlhabende Dame, die die Sicherungskopien mitfinanziert hatte, ihre sich ausbedungenen Privatkopien ohne Auflagen der Huntington Bibliothek in Los Angeles überließ. Aus diesen Beständen hatten Robert Eisenman und James Robinson einen Gutteil der Fragmente veröffentlicht und dem Wissenschaftsbetrieb zugänglich gemacht. Es folgen verschiedene wissenschaftliche Arbeiten zu den Texten, 1995 eine Übersetzung des gesamten Textbestandes durch den Judaisten Johann Maier ins Deutsche.

Dass in der Umgebung ↗Jerichos schon in der ↗Antike Krüge mit alten Textrollen gefunden wurden, sei nebenbei bemerkt. Bezeugt wird das u.a. durch ↗Eusebius in seiner Kirchengeschichte (Eus. h.e. VI 16, 3)3.

Bezeichnet werden die Texte nach Fundort (Höhlen 1-11 und Q für Qumran) und Nummer der Rolle. Dazu kommen eine Fragment-Nummer, wenn eine Rolle in Teilen vorliegt, eine Spaltennummer, wenn sich auf einem Textblatt mehrere Spalten befinden, und die Zeilennummer, wenn auf eine Textzeile Bezug genommen wird. Fragmente, denen ein Fundort nicht mehr zugeordnet werden kann, tragen die Bezeichnung XQ.

Beispiel: 4Q387 2 iii 5 = 4. Höhle, Rolle 387, 2. Fragment, 3. Spalte, 5. Zeile.

Bei Rollen, die nur aus einem Fragment bestehen, wird keine Fragment-Nummer, bei Fragmenten, die nur eine Spalte haben, wird keine Spaltennummer angegeben. Bei gut erhaltenen Fragmenten, bei denen die ursprüngliche Stelle einer Spalte in der Originalrolle feststeht, wird das mit Zahlen in römischen Großbuchstaben bezeichnet.

Für die Bezeichnung einzelner Rollen ist die Kodierung Höhle, Fundort, mit oder ohne Bezeichnung des Textes üblich. Beispiele: 1QH = Hymnenrolle, 1QpHab = Habakuk-Kommentar (Habakuk-↗Pescher), 1QSa = ↗Gemeinderegel, 3Q15 = ↗Kupferrolle, 11Q19 = 11Q19 Tempelrolle I, 11Q20 = 11Q Tempelrolle II, etc.

Die angemerkte Konvention wird allerdings nicht von allen Fachgelehrten beachtet.

Den bekanntesten Textbeständen aus Qumran (zB Gemeinderegel, ↗Damaskusschrift, ↗Kriegsregel, Kupferrolle, ↗Tempelrollen, etc.) sind separate Lexikonbeiträge gewidmet.


1) Da die Beduinen über den Wert, den solche Funde darstellten, mittlerweile Bescheid wussten, versuchten sie durch gestreute Angebote, den größtmöglichen Erlös zu erzielen. Die gefundenen Texte wurden voneinander getrennt an verschiedene Interessenten verkauft. Durch unsachgemäße Aufbewahrung gingen Teile dieser Funde zugrunde.
2) Beispielsweise von Géza Vermes, Professor in Oxford.
3) ↗Origenes soll einen solchen Text bei der Herstellung der ↗Hexapla benutzt haben.


Literatur:
Johann Maier. Die Qumran-Essener. Die Texte vom Toten Meer. 3 Bde. 1995 München. Verlag E. Reinhardt.
Hartmut Stegemann. Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. 101993 Freiburg/Breisgau. Verl. Herder. Neudruck d. 10. Aufl. 2007.
Daniel Stökl Ben Ezra. Qumran. 2016 Tübingen. Verlag Mohr Siebeck.



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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