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"Sondergut" oder Einzelberichte im Evangelium
#1
"Sondergut" oder Einzelberichte im Evangelium

Wenn man den Artikel Zachäus - Wikipedia liest, so stößt man dort auf den Begriff des "Sonderguts":
"Der Text gehört zu den Stoffen, die nur das Lukasevangelium überliefert (das sogenannte Sondergut)"

Wenn man nun "Sondergut" anklickt, so kommt man in folgenden Wikipedia Artikel:
Sondergut - Wikipedia

Eine sehr komplizierte Theorie. Jedenfalls gibt es in diesem Wikipedia Artikel eine Graphik, die das veranschaulichen will

Vermutlich will der sperrige Begriff "Sondergut" sagen, daß die Evangelien meist die selben Geschichten erzählen, daß aber in den einzelnen Evangelien auch Geschichten erzählt werden, die in keinem anderen Evangelium erzählt werden

Der im Jahr 1968 in Mode gekommene Begriff "Sondergut" klingt etwas abfällig (siehe Sonderschule, Strandgut) und man sollte besser "Einzelberichte" dazu sagen

Es sei auch angemerkt, daß die Evangelisten keine Abschreiber waren und somit ist es sehr positiv und ein Echtheitsbeweis, daß jeder Evangelist solche Einzelbeobachtungen niederschrieb.

Der berühmte Satz "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan"
– Matthäus 25,40 ist Teil eines Einzelberichtes, er wird in keinem anderen Evangelium zitiert
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#2
(15-12-2018, 10:57)Sinai schrieb: Der im Jahr 1968 in Mode gekommene Begriff "Sondergut" klingt etwas abfällig (siehe Sonderschule, Strandgut) und man sollte besser "Einzelberichte" dazu sagen

Bevor Du hier Begriffe "verschlimmbesserst", ueberleg' doch einmal kurz, was der Begriff eigentlich besagt. Es ist Textgut, das eine Besonderheit fuer ein einziges Evangelium darstellt.

(15-12-2018, 10:57)Sinai schrieb: Es sei auch angemerkt, daß die Evangelisten keine Abschreiber waren und somit ist es sehr positiv und ein Echtheitsbeweis, daß jeder Evangelist solche Einzelbeobachtungen niederschrieb.

Natuerlich waren die Evangelisten Abschreiber. Das Matthaeus-Evangelium enthaelt den groessten Teil des Markus-Evangeliums in denselben Formulierungen und derselben Reihenfolge. Der Text des Matthaeus enthaelt einige Korrekturen und ein paar Erlaeuterungen, aber ansonsten sind die Abweichungen im Rahmen der gewoehnlichen Varianz zwischen Manuskripten, da kein Manuskript dem anderen gleich war. Die Texte sind so aehnlich, dass es heute fuer eine Plagiatsklage reichen wuerde.

Das Lukas-Evangelium enthaelt auch grosse Teile des Markus-Evangeliums, allerdings ohne die Duplikationen, die unser heutiges Markus-Evangelium enthaelt und die es auch in das Matthaeus-Evangelium geschafft haben. "Lukas" hat wohl eine aeltere Version des Markus-Evangeliums als Vorlage benutzt (oder die Duplikationen entfernt).

Woher das Sondergut kommt, ist unklar. Die Evangelisten haben wohl einige Perikopen selbst erfunden, wie das fuer literarische Werke der Zeit normal war.
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#3
Ich glaube, die wenigsten Menschen machen sich klar, wie aehnlich die Texte sind. Man schaue auf das Beispiel hier:

https://en.wikipedia.org/wiki/Synoptic_Gospels#Example

Das ist offensichtlich derselbe Text, jeweils nur wenig anders editiert.
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#4
(15-12-2018, 13:34)Ulan schrieb:
(15-12-2018, 10:57)Sinai schrieb: Es sei auch angemerkt, daß die Evangelisten keine Abschreiber waren und somit ist es sehr positiv und ein Echtheitsbeweis, daß jeder Evangelist solche Einzelbeobachtungen niederschrieb.

Natuerlich waren die Evangelisten Abschreiber. Das Matthaeus-Evangelium enthaelt den groessten Teil des Markus-Evangeliums in denselben Formulierungen und derselben Reihenfolge.


Wenn die Evangelien voneinander abweichen, heißt es das seien Widersprüche
Wenn die Evangelien übereinstimmen, heißt es da gab es Absprachen

(15-12-2018, 13:34)Ulan schrieb: Die Texte sind so aehnlich, dass es heute fuer eine Plagiatsklage reichen wuerde.


Hier ist zu sagen, daß die Evangelisten ja keine Romanschreiber waren - wo einer dem anderen aus Geldgier eine Plagiatsklage anhängt.
Die Evangelisten zogen am selben Strang - und wollten das Evangelium verkünden !
Da ging es nicht um Geld - die Evangelisten hatten keine Gewinnabsicht, im Gegenteil, sie nahmen Verfolgung und Zerstörung der bürgerlichen Existenz in Kauf

Die Apostel waren - trotz mancher späterer unterschiedlicher Auffassungen betreffend Heidenmission - eine verschworene Gemeinschaft und arbeiteten natürlich eng zusammen. Da war kein Platz für eigene Lehren !

Ich denke, die zahlreichen Unterschiede sind ein Echtheitsbeweis (das sind authentische Schriften von vier real existierenden Evangelisten und keine vier hirnlose Abschriften).  
Und zum Thema "Absprachen" wäre zu sagen, daß es ja ganz normal und wünschenswert war, daß sich die Apostel häufig trafen und zusammenarbeiteten. Sie waren ja Schüler desselben Lehrers Jesus und verkündeten dieselbe Lehre. Und wenn sie Reden Jesu ziemlich gleichlautend widergaben, ist das ein Zeichen daß sie aufmerksam zugehört hatten und sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen oder gar am selben Tag Notizen machten

Das Evangelium lebt eben. Keine 4 Kopien, sondern da steckt viel eigenes Gehirnschmalz drinnen. Und auch differierende Präferenzen, weil es eben reale Menschen waren. Menschen mit unterschiedlichen Charakteren. Kein Mensch ist gleich! So hat jedes der vier Evangelien eine andere Ausstrahlung.

Und daß manches sehr gleichlautend ist, ist ein Zeichen der Einmütigkeit - und auch ein Zeichen der wahrheitsgetreuen Widergabe

Daß es eben unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Themen schon zu Lebzeiten der Apostel gab, ist bekannt, und zeigt, daß es keine diktatorische Sekte war, sondern daß unterschiedliche Ideen Platz hatten

Das Apostelkonzil zum Thema "Heidenchristen" zeigt das sehr schön
Für Juden war nach dem Jahre 35 das Christentum nicht mehr attraktiv (es gab dann wohl nur mehr einzelne neue Judenchristen) - aber für Heiden war das Christentum äußerst attraktiv und wurde später zur Staatsreligion des Römischen Reiches und später zur Weltreligion
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#5
(16-12-2018, 00:03)Sinai schrieb: Ich denke, die zahlreichen Unterschiede sind ein Echtheitsbeweis (das sind authentische Schriften von vier real existierenden Evangelisten und keine vier hirnlose Abschriften).

Ich glaube, es ist immer noch nicht durchgedrungen. Die Dreifach-Tradition, also der so gut wie identische Text, der allen drei Evangelien gemeinsam ist, ist ein vollstaendiges Evangelium, das dem Markus-Evangelium sehr aehnlich ist. Dies ist nahe dem Urtext, der allen drei synoptischen Evangelien zugrundeliegt.

Aehnlich sieht es mit der Zweifach-Tradition aus, die Lukas und Matthaeus gemeinsam ist. Ueber lange Strecken ist der Text komplett identisch, Wort fuer Wort. Auch hier liegt also ein und dieselbe Textvorlage als Quelle vor (entweder ein anderer Text - daher die Q-Hypothese - oder einer hat vom anderen abgeschrieben).

Was das mit "Echtheitsbeweisen" zu tun haben soll, ist mir ein Raetsel. Natuerlich hat da "echt" jemand am Text herumeditiert. Dass die Leute, die dort editiert haben, sich beim Editieren etwas gedacht haben, ist doch wohl eine Binsenweisheit; das gilt fuer jeden Editor.

(16-12-2018, 00:03)Sinai schrieb:  
Und zum Thema "Absprachen" wäre zu sagen, daß es ja ganz normal und wünschenswert war, daß sich die Apostel häufig trafen und zusammenarbeiteten. Sie waren ja Schüler desselben Lehrers Jesus und verkündeten dieselbe Lehre. Und wenn sie Reden Jesu ziemlich gleichlautend widergaben, ist das ein Zeichen daß sie aufmerksam zugehört hatten und sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen oder gar am selben Tag Notizen machten

Von Absprachen ist keine Rede. Ich weiss nicht, wo Du die Idee ueberhaupt her hast. Die hat mit der Wirklichkeit der Entstehung der Evangelien nichts zu tun.

Die verschiedenen Evangelien haben ihren Ursprung wohl in verschiedenen Sekten der fruehen Christenheit, die jeweils die Texte ihren eigenen Beduerfnissen angepasst haben. Dies legen die Ausfuehrungen des Irenaeus nahe. Ein katholischer Editor hat die irgendwann noch einmal alle etwas "desinfiziert", als die Vier-Evangelien-Sammlung in Mode kam, um sie in grundlegenden Glaubensaussagen gegenseitig anzupassen. Dabei mussten die Texte aber erkennbar bleiben, da wohl das Ziel war, die Anhaenger der verschiedenen Sekten in ein gemeinsames Boot zu holen. Hierbei kommt das "Sondergut" ins Spiel. Am schwierigsten gestaltete sich dieses Editieren wohl beim markionitischen "Neuen Testament", das aus einer Version des Lukas-Evangeliums und 10 Briefen des Apostels Paulus bestand, da Markions "Neues Testament" wohl recht bekannt und weit verbreitet war und von einer gut organisierten Kirche verwendet wurde. Als "katholische Klammer" wurde dann eine Ueberlieferungseinheit, bestehend aus der Apostelgeschichte und den katholischen Briefen, verfasst.


Jedenfalls gibt es keine bessere Erklaerung als die, dass alle drei synoptischen Evangelien Ueberarbeitungen ein und desselben Textes sind. Den einen oder anderen apokryphen Text kann man in diese Textfamilie noch einfuegen. Ich glaube, es wird Zeit, sich von der Idee zu trennen, dass diese Texte in ihren Anfaengen in irgendeiner Form als "heilig" oder "unantastbar" gesehen wurden. Jeder, der eine Kopie gemacht hat, hat daran wohl herumverbessert. Ein paar dieser "verbesserten" Versionen wurden halt bekannter als andere und entwickelten sich irgendwann zu den uns bekannten Evangelien.
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#6
(16-12-2018, 01:59)Ulan schrieb: Jedenfalls gibt es keine bessere Erklaerung als die, dass alle drei synoptischen Evangelien Ueberarbeitungen ein und desselben Textes sind.


Das kann aber nicht sein, da es vier Evangelisten gibt
Jeder schrieb sein Evangelium

Diese vier Männer waren nicht verfeindet und saßen im selben Boot namens Christentum, sie waren Freunde und Brüder in Christus, somit gab es mit Sicherheit regen Gedankenaustausch schon lange vor Beginn der Schreibarbeit - zur Zeit als Jesus auf Erden wirkte
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#7
(16-12-2018, 22:16)Sinai schrieb: Das kann aber nicht sein, da es vier Evangelisten gibt.

Was soll das fuer ein Argument sein? Warum kann das nicht sein? Nichts von dem, was Du genannt hast, spricht dagegen. Es handelt sich sowieso nur um pure Spekulationen Deinerseits, die durch keinerlei Berichte gedeckt sind.

Papias um 110 kannte erst zwei Leute, die versucht hatten, irgendetwas ueber Jesus aufzuschreiben (von ihm stammen die Namen Markus und Matthaeus). Die Sache mit den vier Evangelisten stammt von Ireanaeus, ca. um 180. Er ist auch der Erste, der Lukas ueberhaupt erwaehnt. Wirkliches Wissen ueber die Entstehung der Evangelien hatte Irenaeus, der als erster von vier Evangelisten redet (Begruendung: weil die Welt vier Ecken hat), nicht. Um seine Zeit war die Entstehungsgeschichte der Evangelien entweder schon verloren gegangen, oder er zog es vor, sein Wissen nicht mit uns zu teilen. Was er uns deutlich erzaehlt, ist, dass verschiedene Evangelien von verschiedenen Sekten (Markioniten, Valentinianern, etc.) benutzt wurden.
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