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Rechtsgrundlage für Christenverfolgung
#1
Guten Tag zusammen,
kann mir hier jemand sagen, auf welcher Rechtsgrundlage Saulus von Tarsus als Diaspora-Jude mit römischem Bürgerrecht Christen verfolgen konnte?
In der Literatur finde ich immer nur die Aussage, dass er Christen verfolg hat, aber nie den Hintergrund dazu. Oder Stephanus: Haben die Römer zugelassen, dass die jüdischen Autotritäten, weil er nicht im Strom schwamm, ihn hinrichten konnten?

Vielleicht kann mir jemand einen Autor nennen, der dieses Thema bearbeitet hat.

Schöne Grüße
Kain
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#2
Herzlich willkommen im Forum!

Na ja, zu all den Fragen haben wir ja nur die Briefe des Paulus und die Apostelgeschichte zur Grundlage.

Eins ist sicher: den juedischen Autoritaeten war nicht erlaubt, Todesstrafen zu vollstrecken; das durften im genannten Zeitraum nur die roemischen Autoritaeten. In dem einen Fall, als in einer Zeit gerade kein roemischer Statthalter in Judaea war, der Sanhedrin laut Josephus diese Regel uebertrat, kam es anschliessend zur Disziplinierung des Sanhedrins.

Ganz allgemein wuerde ich anmerken wollen, dass, obwohl der Apostelgeschichte in der neuesten Forschung wieder mal etwas mehr Historizitaet zugebilligt wird als noch vor ein paar Jahrzehnten, geht dies doch nicht soweit, dass ihr jetzt Richtigkeit im Detail zugebilligt wird. Der Autor verarbeitete Geschichten aus vielen Quellen, und manchmal zeigt sich halt deutlich seine eigene Sicht auf die Dinge.

Wenn wir auf die Paulus-Briefe schauen, so sagt Paulus zwar mehrfach von sich selbst, er haette die Kirche (von Individuen ist keine Rede) aufs Auesserste verfolgt, doch steht da nichts von Todesstrafen. Was er unter Verfolgung versteht, sieht man ja an anderen Stellen, wo er selbst der Verfolgte ist. Fuenfmal wurde er nach eigenen Angaben zu den 39 Schlaegen verurteilt; das war eine typische Synagogenstrafe, die eine juedische Gemeinschaft in Glaubensvergehen legal verhaengen konnte. Mehrmals landete er im Gefaengnis, was auch eine lokal verhaengbare Disziplinarmassnahme war in Dingen, die nicht durch juedisches Gesetz erfasst wurde, z.B. die Erregung oeffentlichen Aergernisses. Paulus fand sich aber auch hin und wieder als Opfer von Mob-Justiz, also Schlaegen durch aufgebrachte Leute, einmal sogar durch eine versuchte Steinigung. Da er davon weglaufen konnte, war das wohl kaum eine offizielle Angelegenheit.

Der Apostelgeschichte gegenueber waere ich wiederum sehr vorsichtig. Sie ist es, die Paulus das roemische Buergerrecht zubilligt, aber warum benutzt er es dann nie, ausser an der einen Stelle in der Apg, wo es um seinen finalen Prozess geht? In seinen Briefen erwaehnt er es jedenfalls nicht, und auch dort benutzt er dieses angebliche Buergerrecht nie, um sich diesen banalen Strafen zu entziehen, was fuer ihn eigentlich ein Leichtes gewesen sein muesste. Andererseits impliziert die Apostelgeschichte indirekt, dass Paulus Mitglied des Sanhedrins war, weil sie behauptet, dass er fuer die Todesstrafe von Christen gestimmt haette, was eine Sanhedrin-Entscheidung waere. Was war er nun? Roemischer Buerger? Sanhedrin-Mitglied? Mitglied des herodischen Haushalts war er anscheinend auch noch. Also, ich wuerde da von einer netten Sammlung von Geschichtchen sprechen wollen. Das Vorgehen des Paulus, der Christen durch Schlaege dazu bringen wollte, Blasphemie zu begehen, damit er sie zum Tode verurteilen konnte, wie die Apg es schildert, muss man durch die entsprechende Brille sehen. Hier werden eventuell seine Taten uebertrieben, um seine spaetere Wandlung umso glorreicher erscheinen zu lassen.

Die Stephanus-Rede wird allgemein als Erfindung des Autors der Apostelgeschichte gesehen (Lukas wird meist als dieser genannt). Der Prozess ist eine Kopie des Jesus-Prozesses und wohl in dieser Form unhistorisch. Es gibt durchaus Hypothesen, dass diese ganze Geschichte ein literarischer Kniff ist, zu erklaeren, wie sich das Christentum ueber die ganze Region verbreitete. Rein persoenlich finde ich uebrigens bemerkenswert, dass der Aufhaenger der Stephanus-Geschichte eigentlich eine innerchristliche Auseinandersetztung ist. Ich wuerde es nicht ausschliessen wollen, dass da die Schuld fuer den Ausgang einfach auf den Sanhedrin verschoben wurde, um die Kirche nicht ins schlechte Licht zu ruecken, falls da tatsaechlich ein historischer Kern in der Geschichte stecken wuerde.

Falls Englisch kein Hindernis ist, gibt es auf JSTOR einen Artikel, den man nach einfacher Anmeldung frei lesen kann (ich glaube, man kann 6 aeltere Artikel pro Halbjahr frei lesen): *https://www.jstor.org/stable/3265475?seq=1#page_scan_tab_contents
Die meisten Zitate sind von deutschen Autoren, aber da faellt mir gerade kein frei einsehbarer Text ein.
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#3
(07-09-2018, 23:55)Kain schrieb: Stephanus: Haben die Römer zugelassen, dass die jüdischen Autotritäten, weil er nicht im Strom schwamm, ihn hinrichten konnten?


Die Frage der Kapitalgerichtsbarkeit des Sanhedrin vor 2000 Jahren.
Die jüdische Internetseite haGalil schreibt eine interessante und ausführliche Studie zu diesem Thema, wonach es gar nicht so sicher ist, daß der Sanhedrin die Kapitalgerichtsbarkeit verloren hatte. 

Google:  hagalil Sanhedrin Todesstrafe
Jüdisches Recht: Der Prozess gegen Jesus - haGalil
1. Einführung
1.2 Reichweite der Befugnisse des Großen Sanhedrin
Zitat: "Auch unter denjenigen Autoren, die behaupten, der Hohe Rat habe keine Vollmacht zur Vollstreckung der von ihm verhängten Todesstrafe besessen, sind die Meinungen geteilt."
Eine sehr ausführliche Studie, wo auch auf alte jüdische Quellen (palästinensicher und babylonischer Talmud) Bezug genommen wird.
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#4
(08-09-2018, 14:18)Ulan schrieb: Andererseits impliziert die Apostelgeschichte indirekt, dass Paulus Mitglied des Sanhedrins war, weil sie behauptet, dass er fuer die Todesstrafe von Christen gestimmt haette, was eine Sanhedrin-Entscheidung waere. 

Sehr spannende Theorie!
Wie ist der genaue Wortlaut in der Apostelgeschichte? 


Apg 7:58 "Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß"
erwähnt zwar einen Mann, der Saulus hieß

(Anm.: Ich habe die Einheitsübersetzung zitiert, da sie sehr weit verbreitet ist)


Nun habe ich folgende Bedenken:

1.) Eine Gerichtsentscheidung schaut anders aus. Wenn "Zeugen" ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes legen, bedeutet das nicht, daß er für die Steinigung gestimmt hatte. Da hätte er ein Zeichen seiner Zustimmung geben müssen.

2.) Der Sanhedrin tagte nicht außerhalb der Stadt.

3.) Ein junger Mann ist noch kein Sanhedrin. Das ist ein Kollegialorgan von 71 Richtern und wurde der Hohe Rat genannt. Ein einzelnes Mitglied dieses Kollegialorgans kann per definition nicht eine Kollegialentscheidung treffen. 

4.) Und Saul oder Saulus hießen damals viele Männer
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#5
Hallo Kain,

auch von mir ein herzliches Willkommen!

Was das römische Bürgerrecht des Paulus betrifft, habe ich dazu HIER (klick!) etwas geschrieben.

Über Saulus/Paulus als "Christenverfolger" hat Peter Pilhofer HIER (klick!) etwas verfasst. Die Verfolgungshandlungen waren eine innerjüdische Angelegenheit gewesen. Die römische Ordnungsmacht hat das nicht interessiert. Paulus hat seine Verfolgertätigkeit zwar eingestanden (Gal 1,13f.), doch ist es, wie Pilhofer anschaulich vorträgt, unwahrscheinlich, dass sie in dem Ausmaß stattgefunden hat, wie das der Autor der Apg zu wissen vorgibt. Das, was Saulus/Paulus in diesem Zusammenhang tatsächlich getan hat, war offenbar vom Sanhedrin autorisiert gewesen.
MfG B.
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#6
(08-09-2018, 15:23)Sinai schrieb:
(08-09-2018, 14:18)Ulan schrieb: Andererseits impliziert die Apostelgeschichte indirekt, dass Paulus Mitglied des Sanhedrins war, weil sie behauptet, dass er fuer die Todesstrafe von Christen gestimmt haette, was eine Sanhedrin-Entscheidung waere. 

Sehr spannende Theorie!
Wie ist der genaue Wortlaut in der Apostelgeschichte? 
...
(Anm.: Ich habe die Einheitsübersetzung zitiert, da sie sehr weit verbreitet ist)

Kapitel 26. Luther 2017: "10 Das habe ich in Jerusalem auch getan; dort brachte ich viele Heilige ins Gefängnis, wozu ich Vollmacht von den Hohenpriestern empfangen hatte. Und wenn sie getötet werden sollten, gab ich meine Stimme dazu."

In der Einheitsuebersetzung klingt das dagegen mehr wie eine allgemeine Zustimmung. Keine Ahnung, welche Uebersetzung da genauer am Text ist.
Was die Befugnisse des Sanhedrin angeht, folge ich den Ausfuehrungen des Josephus.
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#7
Apg 26,10:
ὃ καὶ ἐποίησα ἐν Ἱεροσολύμοις, καὶ πολλούς τε τῶν ἁγίων ἐγὼ ἐν φυλακαῖς κατέκλεισα τὴν παρὰ τῶν ἀρχιερέων ἐξουσίαν λαβὼν ἀναιρουμένων τε αὐτῶν κατήνεγκα ψῆφον.

Also wenn man ernst nimmt, was dort steht, nämlich dass er die Stimme verurteilend abgegeben habe (…κατήνεγκα ψῆφον), müsste Paulus Mitglied des Sanhedrins gewesen sein und bei den von ihm gesetzten religionspolizeilichen Handlungen mit Vollmacht desselben (…παρὰ τῶν ἀρχιερέων ἐξουσίαν…) gehandelt haben.

Allerdings halte das, was die Apg da berichtet, nicht für historisch.
MfG B.
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#8
(08-09-2018, 16:14)Ulan schrieb: Heilige


Mir fallen hier 3 Themen ein:

1.)  In der Apostelgeschichte 26:10 ist tatsächlich (im Deutschen) von "Heiligen" die Rede.
Ich denke aber nicht, daß diese "Heiligen" etwas mit den späteren christlichen Heiligen zu tun hatten. Ein vom Sanhedrin verfolgter Judenchrist ist etwas anderes als die Heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergknappen und der Artillerie 
a) die damaligen Hagios waren Angehörige ihrer Synagogen, die wegen ihrer christlichen Idee von ihren Synagogen verfolgt wurden, und von diesen bei Hartnäckigkeit in der Folge beim Sanhedrin angeklagt wurden. Dies war offenbar schon zu Zeiten des Saulus
Nach dem von Rom niedergeschlagenen Bar Kochba Aufstand wurde die Gangart der Synagogen gegen "ihre" Judenchristen noch härter, da sie im Aufstand Gewalt abgelehnt hatten und somit als Verräter galten. Wenn schon nicht als Verräter, so doch als Wehrdienstverweigerer - um einen modernen Ausdruck zu verwenden.
b) die späteren christlichen Heiligen (von der erwähnten Hl. Barbara über den Hl. Gambrinus, dem Zunftheiligen der Bierbrauer und fallweise auch der Bäcker, wo halt eine Brauerei an eine Hefebäckerei angeschlossen war bis zum Hl. Hubertus, dem Schutzpatron der Jäger aber auch des Wildes, der mancherorts zu den 14 Nothelfern gerechnet wird) sind eigentlich Schutzpatrone, die bei Gott ein gutes Wort einlegen sollen. Eine Art Standesvertretung im Himmel.

2.)  Eigentümlicherweise kommt hagios (sacred) von hagos (an awful thing)

ἅγιος hagios
From ἅγος hagos (an awful thing); 
sacred (physically pure, morally blameless or religious, ceremonially consecrated): - (most) holy (one, thing), saint

Warum das so ist, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht hat jemand eine Theorie


3.)  Nun zu Saulus:  Saulus wandelte sich zum Paulus.
Ob er tatsächlich Richter des Sanhedrin war, ist eine gute Frage.
Die Stimme verurteilend abgeben kann auch auf einen Gerichtssachverständigen zutreffen. Kein Richter zwar im formalen Sinn, aber aufgrund seiner Meinung entscheiden dann die Richter

--------------------------------

Oben schrieb ich etwas unbeholfen bei den Judenchristen von "ihrer christlichen Idee" 
Religion schien mir noch zu hart, denn diese ersten Christen - allesamt Juden - blieben bis 135 Angehörige ihrer Synagogen 
Es waren Menschen jüdischer Religion, allerdings mit abweichenden irgendwas
Bis zu Beginn der Heidenmission ließen sie ihre Knaben beschneiden, aßen kein Schweinefleisch und wohl auch sonst nichts, das treife war (um den heutigen jiddischen Ausdruck zu verwenden, den es ebenso wie den jiddischen Ausdruck koscher noch nicht gab) 
Was war in der Zeit als Jesus predigte, eigentlich wirklich der Unterschied der Christen zum Judentum ?

Waren es nur Kleinigkeiten im Alltag (andere Form des Hände waschens als die Pharisäer - welche aber auch von den Sadduzäern abgelehnt wurde) oder gab es inhaltliche Unterschiede? 

War das damalige Urchristentum eine Art des frühen liberalen Judentums? Ein frühes "Reformjudentum" ?

Meine Fragestellung geht dahin, ob es bloß graduelle Unterschiede der Intensität waren (darf man einen am Sabbat verunglückten mit Hilfe von Gojim und Eseln ins Haus bringen und muß ihn dort unversorgt liegen lassen, oder darf man einen griechischen Arzt beauftragen ihn zu verbinden, oder dürfen ihn seine Angehörigen selbst verbinden wenn halt kein griechischer Arzt greifbar ist)  -  oder war die Strömung der Jesus Leute in manchem gegensätzlich zum Judentum ?
In welchen Punkten?
Christen scheinen gewaltlos gewesen zu sein, aber so manche Jesusworte vermitteln einen anderen Eindruck (wer kein Schwert hat, soll seinen Mantel gegen ein Schwert eintauschen) und Petrus hieb dem Häscher bei erster Gelegenheit das Ohr ab. So etwas gibt es nur im aggressiven Milieu von Messerstechern . . .
Normale Leute tragen keine Waffe bei sich, auch im damaligen Jerusalem gehörte ein Schwert nicht zum Accessoire eines Stadtbewohners

Man stelle sich vor, bei einer Polizei Razzia in Berlin zieht einer der Gruppe ein langes Messer und haut dem Polizisten auf die Rübe, daß gleich das Ohr am Boden liegt. Hui, da wäre Feuer am Dach und die Leute würden zurecht von der Öffentlichkeit als Terror Sekte wahrgenommen werden.

Christen fielen damit auf, daß sie einen lockeren Umgang mit der damaligen Unterwelt pflegten (Huren und sogenannte Zöllner) aber reicht das aus, von einer neuen Religion zu sprechen? Ich verneine das. 

Christen hießen Christen, weil sie den christos (hebr. der Gesalbte) wollten.  Das ist der hebräische Messias
Die Salbung war damals im Orient das Kennzeichen des Königs
Aber den Messias wollten die Juden auch

Die Juden wollten den kriegerischen Messias - aber ganz ehrlich - ist der Messias der Geheimen Offenbarung, der die halbe Menschheit ausrotten soll, weniger kriegerisch ?
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#9
(08-09-2018, 18:19)Bion schrieb: Apg 26,10:
ὃ καὶ ἐποίησα ἐν Ἱεροσολύμοις, καὶ πολλούς τε τῶν ἁγίων ἐγὼ ἐν φυλακαῖς κατέκλεισα τὴν παρὰ τῶν ἀρχιερέων ἐξουσίαν λαβὼν ἀναιρουμένων τε αὐτῶν κατήνεγκα ψῆφον.

Also wenn man ernst nimmt, was dort steht, nämlich dass er die Stimme verurteilend abgegeben habe (…κατήνεγκα ψῆφον), müsste Paulus Mitglied des Sanhedrins gewesen sein und bei den von ihm gesetzten religionspolizeilichen Handlungen mit Vollmacht desselben (…παρὰ τῶν ἀρχιερέων ἐξουσίαν…) gehandelt haben.

Allerdings halte das, was die Apg da berichtet, nicht für historisch.

Ah, danke. Das ist ja dann recht eindeutig.
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#10
(08-09-2018, 20:10)Sinai schrieb: 1.)  In der Apostelgeschichte 26:10 ist tatsächlich (im Deutschen) von "Heiligen" die Rede.
Ich denke aber nicht, daß diese "Heiligen" etwas mit den späteren christlichen Heiligen zu tun hatten.

Das ist ein normaler, haeufig benutzter NT-Ausdruck fuer Mitglieder der christlichen Gemeinde.

(08-09-2018, 20:10)Sinai schrieb: 3.)  Nun zu Saulus:  Saulus wandelte sich zum Paulus.[/font][/size][/color]
Ob er tatsächlich Richter des Sanhedrin war, ist eine gute Frage.
Die Stimme verurteilend abgeben kann auch auf einen Gerichtssachverständigen zutreffen. Kein Richter zwar im formalen Sinn, aber aufgrund seiner Meinung entscheiden dann die Richter

Da geht wieder die Fantasie mit Dir durch. Es ist ziemlich eindeutig, dass die Apg Saulus/Paulus hier als Mitglied des Sanhedrins darstellen moechte. Ich denke aber, das ist genau so unwahrscheinlich wie seine angebliche roemische Buergerschaft.
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#11
(08-09-2018, 20:43)Ulan schrieb: Es ist ziemlich eindeutig, dass die Apg Saulus/Paulus hier als Mitglied des Sanhedrins darstellen moechte. 



Eine direkte Aussage, daß Saulus/Paulus Richter des Sanhedrin war, sehe ich nicht. 

Wäre Saulus/Paulus einer der 71 gewesen, dann hätte die Apostelgeschichte dies wohl sicher eindeutig gesagt.
Leugnen wäre ohnehin aussichtslos gewesen, da diese 71 Höchstrichter sehr prominent waren und ganz Israel sie kannte!

Mit größtem Vergnügen hätte die Apostelgeschichte verkündet, daß einer der 71 Höchstrichter die "Wahrheit" erkannte und nun ein Christ geworden war


----


Ein kleines Beispiel zur Auflockerung:  Ich lernte einmal im Urlaub ein Ehepaar kennen, und die Gattin erzählte voller Stolz, daß der Mann 
"im Klinikum der Universität München arbeitet" 
Ich dachte natürlich, er wäre dort Arzt.  Kam mir aber spanisch vor, da der Mann tätowiert war, sogar übermäßig tätowiert, derbe Hände (Pratzen) hatte, einen auffällig derben Gang und eine derbe Sprache. Doch da fiel mir ein, daß meine Großmutter mir von einem berühmten Chirurgen erzählt hatte, der ausgesehen hatte wie ein derber Metzger und obwohl er derbe Hände hatte ein sehr präziser Chirurg für feinste Operationen war, und es fiel mir ein, daß eine Bekannte von mir, eine Krankenschwester mir gesagt hatte, daß die Unfallchirurgen alle eine derbe Sprache haben, weil eben 80 % ihrer Patienten Bauarbeiter, Lastwagenfahrer, Baggerfahrer, Harley-Davidson Fahrer etc. sind. Somit verdrängte ich meine unterbewußten Bedenken.
Später erfuhr ich dann, daß der Münchner Portier  ist . . . 
Für die übrigen Leute in der Reisegruppe war er als Portier im Klinikum der Universität München eine absolut bewunderte vorbildliche Respektsperson mit einem tollen und angesehenen, weil unkündbarem Traumjob.
Ein Vorbild, einer der es geschafft hatte, einer den alle nachmachen wollten (Partei, politische Bekanntschaften).
Wäre er Arzt gewesen, dann hätten ihn die Leute nicht gemocht. Er wäre als Mensch von einem anderen Stern ohnehin unerreichbar gewesen
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#12
Ich habe nun in die berühmte Jewish Encyclopedia (New York 1906) Einsicht genommen
SAUL OF TARSUS

Dort ist ein ganzer Absatz:  Not a Hebrew Scholar; a Hellenist.
Dabei fiel mir folgendes Zitat auf: "His whole state of mind shows the influence of the theosophic or Gnostic lore of Alexandria"

Nie und nimmer war er ein Richter im Sanhedrin !
Und die Apostelgeschichte ist niemals auf die Idee gekommen, so zu tun als wäre Saulus/Paulus einer der 71 gewesen.
So ein Fake wäre doch völlig aussichtslos gewesen, jeder Jude hätte das sofort als Schmarrn durchschaut.  Die 71 waren ja namentlich bekannt
Vielleicht war er ein gescheiterter "Richter auf Probe" (hieß damals natürlich anders) - irgend ein Schüler eines Thoragelehrten kann schon sein

Daß er irgendeine Vollmacht in einem untergeordneten Verfahren hatte, kann auch sein. Für die verfolgten Christen war es ein wichtiges, existenzbedrohendes, lebensbedrohendes Verfahren - für den Sanhedrin war das zu diesem Zeitpunkt die Verfolgung einer unbedeutenden Sekte, sonst hätte dieses Kollegialorgan nicht eine Einzelperson mit der Verfolgung betraut
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#13
(09-09-2018, 21:38)Sinai schrieb: Eine direkte Aussage, daß Saulus/Paulus Richter des Sanhedrin war, sehe ich nicht.

Wäre Saulus/Paulus einer der 71 gewesen, dann hätte die Apostelgeschichte dies wohl sicher eindeutig gesagt.
Leugnen wäre ohnehin aussichtslos gewesen, da diese 71 Höchstrichter sehr prominent waren und ganz Israel sie kannte!

Mit größtem Vergnügen hätte die Apostelgeschichte verkündet, daß einer der 71 Höchstrichter die "Wahrheit" erkannte und nun ein Christ geworden war.

Du hast, wie so oft, kein Gespuer fuer Zeit und literarische Kniffe. Da die Apostelgeschichte mehrere Generationen nach Paulus geschrieben wurde und die juedische Welt mittlerweile Jerusalem, den Tempel und alles, was die alte Welt ausmachte, verloren hatte, waren weder irgendwelche Namen noch exakte Vorstellungen der Verhaeltnisse in der Stadt allgemein bekannt.

Dein "Gschichterl" hinkt ueberigens als Vergleich. Die Apg sagt ja nicht, dass Paulus "beim Sanhedrin" arbeitet, sie beschreibt, was er tut: eine Stimme bei Gerichtsurteilen in Kapitaldelikten in Fragen der juedischen Religion abgeben. Und das war in solchen Faellen halt Aufgabe des Sanhedrin. Um Dein Beispiel anzupassen waere es so, als haette der Mann Dir erzaehlt, er wuerde in Muenchen Herztransplantationen durchfuehren und dabei Entscheidungen faellen, und da haettest Du halt eine ganz gute Idee, was sein Job in Muenchen ist. (Uebrigens, mache jetzt bitte nicht den Fehler, anhand der Vergleichsgeschichte das Original auseinanderzunehmen; Vergleiche sind nie ganz perfekt).

(09-09-2018, 22:06)Sinai schrieb: Ich habe nun in die berühmte Jewish Encyclopedia (New York 1906) Einsicht genommen
SAUL OF TARSUS

Dort ist ein ganzer Absatz:  Not a Hebrew Scholar; a Hellenist.
Dabei fiel mir folgendes Zitat auf: "His whole state of mind shows the influence of the theosophic or Gnostic lore of Alexandria"

Nie und nimmer war er ein Richter im Sanhedrin !
Und die Apostelgeschichte ist niemals auf die Idee gekommen, so zu tun als wäre Saulus/Paulus einer der 71 gewesen.
So ein Fake wäre doch völlig aussichtslos gewesen, jeder Jude hätte das sofort als Schmarrn durchschaut.  Die 71 waren ja namentlich bekannt
Vielleicht war er ein gescheiterter "Richter auf Probe" (hieß damals natürlich anders) - irgend ein Schüler eines Thoragelehrten kann schon sein

Das ist wieder falsch argumentiert. Es geht bei dieser Diskussion nicht darum, wer Paul wirklich war. Natuerlich glaube ich genau so wenig wie die Jewish Encyclopedia, dass Paulus Mitglied des Sanhedrins war. Ich glaube aber auch nicht, dass er das roemische Buergerrecht hatte, was die Apg nicht nur indirekt, sondern eindeutig behauptet. Der Punkt, was Paulus wirklich war, steht hier gar nicht zur Debatte. Trotzdem stellt die Apg direkt oder indirekt Behauptungen auf; und eine ist halt, dass Paulus Stimmrecht beim Kapitalgericht hatte, was nur einem Mitglied des Sanhedrins zustand.

Wie gesagt, zur Zeit der Abfassung der Apostelgeschichte waren Kenntnisse ueber die Situation im, mittlerweile dem Erdboden gleichgemachten Jerusalem der 40er und 50er Jahre nur noch vage. Die Apg fasst dabei verschiedene aeltere Geschichten zusammen, die nicht immer zusammenpassen (zum Beispiel wird der Titel "Apostel" dem Paulus im Anfang des Werkes aberkannt, aber im hinteren Teil wieder verwendet), und hat auch eine eigene redaktionelle Ebene aus der Abfassungszeit.

Insgesamt ist die Apostelgeschichte ein tendenzioeses Werk. Man schaue hier nur auf die Charakterisierung des Verhaeltnisses von Paulus zu den anderen Aposteln, das hier allgemein als harmonisch beschrieben wird, waehrend die Briefe des Paulus ein Bild von bitteren Auseinandersetzungen zeichnen. Das Werk hat den Zweck, den Beginn der Kirche in Wuerde und Harmonie zu schildern und seine Hauptfiguren zu uebermenschlichen Helden zu machen. Bei Paulus gehoeren halt die verschiedenen Hinweise auf seine angeblich hohe gesellschaftliche Stellung zu diesem Programm. Da stehen ja noch ganz andere Klopper bzgl. Paulus in der Apg.
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