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Anthesterien
#1
Die Anthesterien waren gleichermaßen ein Frühlings- wie ein Weinfest. Es galt, ↗Dionysos als Gott der vegetativen Fruchtbarkeit zu ehren. Das Fest wurde im Monat Anthesterion (Februar/März), dem Monat des ersten Hervorsprießens und Aufblühens der Natur (ἀνθέω, antheo = blühen) gefeiert1, dauerte drei Tage lang, war für die Athener das Hauptfest dieses Monats gewesen und unterteilte sich in die Tagesfeste Pithoigia, Choës und Chytroi.

Als ↗ionisches Fest und ältestes Dionysosfest ↗Athens sind die Anthesterien mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in Schichten des Griechentums verwurzelt gewesen, die in die ↗mykenische Zeit zurückreichen (Kerenyi 194).

Der 11. Tag des Monats Anthesterion war der Tag der Fassöffnung (Pithoigia). Zuvor wurden tönerne Weinfässer (πίθοι, Pithoi) aus den verstreuten Weingütern rund um Athen in die Stadt zum Dionysosheiligtum im Limnaion2 gekarrt. Dort erwartete die Festversammlung mit Trinkgefäßen den Einbruch der Nacht3. Nach der feierlichen Fassöffnung erfolgten das Weinopfer und ein gesellschaftliches Mischen und Verkosten des im Vorjahr gekelterten ↗Weins.

Am folgenden Tag, dem Choëntag, feierte man das Kannenfest (οἱ χόες), ein ausgelassenes, sinnenfreudiges Fest. Nur an diesem Tag war das Dionysosheiligtum im Limnaion geöffnet. Einen flüchtigen Einblick in den Verlauf des Kannenfestes gibt ↗Aristophanes mit seiner ↗Komödie "Die Acharner"4. Trinkfeste Bürger maßen sich im Wetttrinken. Es galt eine Kanne (χοῦς = Gefäß mit ca. 3 l Inhalt) so schnell wie möglich zu leeren. Der Siegespreis war ein Efeukranz, ein Kuchen und ein Schlauch gefüllt mit Wein. Für die Speisen sorgten die Feiernden selbst. Für alles andere hatte der ↗Archon basileus besorgt zu sein.

Die bedeutsamste kultische Zeremonie des Choëntags war die symbolische Vermählung der Frau des Archon basileus mit Dionysos, der in Form einer Statue (oder durch den als Dionysos verkleideten Archon) anwesend war. Die Heilige Hochzeit fand im Bukoleion, dem Amtsgebäude des Archons statt. Hier war der ↗Mythos lebendig, wonach der Urkönig von Athen, ↗Theseus, dem Dionysos auf ↗Naxos die ↗Ariadne überlassen musste (Burkert 171).

Vom Archon wurden 14 Frauen aus der Athener Oberschicht ausgewählt, die nun in priesterlicher Funktion dem Gott an 14 Altären im Limnaion Opfer darzubringen5 hatten (Deubner 100). Die Frau des Archon basileus  fungierte dabei als Oberpriesterin. Ob ein Umzug mit einem Schiffskarren zum Choënfest gehörte, ist nicht gesichert. Manche Fachgelehrte (zB Deubner 102) nehmen das an, andere (zB Kerenyi 114) schließen das aus und meinen, dass der Schiffskarren zur Prozession der ↗Großen Dionysien gehört haben müsse (Kerenyi 115).

Vom 12. zum 13. Anthesteion (Chytroi) ging das Freudenfest in ein Totenfest über. Zunächst wurde dem toten Dionysos gedacht. Eintopfgerichte (daher οἱ χύτροι = Topffest) wurden zubereitet und teils geopfert, teils an die Festgemeinschaft verteilt. Da der attische Festkalender das Ende der ↗Sintflut (siehe: ↗Deukalion-Flutgeschichte) für den 13. Anthesterion vermerkte, wurde das gemeinsame Verzehren der Eintopfspeise als Erinnerung an die Überlebenden der Flut, die nach ihrer Errettung die Lebensmittelreste zusammengetan und verkochten hatten, gedeutet (Mommsen 291f.). Für die während der deukalionischen Flut Umgekommenen wurden Totenopfer vollzogen6.



1) Ebenfalls im Monat Anthesterion wurde von den Athenern die ↗Anthesphoria, ein Blumenfest zu Ehren der ↗Demeter und Kore (↗Persephone) gefeiert.
2) Limnaion = Von ↗Thukydides erwähntes (Thuk. 2.15), archäologisch bis heute nicht nachgewiesenes Dionysosheiligtum am Fuße der ↗Akropolis.
3) Mit Einbruch der Nacht begann bei den Griechen der nächste Tag.
4)
Herold: Hört! Die Trompete ruft nach altem Brauch
Zum Kannenfest: der beste Zecher kriegt
Den Schlauch voll Wein, so rund wie Ktesiphon. Ab.
Dikaiopolis ruft ins Haus hinein:
He, Bursche, Mädchen, habt ihr nicht gehört?
Was treibt ihr? Hört ihr nicht des Herolds Ruf?
Marsch, siedet, bratet, dreht den Spies, zieht ab
Die Hasen, hurtig, hängt die Kränze auf,
Bringt Gabeln her, die Schnepfen dran zu stecken!
Chor: Was du dich gut beraten hast,
Was du für gute Braten hast,
O du Beneidenswerter!
Dikaiopolis: Und wenn ihr erst die Schnepfen gar
Gebraten seht— was meint ihr?
Chor: Vortrefflich, mein’ ich, war auch das!
Dikaiopolis ruft im Haus: So schürt doch auch das Feuer!
(Aristophanes: Die Acharner 999ff.)
[…]
Bote : Zum Festmahl komm
Sogleich mit deinem Korb und deiner Kanne!
Der Dionysospriester lässt dich laden.
Nur schnell! Die andern warten längst auf dich,
Und alles ist schon fertig zugerichtet,
Tische, Polsterkissen, Teppiche,
Festkränze, Salben, Naschwerk, Freudenmädchen,
Lebkuchen, Fladen, Sesamstriezel, Krapfen,
Und Tänzerinnen— o Harmodios,
Wie hübsch! Doch eile! Komm!
(Aristophanes: Die Acharner 1088ff.)


5) Der Gott soll einst von den ↗Titanen in 14 Teile zerrissen worden sein. Für jeden dieser 14 Teile wurde eine "heilige Frau" bestimmt, die jeweils für eine der Opferhandlungen an einem der 14 Altäre im Limnaion verantwortlich gewesen war.
6) Die Totenopfer wurden in der Regel als Trankopfer vollzogen. Der Wein wurde in löchrige Becher geschüttet, von wo er in die Erde direkt zu den Toten geflossen ist.



Literatur:
August Mommsen. Delphika. 1878 Leipzig. Verl. Teubner.
Ludwig Deubner. Attische Feste. 1932 Berlin. Nachdruck 1966 Wien. Verl. Anton Schroll & Co.
Karl Kerenyi. Dionysos. 21998 Stuttgart. Verl. Klett-Cotta.
Walter Burkert. Die Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche. 22011 Stuttgart, Verl. Kohlhammer.


● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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