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Heilige Schriften in heutiger Zeit
#46
(21-08-2017, 23:46)Ulan schrieb: Die Stelle bei Philemon richtet sich sicherlich nicht gegen die Sklaverei; die wird dort nirgendwo infrage gestellt. Es geht Paul hier darum, den jetzt zu seinem Besitzer zurueckgeschickten Sklaven, der zuvor wohl irgendetwas ausgefressen hatte, vor der eigentlich faelligen Bestrafung zu schuetzen, indem er an die christlichen Gemeinsamkeiten appelliert. Der Text wurde deshalb auch geschichtlich zur Rechtfertigung der Sklaverei verwendet, nur Grausamkeiten sollten vermieden werden, wobei aber auch das eine Ueberinterpretation ist. Fuer Paulus ist die Sklaverei so selbstverstaendlich, dass er sich dazu schlicht nicht aeussert; sie existierte halt in der Gesellschaft, in der er lebte.

Ich sehe das in klein wenig anders. Natürlich stellt Paulus die Sklaverei als rechtlichen Stand nicht in Frage, was aber aus seiner Sicht nur folgerichtig ist, (nach der diese Welt mit all ihren Ungerechtigkleiten eh bald im Nirvana vergehen wird). Jedoch verlangt Paulus m.E. etwas mehr von Philemon als nur "Absehen von Strafe", nämlich explizit brüderlichen Umgang. Ich verstehe die Intention von Paulus daher wie etwa die Stelle in 1. Korinther 7:17ff, nach der alle in ihrem weltlichen Stand verbleiben sollen, diese weltlichen Unterschiede aber innerhalb der christlichen Gemeinde keine Rolle mehr spielen dürfen. Modern gesprochen also eine Art "Gegengesellschaft" im Hier und Jetzt, die aber mit dem kommenden Gericht hinfällig wird.
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#47
Das ist nicht unbedingt anders, als was ich geschrieben habe. Paulus bestreitet, wie Du auch einraeumst, zu keiner Zeit die Verfuegungsgewalt des Besitzers ueber seinen Sklaven. Dieser ist es, der entscheiden kann, ob er den Sklaven wieder zu Paulus schickt oder fuer sich behaelt. Wie man es auch dreht und wendet, der Endzeitglaube verhindert hier so quasi eine Auseinandersetzung mit dem Problem an sich und bringt wiederum seine eigenen Probleme mit sich. Wie ich auch schon sagte, erwarte ich das auch gar nicht unbedingt von einem damaligen Text. Ich denke nur nicht, dass der Text als Anti-Sklaverei-Manifest taugt.
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#48
(22-08-2017, 10:03)Ulan schrieb: Diese Idee von "heilig" sorgt sicherlich dafuer, dass Geschichten wie diese ueber Jahrtausende nicht in Vergessenheit geraten, also einen gewissen kulturellen Unterboden bilden. Wobei sich die Moden, welche Geschichten nun gerade beliebt sind und von welchen niemand mehr spricht, durchaus innerhalb dieses Rahmens geaendert haben (welche Bibelverse heute populaer sind und welche nicht, habe ich in diesem Thread vor geraumer Zeit thematisiert; man sieht, dass Philemon heutzutage ignoriert wird).

Meine Frage danach, ob man die Weitervewendung der Geschichten fuer sinnvoll haelt, bezog sich aber hier auf einen ganz anderen Aspekt: Erfuellen Geschichten wie die in "Philemon" heute wirklich noch eine Rolle als ethisches Lehrstueck, wenn man fuer diese Lehren ganze Bereiche daraus ignorieren muss, um sie mit der geltenden Ethik kompatibel zu halten. Diese Frage ist unabhaengig vom gemeinschaftsbildenden Faktor.

Vollkommen einverstanden. Sicherlich gibt es heutzutage eine Art selektiven Gebrauch der Bibel; manches wird gelesen, anderes nicht. Meine Vermutung ist, dass auf die Bibel wie auf einen altehrwürdigen "Bürgen" zurückgegriffen wird. Wenn dort etwas steht, das mit den eigenen Glaubensansichten konform geht, ist dies eine besonders wertvolle Bestätigung.
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#49
(22-08-2017, 20:56)Ulan schrieb: Ich denke nur nicht, dass der Text als Anti-Sklaverei-Manifest taugt.

Das sehe ich an dieser Stelle anders.

Kunigunde schrieb von weltlichen Unterschieden, die innerhalb der christlichen Gemeinde keine Rolle mehr spielen dürfen.
Innerhalb der angestrebten Gesellschaft sollte es also keine Sklaverei geben, da jeder vor Gott gleich ist.

Die formale Anerkennung aktueller Gesetzgebung ist da nicht unbedingt ein inhaltliches Gegen-Argument.
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#50
(22-08-2017, 10:03)Ulan schrieb: Erfuellen Geschichten wie die in "Philemon" heute wirklich noch eine Rolle als ethisches Lehrstueck, wenn man fuer diese Lehren ganze Bereiche daraus ignorieren muss, um sie mit der geltenden Ethik kompatibel zu halten.

Solange Menschen daraus ethische Lehrstücke für sich rausziehen, erfüllen sie diese Rolle natürlich.
Völlig unabhängig davon, wie selektiv gelesen wird.

Zielt deine Frage nicht eher in die Richtung: 'sollten wir diese Geschichten als ethisches Lehrstück betrachten'?
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#51
(23-08-2017, 01:34)Mustafa schrieb:
(22-08-2017, 20:56)Ulan schrieb: Ich denke nur nicht, dass der Text als Anti-Sklaverei-Manifest taugt.

Das sehe ich an dieser Stelle anders.

Kunigunde schrieb von weltlichen Unterschieden, die innerhalb der christlichen Gemeinde keine Rolle mehr spielen dürfen.
Innerhalb der angestrebten Gesellschaft sollte es also keine Sklaverei geben, da jeder vor Gott gleich ist.

Die formale Anerkennung aktueller Gesetzgebung ist da nicht unbedingt ein inhaltliches Gegen-Argument.

Rein praktisch geht es in diesem Brief darum, wer von beiden, also Philemon oder Paulus, zu welchem Zeitpunkt den Sklaven Onesimus als Diener zur Verfuegung hat, denn Paulus wuerde Onesimus gerne als Diener behalten. Wobei Paulus es sich auch nicht verkneifen kann, darauf hinzuweisen, dass er Philemon seinen Wunsch aufgrund seiner Position "in Christus" auch befehlen koennte. Trotz der blumigen Worte spricht fuer mich aus diesem Brief nichts anderes als simpler Eigennutz.
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#52
(23-08-2017, 01:50)Mustafa schrieb: Solange Menschen daraus ethische Lehrstücke für sich rausziehen, erfüllen sie diese Rolle natürlich.
Völlig unabhängig davon, wie selektiv gelesen wird.

Zielt deine Frage nicht eher in die Richtung: 'sollten wir diese Geschichten als ethisches Lehrstück betrachten'?

Beides. Philemon wird wohl noch zum Teil in der Kirche gelesen, aber rein praktisch ist der Brief bereits "wegsortiert" aus der Diskussion unter Christen (siehe die im anderen Topic verlinkte Heatmap).

Auf die zweite Frage sind wir ja schon eingegangen. Ich glaube nicht, dass der Philemon-Brief ueberhaupt bei irgendetwas eine wichtige Rolle spielt, ausser, wenn Sklaverei thematisiert wird, und da wird der Brief halt von beiden Seiten fuer sich reklamiert, also auch als Bestaetigung der Vereinbarkeit von Sklaverei und Christentum verwendet. Bei der Frage, ob die Geschichten in der Bibel noch als ethische Lehrstuecke taugen, stehen wohl andere Texte im Vordergrund. Da ist Philemon nur ein Koernchen von vielen, die immer mehr Menschen die Waagschale auf der Seite der Ablehnung heruntergehen sehen.
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#53
In aller Kürze zu Thema Sklaverei und NT (das AT ist da noch viel deutlicher):

Kol 3,22: "Ihr Sklaven, seid gehorsam in allen Dingen euren irdischen Herren!"

1 Tim 6,1: "Alle, die als Sklaven unter dem Joch sind, sollen ihre Herren aller Ehre wert halten."

1. Petr 2,18: "Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen." 

1. Kor 7,20: "Jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde."


1. Petr 2, 20-21: "Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr um schlechter Taten willen geschlagen werdet und es geduldig ertragt? Aber wenn ihr um guter Taten willen leidet und es ertragt, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch."
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#54
(22-08-2017, 09:50)scilla schrieb: Welche Texte seit der Antike sind denn Deiner Meinung nach so bedeutend wie die Evangelien? Wer konnte da mithalten?

1) wahrscheinlich DANTE mit der Göttlichen Komödie

2) wahrscheinlich GOETHE kurz vor seinem Tod

3) SHAKESPEARE würde in die Reihe passen,

Schöne Liste. Das sind alles Geschichten, auch wenn sie die literarische Form eines Theaterstücks haben. Goethe und Shakespeare haben ganz gut überlebt; letzterer vielleicht etwas besser. Dazu kommen noch die Grimmschen Märchen, die Nibelungen, die Ode an die Freude und aktuell Harry Potter. Fehlt - unabhängig von den persönlichen Vorlieben - irgendwas?

Der Wert von Homer, der Torah und den Evangelien liegt m.E. nicht nur in ihrer Eigenschaft als mögliches Moral- und Ethikbuch, sondern zu einem wesentlichen Teil auch an ihrer Anziehungskraft als Erzählung. Dass einer willentlich nach Jerusalem zieht, um sich von seinen Feinden kreuzigen zu lassen, wird wohl auf ewig eine Subversion "realitäts"-bezogener Logik bleiben und dadurch Reibungsfläche bieten.
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#55
(23-08-2017, 21:19)Kunigunde Kreuzerin schrieb: Schöne Liste. Das sind alles Geschichten, auch wenn sie die literarische Form eines Theaterstücks haben. Goethe und Shakespeare haben ganz gut überlebt; letzterer vielleicht etwas besser. Dazu kommen noch die Grimmschen Märchen, die Nibelungen, die Ode an die Freude und aktuell Harry Potter. Fehlt - unabhängig von den persönlichen Vorlieben - irgendwas?

Der Wert von Homer, der Torah und den Evangelien liegt m.E. nicht nur in ihrer Eigenschaft als mögliches Moral- und Ethikbuch, sondern zu einem wesentlichen Teil auch an ihrer Anziehungskraft als Erzählung. Dass einer willentlich nach Jerusalem zieht, um sich von seinen Feinden kreuzigen zu lassen, wird wohl auf ewig eine Subversion "realitäts"-bezogener Logik bleiben und dadurch Reibungsfläche bieten.

An modernen Maerchen, die weite Kreise zogen, gibt's neben Harry Potter noch Sachen wie der Herr der Ringe oder zum Teil auch Star Wars. Auch dort geht es um ewig Menschliches, eingebettet in teils fantastische Erzaehlungen. "Jedi" schaffte es in einigen Laendern sogar in die offiziellen Religionsstatistiken, auch wenn das mittlerweile wieder am Verschwinden ist.
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#56
(23-08-2017, 22:29)Ulan schrieb: "Jedi" schaffte es in einigen Laendern sogar in die offiziellen Religionsstatistiken

Da sieht man wieder den gemeinschaftsbildenden Faktor.
Wenn genug Leuten bestimmte Geschichten wichtig sind, sie Lehren und Inspiration daraus ziehen können, dann taugen auch Star Wars und Herr der Ringe als 'heilige Schriften'.

In Heavy-Metal-Kreisen gilt übrigens Lemmy als Gott, und daran gibt es nichts zu hinterfragen. *g*
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#57
(20-08-2017, 10:41)Ulan schrieb: Was mir bei Deinen Definitionsversuchen fehlte, war, dem Begriff einen Inhalt zuzuweisen.

Ich greife diesen Punkt nochmal heraus.
Hier kann es nur darum gehen, welchen Inhalt ich dem Begriff (in meinem Fall der Heiligkeit des Koran) zuweise.

Das kann ich gerne erläutern:

Ich habe die grundlegenden Werte wie 'nicht lügen, 'nicht stehlen', 'niemandem Gewalt antun','hilfsbereit sein','bescheiden sein', etc. in einem islamischen Rahmen anerzogen bekommen.
Mit den islamischen Geschichten und dem Koran bin ich großgeworden, sie haben mich geprägt, und daher sehe ich da für mich Bedeutungen, die ein außenstehender Fragesteller, der wissen will, was daran denn 'heilig' sein soll, eben nicht sieht.

Ebenso sehe ich etwa in den grundlegenden islamischen Vorgaben, den 'Säulen des Islams', durchaus Lehrstücke.
Z.B. verstehe ich das Fasten als Aufforderung zur Disziplin und verantwortungsvollem Umgang mit Lebens- und Genussmitteln.
Die Almosengabe ist ein Auftrag zur Nächstenliebe und stetigem Beistand gegenüber Bedürftigen.

Auch eine Pilgerfahrt nach Mekka würde mich durchaus reizen. Vor allem gemeinsam mit meinem Vater wäre das ein herausragendes Erlebnis.
Leider ist das keine einfache Kaffeefahrt, viel zu anstrengend und teuer.

Ich hoffe, ich habe damit dem Begriff genug Inhalt zugewiesen.
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#58
(23-08-2017, 13:00)HJS6102 schrieb: In aller Kürze zu Thema Sklaverei und NT (das AT ist da noch viel deutlicher):

Kol 3,22: "Ihr Sklaven, seid gehorsam in allen Dingen euren irdischen Herren!"

1 Tim 6,1: "Alle, die als Sklaven unter dem Joch sind, sollen ihre Herren aller Ehre wert halten."

1. Petr 2,18: "Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen." 

1. Kor 7,20: "Jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde."


1. Petr 2, 20-21: "Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr um schlechter Taten willen geschlagen werdet und es geduldig ertragt? Aber wenn ihr um guter Taten willen leidet und es ertragt, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch."

sind das Evangelien?

das würde mich interessieren
das würde ja alles auf den Kopf stellen
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#59
Das sind die Briefe, die angeblich von Paulus und Petrus stammen. Wenn man die Evangelien ernst nimmt, dann aber auch diese Briefe.
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#60
(23-08-2017, 22:29)Ulan schrieb: An modernen Maerchen, die weite Kreise zogen, gibt's neben Harry Potter noch Sachen wie der Herr der Ringe oder zum Teil auch Star Wars. Auch dort geht es um ewig Menschliches, eingebettet in teils fantastische Erzaehlungen. "Jedi" schaffte es in einigen Laendern sogar in die offiziellen Religionsstatistiken, auch wenn das mittlerweile wieder am Verschwinden ist.

Ja, die gehören unbedingt dazu (wenn ich da so an einige meiner Freunde denke  Icon_cheesygrin )
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