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Was ist ein Erdkind ?
#1
Die Lehre oder eigentlich Geheimlehre der etrurischen Haruspizes wäre ihrer nach außen mitgeteilten Überlieferung nach so aufgekommen, daß eine Art Bauer beim Pflügen auf dem Feld ein greises Erdkind freilegte, das ihm dann die Kunst der Haruspizes weitergab.

Hinweis auf eine chthonische Religion ?


Bitte nicht "Erdkind" ins Google eingeben.  So "gescheit" war ich selber schon und fand dann irgend einen Schmarrn von Montessori
Was sind Erdkinder? - montessori-schoolfarm-deutschland
https://www.montessori-schoolfarm.de/für...-erdkinder
Das hat natürlich keinerlei Wert
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#2
Tages (oder besser Tarchies) war der legendaere Gruendungsprophet der etruskischen Religion (oder auch Gott der Weisheit). Leider ist die Etrusca Disciplina, das Buch, das in etruskischer Sprache die Offenbarungen des Tages enthielt, schon lange verloren gegangen. Eventuell war das Buch auch eine Mischung aus altem Latein und Etruskisch, wenn man dem letzten Bericht darueber durch Johannes Lydos (6. Jhdt.) Glauben schenken kann; er sagte, die Antworten des Tages waeren auf Etruskisch gewesen, und er (Johannes Lydos) haette sich auf Uebersetzungen verlassen muessen, von denen auch nichts erhalten ist. Etruskisch konnte zu der Zeit niemand mehr lesen. Wir haben aber eine ungefaehre Vorstellung von den Titeln der einzelnen Buecher, die das Werk ausmachten (siehe Massimo Pallotino, Etruskologie. Birkhäuser, Basel 1988).

Als Quelle bleibt uns sonst noch ein alter Spiegel aus der Toskana des 3. Jhdts. v.Chr., der einen jugendlichen Haruspex mit der Bezeichnung "pavatarchies" zeigt, der die Leberschau einem aelteren, baertigen Haruspex erklaert, der "avl tarchunus" bezeichnet ist. Nach Massimo Pallotino bedeutet die erste Bezeichnung "das Kind, Tarchies" und die zweite "der Sohn des Tarchon". Tarchon ist der legendaere Koenig der Stadt Tarquinia (wo Tages herkommen soll), der die etruskische Liga gegruendet haben soll. Es gibt auch spaetere Abbidlungen aehnlicher Szenen, mit einem teils in einem Erdloch steckenden Kind mit altem Gesicht, das zu einem aelteren Mann spricht.

Was sonst noch bleibt, sind die Legendenverarbeitungen antiker Autoren, wie Ovid oder Cicero. Die Version, die Du da angedeutet hast, steht bei Cicero. Beim roemischen Grammatiker Festus (Sextus Pompeius Festus) steht in seiner "De Verborum Significatione", Tages sei der Sohn des Genius und Enkel des Jupiter gewesen.

Und da bleibt uns auf Deine eigentliche Frage "Hinweis auf eine chthonische Religion?" nur ein "naheliegend, aber alles weitere ist reine Spekulation" als Antwort. Die Beine in Schlangenform, die in Abbildungen zu finden sind, sind uebrigens ein weiterer Hinweis auf den chthonischen Ursprung. Allerdings bedeutet chthonischer Ursrpung keineswegs automatisch, dass auch die Verehrung in der Praxis spaeter chthonische Zuege gehabt haben sollte. Interesse bestand spaeter wohl nur an der Ursprungslegende und an der korrekten Durchfuehrung der Divinationen.

Geheim war daran eigentlich nur, dass ab einem gewissen Punkt kaum noch jemand Etruskisch lesen konnte. Die Julier sollen eine der letzten Familien gewesen sein, die noch ein wenig Etruskisch verstanden, bevor es vollkommen in Vergessenheit geriet.
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#3
Nun also: was ist ein Erdkind ?
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#4
(23-04-2017, 16:43)Sinai schrieb: Nun also: was ist ein Erdkind ?

Waren Dir fuenf Absaetze als Antwort nicht lang genug? Das "Erdkind" in Deiner Frage war Tages oder Tarchies, der etruskische Gott der Weisheit.

Konstruiere jetzt nicht kuenstlich aus Deiner spezifischen Wortwahl eine Kategorie. Nur weil man im Deutschen Woerter zusammenziehen kann, erlangt das so behandelte Wort nicht ploetzlich eine darueber hinaus reichende Bedeutung.
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#5
(23-04-2017, 13:44)Ulan schrieb: Als Quelle bleibt uns sonst noch ein alter Spiegel aus der Toskana des 3. Jhdts. v.Chr., der einen jugendlichen Haruspex mit der Bezeichnung "pavatarchies" zeigt.


Hier möchte ich endlich einmal etwas thematisieren, was mir schon lange ein Problem ist.
Was ist hier mit "Spiegel" gemeint? Immer wieder liest man bei den Etruskern von solchen.

Ist hier ein Kosmetikspiegel o dgl (Grabbeigabe) gemeint? Aber auf der Glasfläche kann man nur schwer schreiben oder zeichnen; allenfalls ätzen.
Aber wer täte so was? Das hätte ja den Spiegel ruiniert und entwertet!

Ist hier so ein 'Spiegel' (iSv Speyghel ) wie der berühmte sogenannte 'Sachsenspiegel' gemeint? Warum sagt man dann nicht, daß eine alte Pergamentschriftrolle oder eine alte Tontafel / Sandsteintafel / Kupfertafel gemeint ist?
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#6
(23-04-2017, 18:18)Ulan schrieb:
(23-04-2017, 16:43)Sinai schrieb: Nun also: was ist ein Erdkind ?

Waren Dir fuenf Absaetze als Antwort nicht lang genug? Das "Erdkind" in Deiner Frage war Tages oder Tarchies, der etruskische Gott der Weisheit.

Konstruiere jetzt nicht kuenstlich aus Deiner spezifischen Wortwahl eine Kategorie. Nur weil man im Deutschen Woerter zusammenziehen kann, erlangt das so behandelte Wort nicht ploetzlich eine darueber hinaus reichende Bedeutung.


Alles klar.
Aber warum steht dann nicht schlicht Erdgott ?   Warum ist von einem Kind die Rede ?
Ist hier vielleicht gemeint, daß die Ackererde so fruchtbar ist, daß sie Kinder gebären kann ?

So wie man ja bis 1800 fälschlich glaubte, daß Frösche durch die Zeugungskraft der Erde entstünden
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#7
(23-04-2017, 18:27)Sinai schrieb: Was ist hier mit "Spiegel" gemeint? Immer wieder liest man bei den Etruskern von solchen.

Antike Spiegel waren Metallscheiben, bei den Etruskern im allgemeinen aus Bronze, auf der einen Seite verziert (das ist die oben besprochene Darstellung), auf der anderen Seite blank poliert, als Spiegel eben. Die Scheiben waren oft in Holzrahmen eingesetzt, spaeter inklusive Griff aus einem Stueck Metall.

In der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien gibt es uebrigens 50 etruskische Bronzespiegel:
*http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.trinkl/forum/forum0308/forum46zhuber.pdf
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#8
(23-04-2017, 18:33)Sinai schrieb: Alles klar.
Aber warum steht dann nicht schlicht Erdgott ?   Warum ist von einem Kind die Rede ?
Ist hier vielleicht gemeint, daß die Ackererde so fruchtbar ist, daß sie Kinder gebären kann ?

Nun, es gibt ja mehrere Sagen dieser Art, mit verschiedenen Goettern. Z.B. man denke an die Sage von Demeter und Iasion, die auf einem Feld, das brachgelegen hatte und dreimal gepfluegt wurde, miteinander geschlafen hatten, und aus dem das Kind "Plutos" entsprang, also "Reichtum" (hier insbesondere landwirtschaftlicher Reichtum). Mit Pfluegen und Ackerbau waren gewisse Fruchtbarkeitsrituale verbunden. Man denke hier auch an die Trias von Eleusis: Demeter, Kore und Pluton.

Warum Tarchies ein Kind ist? Wohl, weil er gerade geboren wurde. Er ist gleichzeitig alt im Gesicht, da er weise ist. Das ist einfache Symbolik.
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#9
Danke.
Zwei sehr interessante Beiträge
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#10
Noch was:  es ist immer wieder von etruskischen Mumienbinden die Rede.
Kannten die die Mumien ?   Verfahrensimport und/oder Kultusimport aus dem Niltal - oder eigenständige Entwicklung ?
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#11
(23-04-2017, 18:53)Sinai schrieb: Noch was:  es ist immer wieder von etruskischen Mumienbinden die Rede.
Kannten die die Mumien ?   Verfahrensimport und/oder Kultusimport aus dem Niltal - oder eigenständige Entwicklung ?

Nein, auch hier handelt es sich um eine aegyptische Mumie aus Alexandria. Zufaelligerweise wurde fuer das Bandagieren einer aegyptischen Mumie ein etruskischer Text verwendet, aus einem Leinenbuch. Dieses wurde dafuer in Stuecke gerissen. Dabei handelt es sich um den laengsten uns heute bekannten etruskischen Text. Fuer naeheres siehe Agramer Mumienbinde.
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#12
Danke für den Hinweis zu dieser Mumie.
Könnte es sein, daß es sich um eine reiche Auslandsetruskerin handelte, eine Expatriate, die auf Geschäftsreise (Etruskerinnen waren emazipiert) im fernen Alexandria verstarb und dort in der Etruskerkolonie in Alexandria vom Haruspex nach etruskischer Art rituell bandagiert wurde?
Die rituellen Texte dürften wohl ein Hinweis darauf sein.
(Daß eine vornehme Ägypterin in einen magischen Etruskertext gewickelt worden wäre, halte ich für äußerst fraglich)


Nun eine andere interessante Frage: im heutigen Judentum gibt es keine Mumifizierung; zur Zeit des Tempels dürfte dies aber offenbar üblich gewesen sein - wie selbstverständlich schreibt der Jude Johannes darüber:
   
Joh 11,43
Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!

Joh 11,44
Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!

Endete das mumifizieren der Juden im Jahre 70 ?
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#13
(23-04-2017, 21:50)Sinai schrieb: Danke für den Hinweis zu dieser Mumie.
Könnte es sein, daß es sich um eine reiche Auslandsetruskerin handelte, eine Expatriate, die auf Geschäftsreise (Etruskerinnen waren emazipiert) im fernen Alexandria verstarb und dort in der Etruskerkolonie in Alexandria vom Haruspex nach etruskischer Art rituell bandagiert wurde?
Die rituellen Texte dürften wohl ein Hinweis darauf sein.
(Daß eine vornehme Ägypterin in einen magischen Etruskertext gewickelt worden wäre, halte ich für äußerst fraglich)

Nein, die Dame hiess Nesi-hensu und war die Gattin eines Schneiders aus Theben, wie aus ihrem Begleit-Papyrus hervorging. Dass irgendwelche Texte (also gebrauchter Papyrus und Leinen) fuer aegyptische Mumienbinden recycelt wurden, war gaengige Praxis. Es gibt auch z.B. Textteile des Markusevangeliums auf einer Mumienmaske. Aegyptische Mumien sind also auch grossartige Fundstellen fuer antike Texte, wobei die meisten Texte natuerlich neben Bibeltexten auch griechische Klassiker, Geschaeftsbriefe, Privatschreiben und andere gewoehnliche Texte darstellen. Von philosophischen Abhandlungen bis Homer findet man praktisch alles. Die inneren Lagen sah ja niemand.

Es gibt keine etruskischen Mumien. Auch bei den Juden gab es keine Mumifizierung. Bei letzteren wurde der Leichnam in das Familiengrab gebracht, in eine Steinnische gelegt, und nachdem sich das Fleisch zersetzt hatte, wurden die Knochen eingesammelt und in einen Knochenkasten (Ossuar) getan. Die Nische konnte dann wiederverwendet werden.
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#14
(23-04-2017, 22:18)Ulan schrieb: bei den Juden gab es keine Mumifizierung.

Warum wurde dann der Jude Lazarus in Binden gewickelt ??
Und der Jude Johannes stieß sich nicht daran, auch der immerhin als Rabbi angeredete Jude Jesus nicht ?

Ganz offenbar war das damals vor dem Jahre 70 üblich und wird heute von den Juden abgestritten.
Ein Paradigmenwechsel muß - allen Beteuerungen zum Trotz - im Judentum nach 70 stattgefunden haben. Siehe auch den Schwenk vom patrilinearen Judentum zum matrilinearen Judentum
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#15
(23-04-2017, 22:18)Ulan schrieb:
(23-04-2017, 21:50)Sinai schrieb: Danke für den Hinweis zu dieser Mumie.
Könnte es sein, daß es sich um eine reiche Auslandsetruskerin handelte, eine Expatriate, die auf Geschäftsreise (Etruskerinnen waren emazipiert) im fernen Alexandria verstarb und dort in der Etruskerkolonie in Alexandria vom Haruspex nach etruskischer Art rituell bandagiert wurde?
Die rituellen Texte dürften wohl ein Hinweis darauf sein.
(Daß eine vornehme Ägypterin in einen magischen Etruskertext gewickelt worden wäre, halte ich für äußerst fraglich)

Nein, die Dame hiess Nesi-hensu und war die Gattin eines Schneiders aus Theben, wie aus ihrem Begleit-Papyrus hervorging.

Daß fremdländische Frauen bei der Heirat ägyptische Namen bzw Rufnamen erhielten, war nicht ungewöhnlich. Siehe die nach Ägypten kommende Prinzessin aus dem Lande Mitanni. Sie erhielt sehr höflich den ägyptischen Rufnamen Nofretete. "Die Schöne ist gekommen!"
Und daß ein offenbar sehr reicher (mumifizieren war teuer!) "Schneider" oder wahrscheinlich besser Textilindustrieller aus Theben eine fremdländische Frau hatte, war in ptolemäischer Zeit so ungewöhnlich nicht.
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