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Unterwelten, Totenreiche
#1
Vorstellungen von Unterwelten und Totenreichen hat es in allen Kulturen und zu allen Zeiten gegeben. Die am weitesten verbreitete Annahme war, dass die Menschen nach dem Tod in eine finstere Unterwelt eingehen. Die ↗Bestattung diente dazu, die Toten in die Nähe zu dieser Unterwelt, in die Nähe zum Totenreich zu  bringen. Das ↗Grab war als eine Art Vorraum zum Totenreich gedacht, das man sich überwiegend in der Tiefe des Erdinneren gelegen vorstellte.

Die ältesten überlieferten Beschreibungen solcher Jenseitswelten entstanden in der ersten Hälfte des  2. Jahrtausends vor Christi in ↗Mesopotamien. ↗Sumerische und ↗akkadische Texte zeigen, dass man sich das Dasein in dieser Unterwelt unangenehm vorgestellt hatte. Ob man ein guter oder schlechter Mensch gewesen war, hatte für die Zeit nach dem Tod keine Bedeutung. Eindrucksvoll geschildert wird die mesopotamische Unterwelt in einem Text über den Hinabstieg der sumerischen Himmelskönigin ↗Inanna (die bei den Akkadern ↗Ischtar geheißen hat), als diese ihre Schwester, die Unterweltsgöttin ↗Ereschkigal in ihrem Reich aufsuchte1.

Nahezu alle Kulturen stellten sich ihre Totenreiche als freudlose, finstere Orte vor, wo die Verstorbenen zeitlos dahindösten. Zwar gab es durchaus auch Straforte in diesen Totenreichen - die Griechen nannten einen solchen beispielsweise ↗Tartaros -, doch waren antike Totenreiche in der Regel nicht ↗"die Hölle", wie sie sich ↗Christen und ↗Muslime vorstellen.

Vorstellungen von Jenseitswelten als Straf- bzw. Belohnungsorte sind vornehmlich dem ↗Zoroastrismus entlehnt und wurden durch christliche und islamische ↗Traditionen mit – vielfach auch recht abwegigen – Details angereichert.

Für die ↗Ägypter war das Totenreich "der Ort im Westen" (der Ort der Finsternis, dort, wo die Sonne unterging), für die ↗Israeliten die (bzw. der) ↗"Scheol", die ↗Griechen nannten ihr Totenreich ↗"Hades", die ↗Germanen ↗"Hel", um die geläufigsten Beispiele anzumerken.

Ein ↗Himmel (ein ↗Paradies) als Belohnungsort2 (in dem, wie sich das die Perser vorstellten, ↗Ahura Mazda herrscht) und eine Hölle als Strafort, wo sündige Menschen Qualen erleiden müssen, sind erstmals in indoiranischen Texten3, die um etwa 1000 vC entstanden waren, greifbar. Deutlicher gefasst werden solche Vorstellungen zwischen 700 – 500 vC in zoroastrischen Texten4.

1) Minois S. 21f.

2) Das griechische ↗Elysion (lat. Elysium), wie es ↗Hesiod in "Werke und Tage" (170f.) erwähnt, war nicht als Belohnungsort für gute Menschen gedacht gewesen. Es war als angenehmer Aufenthaltsort für Heroen und Götterfreunde gedacht. Diese wurden, stellte man sich vor, nach Ablauf ihres Erdenlebens in die Elysischen Gefilde versetzt, wo sie in Seligkeit weiterexistierten. Vergleichbar war bei den Germanen ↗Wallhall nicht als Belohnungsort für gute Menschen, sondern für im Kampf gefallene Krieger gedacht gewesen.

3) Widengren S.40
4) Minois S. 50ff.


Literatur:
Geo Widengren. Die Religionen Irans. 1965 Stuttgart, Verl. Kohlhammer.
Georges Minois. Die Hölle. Zur Geschichte einer Fiktion.  1994 München, Verl. Eugen Diederichs.



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MfG B.
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