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Wie geht Jesus mit der jüdischen Tradition um? (Bergpredigt)
#1
Hallo,

ich habe bereits herausgefunden dass Jesus die Thora in der Bergpredigt bejaht. Was ich allerdings noch nicht herausfinden konnte ist was er zu den Traditionen sagt.
Weiß von euch jemand wie Jesus mit den Traditionen umgeht? Oder sind Tradition und Thora das gleiche?

LG
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#2
(12-05-2016, 22:56)Fabian schrieb: Sind Tradition und Thora das gleiche?


Hallo Fabian.
Es ist Dein 1. Beitrag im Forum. Willkommen!

Ich denke, Du wolltest fragen, wie Jesus mit der jüdischen SITTE umgeht.

Denn unter dem Wort "Tradition" versteht das pharisäische Judentum das sogenannte "mündliche" Gesetz.  Und zwar nur das pharisäische Judentum, das allerdings heute das Mainstream-Judentum darstellt; das Mainstream-Judentum deshalb, weil das sich selbst so nennende "orthodoxe" Judentum voll auf dem Talmud aufbaut, und das riesige "liberale" Judentum zumindest sein matriarchalisches Abstammungsrecht auf dem Talmud aufbaut.

Schwierige Definition. Mußt drei Mal lesen. Kann nichts dafür, daß das so kompliziert ist.

Ein Gesetz ist laut deutscher Rechtsterminologie schriftliches Recht, somit gibt es eigentlich kein "mündliches Gesetz", genausowenig wie eine eckige Kugel

Aber sei's drum. Lassen wir den Pharisäern diese Freiheit in der deutschen Sprache.

An sich ist die Position der Pharisäer logisch nicht ganz widerlegbar, denn auch laut der Thora zeigte immerhin Gott dem Moses am Berge verschiedene Kultgegenstände (unter anderem die Dochtscheren) und sagte ihm, daß sie so anzufertigen sind wie er, Moses, sie gesehen hat. Hier bietet die Thora eben keine schriftliche Anleitung - fordert aber die Anfertigung der Dochtscheren so wie sie Moses gezeigt wurden. Hier haben wir eine ungeschriebene Norm. Die dann von Generation zu Generation mündlich tradiert wurde.
(Allerdings ganz mündlich ist das nicht, sondern eher visuell. Anschauen wie das Muster aussieht tut man mit den Augen und nicht mit den Ohren.)

OK, machen wir den Pharisäern halt die Freude und sagen wir ausnahmsweise "mündliches Gesetz" dazu.
Dieses mündliche Recht oder "mündliche Gesetz" wurde von Generation zu Generation weitergegeben.
Nach Zerstörung des Tempels durch Rom kam es zur zwangsweisen Phase der Diaspora.
Denn freiwillige Diaspora aus wirtschaftlichen Motiven gab es bereits vor dem Jüdischen Krieg. Siehe die Herkunft des Saulus von Tarsus.
In der Zwangsdiaspora drohte dem Judentum dann die Gefahr der Zerreißung.
Denn von der Atlantikküste nach Mesopotamien ist es weit.

Um die Einheitlichkeit des Kultus zu wahren, verschrifteten die Pharisäer nun ihr mündliches Recht oder "mündliches Gesetz" und nannten es TALMUD. "Die Lernung" (Rabbiner Roland Gradwohl)
Dieser Talmud ist nun aus Sicht des pharisäischen - nunmehr talmudischen Judentums die "TRADITION"

Die Sadduzäer lehnten seit je her das mündliche Recht oder "mündliche Gesetz" der Pharisäer ab. Auch das nun längst verschriftete mündliche Recht oder "mündliche Gesetz"  namens TALMUD.

Im Streit zwischen Pharisäern und Sadduzäern versuchte Rabbi Maimonides zu vermitteln. Versuchte!

Nun zu Deinem Thema:
Du willst offenbar diskutieren, wie Jesus im Allgemeinen, und in der Bergpredigt im Besonderen, zum Judentum steht.
a)  zu den 613 Normen der Thora, wie sie von den Sadduzäern (Hohepriestern) ausgelegt wurden,
b)  zur "Tradition" der Pharisäer mit ihren "mündlichen" Normen zur Konkretisierung der Thora

Ein spannendes, großes Thema
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#3
Auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen und viel Freude an unseren Diskussionen!

Zur Sache: Ich (evangelischer Christ) habe gelernt, dass Jesus vollständig in den Traditionen seines Umfelds gelebt hat. Vieles, was wir als Kontroversen lesen, ist nichts anderes als"typisch jüdischer Disput". Es scheint so, als hätten Jesu Nachfolger daraus eine Kontroverse zur jüdischen Theokratie (Hohepriester, Schriftgelehrte etc.) konstruiert, wahrscheinlich um im römischen Reich salongfähig zu sein.
Die in den Evangelien überlieferten Dispute deuten darauf hin, dass Jesus ganz der jüdischen Tradition folgt.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#4
(12-05-2016, 22:56)Fabian schrieb: Hallo,

ich habe bereits herausgefunden dass Jesus die Thora in der Bergpredigt bejaht. Was ich allerdings noch nicht herausfinden konnte ist was er zu den Traditionen sagt.
Weiß von euch jemand wie Jesus mit den Traditionen umgeht? Oder sind Tradition und Thora das gleiche?

LG

Hallo Fabian, herzlich Willkommen. Das ist ein sehr interessantes Problem, das Du Dir hier fuer Deine erste Frage ausgesucht hast.

Fuer das Weiterbestehen des Gesetzes (auch gerne von islamischen "Rekrutierern" benutzt) wird oft Matthaeus 5 zitiert:

17 Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.
18 Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.5
19 Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.
20 Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Das koennte man jetzt so interpretieren, dass Jesus die kompletten juedischen Vorschriften (das mosaische Gesetz) als verbindlich vorausgesetzt hat. Allerdings verkennt das die gesamte Stossrichtung der Schriften des Paulus und der Evangelien. Beide versuchen in ihrem Inhalt das kleingliedrige juedische Gesetz zu ueberwinden. Bei Paulus macht sich das vor allem an der Beschneidungsfrage fest (er lehnt deren Verbindlichkeit ab), und bei Jesus wird das an der Sabbatfrage festgemacht. Der Sabbatstreit ist im Kapitel 12 von Matthaeus aufgezeigt:

1 In jener Zeit ging Jesus an einem Sabbat durch die Kornfelder. Seine Jünger hatten Hunger; sie rissen deshalb Ähren ab und aßen davon.
2 Die Pharisäer sahen es und sagten zu ihm: Sieh her, deine Jünger tun etwas, das am Sabbat verboten ist.
3 Da sagte er zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren -
4 wie er in das Haus Gottes ging und wie sie die heiligen Brote aßen, die weder er noch seine Begleiter, sondern nur die Priester essen durften?
5 Oder habt ihr nicht im Gesetz gelesen, dass am Sabbat die Priester im Tempel den Sabbat entweihen, ohne sich schuldig zu machen?
6 Ich sage euch: Hier ist einer, der größer ist als der Tempel.
7 Wenn ihr begriffen hättet, was das heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer, dann hättet ihr nicht Unschuldige verurteilt;
8 denn der Menschensohn ist Herr über den Sabbat.

9 Darauf verließ er sie und ging in ihre Synagoge.
10 Dort saß ein Mann, dessen Hand verdorrt war. Sie fragten ihn: Ist es am Sabbat erlaubt zu heilen? Sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn.1
11 Er antwortete: Wer von euch wird, wenn ihm am Sabbat sein Schaf in eine Grube fällt, es nicht sofort wieder herausziehen?
12 Und wie viel mehr ist ein Mensch wert als ein Schaf! Darum ist es am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun.
13 Dann sagte er zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus, und die Hand war wieder ebenso gesund wie die andere.
14 Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen.

All dies zeigt, dass es Jesus hier um den inneren Sinn des Gesetzes geht, naemlich ein menschliches Miteinander zu ermoeglichen. Historisch mag es sein, dass wir hier eine Art Reformjudentum sehen, die weg vom starren Legalismus hin zu einem "menschlichen" Gesetz gehen wollte. Menschlichkeit hat immer Vorrang. Schoen zusammengefasst finden wir das wieder bei Matthaeus im Kapitel 7, die sogenannte Goldene Regel:

12 Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.
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#5
(14-05-2016, 21:35)Ulan schrieb: Bis Himmel und Erde vergehen

Soll das etwa heißen, daß auch der Himmel vergehen wird ?

Ist ja klar, daß sie den Jesus erschlagen haben für so eine Frechheit.
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#6
(14-05-2016, 21:51)Sinai schrieb:
(14-05-2016, 21:35)Ulan schrieb: Bis Himmel und Erde vergehen

Soll das etwa heißen, daß auch der Himmel vergehen wird ?

Nein. Es ist ein etwas poetischer Ausdruck fuer "nie".
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#7
(14-05-2016, 22:35)Ulan schrieb:
(14-05-2016, 21:51)Sinai schrieb:
(14-05-2016, 21:35)Ulan schrieb: Bis Himmel und Erde vergehen

Soll das etwa heißen, daß auch der Himmel vergehen wird ?
Ist ja klar, daß sie den Jesus erschlagen haben für so eine Frechheit.

Nein. Es ist ein etwas poetischer Ausdruck fuer "nie".


Im Donautal gibt es einen, der heißt "Gottfried"
Der Gute hat auch "poetisch" zu plaudern begonnen, jetzt hat er die Rechnung dafür

Im Ernst jetzt:
Die Urchristen behaupteten ja Stein und Bein, daß die Erde bald vergehen wird
Da gibt es etliche Schriftstellen !

Wenn nun der Obermacher dieser Bande öffentlich poetisch daher plaudert,´"Bis Himmel und Erde vergehen" , dann hätte er gleich von der Tempelmauer springen können. Wäre schneller gegangen
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