11-05-2016, 18:10
Waren die Ideologien und Tötungsbewegungen des 20. Jahrhunderts Ersatzreligionen?
Durch Aufklärung und Fortschritt geriet das Christentum in eine Krise; mit seinem Drohen und Warnen vor Apokalypse und Höllenstrafen konnte es nicht mehr überzeugen, es verlor an Glaubwürdigkeit. „Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen“ (Gilbert Keith Chesterton). Die Menschen wollten nicht aufhören zu glauben, dass noch irgendwo etwas Besseres auf sie warten müsse – etwas, das sie von allem „erlöst“. Diese Hoffnung bedienten Nationalsozialismus und Kommunismus, die beide auf ihre Weise das Paradies auf Erden versprachen. Ihre Stifter und Prediger waren (wie schon die des Christentums und des Islam) getrieben von einer Katastrophenvision und verstanden es, ihre Erregung auf die Menschen zu übertragen, die wiederum den „Heilscode“ in ihrer Sprache erkannten. Als Gott fungierten die „Natur“ (für den Nationalsozialismus) und die „Geschichte“ (für den Marxismus-Leninismus). Die Totalitarismen stiegen zu säkularen Ersatzreligionen auf, auch weil sie die klassisch religiöse Vorstellung übernahmen, mit einem einzigen, „reinigenden“ Blutakt zu einer Totallösung kommen zu können.
Den Versuch, das Paradies auf Erden („Tausendjährige Reich“) zu erzwingen, unternahmen in Mitteleuropa bereits chiliastisch-messianische Bewegungen zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert – und bereits sie erklärten den „Juden“ und den „Bourgeois“ („Wucherer“) zum Übel schlechthin. Diese Fantasien lebten weiter und kehrten dann im 20. Jahrhundert als eine Art säkular-militanter Chiliasmus wieder zurück.
Zufall oder Kontinuität?
Zur Vertiefung:
- Cohn, Norman: Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern 1961.
- Fleischer, Tom: Welten im Zusammenbruch. Katastrophen, Menschen, Zivilisation, Band I, Hamburg 2016.
Durch Aufklärung und Fortschritt geriet das Christentum in eine Krise; mit seinem Drohen und Warnen vor Apokalypse und Höllenstrafen konnte es nicht mehr überzeugen, es verlor an Glaubwürdigkeit. „Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen“ (Gilbert Keith Chesterton). Die Menschen wollten nicht aufhören zu glauben, dass noch irgendwo etwas Besseres auf sie warten müsse – etwas, das sie von allem „erlöst“. Diese Hoffnung bedienten Nationalsozialismus und Kommunismus, die beide auf ihre Weise das Paradies auf Erden versprachen. Ihre Stifter und Prediger waren (wie schon die des Christentums und des Islam) getrieben von einer Katastrophenvision und verstanden es, ihre Erregung auf die Menschen zu übertragen, die wiederum den „Heilscode“ in ihrer Sprache erkannten. Als Gott fungierten die „Natur“ (für den Nationalsozialismus) und die „Geschichte“ (für den Marxismus-Leninismus). Die Totalitarismen stiegen zu säkularen Ersatzreligionen auf, auch weil sie die klassisch religiöse Vorstellung übernahmen, mit einem einzigen, „reinigenden“ Blutakt zu einer Totallösung kommen zu können.
Den Versuch, das Paradies auf Erden („Tausendjährige Reich“) zu erzwingen, unternahmen in Mitteleuropa bereits chiliastisch-messianische Bewegungen zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert – und bereits sie erklärten den „Juden“ und den „Bourgeois“ („Wucherer“) zum Übel schlechthin. Diese Fantasien lebten weiter und kehrten dann im 20. Jahrhundert als eine Art säkular-militanter Chiliasmus wieder zurück.
Zufall oder Kontinuität?
Zur Vertiefung:
- Cohn, Norman: Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern 1961.
- Fleischer, Tom: Welten im Zusammenbruch. Katastrophen, Menschen, Zivilisation, Band I, Hamburg 2016.