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säkulare Ersatzreligionen?
#1
Waren die Ideologien und Tötungsbewegungen des 20. Jahrhunderts Ersatzreligionen?

Durch Aufklärung und Fortschritt geriet das Christentum in eine Krise; mit seinem Drohen und Warnen vor Apokalypse und Höllenstrafen konnte es nicht mehr überzeugen, es verlor an Glaubwürdigkeit. „Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen“ (Gilbert Keith Chesterton). Die Menschen wollten nicht aufhören zu glauben, dass noch irgendwo etwas Besseres auf sie warten müsse – etwas, das sie von allem „erlöst“. Diese Hoffnung bedienten Nationalsozialismus und Kommunismus, die beide auf ihre Weise das Paradies auf Erden versprachen. Ihre Stifter und Prediger waren (wie schon die des Christentums und des Islam) getrieben von einer Katastrophenvision und verstanden es, ihre Erregung auf die Menschen zu übertragen, die wiederum den „Heilscode“ in ihrer Sprache erkannten. Als Gott fungierten die „Natur“ (für den Nationalsozialismus) und die „Geschichte“ (für den Marxismus-Leninismus). Die Totalitarismen stiegen zu säkularen Ersatzreligionen auf, auch weil sie die klassisch religiöse Vorstellung übernahmen, mit einem einzigen, „reinigenden“ Blutakt zu einer Totallösung kommen zu können.
Den Versuch, das Paradies auf Erden („Tausendjährige Reich“) zu erzwingen, unternahmen in Mitteleuropa bereits chiliastisch-messianische Bewegungen zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert – und bereits sie erklärten den „Juden“ und den „Bourgeois“ („Wucherer“) zum Übel schlechthin. Diese Fantasien lebten weiter und kehrten dann im 20. Jahrhundert als eine Art säkular-militanter Chiliasmus wieder zurück.

Zufall oder Kontinuität?


Zur Vertiefung:
- Cohn, Norman: Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern 1961.
- Fleischer, Tom: Welten im Zusammenbruch. Katastrophen, Menschen, Zivilisation, Band I, Hamburg 2016.
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#2
Dem stimme ich weitgehend zu.
Doch ist es nicht allgemeiner so, dass ungefestigte Ansichten und Ängste (!) jedweder Ideologie die Tore öffnet, hinter denen die eigene Gesellschaft das Gute schlechthin ist, und alle anderen die Bösen sind, die es zu vernichten gilt.
Es ist geradezu ein Markenzeichen für eine Ideologie, dass sie suggeriert, man selbst gehöre zu den Guten, aufwärts-Strebenden, Edlen. Im Grunde handelt es sich um gezielte Blendung vor den Bedürfnissen aller. War übrigens den Kirchen auch nicht fremd.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#3
(11-05-2016, 18:10)recru443 schrieb: Ihre Stifter und Prediger waren (wie schon die des Christentums und des Islam) getrieben von einer Katastrophenvision und verstanden es, ihre Erregung auf die Menschen zu übertragen


Na ja, wenn Millionen verhungern, dann ist das keine "Katastrophenvision"  sondern eine echte Katastrophe !
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#4
(11-05-2016, 18:10)rechtMotiverecru443 schrieb: Zufall oder Kontinuität?

Welche tiefer liegenden Motive/Gründe stecken hinter dem Bedürfnis vieler Menschen, immer zu den Guten gehören zu müssen...?
Die Nächsten die uns am nächsten stehen, sind in der Regel unsere eigenen Kinder..
..........Dem eigenen Genpol (s)eine "Überlebensnische" zu sichern, an der auch andere Genpole interessiert sind.
Man muss also immer mit denen kooperieren die auch selber mit einem kooperieren müssen, um die vielen potentiellen Rivalen (die Konkurrenz) am Acker am Futter und vor der Gebärmutter auf Abstand zu halten.

Dafür braucht es dann auch immer jede Menge Rechtfertigungen, die von höherer Stelle "autoritärer Stelle) gerechtfertigt/autorisiert sein müssen.
Deswegen spricht man ja auch nur dann von "Ge-rechtigkeit", wenn sie nicht mehr von einem selber gemacht ist..

Um diese Gerechtigkeit  geltend und als Recht rechtfertigend machen zu können braucht es die entsprechende Regeln und dazu passenden Feindbilder, welche durch die Gerechtigkeits-Regeln selbst definiert sind.

In Gesellschaften, in denen diese übergeordneten Gerechtigkeitsregel besonders autoritär verankert sind, kommt es von daher sehr häufig zu irrationalen Unverhältmäßigkeiten gegenüber Verstößen und Abweichungen.
Allein schon ein Verdacht genügt..um in der Schwarm-Dynamik alle angeborenen Beiß-Hemmungen gegenüber potentiellen Schand-Tätern außer Kraft zu setzen..

Um so übersteigerter das Gerechtigkeitsempfinden eines Individuums/einer Gesellschaftsordnung


  um so unverhältnismäßiger seine/ihre Rachegefühle. Unverhältnismäße Rache hat folglich immer auch unverhältnismäßige Gegenangriffe zur folge..
Das ist leider ein Naturgesetzt..
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#5
(12-05-2016, 10:38)Sinai schrieb:
(11-05-2016, 18:10)recru443 schrieb: Ihre Stifter und Prediger waren (wie schon die des Christentums und des Islam) getrieben von einer Katastrophenvision und verstanden es, ihre Erregung auf die Menschen zu übertragen


Na ja, wenn Millionen verhungern, dann ist das keine "Katastrophenvision"  sondern eine echte Katastrophe !

Sind die Ausbeutung und das Elend im 19. Jahrhundert gemeint? Das war natürlich eine Katastrophe. Doch egal ob real oder "Vision" - entscheindend ist die Wahrnehmung und wie reagiert wird: rational-reformerisch oder metaphysierend-revolutionär. Die Industrialisierung führte zu Zuständen, die unmenschlich waren, aber eben nicht übermenschlich oder gar übernatürlich, wie die Marxisten(-Leninisten) behaupteten.
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