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Ein Paradoxon!?!?
#1
These: Ein mit der Realität zufriedener Mensch braucht keinen Glauben und keine Religion. Gewinnt ein Mensch hingegen den Eindruck, dass seine grundlegenden Bedürfnisse (Geborgenheit, Angstfreiheit,..) dauerhaft und massiv im Rahmen der Umgebungsrealität nicht befriedigt werden - oder wird ihm dieser Eindruck suggeriert -, dann entstehen Bedürfnisse nach Glauben und Religion. Und soweit es erforderlich ist wird dabei auch die kritische Vernunft hintangestellt oder soweit nötig ausgeschaltet.

Und nun das Paradoxon: Mir erscheint die (verzweifelte) Maßnahme,in diesem Falle kritische Vernunft hintanzustellen oder in Teilen auszuschalten, angesichts des ansonsten nicht erträglichen Mangels an notwendiger Bedürfnisbefriedigung , als alternativlos vernünftig.[/b]
#2
Eine Beduerfnisbefriedigung, sofern gewisse Rahmenbedingungen beachtet werden (also kein Ueberwiegen negativer Folgen), ist durchaus "vernuenftig", wenn man sich da besser fuehlt. Der Vernunftbegriff bezieht sich dabei nicht auf den Inhalt (z.B. Glaubensinhalte werden dadurch nicht selbst vernuenftig), sondern auf den Effekt. Wo jetzt das "alternativlos" herkommen sollte, erschliesst sich mir aber nicht.
#3
Nun, welche Alternative gäbe es denn für diesen Menschen? Um der Wahrheit willen in einer unerträglichen Realität auszuharren, wobei weder er noch andere Menschen einen Nutzen hätten, das wäre in meinen Augen heldenhaft aber nicht vernünftig.
#4
(16-03-2014, 11:52)dalberg schrieb: These: Ein mit der Realität zufriedener Mensch braucht keinen Glauben und keine Religion. Gewinnt ein Mensch hingegen den Eindruck, dass seine grundlegenden Bedürfnisse (Geborgenheit, Angstfreiheit,..) dauerhaft und massiv im Rahmen der Umgebungsrealität nicht befriedigt werden - oder wird ihm dieser Eindruck suggeriert -, dann entstehen Bedürfnisse nach Glauben und Religion. Und soweit es erforderlich ist wird dabei auch die kritische Vernunft hintangestellt oder soweit nötig ausgeschaltet.

Und nun das Paradoxon: Mir erscheint die (verzweifelte) Maßnahme,in diesem Falle kritische Vernunft hintanzustellen oder in Teilen auszuschalten, angesichts des ansonsten nicht erträglichen Mangels an notwendiger Bedürfnisbefriedigung , als alternativlos vernünftig.[/b]

"opium des volks" - so "vernünftig" wie jeder eskapismus
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#5
(16-03-2014, 14:17)dalberg schrieb: Um der Wahrheit willen in einer unerträglichen Realität auszuharren, wobei weder er noch andere Menschen einen Nutzen hätten, das wäre in meinen Augen heldenhaft aber nicht vernünftig.

Das Problem ist, dass, wenn Du 'mal von der Frucht der Erkenntnis gekostet hast, es kein Zurueck gibt. Jedenfalls fuer die meisten Menschen.
#6
(16-03-2014, 14:49)Ulan schrieb: Das Problem ist, dass, wenn Du 'mal von der Frucht der Erkenntnis gekostet hast, es kein Zurueck gibt. Jedenfalls fuer die meisten Menschen.
Dem stimme ich gerne zu. Allerdings streiten glaubens- und religionsbedürftige Menschen ab, dass sie ihr klares Denken schon längst zugunsten ihrer existenziellen
Bedürfnisbefriedigung abgeschaltet haben und lösen das Problem auf diese Weise. Wobei ich diesen Trick in ihrer Situation wiederum als höchst vernünftig empfinde.
#7
(16-03-2014, 14:39)petronius schrieb: "opium des volks" - so "vernünftig" wie jeder eskapismus

Ist der Verzicht auf Opium, Placebos oder Globuli in der Krise, in der keine Alternative gesehen wird, unvernünftiger als die Verwendung?
#8
(16-03-2014, 15:00)dalberg schrieb: Wobei ich diesen Trick in ihrer Situation wiederum als höchst vernünftig empfinde.

Schoen, dass Du selbst sagst, dass es ein "Trick" ist und lediglich von "Abstreiten" sprichst. Es ist halt nicht jeder empfaenglich fuer Autosuggestion.
#9
(16-03-2014, 15:05)dalberg schrieb: Ist der Verzicht auf Opium, Placebos oder Globuli in der Krise, in der keine Alternative gesehen wird, unvernünftiger als die Verwendung?

Ich nehme einfach mal an, Du wolltest hier genau das Gegenteil ausdruecken. Obwohl, so einer Logik nach waeren Alkoholiker vernuenftiger als Nichtalkoholiker. Wobei ich gerne mal von Dir wissen wuerde, wie du "vernuenftig" definierst. Im Moment erkenne ich nur einen Betaeubungseffekt.
#10
(16-03-2014, 15:05)dalberg schrieb:
(16-03-2014, 14:39)petronius schrieb: "opium des volks" - so "vernünftig" wie jeder eskapismus

Ist der Verzicht auf Opium, Placebos oder Globuli in der Krise, in der keine Alternative gesehen wird, unvernünftiger als die Verwendung?

alternativlosigkeit mag subjektiv empfunden werden, sogar - kontextabhängig - zu recht, aber generell glaube ich da nicht so schnell dran

es mag durchaus sinnvoller sein, alternativen zu entwickeln, als sich aus der realität wegzudröhnen. so pauschal weise ich also weder dem usus noch der abstinenz mehr vernunft zu
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#11
(16-03-2014, 11:52)dalberg schrieb: These: Ein mit der Realität zufriedener Mensch braucht keinen Glauben und keine Religion.
Schon diese These halte ich nicht für zutreffend. "Religion" ist kein Arrangement des Individuums mit seiner Welt, sondern ein Element seiner Beziehung zur Menschenwelt.
Diese Beziehungen können auf völlig unterschiedliche Weise zwischen "fromm" und "säkular" ausgestaltet sein. Letztlich brauchen wir für unsere Entscheidungen immer Richtlinien, möglichst solche, die intuitiv angewendet werden können. Mit dem, was "man tut/lässt" können wir uns im Einzelfall kaum länger aufhalten.

Mit "Religion brauchen" meinst du aller Wahrscheinlichkeit die traditionellen mythischen Vorstellungen. Diese können in der Tat eine Art Betäubungsmittel darstellen. Allerdings bedeutet dies im hier diskutierten Zusammenhang die Übertünchung ganz anderer, gesellschaftlicher Probleme. Und das ist keineswegs vernünftig - hat aber nichts mit Religion zu tun.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#12
(17-03-2014, 00:14)Ekkard schrieb:
(16-03-2014, 11:52)dalberg schrieb: These: Ein mit der Realität zufriedener Mensch braucht keinen Glauben und keine Religion.
Schon diese These halte ich nicht für zutreffend. "Religion" ist kein Arrangement des Individuums mit seiner Welt, sondern ein Element seiner Beziehung zur Menschenwelt.

Ich glaube schon irgendwie verstanden zu haben, dass du Religion als "ein Element seiner Beziehung zur Menschenwelt" deutest und daher eine Transzendenz nicht als ein wesentliches Element von Religion ansiehst. Aber für die übliche Vorstellung von Religion bei allen Menschen, die ich kenne, ist das Vorhandensein eines höheren Wesens, in dessen Händen die Welt und damit auch das Leben des einzelnen Menschen liegt, ein unabdingbares Kennzeichen von religiösem Glauben und praktizierter Religion. Frömmigkeit ohne personalen Gottesbezug mag es geben, aber da ich nur kirchlich geformte Frömmigkeit kenne, ist mir eine solche Frömmigkeit nicht vertraut.

Mir ist aber vertraut, dass nicht durch religiöse Tradition geprägte Menschen ein erfülltes völlig "gottloses" Leben führen können. Voraussetzung ist lediglich, dass sie in ihrer Kindheit so etwas wie Urvertrauen und Grundsicherheit in ihrer Umwelt erfahren haben und sie auch in ihrem späteren Leben Aufgaben finden und damit auch gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung erleben. Diese Sinnerfüllung ihres Lebens genügt ihnen nach meiner Beobachtung. Fehlt es an dieser vor allem frühkindlich erfahrenen Geborgenheit und Sinnerfüllung oder werden Lebensängste durch die Umgebung "induziert" dann scheint mir die unstillbare Sehnsucht nach einem höheren Sinn, der sich wenn nicht hier dann doch wenigstens in einem Jenseits erfüllt, nachvollziehbar.

Natürlich löst die Frage nach dem Lebensende auch bei Menschen, die sich im Leben geborgen und geschätzt fühlen kreatürliche Ängste aus. Das aus diesen Ängsten ein heftiger Wunsch nach Weiterleben entsteht, ist einleuchtend und es ist wohl auf Grund dieses kreatürlichen Lebenstriebes zumindest phasenweise oder in der Nähe des Todes schwer, mit einem endlichen Leben zufrieden zu sein.

Mein Großvater war ein mit Leib und Seele königlich bayerischer Förster. Er hatte zwar liebende Eltern, aber einem "lieben Gott" war er nie begegnet. Und als er nach einem Leben, dass er und seine Umgebung als so erfüllt ansahen, wie eben ein normales Leben nur sein kann, an akutem Kehlkopfkrebs litt, beschloss er zu sterben und stellte die Aufnahme fester Nahrung ein. Als man eine Pastor herbeirief, lehnte er diesen Beistand ab, mit der Begründung, er habe die Tiere im Wald sterben sehen und das könne er ebenso wie diese auch ohne Pastor.
Dass Sterben kein Vergnügen ist, sah er als eine Realität, der man sich nicht entziehen kann. Er glaubte aber, dieses wie alle anderen Menschen und Lebewesen auch, "mit Anstand" bewältigen zu können, zumal es dazu auch für Gläubige ja auch keine Alternative gibt. Und seine Überzeugung, dass der nachfolgende Tod als Bruder des Schlafes kein Problem und keine Last sondern so etwas wie ein "ewige Ruhe" sei, lies ihn den Tod als durchaus genügendes "Ziel" sehen, das hinter dem Sterben zu erwarten stand.

Auch Religion als Hoffnung auf eine göttlich geleitete Welt und ein sinnerfüllten Weiterleben in einem Jenseits kann nicht sicherstellen, dass irdisches Leben von Menschen als ausreichend sinnvoll erlebt wird.
So hat auch einen Romano Guardini angesichts des Leides bis auf sein Sterbebett und in den Tod seine lebenslanges Fragen nach dem Sinn des Lebens ohne letzte befriedigende Antwort bewegt.
Mehr als diese unbeantwortete Frage kann aber auch einen Ungläubigen im Leben und auf dem Sterbebett nicht quälen. Vielleicht wird er sogar mit lebenslang eingeübter Akzeptanz der Endlichkeit des Lebens, ohne Antwort auf diese Frage nach einem höheren Lebenssinn, leichter in den Tod als endgültiges Ende gehen als dies einem Gläubiger gelingt.
#13
(16-03-2014, 14:39)petronius schrieb:
(16-03-2014, 11:52)dalberg schrieb: Und nun das Paradoxon: Mir erscheint die (verzweifelte) Maßnahme,in diesem Falle kritische Vernunft hintanzustellen oder in Teilen auszuschalten, angesichts des ansonsten nicht erträglichen Mangels an notwendiger Bedürfnisbefriedigung , als alternativlos vernünftig.[/b]

"opium des volks" - so "vernünftig" wie jeder eskapismus

Dass Religion als Opium zum Zwecke eines "bequemen" Entkommens aus unbefriedigend empfundenen Lebensumständen benutzt werden kann, anstatt sich "dem Leben zu stellen" -, ist mir einleuchtend.
Im Unterschied zu Opium wird Religion jedoch von zahllosen gläubigen Menschen nicht zur Lebensflucht sondern als bewährte Hilfe zu einer nach bestem Wissen und Gewissen sinnvollen Lebensführung "benutzt". Das kann ich tausendfältig sehen, wenn ich nur hinschaue.
Und diese feststellbare Realität kann und will ich nicht bestreiten. Vielleicht kann ich das deshalb, weil ich funktionierende religiöse Gemeinschaft als einen Wert erlebt habe, den ich trotz meines Glaubensverlustes, nicht leugnen kann.
#14
(17-03-2014, 00:14)Ekkard schrieb:
(16-03-2014, 11:52)dalberg schrieb: These: Ein mit der Realität zufriedener Mensch braucht keinen Glauben und keine Religion.
Schon diese These halte ich nicht für zutreffend. "Religion" ist kein Arrangement des Individuums mit seiner Welt, sondern ein Element seiner Beziehung zur Menschenwelt

das eine schließt ja das andere nicht aus

aber, um auch darauf einzugehen:

was meint "brauchen"?

"zwingend darauf angewiesen sein"?

dann stimmt dalbergs satz

"als sinnstiftend und damit halt gebend empfinden und daher nicht darauf verzichten wollen"?

dann berücksichtigt der satz nicht, daß der "mit der Realität zufriedene Mensch" den zusätzlichen benefit von "Glauben und Religion" (wenn er denn für ihn einen solchen darstellt) gern mitnimmt

warum auch nicht
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#15
(17-03-2014, 18:53)dalberg schrieb:
(16-03-2014, 14:39)petronius schrieb:
(16-03-2014, 11:52)dalberg schrieb: Und nun das Paradoxon: Mir erscheint die (verzweifelte) Maßnahme,in diesem Falle kritische Vernunft hintanzustellen oder in Teilen auszuschalten, angesichts des ansonsten nicht erträglichen Mangels an notwendiger Bedürfnisbefriedigung , als alternativlos vernünftig.[/b]

"opium des volks" - so "vernünftig" wie jeder eskapismus

Dass Religion als Opium zum Zwecke eines "bequemen" Entkommens aus unbefriedigend empfundenen Lebensumständen benutzt werden kann, anstatt sich "dem Leben zu stellen" -, ist mir einleuchtend.
Im Unterschied zu Opium wird Religion jedoch von zahllosen gläubigen Menschen nicht zur Lebensflucht sondern als bewährte Hilfe zu einer nach bestem Wissen und Gewissen sinnvollen Lebensführung "benutzt"

ja, aber das sind ja wohl nicht die, die als "(verzweifelte) Maßnahme,in diesem Falle kritische Vernunft hintanstellen oder in Teilen ausschalten"

zum "extrabenefit" siehe http://religionsforum.de/showthread.php?tid=7216&pid=155395#pid155395

(17-03-2014, 18:53)dalberg schrieb: Das kann ich tausendfältig sehen, wenn ich nur hinschaue.
Und diese feststellbare Realität kann und will ich nicht bestreiten

da sind wir schon zwei
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