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Atheistische Gesellschaft
#1
Man bekommt als Atheist/Agnostiker ja des öfteren mal zu hören, das eine Gesellschaft ohne Gott und Religion auch keine Moral hätte und damit quasi zwangsläufig zu einem Unrechtsstaaten verkommen würde.

Als Beispiele werden dann in der Regel das dritte Reich, die Sowjetunion und gelegentlich auch die DDR genannt.

Doch inwiefern ist eine solche Argumentation schlüssig? Nach welchen Kriterien beurteilt man ob eine Gesellschaft atheistisch ist oder nicht?
Der prozentuale Anteil von Kirchenmitgliedern dürfte im dritten Reich weit höher gewesen sein als es heute der Fall ist. Dennoch schreit heute kaum jemand auf und proklamiert, wir würden alle in einer atheistischen, moralfreien Gesellschaft leben, die gerade auf dem Weg zu einem neuen Unrechtsstaat ist.
Und die Kirchen selbst haben auch nicht gerade eine rühmliche Rolle in der Geschichte (eben auch nicht während des Nationalsozialismus) eingenommen.
Dies wird von gläubiger Seite jedoch häufig vergessen und stattdessen Widerständler wie Bonhoeffer und die Geschwister Scholl als Personen, denen erst ihr Glaube zu solchen heldenhaften Taten verholfen hat, angeführt.
Oft wird hierbei vergessen, dass nicht jeder Widerstand auf christlichem Fundament gedeihte. Kommunistische, sozialistische und sozialdemokratische Widerständler beispielsweise werden wohl zumeist ganz andere Gründe gehabt haben.

Meine Fragen also: Was definiert ob eine Gesellchaft atheistisch ist oder nicht? Und weshalb sollte eine "atheistische Gesellschaft" (was auch immer das nun sein mag) moralisch schlechter sein als eine nicht-atheistische?
Leben wir momentan in einer atheistishen Gesellschaft?
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#2
Ich halte nicht Atheismus für ein Problem, sondern Gleichgültigkeit gegenüber verbindlichen Normen. Im Augenblick scheint mir diese Gleichgültigkeit in fast jedem Lebensumfeld teils tödliche Auswirkungen zu zeitigen: "Wir wollten mal sehen, wie es ist, wenn einer stirbt!" (Jugendlich im Siegburger Knast) Oder: "Der hat uns angemacht, da mussten wir es ihm aber mal "zeigen."" (Tödliche Tritte in einer S-Bahn) -

Eine atheistische Gesellschaft wäre hingegen dem Humanismus verpflichtet, aus dem heraus auch das Ethos entwickelt wird. Gerade, wenn das irdische Leben das Wertvollste ist, was wir kennen, kann das Verhalten nicht einfach von der momentanen Eingebung, von einer Laune abhängen. Dabei ist es nach meiner Ansicht völlig gleichgültig, wo das Engagement für die (humane) Gesellschaft aufgehängt ist.

Hingegen kann es nicht "richtig" - im Sinne von "menschlich" - sein, wenn gewaltsam durchgesetztes Eigen- oder Gruppeninteresse (Rasse, Herrenrasse) oder Willkür (Bindungslosigkeit) herrschen: "Wer mir mein ... (Hasch, Dope, Stoff, Fernsehen, Pöstchen, Gespielin...) nimmt, kriegt eins auf die "Mütze"."

Wir leben derzeit also nicht in einer atheistischen, sondern in einer normenarmen, gleichgültigen Welt.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#3
(27-01-2013, 13:20)Ekkard schrieb: Eine atheistische Gesellschaft wäre hingegen dem Humanismus verpflichtet...

Selbst dieser Äußerung würde ich noch widersprechen. Imho steht das Verb "atheistisch" in keinem direkten Zusammenhang zu einem Werte- und Moralsystem.
"Atheistisch" beschreibt lediglich die Verneinung des Glaubens an eine Gottesexistenz.
Allerdings fällt durch eine solche Verneinung die Begründung eines Wertesystems auf Gott hin natürlich heraus, so dass es naheliegender ist, Atheismus und Humanismus zusammen zustellen als Atheismus und die christliche Moral.

Da der Begriff "Atheismus" imho selbst noch gar nichts über ein damit verbundenes, notwendiges Wertesysem aussagt, kann er theoretish sowohl in grausamen Diktauren als auch in sehr humanistischen Gesellschaften angetroffen werden.
Moralische Fragen lassen sich daher unmöglich allein über den Begriff "Atheismus" greifen, sie benötigen immer noch einen zusätzlichen, Moral vorgebenden Bereich wie zb. Humanismus, Recht des Stärkeren etc.

Mir persönlich ist es daher unbegreiflich wie oftmals Schreckensysteme mit dem Atheismus begründet werden, da das eine mit dem anderen imho nichts zu tun hat.

(27-01-2013, 13:20)Ekkard schrieb: Wir leben derzeit also nicht in einer atheistischen, sondern in einer normenarmen, gleichgültigen Welt.

Was, so denke ich, oftmals gleichgesetzt wird. Die Normenarmut und Gleichgültigkeit wird oft genug (selbst vom Papst) als Folge des Entfernens von Gott und vom chrislichen Glauben gedeutet.
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#4
Gundi, wir sind uns in Verständnis und Beurteilung "des" Atheismus einig. Atheismus begründet an sich keinen Ethos, während das bei theistischen Vorstellungen durchaus so ist. Nur hatte ich im Hinterkopf eine Normendebatte aus Funk oder Fernsehen, in der es darum ging, wie Normen zustande kommen und welche Mühe es macht, sie zu begründen und zu tradieren.
Ich glaube, auch Benedikt XVI zu verstehen: Eben weil christliche Religion i. d. R. als Bindung an verbindliche Normen für den Menschen verstanden wird, ist die Abkehr vom Christentum = Abkehr vom Göttlichen zugleich Abkehr von der Normenbindung. Aber, wie auch du feststellst, muss das nicht der Fall sein. Und umgekehrt können sich religiöse Gesellschaften Normen geben, die ihren grundlegenden Maximen diametral widersprechen (ich denke an Nächstenliebe und Hexenverbrennung oder Inquisition).
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#5
(27-01-2013, 12:49)Gundi schrieb: Was definiert ob eine Gesellchaft atheistisch ist oder nicht?

ich glaube nicht an so was wie eine " atheistische Gesellschaft"

schon weil "atheismus" nicht mehr ist als die tatsache, nicht an einen gott zu glauben - und eben keine idee, die als gesellschaftsentwurf taugte
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#6
Ekkard:" Wir leben derzeit also nicht in einer atheistischen, sondern in einer normenarmen, gleichgültigen Welt."

Das ist kein Widerspruch, wie brauchen wohl keine erleuchteten Wüstensöhne,
sondern eher einen globalen Konsen über Normen und Werte der je nach
Region durchaus aufgrund traditioneller Werte noch eine ganze zeitlang variieren kann.
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#7
Danke für eure Antworten und es freut mich dass doch auch andere ein Problem darin sehen wenn Atheismus als Wertesystem betrachtet wird.
Bleibt die Frage weshalb es dennoch oftmals so gehandhabt wird?
Eventuelle Unkenntis, ok. Vieleicht aber auch die fehlende immergültige (in den Religionen durch Gott gegebene) Konstante, die von Einigen erst als Möglichkeit angesehen wird derartigen Moralvorstellungen wie beispielsweise im dritten Reich einen Raum zu geben. Salopp formuliert: In einer zb. christlichen Gesellschaft kann es so etwas quasi nicht geben, da es gegen Gottes Wort verstößt. Der Mensch hat hier nicht das Recht sich über Gottes Wort zu stellen. Eine Gesellschaft welche sich an den christlichen Werten orientiert, ist mit den Gräueln in Nazi-Deutschald nicht vereinbar.
Theoretisch. Wir wissen alle um die auch grausame Geschichte des Christentums.
Der Atheismus mag selbst zwar kein Wertesystem darstellen, er "reduziert" aber durch die Wegnahme Gottes alle anderen Wertesysteme als menschgemacht und damit auch wandelbar. Die Konstante einer Religion fehlt. Und eine solche Wandelbarkeit wäre auch offen für negatives.

Als Gegenargument könnte man natürlich bringen, dass auch die Religionen nicht nur Positives hervorbrachten und die heiligen Schriften sehr viel Raum für Interpretationen und Spekulationen lassen. Die Wandelbarkeit also in den Religionen selbst auch vorkommt.
Allerdings, so meine Erfahrung, weiß ein Großteil der Gläubigen ja immer ganz genau was wie gemeint ist. Nur ist man sich untereinander nicht immer einig Icon_cheesygrin
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#8
Wenn schon ein Glaube mit seinen ethisch-moralischen Vorgaben nicht vor Dummheit schützt, warum sollte dann eine bloße Negation des Glaubens besser vor Dummheiten schützen.

Und: Was hätten wir armen Atheisten denn schon vom Leben, wenn es da nicht die unermüdlichen Gottesanhänger und -Anbeter gäbe.
Da gäbe es ja dann nicht einmal ein Religionsforum zum gegenseitigen Zoffen oder - gelegentlich auch mal - zum gegenseitigen Streicheln. Erst Religion macht das Leben erfrischend reizvoll.
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#9
(29-01-2013, 16:35)dalberg schrieb: Wenn schon ein Glaube mit seinen ethisch-moralischen Vorgaben nicht vor Dummheit schützt, warum sollte dann eine bloße Negation des Glaubens besser vor Dummheiten schützen.

Und: Was hätten wir armen Atheisten denn schon vom Leben, wenn es da nicht die unermüdlichen Gottesanhänger und -Anbeter gäbe.
Da gäbe es ja dann nicht einmal ein Religionsforum zum gegenseitigen Zoffen oder - gelegentlich auch mal - zum gegenseitigen Streicheln. Erst Religion macht das Leben erfrischend reizvoll.

Jau,sagen die in Mali,Afghanistan, Ägypten etc. sicher auch und sind
deswegen in Massen dabei.
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#10
(27-01-2013, 12:49)Gundi schrieb: Leben wir momentan in einer atheistishen Gesellschaft?
Wäre es nicht zunächst erst mal einfacher, am Falle dieses sehr überschaubaren Forums zu klären ob wir uns hier nicht schon in einem faktisch weithin atheistischen Forum aufhalten!?
Sollte uns dies schon nicht gelingen, dürfte das Gespräch über die obige Frage ziemlich aussichtslos sein.

Harmlose Frage an dieses Religionsforum: Wäre hier neben einer "Freundesliste" nicht eine "Feindesliste" ergiebig und reizvoll?
Wenn ein Atheist dann einen Christen auf die Liste setzt, so wird er in der Folge von eben diesem Christen geliebt werden müssen, ob der nun mag oder nicht, denn ansonsten würde letzterer sich ja als unchristlich outen.
Und setzt ein Christ gar einen Atheisten auf die Liste, dann zwingt er zum einen sich selbst, diesen zu lieben und er darf es irgendwie aus Glaubensgründen dann auch, selbst wenn der geliebte Feind das garnicht sehr schätzt.

Liebe Grüße von dalbergEusa_boohoo

PS: Ich hoffe letzteres war doch nicht am Ende irgendwie "ot"? - Na ja, zugegeben, manchmal verwirren sich meine Gedanke irgendwie.
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#11
(29-01-2013, 16:35)dalberg schrieb: Wenn schon ein Glaube mit seinen ethisch-moralischen Vorgaben nicht vor Dummheit schützt, warum sollte dann eine bloße Negation des Glaubens besser vor Dummheiten schützen

tut sie nicht

aber die vorstellung, es gebe eben keine absoluten (z.b. gottgegebenen) werte, sondern solche müßten immer gesellschaftlich verhandelt und dann im konsens vereinbart werden, schützt vor moral par ordre de mufti

(29-01-2013, 16:35)dalberg schrieb: Und: Was hätten wir armen Atheisten denn schon vom Leben, wenn es da nicht die unermüdlichen Gottesanhänger und -Anbeter gäbe.
Da gäbe es ja dann nicht einmal ein Religionsforum zum gegenseitigen Zoffen oder - gelegentlich auch mal - zum gegenseitigen Streicheln. Erst Religion macht das Leben erfrischend reizvoll.

ach, da fällt mir auch genug anderes ein
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#12
(29-01-2013, 17:45)petronius schrieb: die vorstellung, es gebe eben keine absoluten (z.b. gottgegebenen) werte, sondern solche müßten immer gesellschaftlich verhandelt und dann im konsens vereinbart werden, schützt vor moral par ordre de mufti

Theoretisch schon. Trotzdem scheinen auch atheistische Gesellschaften, die Gott oder Götter bewusst verbannen, bestimmte Werte, ein bestimmtes Menschenbild usw. vorzuschreiben und den Glauben daran zu verlangen. So war es ja auch im Sozialismus. Und Personenkult gibt es da auch, wenn auch um Staatsmänner und nicht um längst verstorbene Heilige. Nur, dass diese areligiösen Gesellschaften sich um das Leben nach dem Leben nicht mehr kümmerten, welches für die meisten Religionen unverzichtbar ist.

Wir hier leben ganz einfach in einer Gesellschaft, wo es jedem gestattet ist, zu glauben, woran er möchte, oder auch überhaupt nicht zu glauben. Und egal, ob und (wenn ja) was einer glaubt: er hat die gleichen (Menschen-)Rechte wie jeder andere auch. Ähnlich sehe ich dieses Forum, wo doch Gläubige und Nicht-Gläubige aus allen Fraktionen zusammenkommen, während in anderen Foren User, die nicht den Mainstream vertreten, schnell von Moderatoren und anderen Usern mundtot gemacht werden (das gilt sowohl für religiöse, wie auch für atheistische Foren).

Und das Ergebnis ist doch (sowohl was das Forum, als auch, was die Gesellschaft im Ganzen betrifft) positiv: Man darf auch dann seine Meinung sagen bzw. schreiben, wenn sie den meisten anderen Leuten nicht passt. Das ist in streng religiösen oder kommunistischen Ländern wie dem Iran oder Nordkorea anders.
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#13
(29-01-2013, 19:04)Lelinda schrieb: Trotzdem scheinen auch atheistische Gesellschaften, die Gott oder Götter bewusst verbannen, bestimmte Werte, ein bestimmtes Menschenbild usw. vorzuschreiben und den Glauben daran zu verlangen

wie du weißt, kann ich mit dem begriff einer "atheistischen Gesellschaft" nichts anfangen
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#14
Petronius:
Ich schrieb ja auch: "Gesellschaften, die Gott oder Götter bewusst verbannen", also solche, die den Glauben verbieten. Ich meine, damit sollte klar genug sein, was ich gemeint habe.
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#15
(29-01-2013, 19:04)Lelinda schrieb: Und egal, ob und (wenn ja) was einer glaubt: er hat die gleichen (Menschen-)Rechte wie jeder andere auch.

Die Menschenrechte und deren "Unantastbarkeit" sind doch bereits so eine Art "heiliger Wert".
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