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gutmensch aus tradition?
#1
gefragt, woher ich denn meine haltung meinen mitmenschen gegenüber nehme bzw. herleite, war ich ehrlich genug, zu antworten, daß ich auf das alte prinzip der "goldenen regel" rekurriere, weil ich so (auch) mein eigenes wohl am wahrscheinlichsten gesichert sehe

nun, wie schon ulrich wickert sagte: "der ehrliche ist immer der dumme". es ist daher nur folgerichtig, daß ich mir dann folgendes anhören muß:

"Nun, ich teile deinen Egoimus nicht und kann mit Ideen wie Menschenwürde, Menschlichkeit und letztlich Gott was anfangen"

und zwar von einem user, der das mit "kultureller prägung und denktradition" begründet

nun, selbstverständlich bin auch ich so erzogen ("kulturelle prägung"), anderen so entgegenzutreten, wie ich es mir von ihnen wünsche und von ihnen erwarte, und lebe in einer gesellschaft, in der humanismus und aufklärung sich entwickelt haben ("denktradition"). ich leugne diese einflüsse ja keineswegs

nur bleibe ich da eben nicht stehen. kultur und tradition sind für mich keine ausreichende begründung. z.b. trage ich lederhosen und loden, esse schweinefleisch und trinke bier, weil ich kulturell so geprägt wurde, und erkenne in der mich umgebenden gesellschaft z.b. ausflüsse protestantischer leistungsethik - weil mir diese denktradition vertraut ist

würde ich aber nach arabien auswandern, so würde ich mich anders kleiden, anderes essen und trinken und mich mit den spuren arabischer philosophen in der gesellschaft von heute beschäftigen - meine ansichten über das wie der aus meiner sicht besten gesellschaftsordnung und, ja, menschenwürde und menschlichkeit würden sich jedoch nicht ändern

tradition allein kanns also nicht sein. sie begründet nichts rational, ja, wären die ideen der menschen immer nur auswüchse von "kultureller prägung und denktradition", so hätten neue ideen nie entstehen können. z.b. wären humanismus und aufklärung nie entstanden, wenn die menschen ihre ideen nur aus der tradition (damals christlich verbrämte obrigkeitshörigkeit im feudalen system und mittelalterliche scholastik) bezogen hätten

nein, das kam alles vom selber denken. von der reflexion des seienden, vom den dingen auf den grund gehen (caveat: das ist etwas anderes als sich einen "urgrund" herbeifantasieren, eine letztbegründung konstruieren. es meint, die beweggründe eigenen handelns auf eine rationale basis zu stellen)

sicher haben mir meine erziehung, das wissen um die ideen anderer (und klügerer als ich) dabei geholfen, zu dem zu kommen, was ich letztlich als beweggrund meines handelns erkannt habe - keine frage. aber ich habe über mich selbst, über die natur und zusammenhänge der dinge nachgedacht, ich weiß, warum ich tue, was ich tue, daß und warum ich es für richtig halte - und imitiere nicht einfach das, was andere mir vormachen - weils ja meiner kulturellen prägung entspricht und hierzulande denktradition ist
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#2
Meinst du, dies "Selber-Denken" komme nur bei Humanisten vor? Es ist auch immer erstaunlich, welche Gegenargumente angebracht werden (Egoismus?). Das Einzige, was sich aus Deinen bohrenden Fragen ergibt, ist eine gewisse Aggressivität religiösen Vorstellungen gegenüber. Aber Egoismus lässt sich nicht daraus ablesen - weder ob noch ob nicht.
(27-12-2012, 15:11)petronius schrieb: ... nur bleibe ich da eben nicht stehen. kultur und tradition sind für mich keine ausreichende begründung. ...

meine ansichten über das wie der aus meiner sicht besten gesellschaftsordnung und, ja, menschenwürde und menschlichkeit würden sich jedoch nicht ändern.
Kultur und Tradition sind aber Ausgangspunkte jeder eigenständigen Überlegung. Vor allem sind sie "Gefühlsbildner"; d. h. sie prägen, was wir für gut und richtig finden, ohne lange darüber nachzudenken. (Was wir dadurch in gewissen Situationen z. B. Zeitung Lesen spontan denken, entspricht keineswegs deinen und meinen Idealen).

(27-12-2012, 15:11)petronius schrieb: tradition allein kanns also nicht sein. sie begründet nichts rational, ja, wären die ideen der menschen immer nur auswüchse von "kultureller prägung und denktradition", so hätten neue ideen nie entstehen können. z.b. wären humanismus und aufklärung nie entstanden, wenn die menschen ihre ideen nur aus der tradition (damals christlich verbrämte obrigkeitshörigkeit im feudalen system und mittelalterliche scholastik) bezogen hätten
Dem stimme ich vollkommen zu.

(27-12-2012, 15:11)petronius schrieb: nein, das kam alles vom selber denken. von der reflexion des seienden, vom den dingen auf den grund gehen (caveat: das ist etwas anderes als sich einen "urgrund" herbeifantasieren, eine letztbegründung konstruieren. es meint, die beweggründe eigenen handelns auf eine rationale basis zu stellen)
Ich denke, diese "Letztbegründung" ist nur oberflächlich betrachtet, christliches Gedankengut. Es ist sicher allgemeines Wunschdenken Vieler, sich der irdischen Relativität möglichst zu entziehen. Dies birgt die Gefahr der "Gesetzlichkeit". Damit ist nach Hans Küng gemeint, der Mensch neigt dazu, die Mitmenschlichkeit durch klar abgegrenzte Regeln zu ersetzen, deren Befolgung ausreicht. Dies ist aber tatsächlich nicht der Fall, wie wir in zahlreichen Diskussionen festgestellt haben. Insofern sollte man auch aus christlicher Sicht jede Letztbegründung tilgen.

Die "rationale Basis" unseres Handelns beruht somit letztlich auf der "goldenen Regel", wie sie sich auch in den Evangelien findet. Die Frage bleibt aber, ob wir in kritischen Situationen tatsächlich rational (also zum Wohle aller) handeln. Ich denke, wir handeln viel spontaner und im Sinne des geringsten Widerstandes, z. B. weil spezifische Information gar nicht greifbar ist. Ich bin daher nicht so optimistisch wie du, in allen Fällen zu wissen, was gut für andere ist.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#3
(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Meinst du, dies "Selber-Denken" komme nur bei Humanisten vor?

aber nein

es wird nur von gläubischen nie als begründung vorgebracht und im konkreten fall ja geradezu als moralisch minderwertig abgetan

(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Es ist auch immer erstaunlich, welche Gegenargumente angebracht werden (Egoismus?). Das Einzige, was sich aus Deinen bohrenden Fragen ergibt, ist eine gewisse Aggressivität religiösen Vorstellungen gegenüber

woraus soll sich die ergeben?

und welche argumente erstaunen dich denn?

du darfst hier ruhig auch aussagen und argumente ad remvortragen

(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Kultur und Tradition sind aber Ausgangspunkte jeder eigenständigen Überlegung

was ich ja ausdrücklich bestätigt habe

(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Vor allem sind sie "Gefühlsbildner"; d. h. sie prägen, was wir für gut und richtig finden, ohne lange darüber nachzudenken

das ist das gefährliche daran - siehe "rassismus"

(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Ich denke, diese "Letztbegründung" ist nur oberflächlich betrachtet, christliches Gedankengut. Es ist sicher allgemeines Wunschdenken Vieler, sich der irdischen Relativität möglichst zu entziehen. Dies birgt die Gefahr der "Gesetzlichkeit"

das erstere mag ich nicht beurteilen, mir wurde es schon anders vermittelt. demanderen stimme ich hier ausdrücklich zu

(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Die "rationale Basis" unseres Handelns beruht somit letztlich auf der "goldenen Regel", wie sie sich auch in den Evangelien findet

nicht nur - in zweierlei hinsicht. sie findet sich nicht nur und auch keineswegs originär bzw. als vorher noch nie dagewesener gedanke in den evangelien, und es findet sich dort eben (leider?) auch nicht nur die "goldene regel"

darüber hinaus sehe ich die kausalität umgekehrt: auf der rationalen überlegung, wie die basis unseres handelns sinnvoll zu gestalten sei, beruht die "goldene regel"

(28-12-2012, 01:20)Ekkard schrieb: Die Frage bleibt aber, ob wir in kritischen Situationen tatsächlich rational (also zum Wohle aller) handeln. Ich denke, wir handeln viel spontaner und im Sinne des geringsten Widerstandes, z. B. weil spezifische Information gar nicht greifbar ist. Ich bin daher nicht so optimistisch wie du, in allen Fällen zu wissen, was gut für andere ist.

ich würde nie behaupten, "in allen Fällen zu wissen, was gut für andere ist". und bin mir natürlich dessen bewußt, daß wir nicht immer rational handeln (können, z.b., weil gar nicht die zeit zum überlegen bleibt). das hindert mich aber nicht daran, mir entsprechende maximen meines handelns aufzuerlegen
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#4
Ich würde Letzteres als "Haltung" (den Mitmenschen gegenüber) bezeichnen. Und die kann vom übrigen philosophischen oder theologischen Überbau nahezu unabhängig sein.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#5
(29-12-2012, 00:02)petronius schrieb: auf der rationalen überlegung, wie die basis unseres handelns sinnvoll zu gestalten sei, beruht die "goldene regel"

Die "Goldene Regel" beruht weder auf religiösen oder philosophischen Vorgaben, noch auf rationalen Überlegungen. Sie ergibt sich ganz intuitiv, wofür die Tatsache, dass sie auch in anderen Kulturen zu finden ist, nur ein Anhaltspunkt ist.

Die "Goldene Regel" ist dadurch entstanden, dass der Mensch von Natur aus fähig ist, mit anderen Menschen mitzufühlen und das anscheinend auch gerne tut - wie das Interesse an Filmen, Theater, Lagerfeuergeschichten oder Belletristik beweist, wo man sich mit einer sympathischen Figur so sehr identifizieren kann, dass man für einige Zeit vergisst, dass diese Figur nur erfunden ist und in Wirklichkeit weder leidet, noch Freude empfindet. An derartigen Geschichten wird deutlich, dass der Zuhörer oder Zuschauer derart mit der Figur mitgehen kann, dass er zum Beispiel deren Kummer wie seinen eigenen empfindet. Darum können solche Geschichten ja auch oft verwendet, um Regeln zu vermitteln (egal, ob in Gleichnissen oder im Rahmen der Kindergarten-Verkehrserziehung per Kasperle-Theater).

Und weil dieses Mitempfinden mit anderen Personen so extrem stark ist, dass es sich auch auf das eigene Gefühlsleben auswirkt, entstand die "Goldene Regel", zumindest, was sympathische Personen anbetrifft, ganz von alleine. Schon Kleinkinder versuchen, weinenden Altersgenossen zu trösten.
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#6
(29-12-2012, 00:51)Ekkard schrieb: Ich würde Letzteres als "Haltung" (den Mitmenschen gegenüber) bezeichnen. Und die kann vom übrigen philosophischen oder theologischen Überbau nahezu unabhängig sein.

selbstverständlich

ich mache ja eben auf die verschiedenen gründe für die haltung eines menschen aufmerksam, und fühle mich einfach bei jemandem wohler, der sie gründlich durchdacht hat und reflektiert hinter ihr steht als irgendwelchen traditionellen denkmustern folgt, die ja auch ganz andere hätten sein können oder eben bei genauer reflexion zu etwas ganz anderem führen könnten
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#7
(29-12-2012, 01:20)Lelinda schrieb: Die "Goldene Regel" beruht weder auf religiösen oder philosophischen Vorgaben, noch auf rationalen Überlegungen. Sie ergibt sich ganz intuitiv, wofür die Tatsache, dass sie auch in anderen Kulturen zu finden ist, nur ein Anhaltspunkt ist

oder eben nicht,wofür die praktische realität der allermeisten kulturen schlagender (sic!) beweis ist

(29-12-2012, 01:20)Lelinda schrieb: Die "Goldene Regel" ist dadurch entstanden, dass der Mensch von Natur aus fähig ist, mit anderen Menschen mitzufühlen und das anscheinend auch gerne tut - wie das Interesse an Filmen, Theater, Lagerfeuergeschichten oder Belletristik beweist, wo man sich mit einer sympathischen Figur so sehr identifizieren kann, dass man für einige Zeit vergisst, dass diese Figur nur erfunden ist und in Wirklichkeit weder leidet, noch Freude empfindet

und wenn die lagerfeuergeschichten zu ende und alle mammutsteaks gegrillt und verzehrt waren, gings zur nachbarhöhleundman schlug den männern mit der feuersteinaxt die schädel ein und schleifte die frauen in die eigene höhle

um mal etwas sarkastisches wasser in den weichzeichnerisch verkläreten wein zu schütten

(29-12-2012, 01:20)Lelinda schrieb: An derartigen Geschichten wird deutlich, dass der Zuhörer oder Zuschauer derart mit der Figur mitgehen kann, dass er zum Beispiel deren Kummer wie seinen eigenen empfindet

ich weiß,was spiegelneuronen sind. ihre existenz aber hat evidenterweise die menschen in ihrer mehrzahl keineswegs davon abgehalten, andere zu versklaven, auszubeuten und zu quälen
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#8
(30-12-2012, 00:14)petronius schrieb: ich weiß,was spiegelneuronen sind. ihre existenz aber hat evidenterweise die menschen in ihrer mehrzahl keineswegs davon abgehalten, andere zu versklaven, auszubeuten und zu quälen

Das kann ich nicht leugnen, und ich muss zugeben, dass ich dafür keine zufriedenstellende Erklärung habe. Möglicherweise ist das Mit-Fühlen nur EINE Folge dieser Spiegelneuronen, oder ihre Wirkung kann durch andere Dinge überlappt bzw. außer Kraft gesetzt werden. Zum Beispiel durch kulturelle Traditionen (Sklavenhaltung gibt es zum Beispiel in der Gegend schon seit Generationen und gilt darum als normal). Oder durch das Vorbild anderer Gruppenmitglieder, um bei deinem Beispiel "gemeinschaftlicher Überfall auf die Nachbarhöhle" zu bleiben. Besonders grausame Taten werden ja häufig von mehreren Personen gemeinsam verübt, die sich gegenseitig aufstacheln.
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#9
(30-12-2012, 00:24)Lelinda schrieb:
(30-12-2012, 00:14)petronius schrieb: ich weiß,was spiegelneuronen sind. ihre existenz aber hat evidenterweise die menschen in ihrer mehrzahl keineswegs davon abgehalten, andere zu versklaven, auszubeuten und zu quälen

Das kann ich nicht leugnen, und ich muss zugeben, dass ich dafür keine zufriedenstellende Erklärung habe. Möglicherweise ist das Mit-Fühlen nur EINE Folge dieser Spiegelneuronen, oder ihre Wirkung kann durch andere Dinge überlappt bzw. außer Kraft gesetzt werden. Zum Beispiel durch kulturelle Traditionen (Sklavenhaltung gibt es zum Beispiel in der Gegend schon seit Generationen und gilt darum als normal). Oder durch das Vorbild anderer Gruppenmitglieder, um bei deinem Beispiel "gemeinschaftlicher Überfall auf die Nachbarhöhle" zu bleiben. Besonders grausame Taten werden ja häufig von mehreren Personen gemeinsam verübt, die sich gegenseitig aufstacheln.

das ist eine neuformulierung meines arguments, daß kulturelle prägung und denktradition eben eine weniger valide basis für moralische werturteile sind

wobei ich natürlich,umnicht mißverstanden zu werden, darauf hinweisen muß, daß ratioanle reflexion nicht zwangsläufig zum selben ergebnis führen muß. bei einer anderen wertung von chancen und risiken kann natürlich auch z-b- der despotismus eine äußerst rationale haltung sein. ratio ist per se "wertfrei" im schlechtesten sinn
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#10
Ich finde diesen Begriff "Gutmensch" eher politisch abwertend. Dieser Begriff fordert doch meistens einfach nur das man seine Handlung als kitschig ansieht indem man sich überfordert sieht. Z.B dieses berühmte "Deutsche Gutmenschentum" - was dann wieder in so eine Form einer Opferhaltung geht und das man da die Schnauze voll hat um wieder was Emotional hoch zu Kochen usw.

Genauso wie wenn man aus einer bestimmten Region kommt - hat man dessen Hautfarbe.
Ebenso prägt Familie und Umgebung die Sprache.
So werden auch familiäre Inhalte ausgelebt.
Nicht nur in Sprache, Aussehen - sogar auch in Denkmustern.
Es ist halt so eine Mischung aus freier Wille und Anerzogenem.
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