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Unser Sinn für Realität
#1
In Spektrum der Wissenschaft erschien im Heft März 2012 ein interessantes Interview mit dem bekannten Physiker Leonard Susskind, Professor an der Stanford University (USA). Darin macht er deutlich, dass wir für eine Reihe physikalischer Erkenntnisse "biologisch nicht ausgerüstet" sind. Wir sind nicht in der Lage, ein geistiges Abbild der objektiven Realität zu gewinnen, worauf bereits Niels Bohr hingewiesen hatte (Stichwort: Antirealismus).

Susskind nennt eine Reihe von teilweise bizarr erscheinenden, jeweils zutreffenden Beispielen (Auszüge aus dem Interview kursiv):

1. Die Komplementarität Schwarzer Löcher:
Das Prinzip besagt, dass Objekte, die in ein Schwarzes Loch stürzen, ein zutiefst zweideutiges Schicksal erleiden. Vom Standpunkt des Objekts aus betrachtet durchquert es den so genannten Ereignishorizont des Schwarzen Lochs ohne Zwischenfall und wird erst bei Erreichen der Singularität im Zentrum zerstört. Doch für einen externen Beobachter wird das Objekt schon am Horizont vernichtet. Was also geschieht wirklich? Die Frage ist nach dem Komplementaritätsprinzip sinnlos: Beide Interpretationen treffen zu.


2. Das holografische Prinzip
Eine verwandte Idee, die den Antirealismus stützt, ist das holografische Prinzip, das Susskind und der Nobelpreisträger Gerard 't Hooft von der Universität Utrecht (Niederlande) Mitte der 1990er Jahre formulierten. Demnach lassen sich die Ereignisse in einem bestimmten Raumzeitvolumen durch die Vorgänge auf seiner Oberfläche erklären. Gewöhnlich stellen wir uns bewegte Objekte in einem dreidimensionalen Raum vor, aber ebenso gut können wir dabei an flache Kleckse denken, die über eine zweidimensionalen Fläche gleiten. Was ist also die echte Realität: die Grenzfläche oder das Innere? Die Theorie gibt keine Antwort. Im holografischen Bild ist die Realität Ansichtssache.

3. Die Relativitätstheorie
Einsteins abstrakte, vierdimensionale Geometrie ließ sich nur schwer veranschaulichen. Vorstellbar wurde sie durch mathematische Beziehungen. Als die Relativitätstheorie plötzlich auf der Bildfläche erschien, müssen sich viele gefragt haben: Was ist mit der »wirklichen« Zeit geschehen? Was wurde aus dem »wirklichen« Raum? Beide sind irgendwie zu dieser komischen Raumzeit vermischt worden, aber es gibt Regeln - klare und präzise mathematische Regeln, die sich aus der Raumzeit abstrahieren lassen. Sie überdauern, während die alten Realitätsbegriffe verblassen.

4. Quantenphysik
In der Quantenmechanik gibt es zwei Entdeckungen, die unseren klassischen Realitätssinn durcheinanderbringen. Erstens die Verschränkung. Sie besagt etwas sehr Bizarres: Man kann alles über ein zusammengesetztes System wissen, ohne alles über die einzelnen Bestandteile zu wissen. Für solche Abstraktionen sind wir biologisch einfach nicht ausgerüstet; sie unterminieren unseren Sinn für die Wirklichkeit.
Die zweite Entdeckung, die den klassischen Realitätsbegriff erschütterte, war das heisenbergsche Unbestimmtheitsprinzip. Wenn man versucht, ein Objekt als etwas zu beschreiben, das sowohl einen Ort als auch einen Im¬puls hat, dann kommt man in Schwierigkeiten. Man muss sich vorstellen, dass es entweder einen eindeutigen Ort oder einen definierten Impuls besitzt, nicht beides zugleich.

Darum sage ich (Susskind): Trennen wir uns von dem Wort »Realität«. In unserer ganzen Diskussion wollen wir ohne diesen Begriff auskommen. Er stört. Er beschwört Dinge herauf, die uns kaum helfen. Das Wort »reproduzierbar« ist nützlicher als »real«.


Quelle: Peter Byrne im Interview "Antirealistischer Querdenker", Z. Spektrum der Wissenschaft, März 2012, S. 48-51
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#2
(19-02-2012, 14:58)Ekkard schrieb: Trennen wir uns von dem Wort »Realität«. In unserer ganzen Diskussion wollen wir ohne diesen Begriff auskommen. Er stört. Er beschwört Dinge herauf, die uns kaum helfen. Das Wort »reproduzierbar« ist nützlicher als »real«.

da kann ich hrn. susskind nur zustimmen

was "realität" sein soll, ist eben sache der wahrnehmung oder auch interpretation. wie sich ja auch in einschlägigen diskussionen immer zeit, wo verschiedene auffassungen zu "realität" vertreten werden und daher leider oft aneinander vorbei geredet wird

ob es so etwas wie eine "objektive Realität" denn überhaupt gibt, von der wir dann ein "geistiges Abbild" gewinnen könnten, ist epistemisch nicht zu entscheiden. sie zu postulieren ermöglicht uns allerdings die formulierung modellhafter vorstellungen einer solchen, welche sich in der beschreibung des "reproduzierbaren" ganz außerordentlich bewährt haben

mir gefällt die idee, den mehrdeutigen und oft mißverständlichen begriff der "realität" zugunsten der "reproduzierbarkeit" über bord zu werfen. und mir doch vorzubehalten, daß nicht allein die "reproduzierbarkeit" das ausmacht, was wir als "realität" empfinden
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#3
Bene dictum!
Aut viam inveniam aut faciam
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#4
Na ja, wir haben - gerade bei Empfindungen - hochkomplexe Systeme vor uns, die eben nicht unter gleichen Bedingungen Gleiches reproduzieren, sondern von dem vergangenen Aufeinandertreffen von Ereignissen abhängen. Insofern wird "reproduzierbar" ein ebenfalls schwieriger Begriff. In der Quantenphysik wird er beispielsweise auf Eigenwerte, Mittelwerte etc. uminterpretiert. Oder anders: Wir müssen damit leben, dass sich, insbesondere komplexe Systeme nicht in der gewünschten Weise einordnen lassen. Weder ist für jedes System 'Realität' dasselbe noch erzeugt es "reproduzierbare" Antworten auf äußere Bedingungen. Die Physik beschäftigte sich bis dato mit hinreichend einfachen Systemen, deren Zustände zumindest in einem statistischen Sinne reproduzierbar waren.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#5
In der Zeitschrift SPEKTRUM Nr. 7/2014 S. 46-53 wurde die Problematik im Artikel "Was ist real?" erneut aufgegriffen.

Kurzfassung (wörtlich zitiert):

WEDER TEILCHEN NOCH FELDER

1 Die Teilchenphysik handelt von Teilchen - sollte man meinen. Üblicherweise stellt man sich dabei kleine Kugeln vor, die im Raum umherschwirren. Doch bei genauer Betrachtung erweist sich der Teilchenbegriff als nicht sinnvoll anwendbar.

2 Für viele Physiker sind Teilchen keine Dinge, sondern Anregungen eines Ouantenfelds - des modernen Gegenstücks zu klassischen Feldern wie dem Magnetfeld. Doch auch Felder haben paradoxe Eigenschaften.

3 Manche Forscher meinen daher, die Grundbestandteile der Welt seien weder Teilchen noch Felder, sondern bestimmte Strukturen oder Bündel von Eigenschaften.
(Zitat Ende)
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#6
Die drei Bulletpoints, zitiert aus der Spektrum, sehr Interessant.
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#7
(10-07-2014, 22:02)SPEKTRUM schrieb: 3 Manche Forscher meinen daher, die Grundbestandteile der Welt seien weder Teilchen noch Felder, sondern bestimmte Strukturen oder Bündel von Eigenschaften.
Das philosophische Problem besteht in der Erkenntnis-Ermittlung und -Weitergabe. Die Philosophie weiß ganz genau, dass wir nicht die Realität erkennen, sondern nur Beziehungen - und das schon seit Jahrhunderten!

Nur natürlich ordnen wir den Beziehungen Dinge zu, an denen wir Eigenschaften (gedanklich) anheften. Zum Beispiel ordnen wir dem kleinen, roten Fleck, der sich da oben bewegt und dem sich bewegenden Jungen einen geworfenen Ball zu. Das ist zwar vernünftig, um nicht schmerzhaft getroffen zu werden (Vor-Erkenntnis), aber es handelt sich nicht um die Realität, sondern nur um eine äußerst wahrscheinliche.

Je kleiner und elementarer die Dinge werden, umso wahrscheinlicher werden andere Realitäten, sprich (im Sinne des zitierten Aufsatzes) Eigenschaften des "Eigenschaftenbündels".
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#8
Um nochmal zum Anfang zurück zu kehren.

Die Fragestellung lautet: "was ist Realität?"
War es beabsichtelt, die Fragestellung so zu formulieren?

Es müsste doch im sprachlichen Sinne eigentlich heißen:

"Was ist Realität in Wirklichkeit"

In Bezug zu:

mir?
dir?
ihr/ihm?
euch?
uns?
ihnen?

Ist Real alles, oder ist realer noch realer als Real?
Ist Reproduzierbarkeit reproduzierbar?

Ist mein Spiegelbild wirklich Realität?
Ja ist es, ihr könnt all vorbeikommen und euch überzeugen! Nur hat die Sache 2 Haken. Mein Spiegelbild ist zum einen nicht reproduzierbar und zum anderen es ist auch noch spiegelverkehrt.

Das ist auch mein Problem mit dem holografischen Universum.

Hab ich möglicherweise nur ein holografisches Gehirn und die heiße Herdplatte ist in Wirklichkeit doch da?
Ist es deswegen leichter die Wirklichkeit zu reproduzieren, als die Realität?

Ich meine, alle Reproduzierbarkeit bedingt immer selbige Bedingungen, selbige Eigenschaften, selbige Zutaten und sogar selbiges Beobachtungsmuster. Dabei gleicht in Wirklichkeit noch nicht mal ein Ei dem anderen.^^

Ist also die Realität nur ein reduzierter Ausschnitt meiner fokusiven Wahrnehmung?
Wann, weshalb und wozu richte ich meinen Fokus gerade auf diesen Teilbereich meines eh schon limitierten Sichtfensters?

Dazu wäre auch mal interessant, einen Blinden zu fragen, "wie er das sieht". ^^

Apropos Quantenphysik: (mehrteiliges Gedankenspiel)

Ihr stellt euch vor, ich hätte hier ein Buch und das Buch wäre die alles-umfassende Antwort darauf was "Realität" in Wirklichkeit ist.

die Worte des Buches wären in diesem Gedankenspiel die Materie, aus dem der gesamte Informationsinhalt des Buches besteht; (der Einfacheit-halber lassen wir das Papier außen vor)

und die Buchstaben wären i. d. Spiel die Bausteine der Wörter-Materie.

So.. nun rüttle ich zuerst alle Wörter des Buches durcheinander und ihr dürft sie dann wieder soweit zusammenstellen, damit ihr an den Informationsinhalt des Buches kommt.

Theoretisch wäre das mit einem Simulationsprogramm der Evolutionstheorie (bitte bei Richard Dawkins bestellen) bis zu einem bestimmten Grad an Lesbarkeit noch möglich. Vielleicht dauert das ganze ein paar Milliarden Rechen-Jahre, aber demnächst gibt es ja Mega-superschnelle Quantencomputer und dann ist das Buch vielleicht schon in wenigen Stunden wieder zusammengestellt.

Wenn ich nun aber auch noch alle Buchstaben durcheinander rüttle, dann wird das Simulationsprogramm der Evolutionstheorie, auch auf einem super-mega-schnellen Super-Quantenkomputer bis in alle Ewigkeit rechnen und den ursprünglichen Informationsinhalt noch immer nicht wiederhergestellt haben, aber dafür sich viele andere neue und interessante Bücher, dazu noch in allen erdenklichen und nicht erdenklichen Sprachen.

Das selbe gilt auch für unsere Einbildung bezüglich einer real existierenden Fantasie. Fantasie soll ja etwas ganz persönliches und individuelles sein.
Ist sie aber nicht.
Mit der Fantasie ist es aber "real" nur wie mit dem Simulationsprogramm der Evolutionstheorie und selbst an der ausgefallensten Fantasie haben immer viele andere mitgewirkt.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#9
Ja, du willst auf diese Wechselbeziehung bzw. Trennung, zwischen den beiden Begriffen "Wirklichkeit" und "Realität" hinaus.

Wurde doch schon mal hier diskutiert..

(11-07-2014, 13:00)Geobacter schrieb: Ist also die Realität nur ein reduzierter Ausschnitt meiner fokusiven Wahrnehmung?


Die Wirklichkeit als die mit "individuelle" Wahrnehmung.
Und die Realitiät als undefinierbarer, schon rätselhaftes Gesamtkonstrukt, von dem die "Wirklichkeit" quasi nur Aspekte herausgreift?

Daher auch der Beispiel mit dem Blinden, der so mit seine eigene Form der "Wirklichkeit" entwickelt, weil er durch den fehlenden Sinn, andere Erfahrungen macht.
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#10
(11-07-2014, 14:47)Artist schrieb: Ja, du willst auf diese Wechselbeziehung bzw. Trennung, zwischen den beiden Begriffen "Wirklichkeit" und "Realität" hinaus.

Verstehe nicht was du damit meinst: "Ja, Du willst auf diese Wechselbeziehung hinaus".

Und was ist eine Trennung zwischen zwei schon unterschiedlichen Begriffen?



Es gibt mich
es gibt du
es gibt ihn/sie
es gibt uns
es gibt sie/die anderen
es gibt euch

Das sind alles schon mal ganz unterschiedliche und eigenständige Realitäten.
Und es kann da zu ernsthaften Konflikten kommen, wenn da jemand versucht, alle in den gleichen Topf der Wirklicheit zu stecken.

Wundere mich da gerade jetzt wieder mal so richtig, weil du doch sonst immer auf mehr Rücksichtnahme und Toleranz verpicht bist?

Naja, so ganz stimmt das mit dem Wundern eigentlich gar nicht. Ich glaub ich weis, wo das Problem hängt. Icon_wink
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#11
(11-07-2014, 13:00)Geobacter schrieb: Um nochmal zum Anfang zurück zu kehren.

Die Fragestellung lautet: "was ist Realität?"
War es beabsichtelt, die Fragestellung so zu formulieren?

Es müsste doch im sprachlichen Sinne eigentlich heißen:

"Was ist Realität in Wirklichkeit"

.......
.....
...
Ist Reproduzierbarkeit reproduzierbar?
....
.....
....

Das ist auch mein Problem mit dem holografischen Universum.

Realität ist "für Uns" das was uns die physikalische Welt wahrnehmen lässt, und die Wahrnehmungsbreite der Realität ist das, wie viel unsere verstand verkraftet, alles was sich dazwischen befindet ist Relativ... vielleicht sollte man sich über das "Relativ" unterhalten und nicht über die "Realität"

wenn ich mir dein Philo-Schlamassel von oben anschaue sehe ich den Chaos, welches aussieht wie... das die Gegenstände in eine Zimmer ohne Gravitation herum Absurd-elipsen...
(11-07-2014, 13:00)Geobacter schrieb: Hab ich möglicherweise nur ein holografisches Gehirn und die heiße Herdplatte ist in Wirklichkeit doch da?
sei dir sicher die Herdplatte steht mit dir untrennbar in eine Visuell Neuronale Verbindung
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#12
(11-07-2014, 16:00)Koon schrieb: Realität ist "für Uns" ...
Welche Gruppe befindet sich hinter "für Uns" ?
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#13
(11-07-2014, 16:08)Wilhelm schrieb:
(11-07-2014, 16:00)Koon schrieb: Realität ist "für Uns" ...
Welche Gruppe befindet sich hinter "für Uns" ?
welche Gruppe willst du da rein ziehen... ?
haben deine merkwürdigen Fantasien irgend etwas von der Realität.. ?
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#14
(11-07-2014, 16:00)Koon schrieb: wenn ich mir dein Philo-Schlamassel von oben anschaue sehe ich den Chaos, welches aussieht wie... das die Gegenstände in eine Zimmer ohne Gravitation herum Absurd-elipsen...


Tja, weis nicht!

Wenn du Dir mein Philo-Schlamassel von oben so ansiehst.. Icon_cheesygrin
(11-07-2014, 16:00)Koon schrieb: Realität ist "für Uns" das was uns die physikalische Welt wahrnehmen lässt, und die Wahrnehmungsbreite der Realität ist das, wie viel unsere verstand verkraftet, alles was sich dazwischen befindet ist Relativ... vielleicht sollte man sich über das "Relativ" unterhalten und nicht über die "Realität"
Und von wo aus siehst du dir das jetzt wieder an? Icon_cheesygrin

(11-07-2014, 16:00)Koon schrieb: sei dir sicher die Herdplatte steht mit dir untrennbar in eine Visuell Neuronale Verbindung
und das ist jetzt relativ gemeint? Im Prinzip könnte ich auch blind sein.
was dann?
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
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#15
Das wird mir hier bischen zu Abstrakt.
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