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Helfender Engel der Liebe
#1
Über die unterschiedliche Wahrnehmung der Rolle der katholischen Kirche als Fluchthelfer für Juden und Nazis während und in den Jahren nach der faschistischen Ära in Europa:

Zweifellos hat es auch sie gegeben: Katholische Priester, die sich unter Einsatz ihres Lebens für Verfolgte - auch für Juden - verwendet hatten. Sie, die von ihrer Obrigkeit misstrauisch - oft auch mit offener Missbilligung – beobachtet wurden, waren die Ausnahme. Heute dienen sie als Feigenblatt für Versäumnisse, für die die oberste kirchliche Behörde, an ihrer Spitze der Papst, die Verantwortung zu tragen hatte.

Mit dem Wunsch, Pacelli (Pius XII.) in die Reihen der Heiligen aufzunehmen, wurde im Zuge des dazu eingeleiteten Verfahrens keine Mühe gescheut, diesem auch ein "heiligmäßiges Leben" zu konstruieren. Im Umfeld solcher Recherchen tauchten danach auch immer wieder schwach (oder nicht) belegte Berichte auf, wonach er sich auch für Juden eingesetzt (ihnen Taufscheine ausgestellt, etc.) hätte.

Solch "neue Erkenntnisse" sind auch im Internet präsent, von diversen, an einer möglichst "heiligmäßigen Vita" Pacellis interessierten Stellen in Umlauf gebracht. Einfach wäre es, die (für die Zeit nach 1939 noch immer unter Verschluss gehaltenen) Archive des Vatikans der Forschung zugänglich zu machen. Das hat man bisher standhaft vermieden.

Als es der Nazi-Elite an den Kragen zu gehen drohte, entdeckten viele Priester ihren Sinn für Nächstenliebe und setzten sich aufopfernd für so manche ein, die sich noch rasch ihrer katholischen Wurzeln erinnert hatten und "reumütig" in den Schoß der Kirche zurückgekehrt waren.

Genaue Zahlen dazu kann es nicht geben. Erstens, weil das von der Definition, wer Täter gewesen war, abhängt, und zweitens, weil diese Sache historisch noch immer nicht vollständig aufgearbeitet ist.

Wenn man die Daten, die zu einem prominenten Fluchtziel, Argentinien, vorliegen, hernimmt, kann man erfahren, dass sich alleine dort zumindest 300 höhere NS-Funktionäre, davon etwa 50 schwer belastete Kriegsverbrecher und Massenmörder, ihrer Verantwortung entzogen hatten, zumeist mit Unterstützung der Fluchthilfeseilschaften, die sich im Vatikan eingerichtet hatten.

Nicht nur Argentinien stand als "Gastland" zur Verfügung, auch in anderen Ländern Südamerikas, ja selbst in den USA und in Kanada fanden nicht wenige Nazis mit falschen Identitäten Unterschlupf. Manche flüchteten auch in arabische Staaten, wo sie, meist ohne ihre Identität verleugnen zu müssen, unbehelligt leben konnten.

Am 18. April 1944 hat Pius XII. die Pontificia Commissione di Assistenza (PCA) zur Linderung des Flüchtlings- und Kriegsgefangenelends eingerichtet. Die praktische Arbeit verteilte sich auf nationale Unterkomitees. Etwa 20 solcher Unterkomitees (ein ungarisches, polnisches, litauisches, ukrainisches, etc.) wurden von der Päpstlichen Hilfskommission eingerichtet. Das österreichische Hilfskomitee wurde von Bischof Alois Hudal geleitet. Im kroatischen Hilfekomitee war Monsignore Krunoslav Draganovic, selbst der Beteiligung an Kriegsverbrechen verdächtigt, federführend, er residierte in Rom im Istituto di San Girolamo.

Eine sehr wichtige Institution war auch die Ökumenische Hilfsstelle in Rom, die von Monsignore Karl Heinemann geleitet wurde.

In den Komitees herrschte nationaler und antikommunistischer Geist. Als Kernaufgabe war die Betreuung katholischer Kriegsgefangener und Flüchtlinge vorgesehen. In italienischen Lagern befanden sich nach Kriegsende viele Ustascha-Soldaten, ukrainische SS-Männer, österreichische und deutsche SS-Angehörige, die zu einem guten Teil katholisch waren und auf die Unterstützung "ihrer" Komitees rechnen konnten.

In NS-Kreisen war bekannt, dass die nationalen Unterkomitees gute Adressen für jene waren, die eine neue Identität benötigten. Es wurden bereitwillig alle Namen und Geburtsdaten, mit denen sich "Verfolgte" vorstellten, schriftlich bestätigt. Mit der Vorlage dieser Papiere wurden beim Internationalen Roten Kreuz (IKRK) Pässe beantragt, die man in der Regel auch anstandslos ausgestellt bekam.

Die Zusammenarbeit funktionierte problemlos: Die Päpstlichen Hilfsstellen bezeugten die Identität und besorgten Visa, das IKRK die Pässe. Bis Mitte 1951 wurden auf diese Weise etwa 120000 Personen (die natürlich - ich merke das vorsichtshalber an - nicht alle Nazis gewesen waren) mit Papieren ausgestattet.

Es waren keineswegs nur kleine Fische, die durchs Netz schlüpften.

Für Josef Schwammberger, dem KZ-Kommandanten von Przemysl, setzte sich der Sekretär der PCA (Secione Stranieri), Francesco Echarri, beim IKRK mit persönlichem Schreiben ein, den Kommandanten von Treblinka, Franz Stangl, nahm Bischof Hudal bei sich in der Via della Pace 20 solange auf, bis er für ihn die Flucht via Syrien nach Brasilien organisiert hatte.

Erst als SS-Sturmbannführer Otto G. Wächter, der wegen begangener Kriegsverbrechen in Krakau und Ostgalizien gesucht wurde, in einem Franziskanerkloster in Rom, wo ihn Hudal untergebracht hatte, verstarb und neben diesem Fall auch andere, ähnlich gelagerte Fälle von der italienischen Presse aufgegriffen wurden, distanzierte sich Pius XII. von Bischof Hudal, und man begann ab Februar 1950 "aus Geldmangel" die Unterkomitees nach und nach aufzulösen.

Zuvor hatte Bischof Hudal sein Wirken in der Sache Wächter in einer Predigt, die er am 11.9.1949 in der Deutschen Nationalkirche in Rom, Santa Maria dell'Anima, gehalten hatte, gerechtfertigt:

"Ich habe mich mit italienischen Priestern des schwerkranken Generalleutnants Wächter angenommen und wenn ich nochmals in eine solche Lage kommen sollte, ich würde abermals ganz gleich handeln…

…denn ich sehe…

…die große und heilige Handlung des katholischen Priesters darin, ein helfender Engel der Liebe … zu sein."
MfG B.
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#2
Hudal ist überhaupt eine sehr schillernde und fragwürdige Persönlichkeit -
vgl. /de.wikipedia.org/wiki/Hudal :icon_twisted:
() qilin
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