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Meine Glaubensentwicklung
#10
Nachdem ich eine solche Zusammenfassung erst vor ein paar Wochen in
einem anderen Forum geschrieben habe, brauch' ich ja nur zu kopieren...
Ein wenig lang ist's halt :icon_wink:

Aufgewachsen bin ich in einem eher areligiösen Elternhaus; mein erster Kontakt
mit Religion war der Religionsunterricht, und eine 'Kirchentante', die öfters zu
Besuch kam und mit uns Kindern religiöse Gespräche führte. Das hat mich nun
manchmal interessiert, manchmal weniger; tiefe Eindrücke hat's jedenfalls nicht
hinterlassen. Die erste wirklich intensive Auseinandersetzung mit dem Thema
war für mich dann 'intellektueller Overkill' - ich war ungefähr neun, als ich mit
einem Älteren ins Gespräch kam - er muss Oberschüler oder Studienanfänger
gewesen sein, und er überschüttete mich mit allen Argumenten seines brachialen
Atheismus - für mich war das Alles völlig neu, ich konnte ihm in keinem Punkt
widersprechen, und doch fehlte mir etwas dabei - ich fing an, mich für andere
Religionen zu interessieren und sie zu vergleichen mit dem was ich gehört hatte.
Dabei bin ich erstmals auf den Buddhismus gestoßen, der mich faszinierte -
obwohl ich natürlich nur wenig davon tatsächlich verstand.
Als ich 13 war, kam ein neuer Religionslehrer, und er hat uns das Christentum
auf eine Art nahegebracht, die mich überzeugte; ich begann es mit anderen
Augen zu sehen, und es dauerte nicht lange, da war ich überzeugtes Mitglied
einer katholischen Jugendgruppe... Von damals sind mir zwei Dinge noch in
Erinnerung, von denen ich nicht erkannte dass sie zusammenhingen, und die
erst viele Jahre später wirksam wurden. Unser RL erwähnte einmal die
Mystiker; er erklärte nicht viel dazu, nur dass sie irgendwie ein persönliches
Verhältnis zu Gott hätten, so dass sie sozusagen nach dem Tod einfach durch
das Himmelstor 'reingehen könnten, dem Petrus zuwinken und dazu sagen:
"Hallo - ist der Chef da?" - mir war das völlig unverständlich. Ein oder zwei
Jahre später ging ich an einem windigen Tag spazieren, da blies mir ein
Windstoß einen Zettel an den Schuh, wo er hängen blieb. Ich entfernte ihn,
sah dass es ein Kalenderblatt war und drehte es um - da stand der Spruch
'Wer Gott liebt, der hat keine andere Religion als Gott. (Rumi)'. Das traf mich
wie ein Hammerschlag - irgendwie war mir das völlig überzeugend, auf der
anderen Seite wusste ich nicht, wie man das praktisch umsetzen könnte.
15 Jahre später war ich immer noch überzeugter Katholik, hörte an der Uni
theologische, naturwissenschaftliche und philosophische Vorlesungen, und
bei letzteren hörte ich erstmals von dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz.
Der besagt, dass ein Gedankensystem entweder vollständig sein kann oder
widerspruchsfrei - nicht aber beides zugleich, dass ein System nicht innerhalb
seiner selbst beweisbar sein kann. Da erhob sich nun für mich die Frage, ob
ich an einem widerspruchsfreien, aber beschränkten Weltbild interessiert bin,
oder an einem unbeschränkten, das Widersprüche zulässt... Für mich war es
sonnenklar - ich wollte 'schrankenlose Erkenntnis' - ob die nun Widersprüche
enthielt oder nicht, war mir sch...egal. Dass das allein mit rationalem Denken
nicht funktionieren konnte, war mir klar - ich suchte also auf der 'spirituellen
Speisekarte', was da wohl für mich in Frage käme, und da stieß ich auf 'Zen' -
von dem ich nur mal gehört hatte, dass diese Leute jahrelang schweigend auf
dem Boden säßen, bis sie mal eine 'Erleuchtung' hätten - nicht gerade sehr
einladend, aber nachdem ich ein paar Bücher dazu gelesen hatte, dachte ich
bei mir, ich sollte das vielleicht einmal versuchen, es könnte mir evtl. besser
entsprechen als andere Wege. Meiner katholischen Überzeugung widersprach
das nicht - für mich war's ein Glücksfall, dass ein bekannter katholischer
Zen-Lehrer gerade in Deutschland zu Besuch war, der Jesuit H.M. Enomiya-
Lassalle. Es bot sich zufällig die Gelegenheit, an einem seiner Sesshin für
Fortgeschrittene teilzunehmen, einem strengen einwöchigen Meditations-
Retreat. Das ging bis an meine physischen und psychischen Grenzen, aber
die Sache hat mich nicht losgelassen - und einige Jahre später begegnete ich
meinem 'alten Lehrer' Prof. Hungerleider, dessen Zen einen etwas anderen
Schwerpunkt hatte - nicht mehr die japanische Strenge, die Lassalle vermittelt
hatte, sondern die chinesische Weitherzigkeit und eine Bejahung aller
religiösen Wege - da konnte ich nun mit Rumi und seinem 'Keine Religion
als Gott selbst' wieder anknüpfen. Mir wurde dann aber auch bald klar, dass
auch die herkömmlichen Religionen - ob Buddhismus, Christentum, Islam
oder was auch immer - 'Weltbilder' sind, Gedankensysteme, auf die der Satz
von Gödel anwendbar ist; die versuchen, Beweise aus dem zu Beweisenden
zu konstruieren - ein vergebliches Unterfangen, was aber wiederum nichts
aussagt über Wahrheit oder Unwahrheit ihrer jeweiligen Aussagen - nur dass
diese einander in vielen Punkten widersprechen... Gott sagt 'Du sollst dir kein
Bild machen noch irgendein Gleichnis' - aber ist es nicht so dass, wer 'Gott'
sagt, sich damit bereits ein Bild macht?
Ein japanischer Zenmeister hat mich einmal gefragt, ob ich wohl Christ sei,
Buddhist, Taoist oder was sonst. Ich habe ihm geantwortet: "Ich glaube, dass
es eine Wahrheit gibt. Wenn ich die durch eine rote Brille betrachte, sehe ich
eine rote Wahrheit; wenn ich eine grüne Brille verwende, sehe ich eine grüne.
Ich möchte aber lernen, diese Wahrheit ohne Brille zu sehen."
() qilin
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Nachrichten in diesem Thema
Meine Glaubensentwicklung - von Der-Einsiedler - 01-11-2010, 19:28
RE: Konversion - von Ekkard - 01-11-2010, 19:37
RE: Konversion - von Der-Einsiedler - 01-11-2010, 19:39
RE: Konversion - von alwin - 01-11-2010, 19:43
Meine Glaubensentwicklung - von Ekkard - 01-11-2010, 19:53
RE: Meine Glaubensentwicklung - von zahira - 01-11-2010, 20:54
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RE: Meine Glaubensentwicklung - von Der-Einsiedler - 01-11-2010, 22:27
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RE: Meine Glaubensentwicklung - von agnostik - 02-11-2010, 15:06
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RE: Meine Glaubensentwicklung - von agnostik - 02-11-2010, 15:14
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RE: Meine Glaubensentwicklung - von Polski - 02-11-2010, 18:25
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RE: Meine Glaubensentwicklung - von Romero - 03-11-2010, 09:53
RE: Meine Glaubensentwicklung - von Polski - 03-11-2010, 10:54
RE: Meine Glaubensentwicklung - von qilin - 02-11-2010, 19:06
RE: Meine Glaubensentwicklung - von Der-Einsiedler - 02-11-2010, 19:07
RE: Meine Glaubensentwicklung - von Theodora - 02-11-2010, 21:47

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