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LXX und NT
#1
hgp schrieb:Der Fall der LXX ist dafür ein Beispiel. Bis ca. Mitte des 20.JH war allgemein als Tatsache anerkannt, dass die LXX von Anfang an "kyrios" anstatt "יהוה" enthielt. Alle damals bekannten HSS stammten aus der Zeit nach dem Jahre 150 und man rekonstruierte den ursprünglichen Text aus diesen. Aber im Laufe des 20.JH wurden dann ältere Manuskripte gefunden und -oh Wunder- die enthielten etwas ganz anderes als es die von dir vorgeschlagene Methode nahelegte, nämlich Tetragrammata statt des rekonstruierten "kyrios".

In den christlichen Handschriften zur LXX vertritt κύριος das Tetragramm 6156mal (nach ThWNT 3, 1057). Hingegen liegen nur wenige vorchristlich-jüdische Handschriften vor (zB Ägypten, Papyrus Fouad 266; Palästina, 8Hev XII gr.; 4QLev(b)), die das Tetragramm in (alt-)hebräischer, aramäischer Sprache oder in griechischer Transliteration wiedergeben.

Aus Kommentaren von Philon geht hervor, dass er das Tetragramm als κύριος zumindest zu lesen gewohnt war.

Da die in Fragmenten aufgefundenen jüdischen Texte zur Archaisierung neigen, ist fraglich, ob diese tatsächlich den ältesten LXX-Text bezeugen.

Bei den damit befassten Fachleuten besteht keinesfalls Einigkeit, ob die Autoren des NTs in der LXX das Tetragramm oder als dessen Surrogat die Gottesbezeichnung κύριος vorgefunden haben.

In den Grundtexten zum NT kommt das Tetragramm jedenfalls nicht vor. Es ist auch nicht einsichtig, dass es irgendwo hätte gestanden haben müssen. Als Gottesbezeichnung wurde vornehmlich θεός und κύριος (aber auch anderes) verwendet, κύριος auch als Herrschafts- und Christustitel.
MfG B.
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#2
Hallo,

danke für deine interessanten Bemerkungen. Ich habe dazu noch ein paar Fragen bzw. Anmerkungen:

(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb:
hgp schrieb:Der Fall der LXX ist dafür ein Beispiel. Bis ca. Mitte des 20.JH war allgemein als Tatsache anerkannt, dass die LXX von Anfang an "kyrios" anstatt "יהוה" enthielt. Alle damals bekannten HSS stammten aus der Zeit nach dem Jahre 150 und man rekonstruierte den ursprünglichen Text aus diesen. Aber im Laufe des 20.JH wurden dann ältere Manuskripte gefunden und -oh Wunder- die enthielten etwas ganz anderes als es die von dir vorgeschlagene Methode nahelegte, nämlich Tetragrammata statt des rekonstruierten "kyrios".

In den christlichen Handschriften zur LXX vertritt κύριος das Tetragramm 6156mal (nach ThWNT 3, 1057). Hingegen liegen nur wenige vorchristlich-jüdische Handschriften vor (zB Ägypten, Papyrus Fouad 266; Palästina, 8Hev XII gr.; 4QLev(b)), die das Tetragramm in (alt-)hebräischer, aramäischer Sprache oder in griechischer Transliteration wiedergeben.
Der springende Punkt dabei ist, dass bis zum zweiten JH KEINE Handschrift das Tetragrammaton durch κύριος ersetzt. Und als älteste Handschriften haben diese "wenigen" natürlich ein besonderes Gewicht, da sie einheitlich eine andere Wiedergabe enthalten als die jüngeren HSS.

(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Aus Kommentaren von Philon geht hervor, dass er das Tetragramm als κύριος zumindest zu lesen gewohnt war.
Welche Relevanz siehst du in diesem Sachverhalt?

(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Da die in Fragmenten aufgefundenen jüdischen Texte zur Archaisierung neigen, ist fraglich, ob diese tatsächlich den ältesten LXX-Text bezeugen.
Was meinst du mit "Archaisierung"?

Außerdem ist für unser Thema doch eher die Frage wichtig, ob die Fragmente den Text des ersten JH wiedergeben. Ob dieser Text derjenige war, der ca. 300 Jahre früher verwendet wurde ist ist in diesem Zusammenhang zweitrangig.

(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Bei den damit befassten Fachleuten besteht keinesfalls Einigkeit, ob die Autoren des NTs in der LXX das Tetragramm oder als dessen Surrogat die Gottesbezeichnung κύριος vorgefunden haben.
Welche Argumente haben die Experten, die meinen, dass die vorhandenen Handschriften nicht den Text enthalten, der im 1.JH allgemein verwendet wurde?

(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: In den Grundtexten zum NT kommt das Tetragramm jedenfalls nicht vor. Es ist auch nicht einsichtig, dass es irgendwo hätte gestanden haben müssen.
Ich weiß, nicht, was dir einsichtig ist. Für mich gibt es eine ganze Reihe Stellen, an denen der überlieferte Text gerade durch die Verwendung von κύριος unklar wird. Und wenn die LXX im 1.JH das Tetragrammaton enthielt ist es überraschend, warum die Judenchristn diese Texte beim Zitieren verändern sollten.

(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Als Gottesbezeichnung wurde vornehmlich θεός und κύριος (aber auch anderes) verwendet, κύριος auch als Herrschafts- und Christustitel.
Diese Aussage setzt voraus, dass bestimmte Erklärungsmodelle des Handschriftenbefundes (nämlich genau das von mir genannte) von vornherein aus der Diskussion ausgeschlossen werden.
hgp.blogger.de - Die anonyme Stimme eines Rufers im Internet
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#3
(31-08-2010, 08:50)hgp schrieb:
(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: In den christlichen Handschriften zur LXX vertritt κύριος das Tetragramm 6156mal (nach ThWNT 3, 1057). Hingegen liegen nur wenige vorchristlich-jüdische Handschriften vor (zB Ägypten, Papyrus Fouad 266; Palästina, 8Hev XII gr.; 4QLev(b)), die das Tetragramm in (alt-)hebräischer, aramäischer Sprache oder in griechischer Transliteration wiedergeben.
Der springende Punkt dabei ist, dass bis zum zweiten JH KEINE Handschrift das Tetragrammaton durch κύριος ersetzt. Und als älteste Handschriften haben diese "wenigen" natürlich ein besonderes Gewicht, da sie einheitlich eine andere Wiedergabe enthalten als die jüngeren HSS.

Eine Frage der Bewertung von Indizien, die bei mir zu einem anderen Ergebnis führt.

(31-08-2010, 08:50)hgp schrieb:
(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Aus Kommentaren von Philon geht hervor, dass er das Tetragramm als κύριος zumindest zu lesen gewohnt war.
Welche Relevanz siehst du in diesem Sachverhalt?

Dass Philon, der, wie wir beide wissen, im 1. Jh. nC wirkte, wenn er aus der LXX zitiert, κύριος (anstelle des Tetragramms) verwendet (De Abahamo 121; De mutatione nominum 18-24; De plantatione 85-90), also es so im Text vorgefunden haben muss.

(31-08-2010, 08:50)hgp schrieb:
(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Da die in Fragmenten aufgefundenen jüdischen Texte zur Archaisierung neigen, ist fraglich, ob diese tatsächlich den ältesten LXX-Text bezeugen.
Was meinst du mit "Archaisierung"?

F. Dunand äußerte die Meinung, in den Fragmenten (Papyrus Fouad 266 und anderen) seien Ausdrücke gezielt so gebraucht, dass sie den Anschein der Ursprünglichkeit erwecken sollten. Er nennt das "gezielte Archaisierung" der Texte.

Françoise Dunand: Papyrus Grecs Bibliques (Papyrus F. Inv. 266). Volumina de la Genèse et du Deutéronome. L'Institut Francais d'Archéologie Orientale. Recherches d'archéologie, de philologie, et d'histoire 27 (1966).

hgp schrieb:Welche Argumente haben die Experten, die meinen, dass die vorhandenen Handschriften nicht den Text enthalten, der im 1.JH allgemein verwendet wurde?

Dazu:

Albert Pietersma, "Kyrios or Tetragram: A Renewed Quest for the Original LXX, De Septuaginta. Studies in Honour of John William Wevers on this Sixty-fifth Birthday, Benben Publications, Mississauga 1984, 85-110.

Martin Rösel, Die Übersetzung der Gottesnamen in der Genesis-Septuaginta, in: Ernten, was man sät. FS Klaus Koch, hg. v. D. R. Daniels u.a., Neukirchen 1991, 357-377.

Hubert Frankemölle, Frühjudentum und Urchristentum, Stuttgart 2006, 176-179.


hgp schrieb:
(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: In den Grundtexten zum NT kommt das Tetragramm jedenfalls nicht vor. Es ist auch nicht einsichtig, dass es irgendwo hätte gestanden haben müssen.
Ich weiß, nicht, was dir einsichtig ist. Für mich gibt es eine ganze Reihe Stellen, an denen der überlieferte Text gerade durch die Verwendung von κύριος unklar wird. Und wenn die LXX im 1.JH das Tetragrammaton enthielt ist es überraschend, warum die Judenchristn diese Texte beim Zitieren verändern sollten.

Tatsache ist: es gibt in den Grundtexten zum NT kein Beispiel, das Deine These stützen könnte.

hgp schrieb:
(16-08-2010, 21:24)Bion schrieb: Als Gottesbezeichnung wurde vornehmlich θεός und κύριος (aber auch anderes) verwendet, κύριος auch als Herrschafts- und Christustitel.
Diese Aussage setzt voraus, dass bestimmte Erklärungsmodelle des Handschriftenbefundes (nämlich genau das von mir genannte) von vornherein aus der Diskussion ausgeschlossen werden.

Was heißt, von der Diskussion ausschließen?

Du hast Dein Erklärungsmodell vorgetragen. Ich bewerte die Zusammenhänge anders. Insbesondere solche Dinge lassen doch genügend Spielraum für Mehrheits- und Minderheitsmeinung offen.

In religions-, theologie-, textgeschichtlichen (etc.) Fragen sind doch Meinungsverschiedenheiten eher die Regel als die Ausnahme.
MfG B.
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#4
Zitat:Du hast Dein Erklärungsmodell vorgetragen. Ich bewerte die Zusammenhänge anders. Insbesondere solche Dinge lassen doch genügend Spielraum für Mehrheits- und Minderheitsmeinung offen.

In religions-, theologie-, textgeschichtlichen (etc.) Fragen sind doch Meinungsverschiedenheiten eher die Regel als die Ausnahme.

Damit kann ich leben. Ich bin in dieser Diskussion angekommen, weil man mir in einer anderen Diskussion vorwarf, meine Meinung sei einfach eine bewusste Bibelfälschung; daher meine etwas stärkere Reaktion...

Du hast die genannten Quellen nicht rein zufällig in gescannter Form für jemanden, der weit weg von der nächsten Bibliothek wohnt?

Gruß
hgp
hgp.blogger.de - Die anonyme Stimme eines Rufers im Internet
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#5
(01-09-2010, 07:47)hgp schrieb: Ich bin in dieser Diskussion angekommen, weil man mir in einer anderen Diskussion vorwarf, meine Meinung sei einfach eine bewusste Bibelfälschung

das muß aber in einem anderen forum gewesen sein. hier bist du lediglich darauf angesprungen, daß eure bibelübersetzung "verformt" (http://religionsforum.de/showthread.php?tid=3068&pid=59935#pid59935) bzw. "stümperhaft" (http://religionsforum.de/showthread.php?tid=3068&pid=59996#pid59996) sei - davon, daß du bewußte bibelfälschung betriebest, war nicht die rede


, daß es abweichungen zwischen eurer und den üblichen bibelübersetzungen gibt
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#6
(01-09-2010, 10:03)petronius schrieb: das muß aber in einem anderen forum gewesen sein. hier bist du lediglich darauf angesprungen, daß eure bibelübersetzung "verformt" (http://religionsforum.de/showthread.php?tid=3068&pid=59935#pid59935) bzw. "stümperhaft" (http://religionsforum.de/showthread.php?tid=3068&pid=59996#pid59996) sei - davon, daß du bewußte bibelfälschung betriebest, war nicht die rede
, daß es abweichungen zwischen eurer und den üblichen bibelübersetzungen gibt
Dann scheint es, dass meine Erinnerung mir hier einen Streich spielte. Danke für den Hinweis.

hgp
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#7
(31-08-2010, 08:50)hgp schrieb: Für mich gibt es eine ganze Reihe Stellen, an denen der überlieferte Text gerade durch die Verwendung von κύριος unklar wird.

Könntest Du einige davon nennen?
Solche Sachen interessieren mich sehr.
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#8
(01-09-2010, 07:47)hgp schrieb: Du hast die genannten Quellen nicht rein zufällig in gescannter Form für jemanden, der weit weg von der nächsten Bibliothek wohnt?

Für die verspätete Antwort bitte ich um Nachsicht. Ich war ein paar Tage unterwegs.

Textauszüge in gescannter Form habe ich leider nicht anzubieten.

Ich habe mich vor einigen Jahren recht gewissenhaft mit biblischer Textgeschichte beschäftigt. Die von mir angemerkten Bücher sind im Bestand der Wiener Universitätsbibliothek. Was die Inhalte dieser Bücher betrifft, verfüge ich nur über ein paar handschriftliche Vermerke, die ich im Zuge der Bibliotheksarbeit angefertigt hatte.
MfG B.
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#9
Hallo,

einen Teil der genannten Quellen konnte ich inzwischen im Netz finden, für diejenigen, die es interessiert:

books.google.de/books?id=Nl6ou4VxuOcC&printsec=frontcover&dq=Hubert+Frankem%C3%B6lle,+Fr%C3%BChjudentum+und+Urchristentum&source=bl&ots=zAmljBr7eh&sig=EDeE-d8Z2-0tWbB4ruuT2kql0og&hl=de&ei=a5GITO73CISvOIqu6McO&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CBkQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false

homes.chass.utoronto.ca/~pietersm/Kyrios%20or%20Tetragram.pdf

Damit habe ich erst mal genug zu lesen...


@agnostik: ich habe keine vorbereitete Liste, will aber ein paar Stellen heraussuchen. Allerdings hat im Augenblick meine Steuererklärung Vorrang, es kann also eine Weile dauern...

Gruß
hgp
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