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Entwicklung der Vernunft?
#1
In der Spiegel-ausgabe vom 01.03.2010 war ein sehr interessantes Interview mit den britischen Philosophen John Gray.
In dem sagt er unter anderem der Humanismus ist ein Aberglaube und eine Entwicklung des Menschen hin zu einem "idealen" Wesen nicht vorhanden, so dass auch eine ideale Gesellschaft utopisch ist.

Ich möchte vor allem folgendes Zitat in den Mittelpunkt der Diskussion stellen und gerne eure Meinung dazu hören:

"Es gibt keine Kohärenz, keinen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit in der Art, wie Hegel und Marx dies annehmen. Die Geschichte ist nicht die stetige Entfaltung der Vernunft."

Was meint ihr dazu?
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#2
Ich glaube nicht, dass der Mensch selbst sich großartig ändert.
Die ethischen Übereinkünfte einer Gesellschaft allerdings schon. Und ja, auch zum Positiven. Die Lebensqualität trägt bspw. dazu bei.

In einem Blog stand letztens, dass Atheisten einen neuen Zweig der Evolution darstellen. Sie sind intelligent, gehen spät ins Bett und leben vorwiegend monogam. Der Mensch entwickelt sich also genetisch weiter.
"What can be asserted without proof can be dismissed without proof." [Christopher Hitchens]
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#3
(11-03-2010, 14:57)Gundi schrieb: In der Spiegel-ausgabe vom 01.03.2010 war ein sehr interessantes Interview mit den britischen Philosophen John Gray.
In dem sagt er unter anderem der Humanismus ist ein Aberglaube und eine Entwicklung des Menschen hin zu einem "idealen" Wesen nicht vorhanden, so dass auch eine ideale Gesellschaft utopisch ist.

Ich möchte vor allem folgendes Zitat in den Mittelpunkt der Diskussion stellen und gerne eure Meinung dazu hören:

"Es gibt keine Kohärenz, keinen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit in der Art, wie Hegel und Marx dies annehmen. Die Geschichte ist nicht die stetige Entfaltung der Vernunft."

Was meint ihr dazu?

Eine ideale Gesellschaft werden wir wohl wirklich nie erreichen.

Geschichte als "stetige Entfaltung der Vernunft" würde ich so auch nicht bezeichnen, aber dass momentan eine Entwicklung hin zu einer besseren Gesellschaft stattfindet schon. Natürlich entfalten sich auch heute noch immer wieder neue Probleme, aber tendenziell verbessert sich - in einigen Teilen der Erde - die Zivilisation, finde ich.
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#4
(11-03-2010, 14:57)Gundi schrieb: In der Spiegel-ausgabe vom 01.03.2010 war ein sehr interessantes Interview mit den britischen Philosophen John Gray.
In dem sagt er unter anderem der Humanismus ist ein Aberglaube

begründung?

und was versteht hr. gray unter "humanismus"?

für mich ist das eine geisteshaltung (den menschen und seine würde ins zentrum der überlegungen zu rücken), aber nicht der glaube an irgendwas. wie man also darauf kommen kann, humanismus sei aberglaube, ist mir ein rätsel

Zitat:und eine Entwicklung des Menschen hin zu einem "idealen" Wesen nicht vorhanden, so dass auch eine ideale Gesellschaft utopisch ist

wer wäre denn auch so naiv resp. grenzdebil, die "Entwicklung des Menschen hin zu einem "idealen" Wesen" oder eine "ideale Gesellschaft" zu erwarten?

(11-03-2010, 14:57)Gundi schrieb: "Es gibt keine Kohärenz, keinen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit in der Art, wie Hegel und Marx dies annehmen. Die Geschichte ist nicht die stetige Entfaltung der Vernunft."

Was meint ihr dazu?

daß sich hier ein prof nicht entblödet, binsenweisheiten als großartige erkenntnis zu verkaufen...

ich weiß zwar zu wenig von philosophie, um beurteilen zu können, ob sich hegel und marx darauf reduzieren oder auch nur sinnvoll so zusammenfassen lassen, daß "die Geschichte die stetige Entfaltung der Vernunft" sei - aber ich wage doch zu fragen, wer denn heutzutage noch wörtlich an hegel und marx glaubt wie ein evangelikaler an die irrtumsfreiheit der bibel...
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#5
(11-03-2010, 15:37)nidschki schrieb: Eine ideale Gesellschaft werden wir wohl wirklich nie erreichen.

Geschichte als "stetige Entfaltung der Vernunft" würde ich so auch nicht bezeichnen, aber dass momentan eine Entwicklung hin zu einer besseren Gesellschaft stattfindet schon. Natürlich entfalten sich auch heute noch immer wieder neue Probleme, aber tendenziell verbessert sich - in einigen Teilen der Erde - die Zivilisation, finde ich.

Es ist halt die Frage, ob unsere Gesellschaft, welche Leute wie George Bush und heilige Kriege im Zeichen der Demokratie hervorbringt wirklich eine Verbesserung darstellt? Menschenrechtsverletzungen und Armut sind ja auch bei uns noch vorhanden.

Ich persönlich würde aber ähnlich wie du auch eher von einer Entwicklung sprechen, die aber von einer idealen Gesellschaft noch weit entfernt ist.
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#6
Entfaltung der Vernunft? Wie definiert der Herr denn "Vernunft"? Ich denke wenn ein antiker Ägypter unsere heutige Gesellschaft betrachten würde, würde ihm gleich die Kinnlade runterklappen und er würde uns den Vogel zeigen.
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#7
(11-03-2010, 15:45)petronius schrieb:
(11-03-2010, 14:57)Gundi schrieb: In der Spiegel-ausgabe vom 01.03.2010 war ein sehr interessantes Interview mit den britischen Philosophen John Gray.
In dem sagt er unter anderem der Humanismus ist ein Aberglaube

begründung?

und was versteht hr. gray unter "humanismus"?

für mich ist das eine geisteshaltung (den menschen und seine würde ins zentrum der überlegungen zu rücken), aber nicht der glaube an irgendwas. wie man also darauf kommen kann, humanismus sei aberglaube, ist mir ein rätsel

Da ich ja auch nur ein Interview von ihm kenne kann ich dir die Fragen so nicht beantworten. Es scheint aber so dass für ihn Humanismus etwas ist, dass den menschlichen Verstand in den Mittelpunkt rückt, welcher im Stande ist wahre Erkenntnis (Gut und Böse) zu erkennen. Diese Erkenntnis äußert sich in Idealen. Diesen Glauben aber an die menschliche Vernunft bezeichnet Gray als Aberglauben, genauso wie das Streben nach Idealen, welches für ihn ähnlich wie Religion Krieg und Terror zur Folge hat. Er begründet dies mit dem Irakkrieg und Afganistankrieg, welche im Zeichen der Demokratie geführt werden.

Gray:"Ich behaupte, dass die Grundüberzeugung der Humanisten, die Geschichte der Menschenheit sei eine Fortschrittsgeschichte, ein Aberglaube ist."

(11-03-2010, 15:45)petronius schrieb: ich weiß zwar zu wenig von philosophie, um beurteilen zu können, ob sich hegel und marx darauf reduzieren oder auch nur sinnvoll so zusammenfassen lassen, daß "die Geschichte die stetige Entfaltung der Vernunft" sei - aber ich wage doch zu fragen, wer denn heutzutage noch wörtlich an hegel und marx glaubt wie ein evangelikaler an die irrtumsfreiheit der bibel...

Marx erklärt ja die Entwicklung der Gesellschaft von einer Ünterdrückergesellschaft hin zu einer freien Gesellschaft (für ihn der Kommunismus) über mehrere Zwischenstufen.
Gray meint wohl der Humanismus sieht auch solche Entwicklungen aufgrund des menschlichen Verstands. Und hier wiederspricht er. Eine Entwicklung der Gesellschaft (ähnlich dem Muster von Marx) kann er nicht erkennen. Stattdessen sind dies alles Ideale für ihn, welche dem Menschen eher Schaden als Nutzen.
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#8
(11-03-2010, 16:39)Gundi schrieb: Es scheint aber so dass für ihn Humanismus etwas ist, dass den menschlichen Verstand in den Mittelpunkt rückt, welcher im Stande ist wahre Erkenntnis (Gut und Böse) zu erkennen. Diese Erkenntnis äußert sich in Idealen. Diesen Glauben aber an die menschliche Vernunft bezeichnet Gray als Aberglauben

das sicher zu recht...

wer tatsächlich glaubt, es gebe so etwas wie eine "wahre Erkenntnis von Gut und Böse" oder ideale wären erreichbar, dem würde ich auch aberglauben attestieren

Zitat:Gray:"Ich behaupte, dass die Grundüberzeugung der Humanisten, die Geschichte der Menschenheit sei eine Fortschrittsgeschichte, ein Aberglaube ist."

tja - ich kenne, ehrlich gesagt, keine derart naiven "Humanisten"

Zitat:Marx erklärt ja die Entwicklung der Gesellschaft von einer Ünterdrückergesellschaft hin zu einer freien Gesellschaft (für ihn der Kommunismus) über mehrere Zwischenstufen.
Gray meint wohl der Humanismus sieht auch solche Entwicklungen aufgrund des menschlichen Verstands. Und hier wiederspricht er

reden wir von einer möglichen bzw. wünschenswerten entwicklung oder von einer zwangsläufigen?

möglich, denkbar, wünschens- und anstrebenswert ist vieles. zu glauben, es gebe eine zwangsläufige entwicklung hin zu einem bestimmten gesellschaftszustand - das ist naive träumerei

Zitat:Eine Entwicklung der Gesellschaft (ähnlich dem Muster von Marx) kann er nicht erkennen. Stattdessen sind dies alles Ideale für ihn, welche dem Menschen eher Schaden als Nutzen

sich auf solche ideale zu verlassen, dürfte ja wohl spätestens seit dem zusammenbruch der "real existierenden sozialismen" für alle erkennbar als illusionäre traumtänzerei feststehen. wenn hr. gray nun zwei jahrzehnte später auch zu dieser erkenntnis kommt, kann ich ihm nur ein herzliches "guten morgen!" zurufen

selbstverständlich findet eine entwicklung der gesellschaft statt. genauer gesagt: finden entwicklungen von gesellschaften statt (denn die eine "gesellschaft" gibt es ja nicht), noch besser: gesellschaftliche entwicklungen. wo diese jeweils hinführen, kann kein mensch mit sicherheit voraussagen, geschweige denn eine notwendigerweise zwangsläufige entwicklung hin zu egal was postulieren
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#9
(11-03-2010, 16:36)Romero schrieb: Entfaltung der Vernunft? Wie definiert der Herr denn "Vernunft"? Ich denke wenn ein antiker Ägypter unsere heutige Gesellschaft betrachten würde, würde ihm gleich die Kinnlade runterklappen und er würde uns den Vogel zeigen.

Leider hat der Herr Gray keine Definition von Vernunft gegeben. War, wie gesagt, lediglich ein Interview.

Ansonsten wäre es auch mal ein interesantes Thema: Was ist Vernunft?
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#10
(11-03-2010, 17:50)petronius schrieb: selbstverständlich findet eine entwicklung der gesellschaft statt. genauer gesagt: finden entwicklungen von gesellschaften statt (denn die eine "gesellschaft" gibt es ja nicht), noch besser: gesellschaftliche entwicklungen.

Ich denke er sieht die Entwicklung daher nicht gegeben, dass auch unsere vermeindlich "gute" Gesellschaft mit Krieg und Gewalt versucht ihr Ideal (in diesem Fall die Demokratie) durchzusetzen und ähnlich wie andere Ideologien glaubt dazu eine Rechtfertigung in etwas zu sehen (in diesem Falle eventuell die Vernunft).
Und dieses Vorgehen gab es halt schon immer.
Auch wir folgen lediglich einem Ideal und sind bereit dafür Opfer in Kauf zu nehmen.
So würde ich ihn verstehen.
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#11
(12-03-2010, 01:14)Gundi schrieb: Ich denke er sieht die Entwicklung daher nicht gegeben, dass auch unsere vermeindlich "gute" Gesellschaft mit Krieg und Gewalt versucht ihr Ideal (in diesem Fall die Demokratie) durchzusetzen und ähnlich wie andere Ideologien glaubt dazu eine Rechtfertigung in etwas zu sehen (in diesem Falle eventuell die Vernunft)

da wäre "entwicklung" ja schon wieder eindeutig und einseitig positiv besetzt, also teleologisch als "entwicklung zum guten" (was auch immer das sein mag) verstanden. das ist natürlich unsinnig - die realität richtet sich nicht nach dem, was wir gerne hätten

"entwicklung" ist erst mal nur wertneutral als "veränderung" zu verstehen. gesellschaft verändert/entwickelt sich - ob zum "besseren" oder "schlechteren" , das hängt meist vom blickwinkel ab bzw. wer von der entwicklung wie betroffen ist. war die entwicklung von der ökonomie der sklavenhaltung hin zur industrialisierung mit lohnarbeit für schwarze (siehe "amerikanischer bürgerkrieg") eine entwicklung hin zum besseren oder zum schlechteren?

in der lincoln-hagiografischen geschichtsschreibung wird sie als "entwicklung hin zum besseren" gesehen. die plantagenbesitzer dürften das anders gesehen haben. und die vormaligen sklaven? das müßte man diffrenziert betrachten

hr. gray scheint (wie du seine argumentation beschreibst bzw. interpretierst) ein recht eindimensionaler, um nicht zu sagen, schlichter denker zu sein, bereit, ideologische heilsversprechen für bare münze zu nehmen bzw. dann eben enttäuscht zu kritisieren, wenn sie sich (wie nicht anders zu erwarten war) als luftblasen erweisen

hat er denn im ernst geglaubt, z.b. beim überfall auf den irak sei es darum gegangen, den armen irakis mit waffengewalt
unsere "gute demokratie" zu bringen? mit "vernunft" alerdings hat der irakkrieg natürlich sehr viel zu tun - mit der eindimensionalen vernunft der profitmaximierung nämlich ("hauptsache, ich mache gewinne - wer dafür blutet, ist mir doch egal")

Zitat:Und dieses Vorgehen gab es halt schon immer.
Auch wir folgen lediglich einem Ideal und sind bereit dafür Opfer in Kauf zu nehmen.
So würde ich ihn verstehen

ideale realisieren sich nicht einfach so selbst? für ihre umsetzung sind opfer in kauf zu nehmen? auf dem weg, sie zu erreichen, werden diese ideale nicht selten beeinträchtigt bzw. gar verraten?

willkommen in der realität. wo gehobelt wird, fallen späne

"vernunft" ist erst mal nicht mehr als die fähigkeit, zusammenhänge zu erkennen (also erfahrungen, beobachtungen zu ordnen und untereinander systematisch zu verbinden), zu abstrahieren und so auf künftiges zu projizieren (ich handle vernünftig, wenn ich aus erfahrung/wissen heraus begründet annehmen kann, mit meinem handeln das gesteckte ziel zu erreichen). sie sagt noch gar nichts über das wesen, den (moralischen) wert des ziels aus, ist lediglich werkzeug

aus der sicht und nach maßgabe ihrer betreiber etwa war die judenvernichtung ein höchst vernünftiges werk
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#12
(12-03-2010, 10:39)petronius schrieb: da wäre "entwicklung" ja schon wieder eindeutig und einseitig positiv besetzt, also teleologisch als "entwicklung zum guten" (was auch immer das sein mag) verstanden. das ist natürlich unsinnig - die realität richtet sich nicht nach dem, was wir gerne hätten

Das ist ja eine Frage die sich aus der Problematik ergibt: Gibt es eine positive Entwicklung unserer Gesellschaftssysteme?


(12-03-2010, 10:39)petronius schrieb: hr. gray scheint (wie du seine argumentation beschreibst bzw. interpretierst) ein recht eindimensionaler, um nicht zu sagen, schlichter denker zu sein, bereit, ideologische heilsversprechen für bare münze zu nehmen bzw. dann eben enttäuscht zu kritisieren, wenn sie sich (wie nicht anders zu erwarten war) als luftblasen erweisen

Ich würde ihn nicht so verstehen dass er ideologische Heilsversprechen direkt für bare Münze nimmt. Das diese sich als Luftblasen erweisen ist ihm , denke ich, bewusst.
Vielmehr kritisiert er dass wir aber immer wieder neu davon ausgehen, dem richtigen Ideal zu folgen. Das wir überhaupt einem Ideal folgen. Einem Ideal welches es so nicht gibt. Ich denke darin sieht er die Gefahr.
Sicher war der Irakkrieg nicht vordergründig dazu da Demokratie zu verbreiten. Er wurde aber unter diesem Namen geführt. Und auch diese Verlogenheit ist ein Teil unserer Demokratie (von welcher viele ausgehen dass sich aus ihr eine beste Gesellschaft entwickelt).

Mal noch ein weiteres Zitat von Gray: "Es geht nicht darum die Welt zu verändern, sondern darum sie richtig zu verstehen."

Kommt einem ja in ähnlicher Weise durchaus bekannt vor. Nur das Gray eben meint, die Welt mit idealistischen Ideen (auch denen der Humanisten) zu verändern bringt nichts. Eher ein erkennen und damit leben.
Das klingt für viele, welche wirklich an eine positive Entwicklung der Menschheit glauben, natürlich sehr pessimistisch.
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#13
(12-03-2010, 11:59)Gundi schrieb:
(12-03-2010, 10:39)petronius schrieb: da wäre "entwicklung" ja schon wieder eindeutig und einseitig positiv besetzt, also teleologisch als "entwicklung zum guten" (was auch immer das sein mag) verstanden. das ist natürlich unsinnig - die realität richtet sich nicht nach dem, was wir gerne hätten

Das ist ja eine Frage die sich aus der Problematik ergibt: Gibt es eine positive Entwicklung unserer Gesellschaftssysteme?

selbstverständlich. die frage ist nur: wo und für wen?

du formulierst deine frage noch immer so, als gäbe es nur eine entwicklung der einen gesellschaft, und als könnte man irgendwie "objektiv" festlegen, was nun als "positiv" anzusehen sei

die realität ist viel komplexer und unübersichtlicher. einfache antworten auf komplexe fragen können nur falsch sein

Zitat:Ich würde ihn nicht so verstehen dass er ideologische Heilsversprechen direkt für bare Münze nimmt. Das diese sich als Luftblasen erweisen ist ihm , denke ich, bewusst.
Vielmehr kritisiert er dass wir aber immer wieder neu davon ausgehen, dem richtigen Ideal zu folgen. Das wir überhaupt einem Ideal folgen. Einem Ideal welches es so nicht gibt. Ich denke darin sieht er die Gefahr

ideale gibt es auch. auch solche, die intersubjektiv als "richtig" angesehen werden. ihnen zu folgen, ist auch nicht falsch. daraus aber abzuleiten, alles wäre erlaubt, um dem ideal näherzukommen (daß es nir erreicht werden kann, ist ja geradezu die definition von "ideal"), daß also der zweck jedes mittel heilige - das ist natürlich gefährlicher unsinn

klar kann ich z.b. das ideal verfolgen, aids auszurotten. eine zweckdienliche maßnahme wäre z.b., sämtliche hiv-infizierten sofort nach diagnose umzubringen

klar, worauf ich damit hinaus will?

Zitat:Sicher war der Irakkrieg nicht vordergründig dazu da Demokratie zu verbreiten. Er wurde aber unter diesem Namen geführt. Und auch diese Verlogenheit ist ein Teil unserer Demokratie (von welcher viele ausgehen dass sich aus ihr eine beste Gesellschaft entwickelt)

sie ist weniger "Teil unserer Demokratie" (ist das denn in diktaturen anders oder gar besser?), sondern viel mehr teil der menschlichen natur. der idealist ist nicht gefährlich, weil er ideale hat - sonden, weil er sie mit der realität verwechselt

Zitat:Mal noch ein weiteres Zitat von Gray: "Es geht nicht darum die Welt zu verändern, sondern darum sie richtig zu verstehen."

kann ich nicht so sehen. es geht selbstverständlich darum, die welt zu verändern. auch das liegt in der natur des menschen (sonst würden wir eben noch in höhlen hausen). das aber geht nur dann zielgerichtet, wenn wir uns vorher bemüht haben, sie zu verstehen

Zitat:Kommt einem ja in ähnlicher Weise durchaus bekannt vor. Nur das Gray eben meint, die Welt mit idealistischen Ideen (auch denen der Humanisten) zu verändern bringt nichts. Eher ein erkennen und damit leben.
Das klingt für viele, welche wirklich an eine positive Entwicklung der Menschheit glauben, natürlich sehr pessimistisch.

ist es auch. derlei fatalismus ("nimm halt alles hin, so wie es ist") kann ja nun auch keine lösung sein und ist auch nicht das einzig mögliche gegenstück zum irrealen glauben an eine notwenigerweise "positive entwicklung" der gesellschaft oder gar menschheit. es geht darum, zusammenhänge (auch einschränkungen und zwänge) zu erkennen, um auf diesem verständnis aufbauend wege zu finden, den gesteckten zielen näher zu kommen
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
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#14
(12-03-2010, 13:20)petronius schrieb:
(12-03-2010, 11:59)Gundi schrieb: Das ist ja eine Frage die sich aus der Problematik ergibt: Gibt es eine positive Entwicklung unserer Gesellschaftssysteme?

selbstverständlich. die frage ist nur: wo und für wen?

du formulierst deine frage noch immer so, als gäbe es nur eine entwicklung der einen gesellschaft, und als könnte man irgendwie "objektiv" festlegen, was nun als "positiv" anzusehen sei

die realität ist viel komplexer und unübersichtlicher. einfache antworten auf komplexe fragen können nur falsch sein

Mir ist durchaus bewusst dass diese Fragen komplex und nicht einheitlich beantwortbar sind. Dennoch sind wir wahrscheinlich der Meinung unser heutiges westliches Gesellschaftsmodell sei für einen Großteil der Menschen die bisher beste Gesellschaftsform. Zugrunde legen tun wir hierbei Freiheit und Recht und Wohlstand jedes einzellnen. Dies ist für eine Mehrheit der westlichen Bevölkerung das Sinnbild einer guten Gesellschaft. Wenn man sich nach diesen Maßstäben richtet kann man, denke ich, schon sagen dass es eine positive Entwicklung der Gesellschaften gab.



(12-03-2010, 13:20)petronius schrieb: ideale gibt es auch. auch solche, die intersubjektiv als "richtig" angesehen werden. ihnen zu folgen, ist auch nicht falsch. daraus aber abzuleiten, alles wäre erlaubt, um dem ideal näherzukommen (daß es nir erreicht werden kann, ist ja geradezu die definition von "ideal"), daß also der zweck jedes mittel heilige - das ist natürlich gefährlicher unsinn

klar kann ich z.b. das ideal verfolgen, aids auszurotten. eine zweckdienliche maßnahme wäre z.b., sämtliche hiv-infizierten sofort nach diagnose umzubringen

klar, worauf ich damit hinaus will?

Da kommen wir zur nächsten Frage: Kann es ohne Ideale überhaupt grundlegende Veränderungen geben? Wenn man sich die Geschichte anschaut, beruhen unzählige Kriege und Revolutionen auf Idealen.


(12-03-2010, 13:20)petronius schrieb: [quote='Gundi' pid='77533' dateline='1268387949']
Zitat:Mal noch ein weiteres Zitat von Gray: "Es geht nicht darum die Welt zu verändern, sondern darum sie richtig zu verstehen."

kann ich nicht so sehen. es geht selbstverständlich darum, die welt zu verändern. auch das liegt in der natur des menschen (sonst würden wir eben noch in höhlen hausen). das aber geht nur dann zielgerichtet, wenn wir uns vorher bemüht haben, sie zu verstehen

Ich denke Gray spricht sich mit diesem Zitat nicht generell gegen Veränderung und Fortschritt aus, sondern auch wieder vor allem gegen Veränderungen welche einem Ideal bedingungslos Folge leisten.
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#15
(15-03-2010, 23:27)Gundi schrieb: Kann es ohne Ideale überhaupt grundlegende Veränderungen geben? Wenn man sich die Geschichte anschaut, beruhen unzählige Kriege und Revolutionen auf Idealen.
Das sehe ich anders. Wir (in EU und USA) können uns Ideale leisten, weil wir unsere natürlichen Ressourcen rücksichtslos auszubeuten verstehen. Was im Übrigen auch bedeutet, militärisch eine Overkill-Kapazität erreicht zu haben, die anderen Völkern eine Guerilla-Taktik aufzwingt. Wir haben zwar Ideale, aber wir leben sie nicht; ja, wir können sie gar nicht leben. Anderenfalls müssten wir unseren Reichtum und unsere Macht teilen - und wer will das schon um den Preis der eigenen Armut?
Unsere Ideale sind reine Tünche für ein relativ wohlhabendes Volk.

Die Nagelprobe kommt, wenn die von uns angezapften Ressourcen aufgebraucht sind, wir bei minus Zwanzig Grad zu frieren haben, und die Vorräte nur noch zu lutschen sind.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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