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Gedanken zum Zinsverbot
#1
Dornbusch (Beitrag 73, Ist die katholische Kirche eine Kraft für das Gute in der Welt?) schrieb:Ob Kirche korrigierend eingreifen kann? Ich glaube nicht. Der Islam bietet da im Moment mehr Potential (Zins-Verbot).

Das Zinsverbot gab es auch in der Christengemeinschaft. Es ist im Laufe der Zeit verlorengegangen.

Zitat:Deut 23,20f: Du darfst von Deinem Bruder keine Zinsen nehmen…
Zitat:Lk 6,34f: Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, was für Dank habt ihr davon? …
…leiht, wo ihr nichts dafür zu bekommen hofft. So wird euer Lohn groß sein…

Die Kirchenväter haben das Zinsnehmen vehement bekämpft.

Papst Leo I. ging noch einen Schritt weiter, wenn er meinte, sogar gewinnbringender Handel sei Sünde: weil es ja schwierig ist, dass ein Handel zwischen Käufer und Verkäufer ohne Sünde abläuft.

Ein dem Johannes Chrysostomos zugeschriebener Kommentar zum Austreiben der Wechsler aus dem Tempel stellt fest: dass ein Mensch, der Kaufmann ist, kaum oder niemals Gott gefallen könne. Daher darf kein Christ Kaufmann sein, oder, wenn er es sein will, soll er aus der Kirche hinausgeworfen werden.

Das massivste Zinsverbot der christlichen Frühzeit (für Geistliche) wurde auf dem Konzil von Nicäa (325) ausgesprochen, im im Kanon 17 ist festgehalten, dass alle Geistlichen, die aus Habsucht schnödem Gewinn (turpia lucra) nachjagen, ihr geistliches Amt verlieren sollen.

Leo I. dehnte das Verbot auf alle Christen aus und definierte Zins- und Gewinnmachen als gleichwertig sündiges Verhalten.

Karl d. Große erließ (biblisch begründete) Wuchergesetze, sein Sohn Ludwig der Fromme ebenso, beide mit mäßigem Erfolg.

Großgrundbesitzer (Potentes) horteten in der Regel Getreide, um es in Mangelzeiten zu überhöhten Preisen zu verkaufen. Solche Großgrundbesitzer waren nicht selten auch Klöster.

In der Klosterchronik von Saint-André (bei Brügge) ist in einem Vermerk aus jener Zeit nachzulesen: der Abt habe tüchtig gewirtschaftet, sodass der Mangel der Nachbarn ihm zur Fülle gereicht habe.

Mit anderen Worten: Der Abt hat Vorräte angelegt, um sie in Notzeiten zu Wucherpreisen zu verkaufen.

Einerseits lebten die Zinsnehmer vom Zinsgewinn, andererseits waren sie doch um ihr Seelenheil besorgt und suchten einen Schleichweg ins Paradies.

Thomas von Aquin nahm sich dieses Problems an. Er unterschied zwischen gerechtem Preis - dieser durfte eine der erbrachten Leistung angemessene Gewinnspanne beinhalten – und schnödem Gewinn (turpe lucrum), der, Notlagen ausnutzend, aus überhöhten Forderungen resultierte.

Somit wurde die Frage des angemessenen Gewinns zur Auslegungssache, und es fanden sich nach und nach Wege, Zins (und Gewinn) zu nehmen und dennoch guter Christ zu sein.

MfG B.
MfG B.
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#2
Das Problem hat zwei Seiten:
Ohne Gewinn kommt man nur in einer reinen, selbst genutzten Landwirtschaft mit Viehhaltung zurecht.
In nicht-landwirtschaftlichen Berufen kann man ohne Gewinn der Arbeit gar nicht leben. Dabei ist es gleichgültig, ob ich Physiker oder Kaufmann bin.

Ohne Gewinn werden Leistungen entwertet und auf Dauer verschwendet.
Dasselbe gilt für "billiges Geld".

Das Problem des Thomas von Aquin ist wohl die Spekulation, wie wir sie ja in jeder Krise erleben. Ich weiß nur nicht, wie man dem durch welche weltanschauliche Anstrengung auch immer begegnen könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#3
So eindeutig ist das Zinsverbot aus dem NT ohnehin nicht zu begründen!

Einerseits ist es nach Lk 6,34 verwerflich, Zins zu nehmen, andererseits wird der Knecht verurteilt, der keine Zinsen erwirtschaftet (Mt 25,27; Lk 19,23).

Dennoch wurde das Zinsverbot im kirchlichen Rechtsbestand verankert (Nizäa, Lateran II u. III) und hatte formal bis 1830 (da wurde es von Pius VIII. ohne nähere Begründung aufgehoben) Gültigkeit.

Die überzogene Aussage des Johannes Chrysostomos (Pseudo-Chrysostomos?), wonach es sündig sei, Handelsgewinn zu erwirtschaften, wurde in späteren Kommentaren zum Zinsproblem nur selten aufgegriffen. Im Gegenteil: Es wurde eher versucht, das, was Zinsnehmen sein könnte, nicht auf jeden Kapitalertrag anzuwenden, sondern möglichst nur auf das Gewerbe des Geldverleihs. Zu "Gewinn" aus Lohnarbeit (Dienstleistungsentgelt) wurde meines Wissens nie ein Bezug herzustellen versucht.

Was den Geldverleih betraf, wurden Mittel und Wege gefunden, das Zinsverbot zu umgehen. Es wurden zB kurzfristige Darlehen zinsfrei angeboten, und zwar auf eine Dauer, die sicherstellte, dass das Geliehene nicht fristgerecht zurückbezahlt werden konnte. Bei Terminverlust wurden hohe Konventionalstrafen fällig, in Extremfällen verfielen die Darlehensnehmer in Schuldknechtschaft.

Solche und ähnliche Vorgangsweisen wurden als rechtskonform angesehen.

Am 1231 (Konstitution von Melfi) verkündete Friedrich II. die Nichtanwendbarkeit seines Wuchergesetzes auf Juden:

Zitat:Von der Verbindlichkeit dieses unseres Wuchergesetzes nehmen wir allein die Juden aus, die des unerlaubten Zinsnehmens, durch Gottes Gesetz verboten, nicht zu zeihen sind, da sie – wie bekannt – nicht unter dem Gesetz der seligen Kirchenväter stehen.

Mit dieser Ausnahme hatte Friedrich für sich einen Vorteil geschaffen. Er bestimmte die Juden zu königlichen bzw. kaiserlichen "Kammerknechten" (servi camerae imperialis), belegt ist das ab 1236. Die Juden waren Eigentum des Fürsten geworden. Zwar standen sie nun unter kaiserlichem Schutz (was sich dieser über Steuern teuer bezahlen ließ), aber ebenso zu seiner Verfügung.

Es ist verfehlt, anzunehmen, dass nunmehr ausschließlich Juden die Geldgeschäfte betrieben hätten. Nichtjüdische Kapitalverleiher waren beispielsweise die Lombarden, die aus dem Piemont kamen, oder die berüchtigte Kawerschen aus Cahors, einem Bankenort aus Südfrankreich.

Für die Kawerschen gab es sogar ausdrücklichen päpstlichen Dispens vom Verbot des Zinsnehmens. Sie hatten sich diesen für ihre Wuchergeschäfte erkauft. Papst Johannes der XX., aus Cahors stammend, finanzierte auf diese Weise zu einem guten Teil seine Residenz und Kurienverwaltung in Avignon.

Ebenso verfehlt ist, anzunehmen, dass sich die Juden auf den Schutz des Kaisers immer hätten verlassen können. Karl der IV., beispielsweise, hatte seine Nürnberger "Kammerknechte" für eine sehr hohe Geldsumme verschachert (Juni 1349) und zugleich versichert, dass den Nürnbergern Straffreiheit garantiert sei, wenn die Juden nächst geschlagen und beschädigt werden.

Am 16.11.1349 machte Karl IV. das nächste Geschäft. Er erlaubte, das Judenviertel abzureißen, dort eine Kirche zu bauen und einen Markt anzulegen. Nochmals kassierte er von den Nürnbergern eine hohe Summe für die (neuerliche) Versicherung der Straffreiheit, sollte den Juden etwas passieren.

Am 5.12.1349 erfolgte das Pogrom. 560 Nürnberger Juden wurden ermordet. Ihr Vermögen von der Stadt eingezogen, das Judenviertel plattgemacht. Jetzt sind dort die Frauenkirche (1350-1358), der Nürnberger Hauptmarkt und der "Schöne Brunnen" zu bewundern.

MfG B.
MfG B.
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#4
(25-11-2009, 01:16)Ekkard schrieb: Das Problem hat zwei Seiten:
Ohne Gewinn kommt man nur in einer reinen, selbst genutzten Landwirtschaft mit Viehhaltung zurecht.
In nicht-landwirtschaftlichen Berufen kann man ohne Gewinn der Arbeit gar nicht leben. Dabei ist es gleichgültig, ob ich Physiker oder Kaufmann bin.
Ohne Gewinn werden Leistungen entwertet und auf Dauer verschwendet.
Dasselbe gilt für "billiges Geld".
Es gibt sicher mehr als nur zwei Perspektiven dran ...
Aber bzgl. Gewinn wäre doch mehr Klarheit hilfreich: Gewinn ist die Differenz zwischen Aufwand und Ertrag, unabhängig ob in einer Geld- oder einer Naturalwirtschaft, auch unabhängig davon, ob alle Güter und Dienstleistungen bepreist sind.
Der Wert der Leistungen ist der Preis, NICHT der Gewinn.
Und selbst in einer Subsistenz-Agrarwirtschaft werden gewisse Güter und Dienstleistungen zwangsläufig getauscht werden müssen, also auch hinzuerworben und es muss einen Überschuss als Risikovorsorge und zum Lebensunterhalt der die Landwirtschaft betreibenden Menschen erwirtschaftet werden. Der Privathaushalt der Landwirtefamilie ist entweder Gewinn oder führt durch Entnahme aus dem Vermögen zum Ruin des Betriebs.
Zins ist Preis des (knappen und vergänglichen) Gutes "Geld", nicht zwangsläufig ganz Gewinn, sondern zumindest partiell auch Entgelt für die Verwaltungsarbeit, der Wertminderung (Inflation) oder Verlustrisiko (klamme Kunden). Man könnte natürlich alle Positionen auch anders benennen, dann gäbe es keinen Zins für geliehenes Geld sondern Unternehmensbeteiligung ==> das islamische oder teils auch innerjüdische religionskompatible Modell.

Folgerung: Zins ist weltanschauungs- und wirtschaftssystemabhängig, in unserer (marktwirtschaftlichen) Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kaum vermeidbar ohne Verwerfungen und Ungerechtigkeiten. Christliche Religionslehren haben damit so ihre Probleme und hinken damit der Gesellschaft hinterher. Ethisch können sie Zins eigentlich nicht mehr ablehnen ...

JHR
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#5
Zitat:Christliche Religionslehren haben damit so ihre Probleme und hinken damit der Gesellschaft hinterher. Ethisch können sie Zins eigentlich nicht mehr ablehnen ...

Die Aufgabe, einen fairen Zins zu definieren, liegt beim Gesetzgeber.
Vor einigen Jahren hat der Gesetzgeber, der Wucherzinsen schon längst verurteilte, ein uraltes biblisches Entschuldungskonzept wiederaufgenommen und zum Gesetz erklärt.
Auch für den Privaten ist es nun möglich, nach "sieben Jahren" aus der Schuldenfalle zu entkommen.

Damit ist die Diskussion aber sicher nicht zu Ende. Dringender Bedarf, an ethischer Bewertung und gesetzlicher Entwicklung liegt im Bereich des Wohneigentums. (Die USA setzen da ein deutliches Signal).

Wer heute Wohneigentum mit Hilfe eines verzinsten Kredites erwirbt, zahlt bei entsprechend langer Laufzeit wesentlich mehr (50%?), als seine Wohnung wert ist. Gleichzeitig findet auf dem Papier eine Geldvermehrung statt, die keinesfalls durch Wertsteigerung der Wohnung abgedeckt ist.
Den Zins-Gewinn bekommen die Eigentümer der Bank, das Risiko trägt der Zinsnehmer und seine Familie und die Gemeinschaft der Steuerzahler.
Und ebenfalls überdenkenswert ist der unterschiedliche Zinssatz, den die Bank zahlt und den sie kassiert (1,5%? und 17%?)

Bei ihren eigenen Banken könnten die Kirchen hier durchaus nach anderen, nach eigenen ethischen Grundsätzen suchen.

Gruß Dornbusch
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#6
(29-11-2009, 06:55)Dornbusch schrieb: Die Aufgabe, einen fairen Zins zu definieren, liegt beim Gesetzgeber.
EINEN gleichen fairen Zins gibts ebensowenig wie EINEN fairen Preis oder EINEN fairen Arbeitslohn. Staatlich kanns immer nur ein ganz weiter Rahmen sein, wenn überhaupt ...
(29-11-2009, 06:55)Dornbusch schrieb: Auch für den Privaten ist es nun möglich, nach "sieben Jahren" aus der Schuldenfalle zu entkommen.
Nur einmalig und nach vielen wenn und abers, Auflagen, Verfahrenskosten etc. Das bibliche Konzept des Sabbatjahrs war konsequenter ...

(29-11-2009, 06:55)Dornbusch schrieb: Wer heute Wohneigentum mit Hilfe eines verzinsten Kredites erwirbt, zahlt bei entsprechend langer Laufzeit wesentlich mehr (50%?), als seine Wohnung wert ist.
Ich bezweifele sehr, dass es bei langfristigen Krediten und ungünstigen Beleihungssituationen bei 50% bleibt.

Mit dem Grundstückswert/Grundbuchwert des Wohneigentums hat das eigentlich gar nichts zu tun, der kann sich auch verändern, nicht nur zum Guten ...
sondern einzig mit der Darlehenshöhe, dem Risiko der Geldgeber, der Marktlage, der Inflation und dem Verhandlungsgeschick. Es ist eben höchst spektakulär, zu 100% oder wenig drunter fremdzufinanzieren und evt. noch andere Belastungen zu haben, eine ungewisse Einkommensituation, hohe Privatausgaben etc. Vernünftiger wäre manchmal auch, auf solche Abenteuer zu verzichten ...
Banken sind Kaufleute, keine Wohltäter, und zunächst ihren Eigentümern und ihren Geldgebern verantwortlich. Wer verliert schon gern am Ersparten bei der Bank?

An der Immobilen-Blase haben gewiss nicht nur die Häuslebauer draufgezahlt und evt. viel verloren, sondern mindestens ebenso die banken und deren Geldgeber - auch die Staatshaushalte mit ihren "Rettungsfonds".
Ich frage mich allerdings, wer daran (an der Immobilien-/Bankenkrise) gewonnen hat und hoffentlich nicht auch noch jammert. Ohne Geldmengenveringerung kann es nicht nur Verlierer geben, eine mathematische Unmöglichkeit.
JHR
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#7
(30-11-2009, 01:52)Jobst Hinrich R. schrieb: Ich bezweifele sehr, dass es bei langfristigen Krediten und ungünstigen Beleihungssituationen bei 50% bleibt.
Korrekt! Bei 5% Zins und 30-jähriger Streckung bezahlt man das rund 1,95-fache des Darlehens also 95% mehr. Bei 7,5% ist es bereits das 2,54-fache! (154% mehr).

Natürlich haben da Leute kräftig abkassiert. Und zwar jene Verkäufer (Fondsmanager), die die Kredite der einzelnen Schuldner zusammengefasst, wieder gestückelt und an Anleger verscherbelt haben. Diese Gewinne sind bist dato nicht angefasst worden, weil dieses Verhalten ja legal war. Die haben also durch Handel mit Papieren, die eigentlich :icon_evil: sehr viel weniger wert waren, ganz normal ihr (vieles) Geld "verdient". Und weil die Ratingagenturen Immobilienfonds so toll fanden, lief der Handel in großem Stil völlig reibungslos, bis es geknallt hat.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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