16-08-2009, 01:06
(15-08-2009, 23:34)jam schrieb: Vielleicht sollte man Menschen auch nicht einen Gott ausreden den viele brauchen etwas woran sie sich halten und entwickeln können.
Dazu kommt mir der treffliche Dialog zwischen Demopheles und Philateles von Schopenhauer in den Sinn, welcher sich mit eben jener Thematik beschäftigt und aus dem ich an dieser Stelle einen kleinen Ausschnitt zitieren möchte:
Demopheles:
... Sie [die Religionen] sind Leitsterne für das Handeln und die subjektive Beruhigung beim Denken. Wenn du die Religion so auffasst und bedenkst, dass ihre Zwecke überwiegend praktisch und nur untergeordnet theoretisch sind, so wird sie dir höchst achtenswert erscheinen.
Philateles:
Welcher Respekt denn doch am Ende auf dem Grundsatz beruhen würde, dass der Zweck die Mittel heiligt. Ich fühle jedoch zu einem darauf errichteten Kompromiss keine Neigung. Mag immerhin die Religion ein exzellentes Zähmungs- und Abrichtungsmittel des verkehrten und boshaften zweifüßigen Geschlechtes sein, in den Augen des Freundes der Wahrheit bleibt jeder Betrug, sei er auch noch so fromm, verwerflich. Lug und Trug wären doch ein seltsames Tugendmittel...
Demopheles:
Die Religion ist kein Betrug: sie ist wahr und die wichtigste aller Wahrheiten. Weil aber, wie schon gesagt, ihre Lehren so hoher Art sind, dass der große Haufe sie nicht unmittelbar fassen könnte; weil, sage ich, das Licht derselben das gemeine Auge blenden würde, so tritt sie in den Schleier der Allegorie gehüllt auf und lehrt das, was nicht geradezu an sich selbst, wohl aber dem hohen darin enthaltenen Sinne nach wahr ist: und so verstanden ist sie die Wahrheit.
Philateles:
Das ließe sich schon hören - wenn sie nur sich als bloß allegorisch wahr gäbe. Allein sie tritt auf mit dem Anspruch, geradezu und im eigentlichen Sinne wahr zu sein: darin liegt der Trug, und hier ist es, wo der Freund der Wahrheit ihr feindlich entgegenstehen muss.
Demopheles:
Aber das ist ja die unerlässliche Bedingung. Wollte sie eingestehen, dass bloß der allegorische Sinn ihrer Lehren das Wahre daran sei, so würde ihr dies alle Wirksamkeit benehmen, und ihr unschätzbar wohltätiger Einfluss auf das Moralische und Gemütsmäßige im Menschen würde durch solchen Rigorismus verloren gehen. Statt also mit pedantischem Starrsinn darauf zu bestehen, richte den Blick auf ihre großen Leistungen im praktischen Gebiet, im Moralischen, im Gemütsmäßigen, als Lenkerin des Handelns, als Stütze und Trost der leidenden Menschheit im Leben und im Tode. Wie sehr wirst du danach dich hüten, durch theoretische Kritteleien dem Volke etwas zu verdächtigen und dadurch zu entreißen, was ihm eine so unerschöpfliche Quelle des Trostes und der Beruhigung ist, deren es so sehr bedarf: denn schon allein darum sollte es schlechthin unantastbar sein.
Philateles:
Mit dem Argument hätte man auch den Luther aus dem Feld schlagen können, als er die Ablasskrämerei angriff: denn wie manchem haben nicht die Ablasszettel zum unersetzlichen Trost und vollkommener Beruhigung gereicht, so dass er, im vollen Vertrauen auf ein Päckchen derselben, welches er sterbend in der Hand festhielt, überzeugt, ebenso viele Eintrittskarten in alle neun Himmel daran zu haben, mit froher Zuversicht dahinschied. - Was helfen Trost- und Beruhigungsgründe, über welchen beständig das Damoklesschwert der Enttäuschung schwebt? Die Wahrheit, mein Freund, die Wahrheit allein hält stand, beharrt und bleibt treu; ihr Trost allein ist der solide: sie ist der unzerstörbare Diamant.
Demopheles:
Ja, wenn ihr die Wahrheit in der Tasche hättet, um uns auf Verlangen damit zu beglücken! Aber was ihr habt, sind eben nur metaphysische Systeme, an denen nichts gewiss ist, als das Kopfzerbrechen, welches sie kosten. Ehe man einem etwas nimmt, muss man etwas Besseres an dessen Stelle zu geben haben.
Philateles:
Wenn ich nur das nicht immer hören müsste! Einen von einem Irrtum befreien heißt nicht, ihm etwas nehmen, sondern geben: denn die Erkenntnis, dass etwas falsch sei, ist eben eine Wahrheit. Kein Irrtum aber ist unschädlich, sondern jeder wird früher oder später dem, der ihn hegt, Unheil bereiten. Darum betrüge man niemanden, gestehe lieber ein, nicht zu wissen, was man nicht weiß. [...] Pfaffenherrschaft, Laienplünderung, Ketzerverfolgung, Inquisitionsgerichte, Kreuzzüge, Religionskriege, Bartholomäusnächte usw. Das sind denn doch die Erfolge der oktroyierten Volksmetaphysik gewesen: daher bleibe ich dabei, dass vom Dornbusch keine Trauben und von Lug und Trug kein Heil zu erwarten steht.
(aus: A. Schopenhauer, "Über Religion")