18-06-2009, 16:21
(18-06-2009, 15:30)qilin schrieb: Hallo Saldo -
eine schwierige Frage. Es hängt wohl davon ab, ob tatsächlich alles irgendwie Wahrgenommene, alles 'im System Mensch' darum auch intersubjektiv erfassbar ist - und zwar mit allen Implikationen, die sich beim Einzelnen dabei entwickeln.
Hallo qulin!
Ich meine auch nicht in der Form, dass das Wahrgenommene selber intersubjektiv erfassbar ist. Ich war da im letzten post noch undeutlich, wollte dort aber nicht gleich einen ganzen Bandwurm schreiben.
Sondern - ähnlich wie in der Traumanalyse - die Struktur des Erlebens.
Vielleicht kommt man dem sogar noch näher, wenn man das berücksichtigt, was Du als "Fragen" bezeichnest. Die Fragen sind anthropologische Grundkonstanten, selbst wenn sie in den Individuen sehr unterschiedlich ausgeprägt sind.
Oder noch anders ausgedrückt: sie entsprechen gewissen "Bedürfnissen", wie Wittgenstein es in Deinem Zitat nennt.
qilin schrieb:Worum es mir ging mit der 'primären, glaubenslosen Religion' deckt sich nicht zu 100% mit dem was Wittgenstein meinte, denke ich. Der Ausdruck stammt von ihm -
Wittgenstein schrieb:Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß nicht jede Form von Religion notwendigerweise mit religiösen Aussagen verbunden ist. Daß wir kein Kriterium haben, um zwischen wahren und falschen religiösen Aussagen unterscheiden zu können, trifft zu.
Wenn eine Aussage sich überprüfen läßt, wissen wir schon, daß sie keine religiöse Aussage ist. Es trifft aber nicht zu, daß religiöse Aussagen völlig willkürlich sind, weil sie auf je vorfindliche, bestimmte religiöse Bedürfnisse antworten müssen.
Genau dies meinte ich. Es geht um diese Bedürfnisstruktur, die intersubjektiv erfassbar ist. Allerdings sagt Wittgenstein das (hier?) nicht.
Wittgenstein schrieb:Diese hängen eng zusammen mit der Lebensform und Lebensgeschichte des jeweiligen Menschen und sind darum verschieden von Kultur zu Kultur, von Epoche zu Epoche, ja selbst zwischen Angehörigen ein und derselben Kulturepoche.
Ja - und hier käme man vermutlich weiter, indem man Oberflächen- von Tiefenstruktur unterscheidet.
Das allerdings nur am Rande, ich wollte das hier nur als Möglichkeit festhalten.
Das meiste von dem, was Wittgenstein sonst noch in seinem Zitat sagt, unterschreibe ich im Großen und Ganzen - wenn ich jetzt nichts Wichtiges übersehe.
qilin schrieb:- aber mein Zugang war ein anderer; ich bin von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes religio ausgegangen, das nicht [wie bei Laktanz] von religare ['zurückbinden'], sondern [wie bei Cicero] von relegere ['nochmals lesen'] abzuleiten ist - Religion wäre danach nicht primär [Versuch einer] Antwort, sondern zuerst mal Frage, Suche - die noch nicht mal formuliert sein muss.
Vielleicht könnten wir alle drei (öhm, Du, ich, Wittgenstein) uns da aber doch als ähnlich Gemeintes weitestgehend treffen.
Die Suche und Frage muss nicht formuliert sein, ist es oft ja auch nicht.
Selbst was Du in einem vorigen post als "mystische Suche", die von einer bestimmten Religionskonzeption ausgehe, bezeichnet hast, kann so gar nicht stattgefunden haben. Aber ein "Drang", eben ein Bedürfnis lässt sich vermutlich orten.
qilin schrieb:Eine Religion [mit ihren Antworten] kommt immer erst nachher...
Hier - wo der Schnitt nicht zwischen 'Religiosität' und 'Religion' gemacht wird, sondern zwischen 'Religion an sich' und 'einer [Glaubens]Religion', treffen wir uns dann wieder. :wink:
Okay. Aber im Moment sehe ich den Unterschied zwischen *Religion an sich' und 'Religiosität* nicht sehr präzise. Es sei denn, ersteres ist dann doch eine wie auch immer geartete Formalisierung, eine Summe von verschiedenen Verhaltensweisen - während 'Religiösität' nur eine Art Haltung benennt. Oder?