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Der Glaube der Naturwissenschaften oder die Metaphysik der Physik
#1
Gerade eben habe ich einen äußerst interessanten Artikel bei faz.net gelesen (Hier nachzulesen).

Hauptsächlich geht es in dem Beitrag um die Frage der Vereinbarkeit von Gravitationstheorie und Quantenphysik. Dennoch widmet der Autor, was ich mit Freude zur Kenntnis genommen habe, dem Punkt der Voraussetzungen dieser Theorien einen eigenen Punkt. Es ist die Frage nach metaphysischen bzw. ontologischen Vorraussetzungen die diese Theorien bestimmen. Es geht also um die allgemeinen Voraussetzungen die ein jedes Wissen bestimmen.


Das Thema selbst kam schon in mehreren Diskussionen auf, meist wen es um die Problematik der Vereinbarkeit von Glauben und Wissen(schaft) ging. Vor allem Ekkard hat sich hier um eine Einordnung der Naturwissenschaften bemüht und trat oft als ein Apologet der Konventionen auf, auf denen unweigerlich auch eine jede Wissenschaft, d.h. auch deren Forschung und Theorie, beruht. Dennoch haben wir das Problem nie selbstständig behandelt, was ich hier gerne tun würde.


Folgende Aussagen des obigen Beitrags möchte ich daher zur Diskussion stellen:

"Die Gründe, warum sich jemand für einen bestimmten Weg zur Quantengravitation entscheidet, können folglich nicht eigentlich naturwissenschaftlicher Art sein. Tatsächlich sind sie eher ästhetischer und metaphysischer Natur und bei aller mathematischen Eleganz, die gerade der kanonischen Quantisierung eigen ist, dürfte bei Kiefer die Metaphysik eine noch größere Rolle gespielt haben als bei Anhängern der Schleifen- oder der Stringtheorie."

"Kiefer (der Autor des Buches, das besprochen wird) ist so ehrlich, offen zuzugeben, dass er hier von bestimmten metaphysischen Voraussetzungen ausgeht. „Das Vertrauen in die Grundgleichungen und die Einfachheit der Theorie hat sich in der Geschichte der Wissenschaft fast immer bewährt, und zwar mehr als das Festhalten an der Einfachheit der Tatsachen“, schreibt er."

"... auch derjenige, der weitergehen will, [muss] auf irgendeinem Grund voranschreiten. Genau das ist aber der Punkt: Wer wissen will, muss immer auch glauben - sogar als Physiker."


Für mich lassen sich hier im folgenden 4 Punkte festhalten:

1. Eine jede Wissenschaft ist durch das menschliche Sein und seine Kategorien bestimmt. Die Konvention, d.h. die Verallgemeinerung und allgemeine Akzeptanz, dieser Kategorien ist der unumgehbare und notwendige Grund eines jeden Wissens von Welt oder Natur.

2. Wissen(schaft) ist so im aristotelischen, nicht im platonischen Sinne nicht voraussetzungslos, sondern rückgebunden an die Bedingungen des Menschseins und der Natur.

3. Bestimmte Vor-Entscheidungen und Vor-Urteile über diese Konventionen und Bedingung von Mensch und Natur, d.h. metaphysische oder ontologische Überlegungen, haben direkten Einfluss auf naturwissenschaftliche Theorien und Forschungen. Daraus folgt, dass es eine strikte Trennung von metaphysischen und physischen Wissen nicht gibt, sondern nur eine unterschiedliche methodische Verwendung desselbigen.

4. Die Akzeptanz dieses Vor-Wissens verlangt vom Naturwissenschaftler einen Akt des Vertrauens und Glaubens in die geistesgeschichtlichen, ontologischen und natürlichen Bedingungen des Menschen.

Die Naturwissenschaft erklärt aber nicht oder kann nur teilweise das Menschsein und seine Voraussetzungen beschreiben. Der Glaube der Naturwissenschaft in diese conditio humanae (Bedingungen des Menschseins) führt also dazu, dass sie in gewisser Weise abhängig ist von den Denkschemata anderer Wissenschaften wie z.B. der Philosophie und Theologie, die jene metaphysischen Voraussetzungen liefern, die auch die Physik nicht umgehen kann.


Soweit meine Thesen.
Presbyter


P.S.

Noch ein kleiner Wunsch für die Diskussion. Bitte nicht wieder dieses einseitige Glaube ist unwissenschaftlich und Naturwissenschaft ist immer richtig. Versucht die Diskussion anhand der Thesen des Artikels bzw. meiner eigenen Hypothesen. Danke.
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
-
Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
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#2
Moin,

Wissenschaft überprüft aber die Grundthesen. Sind sie irgendwann nicht mehr zu halten, fliegen sie in die Ecke. Das ist beim Glauben nicht so.

Wissenschaft stellt schon aus Grundprinzip in Zweifel. Es will sich vorwärtsentwickeln. Glaubenslehre ist häufig nach Ansicht der Gläubigen abgeschlossen und vollständig (so ist die christliche Bibel seit 2000 Jahren nicht weiter geschrieben worden)


Glauben und Wissenschaft sind beides von Menschen beeinflusst, haben insofern natürlich Ähnlichkeiten.

Aber sie folgen anderen Wegen. Man sollte es nicht vermischen und auch den Glauben nicht gleich der Wissenschaft setzen wollen.

Glaube ist einerseits mehr als Wissenschaft, andererseits weniger, kurzum, er ist anders.

Wenn Glaube der Wissenschaft gleichgesetzt wird, so ist häufig das Ziel, die Wissenschaft zu verdrängen (Beispiel Intelligent design).


Insofern: Worauf willst Du hinaus?

Tschüss

Jörg
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#3
Erste Anmerkung: Von der Theoretikerin Vera Spillner gibt es in der Online-Ausgabe "SPEKTRUM-DIREKT" (2009_02_27.pdf, für 1€) eine sehr viel weniger weltanschaulich geprägte Rezension, so dass mir erst am Ende des FAZ.NET Artikels der Verdacht kam, dass vom gleichen Buch die Rede ist.
(01-03-2009, 16:05)Presbyter schrieb: 1. Eine jede Wissenschaft ist durch das menschliche Sein und seine Kategorien bestimmt. Die Konvention, d.h. die Verallgemeinerung und allgemeine Akzeptanz, dieser Kategorien ist der unumgehbare und notwendige Grund eines jeden Wissens von Welt oder Natur.
Diese Feststellung ist mir ein Wenig zu allgemein. Den ersten und letzten Teil unterschreibe ich sofort. Wir Wissenschaftler erforschen a priori nichts, was für uns Menschen nicht relevant ist oder zumindest sein könnte.
Konventionen sind schlicht Bestimmungsgrößen dafür, wie unsere Kultur und mithin auch die darin vorkommende Ermittlung von Wissen funktionieren sollen. Wenn das gemeint war, dann kann ich die Formulierung unterstützen.

Presbyter schrieb:2. Wissen(schaft) ist … nicht voraussetzungslos, sondern rückgebunden an die Bedingungen des Menschseins und der Natur.
Ja, siehe oben. Besonders möchte ich betonen, dass wir Heutige der Ansicht (des Glaubens) sind, dass die Natur (das Experiment) bestimmt, was als Wissen gelten soll.

Presbyter schrieb:3. Bestimmte Vor-Entscheidungen und Vor-Urteile über diese Konventionen und Bedingung von Mensch und Natur, d.h. metaphysische oder ontologische Überlegungen, haben direkten Einfluss auf naturwissenschaftliche Theorien und Forschungen. Daraus folgt, dass es eine strikte Trennung von metaphysischen und physischen Wissen nicht gibt, sondern nur eine unterschiedliche methodische Verwendung desselbigen.
Gewiss, aber Vorsicht! Dies ist kein Freibrief, dass man solche Vorentscheidungen beliebig treffen kann.
Die Seinsweise der Natur, selbst die des Menschen, ist durch die Notwendigkeit des Überlebens zumindest bis zur Gegenwart bestimmt. Die Theoriebildung beginnt mit Hypothesen, die einer Art Evolutionsprozess unterliegen. Die Hypothesen sind natürlich nicht frei von ontologischen Vorstellungen (Seinsweise, die ich einem bestimmten Objekt unterstelle). Es kann sein, dass deren Auswahl bereits einschränkenden Bedingungen unterliegt, wie z. B. die Zeit in der Physik des Isaac Newton.

Erst die Philosophie Ernst Machs, die Einstein intensiv studiert hatte, führte auf die Erweiterungen der Relativitätshypothese, die dann Zug um Zug von den astronomischen Erfahrungen bestätigt wurde und heute eine der besten Theorien ist, die wir haben. Es ist nach wie vor durchaus möglich, dass eine Erweiterung unserer metaphysischen Vorstellungen auch diese Theorie erweitert.

Presbyter schrieb:4. Die Akzeptanz dieses Vor-Wissens verlangt vom Naturwissenschaftler einen Akt des Vertrauens und Glaubens in die geistesgeschichtlichen, ontologischen und natürlichen Bedingungen des Menschen.
Ich denke, dass dies eher eine Feststellung ist und kein wirkliches Vertrauen. Das unter Nr. 4 implizierte Vertrauen in gegenwärtige Denkgewohnheiten schränkt die Generierung von Hypothesen tatsächlich ein. Theoriebildung ist eher eine Frage der Überwindung von Vorurteilen. (Gewisse Prämissen sind tatsächlich unumgänglich. Dazu unten etwas mehr).

Presbyter schrieb:Die Naturwissenschaft erklärt aber nicht oder kann nur teilweise das Menschsein und seine Voraussetzungen beschreiben.
Korrekt: Die Naturwissenschaften erklären gar nichts, sie beschreiben. Bestenfalls führen ihre Theorien unterschiedliche Erscheinungsformen auf eine gemeinsame Ursache zurück. Das ist aber keine "Erklärung". Eine Erklärung müsste zugleich die Bedeutung (z. B. der Schwerkraft, der Strahlung oder eines Schallpegels) für das menschliche Dasein umfassen. Das tut aber keine der Theorien, sondern ergibt sich aus dem Menschsein allgemein.

Presbyter schrieb:Der Glaube der Naturwissenschaft in diese conditio humanae (Bedingungen des Menschseins), führt also dazu, dass sie in gewisser Weise abhängig ist von den Denkschemata anderer Wissenschaften wie z.B. der Philosophie und Theologie, die jene metaphysischen Voraussetzungen liefern, die auch die Physik nicht umgehen kann.
Ich möchte dieses "in gewisser Weise" deutlich hervorheben. Natürlich ist Wissenschaft beispielsweise davon abhängig, wann Resultate, Aussagen oder Formalismen die Urteile "nützlich", "ehrlich" oder "wahr" verdienen. Gleichwohl kann es sein, dass gewisse Widersprüche in den Messdaten völlig neuartige metaphysische Rahmenvorstellungen provozieren.

Beispiel: In der Quantenphysik wie in der (allgemeinen) Relativitätstheorie haben wir lernen müssen, dass es Dinge gibt, die überhaupt nicht in unsere (alte) Vorstellungswelt passen.
Bei der Relativität war wenigstens E. Machs Vorstellung bereits vorhanden. Bei den Quantenobjekten tun sich die meisten Philosophen schwer, sie zu begreifen, weil sie so völlig aus unserer "Mittenwelt" (von mm bis einige 10000 km, von 0,1 x bis 100 x Erdbeschleunigung, von einigen mm/s bis 1000m/s und von Gramm bis Erdmasse) herausfallen.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#4
Hallo Jörg,
(01-03-2009, 20:56)Flat schrieb: Wissenschaft überprüft aber die Grundthesen. Sind sie irgendwann nicht mehr zu halten, fliegen sie in die Ecke. Das ist beim Glauben nicht so.
Hier liegt ein Missverständnis vor.
Die Frage in der Wissenschaft ist: Wann verdient mein Resultat das Urteil "wahr", "ehrlich" oder "nützlich". Hierfür gibt es Methoden und Konventionen. Also beispielsweise, dass keine ad hoc-Unterstellungen vorgenommen werden oder dass von mehreren Hypothesen jene zu wählen ist, die mit der kleinsten Zahl von Voraussetzungen auskommt.
Auch, dass die Natur (das Experiment) die letzte Entscheidung für oder gegen eine Hypothese fällt, gehört hierher. Oder, dass Ergebnisse weltweit wiederholbar sein müssen.

Das sind die Konventionen, die der (Natur-)Wissenschaftler glauben muss UND NICHT die Tatsache, dass Theorien immer nur vorläufig gelten. (Das stimmt zwar, aber darum geht es nicht).

Flat schrieb:Glaubenslehre ist häufig nach Ansicht der Gläubigen abgeschlossen und vollständig (so ist die christliche Bibel seit 2000 Jahren nicht weiter geschrieben worden)
Diese Ansicht ist natürlich eine sehr eingeschränkte Sichtweise. Tatsächlich beeinflussen aber die Zehn Gebote und die Bergpredigt das Soll-Verhalten, weil dies gar nichts mit einer Weltbeschreibung oder Bestandsaufnahme, also Wissen, zu tun hat, sondern mit "menschlichem Sollen". Und das hat sich nur sehr wenig geändert. "Ehrlichkeit", "Vertrauenswürdigkeit" usw. sind in den Wissenschaften Glaubensgrößen wie in der Religion.

Flat schrieb:Glauben und Wissenschaft ... folgen anderen Wegen. Man sollte es nicht vermischen und auch den Glauben nicht gleich der Wissenschaft setzen wollen.
Genau das hat Presbyter auch nicht getan. Im Gegenteil, er hat sehr schön heraus gearbeitet, an welchen Stellen das Schaffen von Wissen abhängig ist von der Seinsweise des Menschen, der Natur oder sogar von der Gesellschaft.

Flat schrieb:Glaube ist einerseits mehr als Wissenschaft, andererseits weniger, kurzum, er ist anders.
Nun, Glaube ist eine Sammlung von Konventionen, die uns das Urteilen und Werten erlaubt - mithin unsere Verhaltenssteuerung. Urteile sind nicht aus Wissen ableitbar, sondern ausschließlich aus besagten Konventionen. Beispiel: Ein Schallpegel mag 80 dB(A) aufweisen. Ob dies unangenehm ist, hängt davon ab, ob ich in einer Diskothek bin, im Konzertsaal oder im Bett liege. Es ist also mein gegenwärtiges Sein, welches hier entscheidet. Der Wissenschaftler (oder Messknecht) muss nur dafür sorgen, dass der Messwert stimmt. Damit ist seine Aufgabe bereits erledigt.

Flat schrieb:Wenn Glaube der Wissenschaft gleichgesetzt wird, so ist häufig das Ziel, die Wissenschaft zu verdrängen (Beispiel Intelligent design).
Das wäre ziemlich unsinnig. Falls dir bestimmte Beispiele vorschweben, dann entspricht dies im philosophischen Sinn einem Kategorienfehler (also Vermischung nicht zusammen gehöriger Denkstrukturen). Das darfst du den Beispiel-Lieferanten dann auch ruhig einmal deutlich sagen.

Es ist ein Ziel dieser Diskussion, wenn ich Presbyter richtig verstanden habe, den Unterschied der Kategorie "Glaube" (Konventionen) und der Kategorie "Wissensermittlung" deutlich heraus zu arbeiten.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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