16-11-2008, 11:19
Bonhoeffer hat nach der Machtübernahme Hitlers eine vielbeachtete Rede in Fanö gehalten, die den Titel "Kirche und Völkerwelt" trug. Ich hätte Lust mich mit euch über diese Rede zu unterhalten und zu erörtern, was Bonhoeffer mit "Frieden wagen" meint und was er genau unter "Gebot und Gehorsam" versteht.
Hier habe ich nochmal den ins Deutsche übersetzten Text:
Hier habe ich nochmal den ins Deutsche übersetzten Text:
Zitat:„Ach dass ich hören sollte, was der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen
Heiligen“ (Ps. 85,9). Zwischen den Klippen des Nationalismus und des Internationalismus ruft die
ökumenische Christenheit nach ihrem Herrn und nach seiner Weisung. Nationalismus und
Internationalismus sind Fragen der politischen Notwendigkeiten und Möglichkeiten. Aber die
Ökumene fragt nicht nach diesen, sondern nach den Geboten Gottes und ruft diese Gebote Gottes ohne
Rücksicht mitten hinein in die Welt.
Als Glied der Ökumene hat der Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen Gottes Ruf zum Frieden
vernommen und richtet diesen Befehl an die Völkerwelt aus. Unsere theologische Aufgabe besteht
darum hier allein darin, dieses Gebot als bindendes Gebot zu vernehmen und nicht als offene Frage zu
diskutieren. „Friede auf Erden“, das ist kein Problem, sondern ein mit der Erscheinung Christi selbst
gegebenes Gebot. Zum Gebot gibt es ein doppeltes Verhalten: den unbedingten, blinden Gehorsam der
Tat oder die scheinheilige Frage der Schlange: sollte Gott gesagt haben? Diese Frage ist der Todfeind
des Gehorsams, ist darum der Todfeind jeden echten Friedens. Sollte Gott nicht die menschliche Natur
besser gekannt haben und wissen, dass Kriege in dieser Welt kommen müssen wie Naturgesetze? Sollte
Gott nicht gemeint haben, wir sollten wohl von Frieden reden, aber so wörtlich sei das nicht in die Tat
umzusetzen? Sollte Gott nicht doch gesagt haben, wir sollten wohl für den Frieden arbeiten, aber zur
Sicherung sollten wir doch Tanks und Giftgase bereitstellen? Und dann das scheinbar Ernsteste: Sollte
Gott gesagt haben, Du sollst dein Volk nicht schützen? Sollte Gott gesagt haben, Du sollst Deinen
Nächsten dem Feind preisgeben?
Nein, das alles hat Gott nicht gesagt, sondern gesagt hat er, dass Friede sein soll unter den Menschen,
dass wir ihm vor allen weiteren Fragen gehorchen sollen, das hat er gemeint. Wer Gottes Gebot in
Frage zieht, bevor er gehorcht, der hat ihn schon verleugnet.
Friede soll sein, weil Christus in der Welt ist, d. h. Friede soll sein, weil es eine Kirche Christi gibt, um
deretwillen allein die ganze Welt noch lebt. Und diese Kirche Christi lebt zugleich in allen Völkern und
doch jenseits aller Grenzen völkischer, politischer, sozialer, rassischer Art, und die Brüder dieser
Kirche sind durch das Gebot des einen Herrn Christus, auf das sie hören, unzertrennlicher verbunden
als alle Bande der Geschichte, des Blutes, der Klassen und der Sprachen Menschen binden können.
Alle diese Bindungen innerweltlicher Art sind wohl gültige, nicht gleichgültige, aber vor Christus auch
nicht endgültige Bindungen. Darum ist den Gliedern der Ökumene, sofern sie an Christus bleiben, sein
Wort und Gebot des Friedens heiliger, unverbrüchlicher als die heiligsten Worte und Werke der
natürlichen Welt es zu sein vermögen; denn sie wissen: Wer nicht Vater und Mutter hassen kann um
seinetwillen, der ist sein nicht wert, der lügt, wenn er sich Christ nennt. Diese Brüder durch Christus
gehorchen seinem Wort und zweifeln und fragen nicht, sondern halten sein Gebot des Friedens und
schämen sich nicht, der Welt zum Trotz sogar vom ewigen Frieden zu reden. Sie können nicht die
Waffen gegeneinander richten, weil sie wissen, dass sie damit die Waffen auf Christus selbst richteten.
Es gibt für sie in aller Angst und Bedrängnis des Gewissens keine Ausflucht vor dem Gebot Christi,
dass Friede sein soll.
Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen
Kapitals in den verschiedenen Ländern? d. h. durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch
eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses
alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier über Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt
keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muß gewagt werden, ist das eine
große Wagnis, und läßt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung.
Sicherheiten fordern heißt Mißtrauen haben, und dieses Mißtrauen gebiert wiederum Krieg.
Sicherheiten suchen heißt sich selber schützen wollen. Friede heißt sich gänzlich ausliefern dem Gebot
Gottes, keine Sicherung wollen, sondern in Glaube und Gehorsam dem allmächtigen Gott die
Geschichte der Völker in die Hand legen und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen. Kämpfe
werden nicht mit Waffen gewonnen, sondern mit Gott. Sie werden auch dort noch gewonnen, wo der
Weg ans Kreuz führt. Wer von uns darf denn sagen, dass er wüßte, was es für die Welt bedeuten
könnte, wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – betend und wehrlos und darum gerade
bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffe den Angreifer empfinge? (Gideon: ...des Volkes ist
zuviel, das mit dir ist ... Gott vollzieht hier selbst die Abrüstung!)
Noch einmal darum: Wie wird Friede? Wer ruft zum Frieden, dass die Welt es hört, zu hören
gezwungen ist?, dass alle Völker darüber froh werden müssen? Der einzelne Christ kann das nicht – er
kann wohl, wo alle schweigen, die Stimme erheben und Zeugnis ablegen, aber die Mächte der Welt
können wortlos über ihn hinwegschreiten. Die einzelne Kirche kann auch wohl zeugen und leiden –
ach, wenn sie es nur täte-, aber auch sie wird erdrückt von der Gewalt des Hasses. Nur das eine große
ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, dass die Welt
zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und dass die Völker froh werden, weil diese
Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg
verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.
Warum fürchten wir das Wutgeheul der Weltmächte? Warum rauben wir ihnen nicht die Macht und
geben sie Christus zurück? Wir können es heute noch tun. Das ökumenische Konzil ist versammelt, es
kann diesen radikalen Ruf zum Frieden an die Christusgläubigen ausgehen lassen. Die Völker warten
darauf im Osten und Westen. Müssen wir uns von den Heiden im Osten beschämen lassen? Sollten wir
die einzelnen, die ihr Leben an diese Botschaft wagen, allein lassen? Die Stunde eilt – die Welt starrt in
Waffen und furchtbar schaut das Mißtrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare kann morgen geblasen
werden – worauf warten wir noch? Wollen wir selbst mitschuldig werden, wie nie zuvor?
„Was hülf‘ mir Kron‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
‚s ist leider Krieg – und ich begehre
nicht schuld daran zu sein!“ (M. Claudius)
Wir wollen reden zu dieser Welt, kein halbes, sondern ein ganzes Wort, ein mutiges Wort, ein
christliches Wort. Wir wollen beten, dass uns dieses Wort gegeben werde – heute noch – wer weiß, ob
wir uns im nächsten Jahr noch wiederfinden?
Aus: Gesammelte Schriften I, 216ff.