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Negative Theologie
#46
Hallo Petrus,
du hast es auf den Punkt gebracht. Nicht-Wissen macht besonders die klügsten Geister kirre. Unbefriedigt, beginnen sie zu spekulieren - sie nennen es transcedieren (überschreiten der Realität, ein Nonsense, den ich gerne aufspieße).
Das mag ein menschlich' Bedürfnis sein! Dann allerdings sollte man das klar und deutlich bereits in der Einleitung sagen: "Ich schreibe meine Spekulationen auf, vielleicht kann ja jemand daraus 'geistigen Honig' saugen".
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#47
(10-11-2008, 10:10)Petrus schrieb: ..., wenn ich religiöse Schriften lese: Woher "wissen" diese Menschen/Autoren, dass diese göttliche Realität jenseits unserer wahrnehmbaren Realität überhaupt existiert? Vielleicht ist da ja nichts?!

Lieber Petrus,

sie wissen ebenso wenig, wie wir. Sie setzen voraus, dass sie ist, die göttliche Wesenheit. Und die ganz klugen unter ihnen, schaffen dazu beeindruckende Gedankengebäude. So beeindruckend, dass sich selbst Agnostiker und Atheisten mit ihnen herumplagen.

(10-11-2008, 10:10)Petrus schrieb: Eines aber verstehe ich nicht so ganz:

Ps.D. sagt Man muss wissen, dass zwar unser Intellekt die Fähigkeit zum Denken hat, durch die er das Intelligible schaut, die Einung aber, durch die er mit der Wirklichkeit jenseits seiner selbst verbunden wird, die Natur des Intellekts transzendiert. .

Ein Versuch, es mit anderen Worten wiederzugeben:

Vor der Einung der Seele ist die Vernunft die einzige Quelle von Erkenntnis. Nach der Einung, der Verschmelzung mit der "göttlichen" Wirklichkeit, wird auch das, was da anstelle des Intellekts noch ist, auf die entsprechende Erkenntnisstufe gehoben.

(10-11-2008, 10:10)Petrus schrieb: danke für Deinen Beitrag, der zwar auch nicht leicht zu verstehen ist, aber ich glaube, zu erahnen, was Du bzw. was der Text sagen will.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meinem Beitrag "was sagen" wollte.

Von Ps.D. gibt es Aussagen, die ich als pantheistisch empfinde. Diese Aussagen sind für mich von Interesse. Von diesen habe ich ein Beispiel herausgeklaubt und den zitierten Text - so gut ich es in der Eile konnte –mit eigenen Worten ergänzt.

Und ich will auch gleich einräumen, dass auch für mich manche Begriffsfolgen mehr Verwirrung als Erläuterung bedeuten. Wenn ich dem Gedanken der Einung der geistigen Substanz, der Seele, die in der Ekstase als Ende ihrer Entwicklung den Gipfel ihres Aufstiegs erlebt, um die Vereinigung mit Gott vollziehen zu können, noch folgen kann, gelingt mir das bei der Aussage, dass auch das göttliche Wesen durch Einung und Scheidung bestimmt ist, nicht mehr. Diese Differenzierung wird im zweiten Kapitel von De divinis nominibus thematisch behandelt. Mit der Aussage, dass der theoretische Logos, in dem sich zugleich eine Einung und eine Scheidung vollzieht und das sprachliche Abbild der göttlichen Tätigkeit ist, kann ich z.B. nichts anfangen.

Dazu noch eine kleine Kostprobe zu göttlichen Einung: Die göttlichen Einungen werden die verborgenen und nicht emanierenden Übergründungen der überunaussprechlichen und überunerkennbaren Permanenz, die Geschiedenheit dagegen die wohltätigen Hervorgänge und Offenbarungen der Urgottheit genannt.

Verständlicher: Die Einung ist die unbekannte, die Geschiedenheit die bekannte Seite Gottes.

Nochmals: Ob ich's wirklich verstanden habe, weiß ich nicht!

Liebe Grüße

Epicharm
MfG B.
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#48
Man muss da nicht in Ehrfurcht erstarren! Gewöhnungsbedürftig sind die Benennungen abstrakter gedanklicher Leerstellen und der Umgang mit ihnen. Beispiel:
Eine einfache, konkrete Mitteilung lautet: "Der Apfel ist grün".
Um zu analysieren, was damit ausgesagt wird, ersetzen wir "Apfel" durch Objekt und "grün" durch Farburteil und erhalten eine Sprachstruktur:
"(Artikel) Objekt ist Farburteil"
Wir interessieren uns nun nicht mehr für konkrete Äpfel und deren Beurteilung, sondern, wie wir mit solchen Sprachstrukturen unsere Gedanken in Worte fassen.

Es ist daher wenig hilfreich, aus einem religionsphilosophischen Text, eine Passage zu lesen, ohne das "Wörterbuch der Strukturen" des Autors mitzuliefern. Das ist kein Vorwurf an Diskussionsteilnehmer, sondern erklärt nur, dass man nicht versteht, was uns ein bestimmter Text sagen will.
Epicharm schrieb:Dazu noch eine kleine Kostprobe zu göttlichen Einung: Die göttlichen Einungen werden die verborgenen und nicht emanierenden Übergründungen der überunaussprechlichen und überunerkennbaren Permanenz, die Geschiedenheit dagegen die wohltätigen Hervorgänge und Offenbarungen der Urgottheit genannt.

Verständlicher: Die Einung ist die unbekannte, die Geschiedenheit die bekannte Seite Gottes.
Der Autor setzt voraus, dass wir wissen, dass Menschen sich über Gott etwas erzählen, auch wenn dies eigentlich nicht möglich ist. Dazu sind bestimmte Sprachstrukturen erforderlich, die z. B. Unerkennbares durch konkrete Begriffe benennen, die aber in diesem Zusammenhang eine "Übergründung" - im Gegensatz zur normalen Begründung - bedeuten. Sie werden zu jenen Leerstellen, mit denen der Autor hier seine Zusammensicht als "Einung" und seine Getrenntbetrachtung als "Geschiedenheit" untersucht - so wie wir oben aus einer einfachen Mitteilung eine Sprachstruktur hergeleitet haben.

Man weiß zwar dadurch über den Gegenstand des Glaubens nicht mehr als vorher, aber man weiß (hoffentlich), wie Mitteilungen über Heiliges unter uns Menschen gedanklich gestrickt sind.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#49
(11-11-2008, 13:08)Ekkard schrieb: Es ist daher wenig hilfreich, aus einem religionsphilosophischen Text, eine Passage zu lesen, ohne das "Wörterbuch der Strukturen" des Autors mitzuliefern. Das ist kein Vorwurf an Diskussionsteilnehmer, sondern erklärt nur, dass man nicht versteht, was uns ein bestimmter Text sagen will.

Damit hast Du wohl Recht!

Der Begriff der "negativen Theologie" und die Schriften des Ps.D. haben mich die letzten Tage einigermaßen beschäftigt. Ich habe also alles, was ich dazu an Text besitze, hervorgekramt, auszugsweise durchgelesen und Kommentare verglichen. Dabei musste ich erkennen, dass es mir in absehbarer Zeit wohl nicht möglich sein wird, den nötigen Überblick zu finden. So ist es gut möglich, dass ich die eine oder andere Aussage, die ich mache (und bisher gemacht habe), modifizieren oder zurücknehmen muss.

Johannes Hirschberger schreibt:

Der Zentralgedanke des Ps.D. ist die Gottesidee. Gott ist, wie im Neuplatonismus, der Überseiende, Übergute, Übervollkommene, Übereine. Es gibt wohl positive Aussagen zu Gott, und diese positive Theologie bildet den ersten Weg zu ihm. Da aber Gott der Überseiende ist, muss sie stets durch die höhere negative Theologie korrigiert werden, die alles nur Geschöpfliche streicht, um nur noch das darüber Hinausliegende gelten zu lassen.

Er schreibt weiters:

Weil Gott der Übergute ist, schenkt er das ganze Sein. Und er gibt es aus sich. In ihm sind alle Prinzipien enthalten, das Sein selbst, alles Seiende, alle Qualitäten, und alles ist in ihm eingestaltig als Eines in einem.

Gott lässt die Dinge aus sich hervorgehen und dadurch entsteht die Welt.



PsD. schreibt (Himmlische Hierarchien IV, 1):

Es ist nämlich der Ursache von allem als dem obersten Guten eigentümlich, dass es die Dinge ruft, an ihm teilzuhaben, je nachdem sie dazu fähig sind. Darum haben alle Dinge Teil an der Vorsehung, die aus der überwesentlichen Ursache erfließt. Sie wären nämlich nicht, wenn sie nicht teilnähmen an dem Wesen und Urgrund aller Dinge.

Wenn also alle Dinge emaniert, also aus Gott heraus entstanden sind (an ihm teilhaben), dann nimmt alles auch teil an ihm.

Der Hinweis auf die Emanation, der ohne Zweifel ein pantheistisches Element ist, wird gerne als Missverständnis gedeutet. Dass pantheistische Elemente in den Schriften des Ps.D. nicht von der Hand zu weisen sind, wird durch die Anstrengungen von bedeutenden Persönlichkeiten der christl. Philosophie, den Emanationsgedanken des Ps.D. umzudeuten, bekräftigt.

Hirschberger kommentiert den oben angemerkten Beispielstext aus den Himmlischen Hierarchien (mit gleichzeitigem Verweis auf De div. Nom. V, 8) folgendermaßen:

Es handelt sich bei diesem Hergang um eine Emanation. Sie soll jedoch keinen pantheistischen Sinn haben. Um dieser Gefahr zu begegnen, betont Dionysius, dass die Dinge, selbst wenn sie ewig wären im Sinne der Summe aller Zeiten, doch nicht gleich ewig wären wie Gott, weil er vor und über aller endlosen Zeit ist (De div. Nom. IX, 6).

Mir erscheint es nicht schlüssig, anzunehmen, dass Ps.D. die angemerkten Aussagen in seinem Werk Über die göttlichen Namen gemacht hat, um der Gefahr, in den Pantheismus abzugleiten, zu begegnen.

Dann noch einmal zu den Begriffen "Einung" und "Geschiedenheit", die mir noch immer einiges Kopfzerbrechen bereiten.

In De divinis nominibus (I,5; 116,14 – 117,4) sagt Ps.D., ich führe dieses Zitat nochmals an, folgendes:

[...] Durch diese Einung werden die gottähnlichen Vernunftwesen in Nachahmung der Engel, so weit es möglich ist, geeint, da ja durch Beenden jeder geistigen Tätigkeit, eine solche Einung der vergotteten Vernunftwesen mit dem übergöttlichen Licht entsteht, und sie feiern dieses Licht im eigentlichen Sinne durch die Abstraktion alles Seienden und sind somit wahrhaftig und außerordentlich aufgrund der allerseligsten Einung mit ihm darüber erleuchtet, dass es von allem Seienden zwar Ursache, selbst aber nichts ist, weil es allem auf überwesentliche Weise enthoben ist.

Ps.D. erwähnt also mehrmals, dass sich diese Einung "jenseits aller intellektuellen Tätigkeit" vollzieht. Und zwar ganz besonders durch Beenden der Tätigkeit, die dem Geist als solchen nach Aristoteles zukommt (des geistigen Erfassens einfacher geistiger Prinzipien). Also verstehe ich "Einung" als einen Prozess, der den menschlichen Geist in einen transzendentalen Zustand überführt, um in diesem am göttlichen Geist teilhaben zu können.

Theo Kobusch schreibt in einem Aufsatz zu Ps.D. folgendes:

Auch das göttliche Wesen ist durch Einung und Scheidung bestimmt. Henosis und Diakrisis sind dialektische Bestimmungen, d. h. Momente eines göttlichen Wesens, die sich gegenseitig bedingen (De div. Nom. II, 4; 126,8-11).

Die Henosis bezeichnet also das göttliche Wesen, soweit es in unveränderlicher Identität in sich gegründet ist und verharrt und in überwesenhafter Weise selbstgenungsam aus sich existiert. Die Geschiedenheit aber bezeichnet schlechthin alle Weisen des Hervorgangs, der Selbstmitteilung oder des Sichdarstellens des göttlichen Wesens.

MfG E.
MfG B.
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#50
Epicharm,
in die Alltagssprache übersetzt, steht in deinem nunmehr erweiterten Text nichts anderes, als dass alle weltlichen Dinge in überzeitlicher Sicht aus Gott "heraus fließen" - also der Schöpfungsglaube in überzeitlicher Formulierung.

Die dialektische Struktur von Einung und Scheidung verdeutlicht die Sprachformen, mit denen wir miteinander zum Thema Gott kommunizieren. Hier das Ewige, das als unveränderlich und dort das Zeitgeschehen, das als ein Fluss kommuniziert wird.

Ein ganz anderes, säkulares Beispiel:
Es ist selbst für Kosmologen nicht einfach zu erklären, warum die lokalen Lösungen einer zeitlosen Gleichung (Wheeler-de-Witt) eine zeitliche Entwicklung durchlaufen.
Mir erscheint das Problem dem zu entsprechen, was Cantor feststellen musste, als er die Grenzmenge aller Mengen untersuchen wollte.

Wir können diese Grenzmenge, die Wheeller-de-Witt Interpretationen oder die Kommunikation über "Überwesen" nur mit Widersprüchen auf unsere Alltagssprache abbilden.

Deswegen mahne ich gelegentlich zu Bescheidenheit, wenn allzu forsch etwas zum Thema Glaube als Gotteswille behauptet wird.

Vielleicht macht uns die "negative Theologie" erneut diesen Sachverhalt deutlich!
Ich persönlich kann mit einem Glauben, der sich der eigenen Widersprüche bewusst ist, weit besser leben, als mit durchgängig immer und überall und in jeder Situation geltenden Regelungsansprüchen.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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