Navayâna – Westlicher Buddhismus aus der Retorte?
Lieber qilin
Deine Kritik am Projekt »Navayâna« (vgl.
http://www.navayana.ch ) enthält durchweg nicht zu vernachlässigende Gedanken, die es in der Diskussion zum Thema westlicher Buddhismus zu bedenken gilt.
Es ist richtig, dass es schon seit längerer Zeit Bestrebungen gibt, den Buddhismus dem abendländischen Habitus anzugleichen – und vereinzelt wurden hier und dort auch entsprechende Erfolge erzielt. Als Bespiele nennst du die Theosophie und den FWBO (Friends of Western Buddhist Order). Allerdings sind die genannten Beispiele nicht unbedingt repräsentativ. Die Theosophie erscheint eher als ein Synkretismus aus Hinduismus und Buddhismus, wobei die hinduistischen Elemente überwiegen. Und der FWBO ist innerbuddhistisch durchweg auch umstritten. Der FWBO (auch nur WBO = Western Buddhist Order) versteht sich als Laienorden ohne feste Bindung an eine asiatische Tradition, ist dennoch aber dem Mahâyâna (mit besonderer Orientierung am Vajrayâna) zuzurechnen.
Das Projekt Navayâna will keinen
Designer-Buddhismus, keinen westlichen Buddhismus aus der
Retorte. Das Projekt Navayâna tritt auch nicht missionarisch hervor. Es gibt in der HP
www.navayana.ch keinen Aufruf zur Mitgliedschaft, kein Anmeldeformular. Und es ist auch niemand da, der sich als spirituelle Autorität (Führer, Guru usw.) hervortut und potentielle Schüler um sich schart.
In der Navayâna-Homepage wird die Existenzberechtigung der asiatischen Schulen des Buddhismus auch im Westen durchweg bejaht. Also geht es nicht um Gegnerschaft, um Abwerben und dergleichen mehr. Ein westlicher Buddhismus lässt sich – wie du richtig festhältst – nicht künstlich herbeizwingen; er muss und wird langsam heranwachsen. Somit versteht sich das Projekt Navayâna nicht als fertiges Konstrukt, sondern als eine Art Brainstorming, als Gedankengrundlage gewissermaßen. Sollte daraus eine genuin eurobuddhistische Gemeinschaft erwachsen, so wäre das ja nicht einfach verwerflich, sondern die Folge einer neuen Phase der Lehrentwicklung in einem anderen Kulturkreis. Auch in Asien haben sich im Laufe der Zeit höchst unterschiedliche Denominationen herausgebildet, die durchweg auf lokalen Gegebenheiten, Denkvoraussetzungen und kulturellen Eigenheiten gründen und zu anderen Formen des Buddhismus teilweise stark kontrastieren. Wieso sollte auch der Westen nicht seinen eigenen Weg gehen können und dürfen?
Das herausstechendste Postulat des Projekts Navayâna besteht in der eindeutigen Höherbewertung der
ethischen Prinzipien vor meditativer Versenkung, kultischer Verehrung und der Befolgung äußerer Observanzen. Dies vor dem Hintergrund des mehr
handlungsorientierten Bezugsrahmens des Westens. Das Schwergewicht liegt demnach auf dem
Handeln, dem praktischen Tun, und weniger auf der meditativen Vervollkommnung – ohne diese in ihrem Wert zu negieren. [Auch in Japan gibt es große buddhistische Laienbewegungen, die diesem Prinzip (in abgeänderter – eben genuin japanischer Weise –) nachfolgen: die Sôka Gakkai, die Risshô Kôseikai und andere.] Was also spricht dagegen, dass auch der Westen ein eigenes Profil entwickelt?
Das Projekt Navayâna steht nicht in Gegnerschaft zu den asiatischen Formen des Buddhismus. Es betont aber die Notwendigkeit einer Neuentwicklung oder einer
Reformulierung der Lehre angesichts der unterschiedlichen kulturellen Tradition des Westens. Seine wichtigsten Leitlinien sind:
* Reduktion auf die Lehre von »Vier Edlen Wahrheiten«.
* Hervorhebung der ethischen Prinzipien (Handeln, Achtsamkeit, Eigen- und Mitverantwortung, Stärkung des gemeinschaftlichen [sozialen] Anliegens).
* Stärkung des Laienbuddhismus, vollkommene Gleichstellung der Geschlechter.
* Rückweisung der in Asien nachgewachsenen volksreligiösen Ausprägungen (Mythen, Mystizismen, Legenden usw.).
Wir leben hier nun einmal in einem anderen Kulturkreis mit anderen kognitiven Voraussetzungen, Bedürfnissen und neuen Herausforderungen, denen sich ein Buddhismus des 21. Jahrhunderts stellen muss. Ich denke, wir müssen uns von einem exotischen, durchaus farbenprächtigen und lieb gewonnenen Buddhismusbild verabschieden und die Lehre auf das reduzieren, was zu sein sie beansprucht: Eine nüchterne Anweisung für die Lebenspraxis, die sich vornehmlich auf ethische Prinzipien abstützt und somit aller Esoterik und geistigen Höhenflügen entratet. Ein westlicher Buddhismus bedarf keiner Kalachakra-Initiation, um erlöst zu werden, keiner heilsvermittelnden Gurus, keiner komplizierten Techniken und Zeremonien, die eh kaum einer versteht und die für einen verdienstvollen Lebenswandel im Hier und Jetzt ohnehin nicht von Belang sind. Wir täten gut daran, den (asiatischen) Buddhismus einer gründlichen
Entmystifizierung zu unterziehen und all das auszuscheiden, was sich als Ballast im Laufe vieler Jahrhunderte angesammelt hat und mit der eigentlichen Lehre wenig bis nichts gemein hat.
Jazzter ist in einem seiner Statements zuzustimmen, dass irgendwo und irgendwie ein Anfang – ein Versuch – gewagt werden sollte. Was sich daraus ergeben wird, ist offen. Aus nichts kommt nichts. Was also spricht dagegen, einen entsprechenden Wurf zu wagen?! Irgendwann wird sich ein eigenständiger westlicher Buddhismus herausbilden – mag er sich nun Navayâna (»Neues Fahrzeug«) oder anderswie nennen.
Francesco Ficicchia
www.navayana.ch
ficicchia@bluewin.ch