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Baha`i: Grundgesetz versus Kitab-i-Aqdas
#1
In der Gesellschaft für Baha`i-Studien habe ich mit gleichem Titel einen Thread eröffnet. Fragen und Antworten daraus stelle ich in loser Folge hier ein - es dürfte auch für nicht-Baha´i interessant sein, wie sich Vertreter der Baha`i-Religion hier positionieren:

Baha`u`llah befiehlt uns, die Gesetze des Landes in dem wir leben, zu achten, zu respektieren und zu befolgen.

Anders als im Iran verlangt kein Staatswesen innerhalb der EU von uns, unseren Glauben zu verleugnen. In Deutschland leben wir als Baha´i ebenso unter dem Schutz des Grundgesetzes, wie Nicht-Baha`i auch. Und ebenso wie unsere Nicht-Baha`i-Nachbarn geniessen wir es, das eben dieses Grundgesetz seit 60 Jahren der Garant für unsere Freiheit ist; ja sogar bisher der Garant für eine lange, friedfertige Epoche.

Dem Grundgesetz Deutschlands sind alle anderen Gesetze nachgeordnet. Fallweise führt das dazu, das im Einzelfall auf Grundlage bestehender Gesetze dem Bürger Verstösse gegen eben diese Einzelgesetze vorgeworfen werden; beim "Gang durch die Instanzen der Gerichtsbarkeit" stellt sich dann beim Bundesverfassungsgericht heraus, dass die Auslegung eines Einzelgesetzes, aber auch das Einzelgesetz an sich in der konkret beklagten Situation verfassungswidrig ist. Der vorher also von anderen Gerichten bemängelte Gesetzesverstoss des Bürgers - war kein Gesetzesverstoss, sondern rechtmässig.
(Teil meiner Anfrage an die GBS)

Lieber Thomas,(von Emanuel Towfigh, Mitglied des NGR und Jurist)

jedenfalls die Frage im Hinblick auf die Achtung der Grundrechte lässt sich im Grundsatz leicht beantworten: Die Grundrechte binden nach dem deutschen Verfassungsrecht allein den Staat, eine "unmittelbare Drittwirkung" der Grundrechte (so nennen Juristen die Wirkungen, die die Grundrechte gegenüber Privaten entfalten) gibt es nur in sehr, sehr engen Ausnahmefällen. Soweit ich das überblicke, greift diese unmittelbare Wirkung in den von Dir geschilderten Fällen nicht.

(Nachgefragt, von mir)
Lieber Emanuel,

erstmal vielen Dank für Deine schnelle Antwort !

Die juristische Einschätzung, dass das GG in erster Linie die Beziehungen zwischen dem Staat uns seinen Bürgern regelt, unmittelbar aber keinen direkten Bezug zum Handeln der Bü+rger untereinander aufweist, ist ehrlich gesagt reichlich seltsam. Denn im Klartext bedeutet dies ja, das ich in meinem Betrieb Frauen schlechter bezahlen darf als Männer (für gleiche Arbeit, die sie verrichten), wenn keine tarifrechtliche Regelung vorliegt, da sich die Frauen ja nicht unter Berufung auf den Gleichheitsartikel des Grundgesetzes an mich wenden können... Das wäre ungefähr genauso, wie wenn der NGR und das UHG den Kitab-i-Aqdas nur als eigene Handlungsanweisung begreifen würden, nicht aber als Handlungsgrundlage aller Baha`i.

Um das nochmals etwas zu konkretisieren: Wenn der Ältestenrat der Zeugen Jehova`s, der Nationale Geistige Rat oder die katholische Bischofkonferenz in ihren Beschlüssen wesentlich gegen die ersten 10 Artikel des Grundgesetzes verstossen - wer kann sie dann zur Rechenschaft ziehen? Kann der betroffene Bürger, Gläubige der Religion, seine "Oberen" auf Grundlage des Grundgesetzes verklagen - oder kann er nicht, weil sich die Zivilgesellschaft in keinem unmittelbaren Bezug zum Grundgesetz befindet...?
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#2
Zwischenbemerkung zum Thema von Fara, einer Baha`i aus Luxemburg:

Lieber Thomas,

ich bin zwar Politologin und keine Juristin, möchte aber einen Beitrag in
dieser Diskusssion leisten. Ich finde es positiv, dass Du Dich intensiv mit
manchen Fragen und Sachverhalte auseinandersetzt. Nachforschen ist immer
anregend und hilft uns, in unserem Glauben zu wachsen. Ich will nur als
Politikwissenschaftlerin auf einen Punkt hinweisen, der indirekt mit Denen
Fragen zu tun hat: Die Entscheidungen der Baha’i-Institutionen zu
respektieren, ist ein demokratisches Prinzip und kein blinder Gehorsam. D.
h., wir akzeptieren die Beschlüsse der Gremien, die wir demokratisch, durch
allgemeine und freie Wahlen gewählt haben. Die Erfahrung der Demokratie auf
geistig-religiöser Ebene ist ganz neu und zugleich sehr wertvoll, da die
Kirchen und die Institutionen der anderen Religionen durch ihren Mangel
erkrankt sind.

Nun wo die Menschen zusammen kommen, entstehen Konflikte und können manche
Fehler passieren. Wir als Baha’i haben die einmalige Chance, unsere
Konflikte auch in Glaubenssachen auf eine demokratische Art und Weise zu
regulieren. Dabei sollen wir – als Individuum und auch als Institution – uns
bemühen, dass die zarte Pflanze der Demokratie gedeiht und nicht zerstört
wird. Wir wissen, dass wir am Anfang einer Entwicklung stehen und mit vielen
Schwierigkeiten und Kinderkrankheiten konfrontiert sein werden. Was uns
zusammen führt, ist der Glaube und die Gewissheit, dass wir durch unser
Bemühen die Menschheit in ihrer freiheitlich-demokratischen Entwicklung
einen Schritt weiter bringen wollen.



Viele Grüße

Farah
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#3
Meine Antwort an Fara:

Liebe Fara,

auch an Dich erstmal vielen Dank für Deine schnelle Reaktion/Antwort !

Ich muss hier erstmal klarstellen, das es mir nichtdarum geht, einen beliebigen NGR auf der Grundlage einer beliebigen europäischen Verfassung mit Klagen zu überziehen. Fehler, die nach aussen hin unsere Instutionen machen, verteidige ich in Internetforen mit den gleichen Argumenten wie Du - "wir sind noch im Aufbau, in einer Lern- und Wachstumsphase...". Trotzdem wurde mir von Baha`i-Freunden, die es eigentlich besser wissen müssten, unberechtigterweise unterstellt, ich würde einen "Krieg" gegen den NGR führen...

Nun ist die Baha`i-Demokratie eine völlig neue Art Demokratie zu praktizieren. Obwohl Baha`u`llah ausdrücklich Fraktionsbildungen und Splittergruppen innerhalb der Baha`i-Weltgemeinde verboten hat, sind wir jedoch nicht sicher davor. Angesichts dieses Verbotes stellt sich ja kein Baha`i hin und gründet eine als "Baha`i-Fraktion" zu verstehende Initiative... Und obwohl wir ausdrücklich als Glaubensprinzip, als Teil unserer ethischen Masstäbe die Vorurteilsfreiheit vertreten, stelle ich schon fest, das in den Köpfen der Freunde - auch in Gremien - ein ganze Haufen an Vorurteilen existiert. Insoweit unterscheiden sich unsere Gremien in konkretisierbaren Fällen auch nicht von Richtern eines BVerfG oder eines BGH - diese sind zwar nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz nur dem geltenden Recht verpflichtet. Aber: Wer Richter/Richterin in den höchsten Gremien der deutschen Justiz werden will - benötigt eine Parteimitgliedschaft.... sonst wird er oder sie nämlich von den Parteien für diese Ämter nicht vorgeschlagen... In der Praxis kann das bedeuten, das man einen theoretisch hochqualifizierten Juristen einer x-beliebigen demokratischen Partei zum Richter am BGH beruft - um ihn als Abgeordneter im Bundes/Landtag ruhig zu stellen. In den untergeordneten Verwaltungsrängen führt diese Praxis dazu, dass z.B. zum Regierungspräsident (eines Bundeslandes) nur der berufen wird, der auch ein Parteibuch hat - ob er oder sie dafür geeignet ist diesen Posten auszufüllen, spielt nur eine untergeordnete Rolle...

Diese Praxis ist mit anderen Schwerpunkten nicht nur in unserer Baha`i-Verwaltungsordnung denkbar; fallweise wird sie nach meinem Kenntnisstand in bestem Wissen und Gewissen sogar gleich gehandhabt. Wer nach aussen hin den Eindruck erweckt, sich besonders für unseren Glauben einzusetzen, wird intern "über den grünen Klee gelobt" - und kann auch bald mit einer verantwortungsvollen Aufgabe innerhalb unserer Gremien, Ausschüssen etc. rechnen. Neben einem Haufen damit verbundener ehrenamtlicher Arbeit - ist damit auch ein "Ansehensgewinn" unter den Freunden verbunden.... und wenn man sich lange genug in diese Richtung positioniert, sitzt man selbst vielleicht eines Tages im kontinentalen Berateramt oder sogar im UHG. Umgekehrt sind wir als Baha`i durchaus auch in der Lage, unsere Freunde in ein "baha`i-gesellschaftliches Abseits" zu stellen - weil uns deren offene Art nicht gefällt, wir persönlich mit der Zivilcourage des einzelnen Freundes nicht einverstanden sind; kurz, weil wir unfähig sind in kritischen Freunden das "Bergwerk reich an unentdeckten Edelsteinen" zu erkennen.

Insoweit spreche ich hier auch geistig-religiöse Punkte unserer Demokratieverwirklichung nach den Massgaben Baha`u`llah`s und dem Ratschlag Gottes an. Mir geht es hier ausdrücklich nicht darum, die Entscheidungen der verschiedensten Nationalen Räten oder des Universalen Hausen in Misskredit zu bringen; selbstverständlich respektiere ich eine wohl begründete Entscheidungsfindung Die Betonung liegt hier aber auf begründet, eine Entscheidung eines Gremiums nur deshalb zu respektieren, weil es sich eben um ein nach dem Modell Gottes eingesetztes Gremium handelt - heisst im Klartext einer möglichen Willkürlichkeit in Entscheidungen heute oder in der Zukunft Tür und Tor zu öffnen.

Natürlich enstehen bei der Zusammenkunft von Menschen Konflikte und Fehler - keine Frage. Eine Frage ist jedoch: Wenn Menschen offenkundige Fehler begehen, die zum Einen für unseren Glauben wichtige und fähige Seelen in die Isolation drängen, schlimmstenfalls dazu führen, dass diese Seelen sich den Austritt aus unserem Glauben ernsthaft überlegen oder gar diesen Schritt vollziehen - kann, ja darf man das als Baha`i so einfach hinnehmen? Oder sollen wir uns in unserem Sofa zurücklegen und sagen "Inschallah - Gott wird`s schon richten...?"

Nun steht es völlig ausser Frage, das in einer Weltbevölkerung von 8, 10, irgendwann vielleicht 20 Milliarden Menschen keine direkte Volksdemokratie eingeführt werden kann - weder auf philosophischer, alt-griechischer Basis, noch auf religiöser Baha`i-Basis. Wahlbezirke, Festlegung der Anzahl der Abgeordneten der Wahlbezirke, die aus ihren Reihen dann einen nationalen, kontinentalen Rat wählen, weiterhin die Wahl eines Universalen Hauses durch die nationalen Räte - all das ist folgerichtig, logisch, nachvollziehbar. Dies ist auch bei Menschen anerkannt, die nicht oder nicht mehr unsere Überzeugungen teilen - Francesco Ficcia erwähnt auf seiner Internetseite ausdrücklich, dass die angestrebte Weltherrschaft der Baha`i nur mit demokratischen Mitteln erreicht werden soll.

Demokratie beinhaltet aber mehr: Wenn ich mit einer Entscheidung eines demokratisch gewählten Gremiums - egal ob die derzeitige Bundesregierung Deutschlands oder der Nationale Geistige Rat der Baha`i Deutschlands - nicht einverstanden bin, wenn meine demokratischen Rechte dadurch (durch die Entscheidung) beschnitten werden, wenn diese Entscheidung eines Gremiums mich in die Ecke des "politischen Terroristen" oder "geistigen Bündnisbrecher" stellt - dann habe ich in der derzeitigen Parteiendemokratie wenigstens noch die Möglichkeit, mich gerichtlich gegen die Einschränkung meiner demokratischen Grundrechte zu wehren. Wie sieht es aber in der Baha`i-Demokratie aus: Wir haben zwar das Recht, uns jederzeit an unsere Räte zu wenden - wenn die uns aber nicht antworten, ignorieren, sehen wir alt aus... Wir haben keine Appelationgerichte, keine Ausschüsse die sich mit Eingaben befassen und sich um eine nachhaltige Konfliktlösung bemühen. Wir setzen uns Hauptaugenmerk auf die Lehrarbeit und auf die kursgebundene Vertiefung in die Schriften - und hoffen, Konflikte "gehen halt irgendwie vorüber...".

Wenn also zur Konfliktlösung innerhalb unserer Gemeindestrukturen keine Möglichkeiten und Wege vorhanden sind - ist es dann ein Wunder, wenn man mehr oder minder verzweifelt bei den noch herrschenden staatlichen, Nicht-Baha`i-Strukturen um eine Lösung nachsucht?

"Die zarte Pflanze Baha`i-Demokratie", liebe Fara, braucht auch Dünger zum Wachsen. Und sie braucht den Wind, sogar den Sturm - nicht damit dieser sie ausreisst, entwurzelt, sondern damit aus der zarten Pflanze ein kräftige, lebensfähiger und lebensspendender Baum wird. Bis jetzt haben wir die "zarte Pflanze" in Gewächshäuser gepackt und alles und alle, die unserer Meinung nach die Pflanze schädigen könnten, in die Winterkälte vor die Tür gepackt. Wir sollten uns vielleicht mal darüber Gedanken machen, ob es nicht langsam an der Zeit ist, die "Gewächshauspflanze Baha`i-Demokratie" in`s Frühbeet vor die Türe zu pflanzen.... ihren Schutz, ihre Behütung verliert sie dadurch nicht; sie kann aber an den Unbilden wachsen und reifen. Im Gewächshaus geht das schlecht...

Liebe Grüsse
Thomas
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#4
Henryk M. Broder schrieb:Muslime für die Rechte der Baha’i…
... kann es nicht geben, werden Sie sagen. Irrtum! Gibt es doch. » HIER MEHR
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