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Ausbeutung, Entsagung und Widmung
#1
Ausbeutung, Entsagung und Widmung

Srila B.R.Sridhar Dev-Goswami Maharaj


Hört bitte aufmerksam, was ich erklären möchte. Ich werde versuchen, dieses Thema auf verständlicher Weise darzulegen.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, daß es drei Welten gibt: die Welt des materiellen Genusses, die Welt der Entsagung und die Welt der Widmung. Gegenwärtig leben wir in der Welt des sogenannten Genusses. Materieller Genuß bedeutet Ausbeutung; in einem solchen Bewußtseinszustand kann man nicht anders, als andere auszubeuten:

ahastani sahastanam apadani catuspadam
laghuni tatra mahatam jivo jivasya jivanam
[Srimad Bagavatam 1.13.47]


„Lebewesen, die Hände haben, ernähren sich von Lebewesen, die keine Hände besitzen. Einige vierfüßige Tiere leben von Gras, verschiedenen Pflanzen usw.; der Stärkere lebt auf Kosten des Schwächeren.“ Alles ist mit Bewußtsein erfüllt: selbst Pflanzen, Gras und Bäume haben Bewußtsein; ohne auszubeuten vermag jedoch niemand seinen Körper zu erhalten.

Dies ist die Welt der Ausbeutung. Newtons Drittes Grundgesetz besagt indessen, daß auf jede Aktion eine gleichartige, entgegengerichtete Reaktion folgt. Durch Ausbeutung nimmt man eine Anleihe auf, und um diese Anleihe zu tilgen, muß man die entsprechende Summe bezahlen. Deshalb gibt es so viele Lebewesen, die unentwegt empor- und hinabsteigen, genießen und leiden, je nach Aktion und Reaktion auf der Ebene der Ausbeutung.
In der Gesellschaft geht die Ausbeutung bis zum Äußersten; allerorts versuchen die Menschen, auf Kosten der anderen zu leben. Da dies nun einmal die Welt der Ausbeutung ist, kann das gar nicht anders sein. Die Buddhisten, die Jainas, die Anhänger Sankaras und viele andere versuchen, aus dieser Verstrickung freizukommen und zu einem Leben ohne Ausbeutung, Aktion und Reaktion zu finden.

Um Aktion und Reaktion zu vermeiden, unternehmen sie es, sich im Bewußtsein der Entsagung zu verankern, und erreichen so einen Zustand des samadhi, der einem traumlosen Schlaf ähnelt: vollkommen zurückgezogen von der äußeren Welt und verankert im Inneren.

Ohne ihren Gefühlen zu gestatten, an der niederen Ebene Anteil zu nehmen, bewahren sie fortwährend diesen inneren Zustand. Dies läßt sich mit einem traumlosen Schlaf vergleichen.
Die Vainavas - jene Menschen, die dem Höchsten Persönlichen Gott, Sri Krishna, liebevollen Dienst darbringen - sind der Auffassung, daß es noch eine andere Welt gibt: die Welt der Widmung. Widmung ist genau das Gegenteil von Ausbeutung.

In der materiellen Welt ist jedes Lebewesen darauf aus, andere Lebewesen auszubeuten; in der Welt der Widmung jedoch möchte jedes Lebewesen der Gemeinschaft dienen. Aber nicht einfach nur der Gemeinschaft; der wirkliche Schlüssel zum Leben in dieser Welt besteht vielmehr darin, dem Zentrum zu dienen.

Wir leben in einem organischen Ganzen, in dem jeder Punkt auf den Mittelpunkt ausgerichtet sein muß. Dies wird im Srimad-Bhagavatam durch das Sinnbild des Bewässerns der Wurzeln eines Baumes verdeutlicht:

yatha taror mula-nisecanena trpyanti tat-skandha-bhujopasakhah
pranopaharac ca yathendriyanam tathaiva sarvarhanam acyutejya
[Srimad Bagavatam 4.31.14]

In der Vedischen Literatur finden wir die Aufforderung: „Versuche jenes zu erkennen, durch dessen Erkenntnis man alles erkennt“:

yasmina jnate sarvvamidam vijnatam bhavati
yasmina prapte sarvvamidam praptam bhavati
tad vijijnasasva tadeva brahma

Wenn man den Mittelpunkt von allem erkennt, so erkennt man zugleich das Ganze; wenn man ihn erreicht, so hat man alles erreicht. Überall in den Veden finden wir den Ratschlag, sich zu bemühen, dieses Zentrum zu ergründen.Versucht, diesem Rat zu folgen Versucht, diesem Rat zu folgen.

Zunächst mögen einige denken, dies sei eine lächerliche Aufforderung: „Wie kann das sein, daß man alles wisse, wenn man dieses wisse, daß man alles erlange, wenn man dieses erlange? Nur ein Verrückter kann solche Sachen sagen!“

Im Srimad-Bhagavatam wird zur Erklärung eine Analogie gebraucht: wenn man die Wurzeln eines Baumes bewässert, so wird der ganze Baum versorgt sein; und wenn man dem Magen Nahrung zuführt, wird der ganze Körper gesättigt. Wenn man also dem Zentrum dient, so wird zugleich dem Ganzen gedient.

Dies ist möglich, und es zu tun, bedeutet, in die Welt der Widmung einzutreten. Versucht, in die Welt der Widmung einzutreten und laßt die Welt der Ausbeutung und die Welt der Entsagung zurück. Euer atma, euer wahres Selbst, ist ein Bewohner jener Welt. Dort befindet sich die wirkliche Welt, wohingegen hier nur ein verzerrter Schatten davon zu finden ist.
Die wirkliche Welt ist dort, wo jeder dem Ganzen, das durch das Zentrum repräsentiert wird, hingegeben ist; geradeso wie in einem gesunden Körper jedes Atom für das Wohl des ganzen Körpers arbeitet. Wenn ein Atom für sich selbst arbeitet, beutet es die anderen für seine eigenen Zwecke aus. Solche egoistische Tätigkeit für egoistischee Interessen ist zweifellos leidvoll. Jedes Körperteil und jedes Atom sollte dem Wohl des ganzen Systems dienen. Es gibt dieses Zentrum, durch dessen Führung das Wohl des Ganzen gewährleistet wird.
Welche Position hat das Zentrum inne? Dies wird in der Bhagavad-gita beschrieben:

sarvva-dharmman parityajya, mam ekam saranam vraja
[Bhagavad-gita 18.66]

Krishna, der Höchste Herr, erklärt Seine Stellung wie folgt: „Gib alle dharmmas (Verpflichtungen) auf und gib dich Mir hin.“
Nun möchte ich diese Auffassung aus einem anderen Blickwinkel erläutern.
Hegel war ein großer deutscher Philosoph und seine Philosophie wird als Perfektionismus bezeichnet. Er äußerte folgenden Gedanken: die Absolute Wahrheit, der Urgrund von allem, muß zweierlei Eigenschaften besitzen. Welche sind dies? Sie muß durch sich selbst und für sich selbst existieren.
Versucht bitte, das zu durchdenken. Durch sich selbst bedeutet, daß Sie Ihr eigener Ursprung ist - es gibt nichts, das Sie hervorbrachte. Wenn Sie durch irgendetwas erzeugt worden wäre, so würde diesem Schöpfer der erste Rang zukommen. Deshalb muß Sie, um absolut zu sein, anadi, ewig existierend sein und nicht erschaffen durch eine andere Wesenheit. Das Absolute muß diese Eigenschaft haben.

Die nächste Eigenschaft der Absoluten Wahrheit ist, daß Sie für sich selbst besteht. Sie existiert zu Ihrem eigenen Behagen, nicht zu irgendjemand anderes Freude. Wenn Ihre Existenz den Zweck hätte, eine andere Wesenheit zufriedenzustellen, dann würde Sie nur zweitrangig sein, und jene, deren Befriedigung Sie dient, würde die erste Rolle spielen.

Daher muß Gott, die Verkörperung des Absoluten, diese zwei Eigenschaften besitzen: Er ist Sein eigener Ursprung, und Er ist nur zu Seiner eigenen Freude da, nur um Seinen eigenen Zweck zu erfüllen. Der Absolute ist durch sich selbst und für sich selbst. Wenn sich irgendein Strohhalm bewegt, so bewegt er sich, um den Zweck des Absoluten zu erfüllen. Alles - jedes Ereignis, wo es auch immer geschehen möge - geschieht zu Seiner Freude. Was sich in Wirklichkeit ereignet, ist Seine lila, Sein Spiel. Wir unsererseits werden jedoch von eigensüchtigen Interessen geleitet: familiären oder sozialen, nationalen oder humanitären Interessen usw. Aus der Sicht des Unendlichen ist das alles nur ein winziges Bruchstück; nichtsdestotrotz verfolgen wir weiterhin solche eigensüchtigen Interessen. All diese zahllosen Eigeninteressen liegen ständig in Widerstreit miteinander, und daher gibt es viel Verdruß. Wir sollten jedoch all unsere sogenannten Interessen aufgeben, die Mißverständnisse beseitigen, und versuchen, die Funktion eines Wesens zu erfüllen, das sich für die Grundlagen des Ganzen einsetzt.
Die Schlußfolgerung der von Krihna gesprochenen Bhagavad-gita lautet: „Sarvva-dharmman parityajya - Gib alle Verpflichtungen auf, die du noch erfüllen zu müssen glaubst, und - mam ekam saranam vraja - gib dich Mir hin.“

aham tvam sarvva-papebhyo
moksayisyami ma sucah


„Ich werde dich von allen Leiden befreien, was auch immer dir widerfahren mag.“
Mit anderen Worten, ihr solltet euch voller Vertrauen dem Zentrum zuwenden.

Gegenwärtig dienen all eure Verpflichtungen beschränkten Interessen; gebt diese beschränkte Auffassung von euren eigenen Interessen auf und macht euch die Interessen des organischen Ganzen zu eigen. Wir sehen, daß ein Polizeibeamter bestraft wird, auch wenn er nur etwas Geld zu seinem eigenen Vorteil beiseite schafft. Wenn er jedoch mehrere Menschen im Interesse der Allgemeinheit tötet, so wird er belohnt. In diesem Sinne ist alles gut, was zum Wohl des Ganzen getan wird, wohingegen man für das, was man nur für sich selbst oder für irgendeinen Kumpan tut, bestraft wird. In einem Unternehmen haben wir nicht das Recht, Bestechungsgeld zu unserem eigenen Vorteil anzunehmen, und zugleich sind wir nicht berechtigt, einen Streik auszurufen und die Arbeit niederzulegen, weil dadurch das Unternehmen gefährdet wird.

Weder Ausbeutung noch Entsagung sind ratsam. Ausbeutung ist ganz offenkundig schlecht, und da es keinen Sinn hat zu streiken, ist Entsagung ebenfalls falsch. In einem organischen Ganzen ist es von allgemeinem Interesse, daß jeder dem Zentrum dient; und dem Zentrum bedeutet dem Ganzen. Wenn wir dem Magen Nahrung zuführen, wird der Magen diese zu jedem Körperteil, je nach Erfordernis, weiterleiten.

Diese Art zu handeln ist Vainavatum. Wir sind Teile des organischen Ganzen. Wir haben Pflichten gegenüber dem Ganzen; daran, wie wir sie erfüllen, zeigt sich unsere Widmung für das Ganze.Wir dürfen die Nahrung nicht ins Auge oder in die Nase oder ins Ohr oder sonstwohin tun; nur wenn wir die Nahrung durch den Mund dem Magen zuführen, wird sie richtig verteilt und der ganze Organismus wird gesund bleiben. Jeder von uns ist ein Teil des gesamten Universums, und unsere Pflicht besteht darin, für das Ganze tätig zu sein; das ist Hingabe, Widmung, Aufopferung.

Und wie können wir etwas darüber in Erfahrung bringen? Wir können uns den offenbarten Schriften zuwenden, und wir können Hilfe von den vielen Heiligen und Meistern empfangen, die aus jener Welt der Widmung kommen, um uns Harmonie zu schenken.

Die Philosophie der höchsten Harmonie wurde der Welt von Sri Chaitanya Mahaprabhu geschenkt. Er lehrte Hingabe auf der Grundlage des Srimad-Bhagavatam, jenes Buches, das die Schlußfolgerungen aller offenbarten Schriften enthält. Er erklärte, daß Kraft und Macht nicht die höchsten Errungenschaften sind, sondern vom Wissen übertrumpft werden.

Das Wissen kann die Macht steuern, so daß etwas Gutes dabei herauskommen mag. Aber auch das Wissen ist von untergeordnetem Rang: darüber steht Liebe und Zuneigung, und das ist das Höchste. Weder Wissen noch Macht, sondern nur Liebe kann uns die Erfüllung des Lebens schenken. Barmherzigkeit steht über Gerechtigkeit. Gerechtigkeit gibt es nur dort, wo Gesetze, Vorschriften usw. erforderlich sind;

im Reich des Absoluten Autokraten, des Absolut Guten, kann es keine Beschwerde geben. Er ist das Absolut Gute, und das bedeutet Absolute Liebe und Zuneigung, und dort ist unser Zuhause! Zurück zu Gott, zurück nach Hause. Woran erkennt man sein wirkliches Zuhause? Es ist dort, wo wir fühlen, daß wir unter Menschen sind, die auf unser wirkliches Wohl bedacht sind. Wenn wir aufhören, auf unseren eigenen Vorteil aus zu sein, so werden sich so viele finden, die sich um uns kümmern - ohne zu übertreiben, alle werden auf uns achtgeben - und das heißt, zu Hause zu sein. Das ist der Bereich des Absoluten; wir können in Seinen Dienst treten und so das höchste Ziel erreichen, und auf diese Weise all der Zuneigung, Liebe, Harmonie und Schönheit teilhaftig werden, die es dort gibt. All diese Eigenschaften sind miteinander verwandt; sie konstituieren das Wesen des Absolut Guten, und wir sollten danach suchen.

Weil wir unseren freien Willen mißbrauchten, sind wir irgendwie vom Weg abgekommen, nun aber werden wir gerufen: „Komm nach Hause, zurück zu Gott, zurück nach Hause, dem höchsten Ziel, dem Land der Liebe.“ Dies ist der Kern dessen, was ich euch darlegen möchte - es ist dies die Krishna-Philosophie der Bhagavad-gita und des Srimad-Bhagavatam, wie sie von Sri Chaitanyadev gelehrt wurde. Die Sri Chaitanya Saraswat Math und die Gaudiya-Vainavas ermutigen jeden: „Geh zum Zentrum, nutze dein Leben für die völlige Widmung für das Zentrum. Dieses Zentrum ist jenseits der Gerechtigkeit. Es ist allbarmherzig, voll Zuneigung und Liebe, und wunderschön.“
Unser Zuhause ist dort, wo man auf unser wirkliches Wohl
bedacht ist

Dies ist der allgemeine Hintergrund der Vainava-Philosophie, der Srimad Bhagavad-gita und des Srimad-Bhagavatam: Ausbeutung, Entsagung und Widmung sind die drei Welten, und unser wahres Selbst ist ein Bewohner der Welt der Widmung. Jeder wünscht sich im Grunde, sich hinzugeben, aber irgendwie, durch Mißbrauch unseres teilweise freien Willens, sind wir in die Welt der Ausbeutung geraten.

Buddha, Jain, Paresanath und andere bringen denen Nutzen, die der Ausbeutung - der Aktion und Reaktion - durch vollständige Entsagung entkommen wollen. Sie stellten die Behauptung auf, daß die Seele nach einem solchen Rückzug glücklich sein kann. Dabei besteht jedoch immer die Gefahr, wieder verstrickt zu werden.
Die wirklich glücklichen Seelen leben jedoch in der Welt der Widmung, und wenn wir herausfinden wollen, wo die Harmonie zwischen ihnen herrührt, und was ihnen Geborgenheit gibt, so werden wir feststellen, daß sie alle für das Ganze tätig sind, und daß das Ganze durch das Absolut Gute repräsentiert wird. Um all dies zu verstehen, ist die menschliche Lebensform sehr geeignet. Mit dem Beistand der sadhus, der Heiligen, sollten wir unser Bestes versuchen, um der Verstrickung in die Welt der Ausbeutung zu entkommen und in die Welt der Liebe, Widmung und Zuneigung einzutreten.
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#2
Exclamation 
das von Srila Sridhar Maharaj hat mich sehr inspiriert, als ich das gelesen habe, genau diese beschreibung von den drei ebenen sind so klar ,und so deutlich definiert. Das würde ich jedem zum lesen geben.
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#3
Hallo Gangamata d.d.,

der Text ist wohl Auszug eines grösseren Werkes bzw. Buches? Autor und Text sind mir fremd, doch - falls es gerade zu dem Thema passen könnte - frage ich dich, ob du das Buch von Walther Eidlitz "Sinn des Lebens - Der indische Weg zur liebenden Hingabe" eventuell kennst. Dieses Buch war bis jetzt mein einziger Zugang, der mir, in verständlicher Weise, den Hinduismus näherbringen konnte; auch ohne Vorwissen gut lesbar.

Gruß
Lea
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