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Unterschied italienischer Faschismus und Austrofaschismus
#1
Unlängst in Wien beim Heurigen in Grinzing hörte ich am Nachbartisch von einem jüngeren Mann (wohl Abiturent oder schon Student) um die 20 eine Laudatio auf den Austrofaschismus 1934

Seine Tischgenossen hörten ihm interessiert zu, ich saß in der Nähe und hörte mit.
Dabei hörte ich immer wieder das Wort "Ständestaat"
Ich weiß natürlich, was Stände sind: Kaiser, König, Edelmann, Bauer, Bürger, Bettelmann

Und die Bürger waren handwerklich in Zünfte spezialisiert: Bäcker, Schuster, Schneider, . . .

Aber dennoch kann ich mir unter einem Ständestaat nichts konkretes vorstellen, es gibt ja neben den unbestritten wichtigen Handwerksmeistern viele andere wichtige Berufe: Lehrer, Polizisten, Richter, Beamte, Ärzte, Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen, Feuerwehrmänner, Soldaten und Offiziere, Forscher und Wissenschaftler und Universitätsprofessoren, Flugzeugpiloten, Lokomotivführer, überhaupt Eisenbahner, Busfahrer, Briefträger und viele andere für die Gesellschaft wichtige Aufgaben

Klar wollte die Kirche den atheistischen Bolschewismus bekämpfen - Rußland war eine christenfeindliche totalitäre Gesellschaft geworden - und so suchte die Kirche einen Gegenpol gegen die seit 1928 in Rußland propagierte Zwangskollektivierung. Der Privatunternehmer wurde somit zum Symbol des Antibolschewismus erhöht. 95 % der Privatunternehmer waren kleine Handwerksbetriebe, ein Meister, ein Geselle, ein Lehrling, die Ehefrau des Schneidermeisters als Buchhalterin.

Aber übersah man damit nicht viele andere wichtige Berufszweige ?
Richter, Offiziere, Lehrer usw sind nicht in der Produktion tätig - aber dennoch Stützen des Staates

Wenn ein Friseur zusperrt, ist das doch weniger tragisch als wenn eine Schule aufgelassen wird.

Ich interessiere mich ehrlich für diese Frage, vielleicht verstehe ich das alles auch nicht


Gab es einen ideologischen Unterschied zwischen österreichischem und italienischen Faschismus ?

Worin lag dieser ?
#2
(29-04-2023, 19:23)Sinai schrieb: vielleicht verstehe ich das alles auch nicht

dem ist eindeutig so

dabei gibt es ja durchaus sogar frei zugängliche informationen zu italienischem wie austro-faschismus
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#3
Klar, Bücher gibt es wie Sand am Meer

Ein Blick ins Wikipedia zeigt, wie komplex die Politik damals war

Klerikalfaschismus - Wikipedia
2. Sonderfall Italien
"Der Begriff „Klerikalfaschisten“ (clerico-fascisti) stammt mutmaßlich aus der italienischen Politik: So wurden Mitte der 1920er-Jahre abwertend die ehemaligen Mitglieder der katholischen Partito Popolare Italiano (PPI) genannt, die ihre Partei verließen und zu Mittlern zwischen dem faschistischen Staat und der katholischen Kirche wurden. Jedoch kann das Regime von Benito Mussolini nicht ohne weiteres dem Klerikalfaschismus zugeordnet werden. Das komplexe Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Italien des 19. Jahrhunderts erschwert einfache Zuordnungen. Seit dem Risorgimento hatten sich Kirche und Staat offen, häufig und intensiv bekämpft, aber schon 1922 mit der Wahl des gegenüber dem Faschismus zunächst wohlwollenden Papstes Pius XI. gab der Vatikan zu verstehen, dass er sich einer Regierung Mussolini nicht widersetzen würde. Diese Entscheidung zu Gunsten des Faschismus wurde auch von weiten Teilen des Klerus mitgetragen, so hisste beispielsweise der Erzbischof von Mailand auf seiner Kathedrale faschistische Flaggen. Des Weiteren würdigte der Vatikan auch die Rolle des Faschismus bei der Niederwerfung der Linken.

Nach der Regierungsübernahme Mussolinis kam es schrittweise zu einer Annäherung, die 1929 mit den Lateranverträgen zur gegenseitigen Anerkennung (riconciliazione) von Staat und Kirche führte. In diesem Vertrag verzichtete der Vatikan zwar endgültig auf die Restauration des Kirchenstaates und erkannte das Königreich Italien als souveränen Staat mit der Hauptstadt Rom an, erhielt aber dafür uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den neu errichteten Staat Vatikanstadt sowie eine reichliche Abfindung in der Höhe von 750 Milliarden Lire und eine Milliarde in Staatsanleihen. Des Weiteren enthielt der Vertrag ein Konkordat, in dem der Katholizismus zur Staatsreligion erhoben, der Religionsunterricht verpflichtend eingeführt, eine zivile Scheidung untersagt und das italienische Rechtssystem dem Kanonischen Recht angepasst wurde.
Für die katholische Kirche war dies eine Übereinkunft, die eine Rechristianisierung Italiens einleiten sollte und damit den Status der Religion wieder deutlich hervorhob
#4
(29-04-2023, 19:23)Sinai schrieb: Ich interessiere mich ehrlich für diese Frage, vielleicht verstehe ich das alles auch nicht

Gab es einen ideologischen Unterschied zwischen österreichischem und italienischen Faschismus ?

Religionen sind die Königsreiche der Emotionen (Gottesreiche). Diesbezüglich haben Religionen und der Faschismus sehr viele Gemeinsamkeiten. Also auch der "Austrofaschismus" mit dem italienischen Faschismus. 
Die Grundlage eines  jeglichen Erfolges der Faschisten ist die Politisierung der Volks-Emotionen mittels Verschwörungstheorien, Entmenschlichung all jener die nicht sind wie "WIR" und somit schuldig sind, weil es "UNS" mal nicht so gutgeht wie es SOLLTE.
Weil die tatsächlichen Gründe hierfür in jedem Land ein wenig anders gestrickt sind, unterscheidet sich auch die äußerliche Vorgehensweise der Faschisten von Land zu Land. Je nach Verhältnissen.
Der Kern eines jeglichen Faschismus sind Menschen mit einer überwertigen Selbsteinschätzung. Menschen die unfähig sind, das Wunschbild ihres eigenen Selbstideals kritisch zu reflektieren. Also wiedermal krankhafte Narzissten, Psychopathen und andere chronische Lügner, die das was sie selber sind, gerne auf andere projizieren. Liegt in der Natur der Sache selbst. Weswegen es ja so einfach ist.
Also sprach der Herr: "Seid furchtbar und vermehret euch".........
#5
(29-04-2023, 19:23)Sinai schrieb: Dabei hörte ich immer wieder das Wort "Ständestaat"
Ich weiß natürlich, was Stände sind: Kaiser, König, Edelmann, Bauer, Bürger, Bettelmann

Nichts weißt du!

Die Fürsten standen über den Ständen. In den mittelalterlichen und neuzeitlichen monarchischen Gesellschaften waren in den Landtagen in der Regel drei Stände anzutreffen. 1. die Geistlichkeit (Prälaten), 2. der Adel (Ritter) und 3. das städtische Bürgertum und die freie Bauernschaft. Wer alles zum 3. Stand gehörte, war zeitlich und regional in Ständeordnungen unterschiedlich festgelegt.

(29-04-2023, 19:23)Sinai schrieb: Aber dennoch kann ich mir unter einem Ständestaat nichts konkretes vorstellen,…

Wie Petronius schon anmerkte: Der Grund, warum du dir nichts Konkretes vorstellen kannst, ist Bildungsmangel. Hattest du nicht mal behauptet, in Österreich Jura studiert zu haben? Verweise auf den Ständestaat und die staatsrechtlichen Auffälligkeiten dieser Zeit fehlen doch bei keiner Einführungsvorlesung zum Verfassungsrecht bzw. zur Verfassungsgeschichte?

Am 1.5.1934 bekam Österreich eine ständestaatliche Verfassung (und zwar im Namen Gottes, des Allmächtigen).

Die Staatsbezeichnung war nicht mehr "Republik Österreich", sondern "Bundesstaat Österreich". Die Republik blieb zwar erhalten, doch nicht mehr demokratisch organisiert, sondern berufsständisch geordnet und autoritär geführt. Das organisatorisch leitende Prinzip war nicht mehr die Bestellung der Amtsträger durch freie geheime Wahlen, sondern "von oben" durch Ernennung durch in der Hierarchie übergeordnete Organe. Das staatsrechtliche Entscheidungsgewicht lag nicht mehr im Parlament, sondern bei den obersten Amtsträgern des Vollzuges. (vgl. Ludwig K. Adamovich, Bernd-Christian Funk. Österr. Verfassungsrecht. 1982 Wien. Springer Verl. S 69).

(29-04-2023, 19:23)Sinai schrieb: …, es gibt ja neben den unbestritten wichtigen Handwerksmeistern viele andere wichtige Berufe: Lehrer, Polizisten, Richter, Beamte, Ärzte, Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen, Feuerwehrmänner, Soldaten und Offiziere, Forscher und Wissenschaftler und Universitätsprofessoren, Flugzeugpiloten, Lokomotivführer, überhaupt Eisenbahner, Busfahrer, Briefträger…

Der Staat sollte in Österreich ab 1934 berufsständisch organisiert sein. Tatsächlich aber wurden nur zwei Stände konstituiert: Der öffentliche Dienst (Beamtenschaft) und die Land- und Forstwirtschaft. Von privat ordinierenden Ärzten und Piloten, die es 1934 in Österreich praktisch nicht gab, abgesehen, waren Personen, die die von dir angemerkten Berufe ausübten, in einem Beamtendienstverhältnis tätig.

Die Absicht, weitere Berufsstände zu konstituieren, scheiterte (im Wesentlichen) am Widerstand der christlichen Arbeiterbewegung. Deren führende Köpfe hatten erkannt, dass sich ihr politisches Gewicht marginalisiert hätte, wenn die Masse der Werktätigen mehr oder weniger willkürlich den im Gerüst vorhandenen oder erst noch zu schaffenden Berufsständen zugeordnet worden wäre. Also hatten sie sich in den Schoß der katholischen Kirche geflüchtet, um mit deren Hilfe dem geplanten sozialpolitischen Radikalabbau entgegenzuwirken. Dabei waren sie mäßig erfolgreich.
MfG B.
#6
Die Frage war auch nach ideologischen Unterschieden. Der oesterreichische Faschismus war, zumindest vorgeblich, an die RKK angelehnt und in gewisser Weise ruechwaertsgewandt. Wohin das alles gefuehrt haette, laesst sich im nachhinein nicht mehr sagen, da er ja recht kurzfristig gescheitert war. Die italienischen (oder deutschen) faschistischen Systeme waren dagegen, trotz mancher Verbalbeteuerungen, modernistisch ausgelegt und krempelten die gesellschaftlichen Ordnungen so nachhaltig um, dass sich diese auch nach dem Krieg nicht wieder rueckentwickelten. Nachdem die repressiven politischen Systeme am Ende des Zweiten Weltkriegs beseitigt waren, konnten die demokratischen Gesellschaften diese Modernisierungsschuebe auch ausnutzen.
#7
(30-04-2023, 15:08)Bion schrieb: Verweise auf den Ständestaat und die staatsrechtlichen Auffälligkeiten dieser Zeit fehlen doch bei keiner Einführungsvorlesung zum Verfassungsrecht bzw. zur Verfassungsgeschichte?

Ich kenne zu diesem Thema auch die diesbezügliche Abhandlung in Walter - Mayer, Grundriß der österreichischen Bundesverfassung, Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1976, ISBN 3-214-04827-9 auswendig.
Auf Seite 21 f steht lapidar geschrieben: "Die Verfassung 1934, die eine Reihe ständischer Vertretungskörper vorsah, ist nie voll durchgeführt worden und bildete keinen Anknüpfungspunkt für die weitere Verfassungsentwicklung, weshalb ihre nähere Erörterung nicht notwendig erscheint." Icon_cheesygrin
#8
(30-04-2023, 15:21)Ulan schrieb: Die Frage war auch nach ideologischen Unterschieden. Der oesterreichische Faschismus war, zumindest vorgeblich, an die RKK angelehnt und in gewisser Weise ruechwaertsgewandt.


Der spanische Faschismus war doch auch sehr an die RKK angelehnt, und wurde vom italienischen Faschismus stark militärisch unterstützt (Breda-Bomber und Fiat-Panzer und Schlachtschiffe!) und auch vom Hitlerfaschismus (Legion Condor)

Malte nicht Picasso ein Monumentalgemälde namens Guernica ?
#9
Beitrag #2
(30-04-2023, 10:02)petronius schrieb: gibt es ja durchaus sogar frei zugängliche informationen zu italienischem wie austro-faschismus

Beispielsweise Das große Buch der Polizei und Gendarmerie in Österreich von Jäger aus 1990
Schema des europäischen Polizei - Kurzwellenfunknetzes 1934
Es wurde im Jahre 1934 von den folgenden europäischen Polizeibehörden betrieben:
Deutsches Reich, Österreich, Spanien, Schweiz, Belgien, Frankreich, England, Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechoslowakei, nicht aber Italien (wahr-scheinlich waren die Alpen das Hindernis)

Das heißt, die Polizei im Deutschen Reich und Österreich standen 1934 in Funkkontakt
#10
(30-04-2023, 21:03)Sinai schrieb: Beitrag #2
(30-04-2023, 10:02)petronius schrieb: gibt es ja durchaus sogar frei zugängliche informationen zu italienischem wie austro-faschismus

Beispielsweise Das große Buch der Polizei und Gendarmerie in Österreich von Jäger aus 1990
Schema des europäischen Polizei - Kurzwellenfunknetzes 1934
Es wurde im Jahre 1934 von den folgenden europäischen Polizeibehörden betrieben:
Deutsches Reich, Österreich, Spanien, Schweiz, Belgien, Frankreich, England, Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechoslowakei, nicht aber Italien (wahr-scheinlich waren die Alpen das Hindernis)

Das heißt, die Polizei im Deutschen Reich und Österreich standen 1934 in Funkkontakt

ja, und außerdem hatte der bürgermeister von giegritzpotschen an der saulacken schon 1937 ein steyr baby...
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#11
Beitrag #5
(30-04-2023, 15:08)Bion schrieb: Der Staat sollte in Österreich ab 1934 berufsständisch organisiert sein. Tatsächlich aber wurden nur zwei Stände konstituiert: Der öffentliche Dienst (Beamtenschaft) und die Land- und Forstwirtschaft.


Dies würde mich erstaunen - waren doch die Handwerker die Stütze der christlichsozialen Gesellschaft

.
#12
Vor Jahren hatte ich oben auf der Festung der Stadt Salzburg ein interessantes Gespräch mit einer amerikanischen Touristin / Studentin (sie studierte in Graz wenn ich mich richtig erinnere und besuchte als Touristin die schöne Stadt Salzburg), die mich angesichts der vielen Kirchtürme unten in der Stadt über die Stellung der Kath Kirche im Land Salzburg und überhaupt in Österreich befragte.
Ich konnte ihr bloß die Auskunft geben, dass das Land Salzburg erst nach den Napoleonischen Kriegen vor etwa 100 Jahren, genau im Jahre 1816 zu Österreich gekommen ist. Vorher war es Fürsterzbistum! Ein eigener Staat.
Und ich sagte ihr, dass die Lossagung vom Kirchenstaat und der "Beitritt" zu Österreich (ohne die Bevölkerung des Landes Salzburg zu befragen) der salzburger Bevölkerung sehr schadete.
Wäre die Salzburger Untertanen des Fürsterzbischofs geblieben, wären ihnen beide Weltkriege mit Zigtausenden Toten erspart geblieben! So wie den Liechtensteinern
#13
(01-05-2023, 20:50)Sinai schrieb: Dies würde mich erstaunen - waren doch die Handwerker die Stütze der christlichsozialen Gesellschaft .

Und warum sollte es jemanden interessieren, wenn Dich erstaunt, dass Geschichte dann doch nicht so verlaufen ist, wie Du Dir das ausmalst?

Anscheinend dient Dir dieser Thread mal wieder dazu, Dich in Deinen Traeumereien von einer kirchlich orientierten, autoritaeren Gesellschaft zu ergehen. Dass das auch historisch nicht funktioniert hat, sollte Dir eher eine Warnung sein.
#14
(01-05-2023, 21:15)Ulan schrieb: Dass das auch historisch nicht funktioniert hat, sollte Dir eher eine Warnung sein.

Was hat denn historisch funktioniert ??
Alles kaputt gegangen, von der Grande Nation des Napoleon, die Welt Börse 1929, das italienische und dann das deutsche Intermezzo, das Britische Weltreich 1948, die Sowjetunion und alle anderen Ideen
#15
Das ist zu einseitig gedacht. Ich hatte oben angemerkt, dass einige Veraenderungen waehrend der Zeit des Nationalsozialismus den Grundstein fuer die Bluetezeit in der nachfolgenden demokratischen Phase gelegt haben. Umbrueche gehoeren zur Geschichte dazu. Der Austrofaschismus war dagegen ein Rohrkrepierer.


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