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Was ist Wirklichkeit?
#1
Weil das Thema "Was ist Wahrheit" geschlossen wurde, eröffne ich einen mehr "erdgebundenen" Thread mit der Frage: Was ist Wirklichkeit?
Denke, hierzu kann jeder user etwas beitragen, da ja in vielen Fällen eine ähnliche Wirklichkeit "erlebt/erfahren", werden kann.

Als Einleitung/Anregung führe ich an:

Die Weisen der WIRKLICHKEIT werden in der Praxis in falscher Art gegeneinander ausgespielt. Es ist aber sinnwidrig, eine Weise der Praxis zur absoluten zu machen und von ihr her die anderen herabzusetzen. Dies ist aber in der Geschichte des Menschen immer wieder geschehen, in dahin verführenden soziologischen Situationen und der jeweiligen Wertschätzung.

So wurde z.B. die ARBEIT sowohl verachtet als auch als einziger Zugang zum WIRKLICHEN für den Wahrheitsgedanken monopolisiert.
Die alten Griechen verachteten sie, denn Arbeit fördert niedere Gesinnung, ist banausisch, nicht mit freier Menschlichkeit vereinbar.
Viele Priester und Mystiker bewerteten Arbeit nur als eine Stufe, als Folge der Sünde - und stellten den arbeitenden Menschen auf die niedrigste Stufe. Für sie war das beschauliche Leben vollkommener, als das tätige...

In dem seit dem Mittelalter aufsteigenden Bürgertum erhielt die Wirklichkeit der ARBEITSWELT jedoch ihre eigene Würde ... weil man damit eine VERWIRKLICHUNG IN DER WELT sah, durch die allein sich der Mensch einen Wert geben kann.

Gruß von Reklov
#2
(23-12-2022, 18:21)Reklov schrieb: Weil das Thema "Was ist Wahrheit" geschlossen wurde, eröffne ich einen mehr "erdgebundenen" Thread mit der Frage: Was ist Wirklichkeit?

gute idee

wie lautet denn deine antwort?

Zitat:Denke, hierzu kann jeder user etwas beitragen

das hoffe ich doch sehr. als erstes wäre deine eigene meinung dazu interessant

Zitat:Die Weisen der WIRKLICHKEIT werden in der Praxis in falscher Art gegeneinander ausgespielt

mal ganz abgesehen vom zweiten, das ich so (noch) nicht sehen kann: was sind das denn für (verschiedene) "Weisen der WIRKLICHKEIT"?

wirklich ist, was wir wahrnehmen. wirklichkeit also alles (im prinzip von allen gleich) wahrnehmbare, im engeren sinn sogar wahrgenommene

der begriff der "wirklichkeit" hat wie jener der "wahrheit" nur dann einen sinn (ist irgendwie konstruktiv bis produktiv anwendbar), wenn er für alle gilt, von allen geteilt wird

ja, man spricht landläufig davon, daß "jemand in seiner eigenen wirklichkeit lebt". gemeint ist in diesem sprachbild aber das genaue gegenteil - das leben in einer scheinwelt, die mit der für alle gültigen wirklichkeit nichts mehr zu tun hat

Zitat:Es ist aber sinnwidrig, eine Weise der Praxis zur absoluten zu machen und von ihr her die anderen herabzusetzen

was heißt das konkret?

es ist (im interpersonalen und gesellschaftlichen dialog) ganz und gar nicht sinnwidrig, definitionen eng zu fassen - statt so weit, daß jeder sich alles beliebige darunter vorstellen können soll

Zitat:So wurde z.B. die ARBEIT sowohl verachtet als auch als einziger Zugang zum WIRKLICHEN für den Wahrheitsgedanken monopolisiert

nicht, daß ich wüßte. wovon redest du da? werde bitte konkret, gib ein beispiel

Zitat:Die alten Griechen verachteten sie, denn Arbeit fördert niedere Gesinnung, ist banausisch, nicht mit freier Menschlichkeit vereinbar.
Viele Priester und Mystiker bewerteten Arbeit nur als eine Stufe, als Folge der Sünde - und stellten den arbeitenden Menschen auf die niedrigste Stufe. Für sie war das beschauliche Leben vollkommener, als das tätige...

In dem seit dem Mittelalter aufsteigenden Bürgertum erhielt die Wirklichkeit der ARBEITSWELT jedoch ihre eigene Würde ... weil man damit eine VERWIRKLICHUNG IN DER WELT sah, durch die allein sich der Mensch einen Wert geben kann

ja

und weiter?

natürlich ändert sich die wirklichkeit mit zeit und ort, und dementsprechend auch die wahrheit - also der faktizitätswert von auf wirkliche sachverhalte bezogene aussagen

ja, es mag wohl wahr sein, daß arbeit früher sozial geringgeschätzt wurde, und heute höher (allgemein und generell ist das übrigens wohl sicher nicht der fall)

aber was soll das zum wirklichkeitsbegriff beitragen können?


du scheinst immer noch an der vorstellung von begrifflichkeiten als ewige und unveränderliche ideen zu hängen, weshalb alles reale (das eben nicht ewig und unveränderlich ist) minderwertig sei. hab ich recht?

oder was genau sollte dein "arbeitsbeispiel" ausführen?


als erstes aber definiere bitte "wirklichkeit"

auf daß wir eine diskussionsbasis haben
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#3
(23-12-2022, 19:32)petronius schrieb: als erstes aber definiere bitte "wirklichkeit"
auf daß wir eine diskussionsbasis haben
... und das bitte gleich! Nicht erst: "mal sehen ...".
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#4
(23-12-2022, 23:02)Ekkard schrieb:
(23-12-2022, 19:32)petronius schrieb: als erstes aber definiere bitte "wirklichkeit"
auf daß wir eine diskussionsbasis haben
... und das bitte gleich! Nicht erst: "mal sehen ...".

Hallo Ekkard,

"bitte gleich" war mir nicht möglich, da ich/wir "unterwegs" war/en.-

Zum Thema:
Zu trennnen wäre zunächst mal von einer "äußeren" und einer "inneren" Wirklichkeit! - Diese stellt sich für Bewohner unseres Planeten ja auf versch. Art und Weise dar - je nachdem, wo und wie sie leben. - Dann wäre dabei auch das Alter eines Menschen zu beachten. Mein 4-jähr. Enkel "erlebt" seine Wirklichkeit nun mal anders, als Du oder ich. Und meine vor Jahren verstorbene Großmutter "erlebte" ihre letzten Jahre in einer "umnachteten" Wirklichkeit, welche nichts mehr mit der ihrer früheren Lebensjahre gemeinsam hatte.

Jeder von uns "er- und durchlebt" also (s)eine sich wandelnde "Wirklichkeit" - welche ihm sein geistiges Vermögen anbietet und vorstellt.
Mit WIRKLICHKEIT kann man dasjenige bezeichnen, was sich der denkende und erkennende menschliche Geist als gegenständliches DASEIN, als bewiesenes und somit auch von der Mehrheit akzeptiertes Schema gegenwärtig gliedern kann. Eine Erweiterung ist in Zukunft dabei aber nicht ausgeschlossen.
Alle Weisen der Praxis zeigen eine eigentümliche WIRKLICHKEIT: Die Natur der Stoffe, Dinge, Kräfte - sowie auch die gegenseitige Daseinsabhängigkeit der Menschen - z.B. in ihrer Arbeit. Manche WIRKLICHKEIT verschleiert sich in beschaulicher, trügerischer Ruhe, wechselt dann aber plötzlich zu erbarmungsloser Gegenwart, in welcher Macht, Drohung und Gewalt vorherrschen.

WIRKLICHKEIT zeigt sich auch in jeder Weise der Praxis, welche uns eine eigentümliche Enttäuschung vorlegt, denn keine Praxis vollendet sich! Jede stößt an ihre Grenze, wo sie ihre eigene Sinnlosigkeit antrifft. Dort angekommen, fordert sie eine Interpretation von einem ANDEREN her, durch das sie Sinn erhält.

WIRKLICHKEIT kann also nur in allen Praxis-Weisen erfahren werden - nicht selten auch im Zusammenhang mit dem Scheitern. Wer WIRKLICHKEIT jedoch spüren will, muss sein Denken auf das GANZE erweitern, sie gegen das "endlich Gewusste", den bisherigen Schein setzen. Dabei muss er einsehen, dass jede bestimmte Interpretationsweise, jedes bestimmte Wissen von WIRKLICHKEIT als eine Art des Vordergründigen relativiert wird.
Welchen Charakter von WIRKLICHKEIT der Gegenstand einer wissenschaftlichen Erkenntnis hat, bleibt in jedem Fall für diesen eine zu stellende Frage.

Negativ kann man leicht sagen:
Keine Anthropologie erkennt, was das lebendige Dasein des Menschen wirklich ist! Das lebendige Dasein hat das biologisch von sich Wissbare nur als eine Perspektive oder benutzt es als ein Mittel.

Die Experten bewegen sich zwar forschend durch die menschliche Daseinswirklichkeit hindurch, machen diese zum "Gegenstand", wirken auf ihn, gehen mit ihm um - aber müssen zugleich aus dem Wirklichen "heraushören", dass wir es nie in die "Hand bekommen" - außer, dass wir es als Unbegriffenes zerstören können.

Jede "Veranstaltung", welche auf Grund eines Wissens vom Dasein des Menschen dieses "verändern" will, ist/bleibt angewiesen auf das nicht zu Sehende, - die medizin. Behandlung z.B. auf das undurchschaute LEBEN. Planvolle Verändrungen des menschlichen Daseins auf den wirklichen, nie durchschauten Glauben und auf das "umgreifende" Wesen im Rang der menschlichen WIRKLICHKEIT.

Zur speziellen WIRKLICHKEIT des Glaubens merke ich an: Keine Religionswissenschaft (Religionsgeschichte, Religionspsychologie, Religionssoziologie) vermag das zu erfassen, was als Religion wirklich ist.
Wissenschaft kann Religionen zwar kennen und erforschen, ohne dass der Forschende in einer selbst steht oder glaubt - denn - der wirkliche Glaube ist nicht wißbar.

Das Wissen von der wirklichen gegenständlichen Erscheinung, wie es im Forschen erworben wird, ist jedoch keineswegs unwesentlich für das Innewerden von dem, was wir als das "Umgreifende" bezeichnen (können).
Was sich in der von uns erlebten Wirklichkeit auseinander entwickelt, ist ein partikulares Geschehen, welches Fachleute im Gegenständlichgewordensein erforschen (können) - nie aber ein ganzes Geschehen einer WIRKLICHKEIT. Icon_exclaim Icon_rolleyes

Gruß von Reklov
#5
(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Zu trennnen wäre zunächst mal von einer "äußeren" und einer "inneren" Wirklichkeit! - Diese stellt sich für Bewohner unseres Planeten ja auf versch. Art und Weise dar - je nachdem, wo und wie sie leben

und was ist daran dann "wirklich"?

wenn es offenbar beliebig ist? gleiches stellt sich auch überall gleich dar - ansonsten hat es eben nichts mit "wirklichkeit" zu tun, sondern nu mit subjektiver wahrnehmung oder gar vorstellung

daß nicht jeder weltweit das gleiche erlebt (z.b. sonnenschein - statt nacht und oder regen - ist eben tageszeit- und wetterabhängig) ist ja eine binsenweisheit, die nicht zu einer "wahrheit" aufgeblasen werden muß

Zitat:Mein 4-jähr. Enkel "erlebt" seine Wirklichkeit nun mal anders, als Du oder ich

eben! er erlebt sie anders - und doch ist es die gleiche. das erleben von egal was ist ja noch nicht zwingend eben dieses selbst. dafür machen wir doch den intersubjektiven abgleich und erklären etwas nur und erst dann für wirklich, wenn alle das so erleben

Zitat:Mit WIRKLICHKEIT kann man dasjenige bezeichnen, was sich der denkende und erkennende menschliche Geist als gegenständliches DASEIN, als bewiesenes und somit auch von der Mehrheit akzeptiertes Schema gegenwärtig gliedern kann. Eine Erweiterung ist in Zukunft dabei aber nicht ausgeschlossen

warum schreibst du dann der gedankenwelt deiner verwirrten großmutter "wieklichkeit" zu? die kam ja nun eben gerade nicht von einem "denkende und erkennende menschliche Geist" und war schon gar kein "auch von der Mehrheit akzeptiertes Schema"


der rest ist wieder mal nur dein konkret inhaltsbefreiter schwurbel, daß wir eh nix wissen und auch gar nix wissen können
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#6
(02-01-2023, 17:36)petronius schrieb:
(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Zu trennnen wäre zunächst mal von einer "äußeren" und einer "inneren" Wirklichkeit! - Diese stellt sich für Bewohner unseres Planeten ja auf versch. Art und Weise dar - je nachdem, wo und wie sie leben

und was ist daran dann "wirklich"?

wenn es offenbar beliebig ist? gleiches stellt sich auch überall gleich dar - ansonsten hat es eben nichts mit "wirklichkeit" zu tun, sondern nu mit subjektiver wahrnehmung oder gar vorstellung

daß nicht jeder weltweit das gleiche erlebt (z.b. sonnenschein - statt nacht und oder regen - ist eben tageszeit- und wetterabhängig) ist ja eine binsenweisheit, die nicht zu einer "wahrheit" aufgeblasen werden muß

Zitat:Mein 4-jähr. Enkel "erlebt" seine Wirklichkeit nun mal anders, als Du oder ich

eben! er erlebt sie anders - und doch ist es die gleiche. das erleben von egal was ist ja noch nicht zwingend eben dieses selbst. dafür machen wir doch den intersubjektiven abgleich und erklären etwas nur und erst dann für wirklich, wenn alle das so erleben

Zitat:Mit WIRKLICHKEIT kann man dasjenige bezeichnen, was sich der denkende und erkennende menschliche Geist als gegenständliches DASEIN, als bewiesenes und somit auch von der Mehrheit akzeptiertes Schema gegenwärtig gliedern kann. Eine Erweiterung ist in Zukunft dabei aber nicht ausgeschlossen

warum schreibst du dann der gedankenwelt deiner verwirrten großmutter "wieklichkeit" zu? die kam ja nun eben gerade nicht von einem "denkende und erkennende menschliche Geist" und war schon gar kein "auch von der Mehrheit akzeptiertes Schema"


der rest ist wieder mal nur dein konkret inhaltsbefreiter schwurbel, daß wir eh nix wissen und auch gar nix wissen können

... man sieht nur, was man weiß - und daraus formt sich die "innere" Wirklichkeit. Wer z.B. 10 Personen vor ein abstraktes Gemälde stellt, erhält 10 versch. "Bild-Beschreibungen".
Die "innere" Wirklichkeit wird von Wissen und Erlebnissen "geformt", prägt also individuell jede Person auf eine spezielle Weise.

Mit der Arbeit formt(e) sich der Mensch seine "äußere" Wirklichkeit - z.B. mit dem Erstellen von Elektrizitätswerken oder dem Bau von Autobahnen.
Arbeit wurde übrigens über lange Epochen hinweg den rechtlosen Sklaven zugeschoben, während sich die Besitzenden den "schöngeistigen" Vergnügungen widmeten - um dem Mußiggang und der Langeweile zu entrinnen.

Eigentlich haben wir keine andere Kenntnis, als die, welche wir uns durch Arbeit erworben haben. (Milton preist die Vertreibung aus dem Paradies als Segen des Menschen und als eine Wohltat Gottes. Icon_smile )

In den verschiedenen Denkformen zeigen sich ebenfalls unterschiedliche "Wirklichkeiten". (Spielendes Denken, bildendes Denken, existebzielles Denken, kontemplatives Denken, reflektierendes Denken...)
Darauf detaillierter einzugehen würde aber diesen Rahmen völlig sprengen!

Verkürzt gesagt:
Das Denken als WIRKLICHKEIT ist die Genauigkeit des Tuns, das aber nicht nur wirkliche und endliche Dinge hervorbringt, sondern auch das Bewusstsein des SEINS selbst. Damit wird auch alles empirisch Reale, Anschauliche, Gegenständliche, alles Denkbare durchbrochen...

Gruß von Reklov
#7
Ich sag's mal noch kürzer: Wir haben keine Wirklichkeit. Was wir haben, sind "Instrumente" (Vorstellungen, Annahmen, Rezepte, Strategien), die inzwischen so ausgefeilt sind, dass sie funktionieren, so dass wir biologisch und kulturell überleben.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#8
(03-01-2023, 18:09)Reklov schrieb: man sieht nur, was man weiß - und daraus formt sich die "innere" Wirklichkeit. Wer z.B. 10 Personen vor ein abstraktes Gemälde stellt, erhält 10 versch. "Bild-Beschreibungen"

dann ist es eben die wirklichkeit, daß jedem etwas anderes auf dem bild wichtig ist

und weiter?

Zitat:Die "innere" Wirklichkeit wird von Wissen und Erlebnissen "geformt", prägt also individuell jede Person auf eine spezielle Weise

aber was hat das mit "wirklichkeit" zu tun?

definier doch einfach endlich mal, was du unter "wirklichkeit" verstehst. kopfkino?

Zitat:Das Denken als WIRKLICHKEIT ist die Genauigkeit des Tuns, das aber nicht nur wirkliche und endliche Dinge hervorbringt, sondern auch das Bewusstsein des SEINS selbst

???

keine ahnung, was du damit konkret aussagen willst
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#9
(03-01-2023, 21:04)petronius schrieb:
Zitat:Die "innere" Wirklichkeit wird von Wissen und Erlebnissen "geformt", prägt also individuell jede Person auf eine spezielle Weise

aber was hat das mit "wirklichkeit" zu tun?

definier doch einfach endlich mal, was du unter "wirklichkeit" verstehst. kopfkino?

Zitat:Das Denken als WIRKLICHKEIT ist die Genauigkeit des Tuns, das aber nicht nur wirkliche und endliche Dinge hervorbringt, sondern auch das Bewusstsein des SEINS selbst

???

keine ahnung, was du damit konkret aussagen willst

Hallo petronius,

... jede gute Arbeit erfordert eine Genauigkeit des Tuns. Es muss aber nicht dabei bleiben, dass sich z.B. ein Chirurg nur Wissen über den menschlichen Körper aneignet, sondern er wird sich, wenn er denn will, auch über das Wesen des Menschen eine Vorstellung machen...

Wirklichkeit "als Kopfkino", wäre die innere Wirklichkeit, welche sich in jedem Individuum auf andere Weise "ausgestaltet".
Die äußere Wirklichkeit ist davon unbeeinflusst, denn Erdbeben, Stürme oder Flutwellen nehmen z.B. keine Rücksicht auf das "Kopfkino".

Sobald ich mehr Zeit habe, schreibe ich noch etwas mehr dazu.

Gruß von Reklov
#10
(03-01-2023, 19:55)Ekkard schrieb: Ich sag's mal noch kürzer: Wir haben keine Wirklichkeit. Was wir haben, sind "Instrumente" (Vorstellungen, Annahmen, Rezepte, Strategien), die inzwischen so ausgefeilt sind, dass sie funktionieren, so dass wir biologisch und kulturell überleben.

Damit wird "Wirklichkeit" zu einer sinnvollen Unterstellung, dass das, was wir wahrnehmen schon soweit korrekt ist, dass wir überleben - vulgo: Wir erleben Wirklichkeit.

Was nun die vielen Beispiele von Reklov angeht ...
(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Zu trennnen wäre zunächst mal von einer "äußeren" und einer "inneren" Wirklichkeit!
Ist es nicht so, dass "Wirklichkeit" ausschließlich jene (innere) Unterstellung ist, dass das, was wir erleben, wahrnehmen und tun "wirklich" ist? Zumindest nehmen wir unsere Handlungsfolgen als eine Wirkung wahr. Das Philosophielexikon (heraus gegeben von Anton Hügeli und Poul Lübke, Rowolt 2005) betont: "Im Gegensatz zum Möglichen".

(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Jeder von uns "er- und durchlebt" also (s)eine sich wandelnde "Wirklichkeit" - welche ihm sein geistiges Vermögen anbietet und vorstellt.
Ja - und das bedeutet, dass Wirklichkeit kein objektiver Tatbestand ist.
Halten wir das mal fest!

(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Mit WIRKLICHKEIT kann man dasjenige bezeichnen, was sich der denkende und erkennende menschliche Geist als gegenständliches DASEIN, als bewiesenes und somit auch von der Mehrheit akzeptiertes Schema gegenwärtig gliedern kann. Eine Erweiterung ist in Zukunft dabei aber nicht ausgeschlossen.
Alle Weisen der Praxis zeigen eine eigentümliche WIRKLICHKEIT: Die Natur der Stoffe, Dinge, Kräfte - sowie auch die gegenseitige Daseinsabhängigkeit der Menschen - z.B. in ihrer Arbeit. Manche WIRKLICHKEIT verschleiert sich in beschaulicher, trügerischer Ruhe, wechselt dann aber plötzlich zu erbarmungsloser Gegenwart, in welcher Macht, Drohung und Gewalt vorherrschen.

Hier und im Folgenden werde wieder Vorstellungen und Strategien vermischt: Der erste, zitierte Teil (2 Sätze) macht die vorherige Erkenntnis deutlich, dass "Wirklichkeit" eine subjektive Fiktion ist, heraus gefiltert aus dem Erlebten und Wahrgenommenen. Im zweiten Teil werden "Stoffe, Dinge, Kräfte" und deren Natur aufgezählt sowie spezielles Erleben.

Es ist offensichtlich, dass dir (Reklov) die ganze Subjektivität nicht passt. Dinge sollen gefälligst objektiv wirklich sein. Sorry, das sind sie nicht, wie du selbst im ersten Teil nochmals betont hast. Also ist der zweite Teil des Zitats überflüssig oder, das Erleben betreffend, ein Spezialfall des Allgemeinen.

(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Wer WIRKLICHKEIT jedoch spüren will, muss sein Denken auf das GANZE erweitern, sie gegen das "endlich Gewusste", den bisherigen Schein setzen. Dabei muss er einsehen, dass jede bestimmte Interpretationsweise, jedes bestimmte Wissen von WIRKLICHKEIT als eine Art des Vordergründigen relativiert wird.
Sag ich ja: "Wirklichkeit" ist eine subjektive Konstruktion oder Haltung der Welt gegenüber.

(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Welchen Charakter von WIRKLICHKEIT der Gegenstand einer wissenschaftlichen Erkenntnis hat, bleibt in jedem Fall für diesen eine zu stellende Frage.
Das ist relativ leicht zu beantworten: Wissenschaftliche Erkenntnisse erstrecken sich auf so genannte Modellvorstellungen, die Datensätze reproduzieren (moderne Modelle mit ungeahnter Präzision). Das geschieht verlässlich. Gleichwohl wird damit keine Wirklichkeit erreicht. Die gleichen Datensätze könnten auch durch andere Modelle reproduziert werden. Und wie weit Extrapolationen jenseits der bekannten Datensätze daneben liegen können, beweisen die verschiedenen "Umbrüche der Physik" in den letzten 200 Jahren.

Deine restlichen Ausführungen ergeben sich aus jenem Widerspruch zwischen Subjektivität des Begriffes "Wirklichkeit" und dem offensichtlichen Wunsch, dass es etwas absolut Wirkliches geben sollte. Fast selbstverständlich kommen dabei "seltsame Pirouetten" zustande.
Beispiel gefällig?
(02-01-2023, 15:50)Reklov schrieb: Die Experten bewegen sich zwar forschend durch die menschliche Daseinswirklichkeit hindurch, machen diese zum "Gegenstand", wirken auf ihn, gehen mit ihm um - aber müssen zugleich aus dem Wirklichen "heraushören", dass wir es nie in die "Hand bekommen" - außer, dass wir es als Unbegriffenes zerstören können.

Fazit: Wenn wir akzeptieren, dass "Wirklichkeit" ein subjektiver Standpunkt ist, dann verfeinern wir unsere Modelle, so dass Mess- und Beobachtungsdaten über möglichst umfangreiche Bereiche unseres Daseins korrekt wiedergegeben werden - verwechseln sie aber nicht mit unserer Fiktion.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#11
Wenn ich mir Deine Exzerpte aus dem Philosophie-Lexikon so anschaue, so scheinen die Beispiele sehr auf das "Wirken" in "Wirklichkeit" abzuzielen. Das resultiert dann in der Mischung, die Du ansprichst. Wir interagieren schliesslich sowohl mit den Dingen der stofflichen Welt, unseren Mitmenschen, und letztlich auch Ideen, die auf uns einfliessen. Zentral scheint hier der Austausch mit unserer Umwelt zu sein, der wiederum, nach einer internen Prozessierung dieser Eindruecke, unsere Sicht auf die Umwelt praegen, dabei gefaerbt durch ein paar Filter, die wir applizieren, um das Ganze fuer uns ertraeglicher zu gestalten.

Im Prinzip ist Religion einerseits ein solcher Filter, andererseits aber natuerlich auch Teil unserer Wirklichkeit, da sie ja auch von aussen auf uns zugetragen wird und zum Teil auch sehr krasse Wirkungen haben kann.
#12
(03-01-2023, 19:55)Ekkard schrieb: Ich sag's mal noch kürzer: Wir haben keine Wirklichkeit. Was wir haben, sind "Instrumente" (Vorstellungen, Annahmen, Rezepte, Strategien), die inzwischen so ausgefeilt sind, dass sie funktionieren, so dass wir biologisch und kulturell überleben.

ja - wir haben nichts anderes

dennoch gehe ich davon aus, daß es eine objektive realität (= wirklichkeit) gibt. ich kann das jetzt nicht im popperschen sinne "beweisen", es ist eine axiomatische annahme - welche sich aber bewährt. denn woher kommen denn unsere "Instrumente (Vorstellungen, Annahmen, Rezepte, Strategien)" - doch nicht aus der blauen luft! sie sind gegründet auf eine objektive realität, welche wir allerdings nur subjektiv wahrzunehmen vermögen - da sind wir wieder bei reklovs klage, daß wir eben nicht alles wissen (weshalb keinerlei (teil)wissen etwas wert wäre)

nein, wir wissen nicht alles. wir erfassen auch nichts in seiner vollständigkeit (zumindest gibt es  keinen weg, festzustellen, daß und wenn das doch der fall wäre). selbst wenn wir meinen, etwas vollständig zu wissen, kann es immer noch sein, daß uns etwas entgangenund daher unbekannt ist. wir erfassen nicht die objektive realität, sondern nur bestimmte facetten derselben. gäbe es sie (die objektive realität) nicht, würden wir aber gar nichts erfassen, sondern nur nach gusto, lust und laune fantasieren

ich finde hier das gleichnis der drei blinden mit dem elefanten sehr treffend: der elefant ist objektiv real - der eine blinde aber nimmt ihn als baumstamm wahr (weil er das elefantenbein abtastet), der zweite als feuerwehrschlauch (rüssel), der dritte als pinsel (schwanzquaste). subjektive wahrnehmung(en) der objektiven realität eben. wenn die drei sich aber austauschen, haben sie die chance, intersubjektiv zu einem weitaus treffenderen elefantenbild zu kommen

und genau das - intersubjektivität - ist der schlüssel zu einer möglichst guten annäherung der wahrnehmung an die je subjektiv wahrgenommene objektive realität. grob vereinfacht: wenn viele das gleiche sehen, dürfen wir davon ausgehen, daß es auch objektiv existiert. wenn nur einer stimmen hört, dürfen wir dagegen davon ausgehen, daß er einer psychose unterliegt

"individuelle wirklichkeiten" sind sicher eine lustige vorstellung - aber epistemisch wertlos. psychiatrisch dagegen nicht unbedingt
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#13
(04-01-2023, 15:52)Reklov schrieb: Sobald ich mehr Zeit habe, schreibe ich noch etwas mehr dazu

ich bitte darum. denn was du hier geschrieben hast, hat mit meinen fragen leider wieder mal überhaupt nichts zu tun
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
#14
(05-01-2023, 12:16)Ulan schrieb: Wenn ich mir Deine Exzerpte aus dem Philosophie-Lexikon so anschaue, so scheinen die Beispiele sehr auf das "Wirken" in "Wirklichkeit" abzuzielen. ...
(Ich mute unseren Mitlesern mal zu, dass sie dem kleinen grünen Pfeil im Zitat folgen, um die relativ kurz gehaltene Replik nicht aufzublähen)

Richtig! Die Wirklichkeit löst sich damit aber von objektiven Tatbeständen. Der Begriff beschreibt somit unsere subjektive Wahrnehmung und deren Verarbeitung.

(05-01-2023, 20:04)petronius schrieb: ...
dennoch gehe ich davon aus, daß es eine objektive realität (= wirklichkeit) gibt. ... es ist eine axiomatische annahme - welche sich aber bewährt.
Korrekt! Diese Haltung nehmen viele Menschen ein. Das Wichtige daran ist nur die Erkenntnis, dass wir in Bezug zur Wirklichkeit geneigt sind, bestimmte Haltungen einzunehmen. Vielleicht müssen wir das sogar, um uns zu verständigen.
Ich habe auch noch ein Argument für eine äußere Realität gelesen. Dieses geht so: Wir haben mit der Ausstattung unserer Sinne und unseres Gehirns bisher überlebt. Also können die Sinneseindrücke und ihre Verarbeitung nicht unsinnig sein. Wohl angemerkt: Sie sind sinnvoll. Gleichwohl können die Vorstellungen, die wir von der Welt haben, falsch sein. Das heißt leider auch nicht, dass andere "besser" wären. Für jemand, der einer Ideenlehre anhängt mit ihren absoluten Vorstellungen dürften unsere Ausführungen eine Beleidigung des menschlichen Geistes darstellen.

(05-01-2023, 20:04)petronius schrieb: ... wir wissen nicht alles. ...

ich finde hier das gleichnis der drei blinden mit dem elefanten sehr treffend: ...
Ja, gutes Beispiel!

(05-01-2023, 20:04)petronius schrieb: (Die)  intersubjektivität - ist der schlüssel zu einer möglichst guten annäherung der wahrnehmung an die je subjektiv wahrgenommene objektive realität. grob vereinfacht: wenn viele das gleiche sehen, dürfen wir davon ausgehen, daß es auch objektiv existiert.
Zustimmung, soweit uns klar ist, dass "von etwas auszugehen" nur eine Wahl bedeutet, nämlich die plausibelste Vorstellung (physikalisch: Modell). Etwas anderes könnte sehr viel richtiger und plausibler sein und besser zu unseren Beobachtungen und Daten passen. Aber wir haben es nicht im Fokus. Zu Wahrnehmungen und Daten passen nun mal viele Modelle und Vorstellungen.

Gewiss, frei sind wir nicht, irgendetwas zusammen zu fantasieren. Es gibt jedoch historische Beispiele, wie man mit vernünftigen Annahmen weit neben dem Ziel landet. Beispielsweise die Funktionsweise der Sonne. Vor der Atomphysik war die lange Strahlungsdauer der Sonne einfach unerklärlich und alle theoretischen Modelle schlicht Unsinn - aus heutiger Sicht. Und so wird es unseren heutigen Modellen auch gehen. Die unterstellte (postulierte), objektive Wirklichkeit kann so fremdartig sein, dass wir sie derzeit nicht "auf dem Schirm" haben. Da nützt auch die ganze Intersubjektivität nichts.

Übrigens haben wir Beispiele für das Versagen dieses Postulates schon einmal kennen gelernt:
"Unser Sinn für Realität" (hier ff)
Einen Vortrag, der sich mit den auch hier feststellbaren Erkenntnisgrenzen auf philosophische Weise befasst,  kann ich auch noch empfehlen: *https://www.youtube.com/watch?v=fmL7iWURZhk&start=0
(von Paul Hoyningen)
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#15
(05-01-2023, 22:05)Ekkard schrieb: Gewiss, frei sind wir nicht, irgendetwas zusammen zu fantasieren. Es gibt jedoch historische Beispiele, wie man mit vernünftigen Annahmen weit neben dem Ziel landet. Beispielsweise die Funktionsweise der Sonne. Vor der Atomphysik war die lange Strahlungsdauer der Sonne einfach unerklärlich und alle theoretischen Modelle schlicht Unsinn - aus heutiger Sicht. Und so wird es unseren heutigen Modellen auch gehen. Die unterstellte (postulierte), objektive Wirklichkeit kann so fremdartig sein, dass wir sie derzeit nicht "auf dem Schirm" haben. Da nützt auch die ganze Intersubjektivität nichts

jein

sicher erwiesen sich "naturwissenschaftliche" erklärungen nicht selten als falsch, noch mehr mußten bedeutend erweitert werden und behielten nur als spezialfälle eines wesentlich umfassenderen allgemeinen geltung

worauf ich aber hinaus will ist weder relativistik oder quantenphysik noch astro- und planetendynamik, sondern schlicht das ganz praktische leben. wenn wir (aus intersubjektiver erfahrung) wissen, daß die sonne täglich auf- und untergeht, die zeit dazwischen sich verändert, und der verlauf dieser verschiebung mit dem jahresablauf (und damit auch im wetter, relevant für aussaat- und erntetermine usw.) korreliert, ist es erst mal egal, ob die sonne sich um die erde dreht oder umgekehrt, und ob in ihr ein holzfeuer brennt oder kernfusion stattfindet

mit der zeit, mit zunehmendem wissen, zunemender spezialisierung des wissens genügt das natürlich nicht mehr, schon klar

aber am anfang stand die intersubjektive erkenntnis, nicht das private kopfkino

"realität", also "wirklichkeit", ist ein praktisch zu wertvolles konzept, um es zugunsten letzterens zu verwerfen




Darum sage ich (Susskind): Trennen wir uns von dem Wort »Realität«. In unserer ganzen Diskussion wollen wir ohne diesen Begriff auskommen. Er stört. Er beschwört Dinge herauf, die uns kaum helfen. Das Wort »reproduzierbar« ist nützlicher als »real«

ja, von mir aus. anschaulicher wird die zugrunde liegende (und praktisch sehr oft kaum relevante) grundproblematik (daß wir nur modelle aufstellen, weil die objektive realität in ihrer gänze nicht faßbar ist) deshalb auch nicht. szientistische wortklauberei macht (einigen) sicher spaß, geht den allermeisten aber wohl am ast vorbei
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)


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