28-01-2022, 04:10
(26-01-2022, 19:44)Farius schrieb:(23-01-2022, 17:31)Apollonios schrieb: Heutige Menschen benötigen ein mehrjähriges Studium zwecks Einführung in die Sprache, die Denkweise, das religiöse und kulturelle Umfeld. Und auch nach diesem Studium sind sie in unzähligen Einzelheiten sehr unsicher, und die Fachleute diskutieren endlos darüber, was mit dieser oder jener Aussage gemeint sein könnte. Nicht zu reden von heutigen "einfachen" Menschen, die von all dem nichts ahnen, geschweige denn etwas verstehen.
Hallo Apollonios,
Du beatwortest Deine eigenen Fragen mit diesem Schlusswort gleich selbst.
Wenn heutige Menschen, meist erst nachdem sie schon etwa 15 Jahre die Schulbank gedrückt haben, mehrjährige Studien benötigen, dann ist es ja offensichtlich, dass damalige Menschen, ohne Schulung keine Chance hatten, etwas zu verstehen.
Wenn Du nun sagst, er hätte ihnen ja lesen und das kleine 1x1 beibringen können, um sich als Lehrer zu beweisen, dann ist einfach zu erkennen, dass er nicht als Lehrer kam sondern einen Auftrag hatte.
Dass die Diskussionen hier so zäh und oft unergiebig verlaufen, hat einen Hauptgrund darin, dass man aneinander vorbeiredet. Das wiederum hat seinen Grund darin, dass manche Diskussionsteilnehmer quasi Axiome haben, also Grundannahmen, die niemals hinterfragt werden, sondern als notwendige Ausgangsbasis jedes Diskurses aufgefasst werden, als wären es Notwendigkeiten der formalen Logik. Die Vorstellung, man könne eine solche Grundannahme in Frage stellen, erscheint einem, der von ihr ausgeht, als so abwegig, so unvorstellbar, dass die Aussage "Ich bestreite die Richtigkeit dieser Annahme" gar nicht zur Kenntnis genommen, sondern überlesen wird. So etwas kann ja gar nicht sein. Also diskutiert man einfach weiter auf der Basis der Vorstellung, dass die eigene Grundannahme, weil evident, von allen akzeptiert und damit gemeinsame Grundlage sei. Was überhaupt nicht stimmt. Dass so kein echter Dialog zustande kommen kann, liegt auf der Hand.
Hier haben wir nun ein aktuelles und besonders schönes Beispiel. Ich habe ja wiederholt und ausführlich meine These vorgetragen und begründet, dass heutige Menschen keineswegs besser in der Lage sind, Jesus zu verstehen, als seine Zeitgenossen, die seine Predigten hörten, seine Sprache verstanden und seinem Kulturkreis angehörten. Wie bei jeder These kann man auch in diesem Fall anderer Meinung sein und das begründen, und dabei auf die Argumente der Gegenseite eingehen. Du kannst beispielsweise behaupten "Ich verstehe aufgrund meiner Schulung Jesus viel besser als jeder seiner Zeitgenossen, die damals dabei waren und alles miterlebt haben. Die waren ja alle nicht geschult." Das wäre dann die Gegenthese, und dann kann ich fragen: Worin genau besteht diese deine Schulung, die dir solche Fähigkeit verleiht? Wo hast du sie erworben, was sind die einzelnen Inhalte der Schulung, wer hat sie dir vermittelt, und worauf stützt sich deine Behauptung, dass die Inhalte stimmen? Wenn dann diese Fragen (die ich schon gestellt habe und die weiterhin unbeantwortet sind), beantwortet werden, dann beginnt ein sinnvoller Dialog. Nun schreibst du aber: "Wenn heutige Menschen, meist erst nachdem sie schon etwa 15 Jahre die Schulbank gedrückt haben, mehrjährige Studien benötigen, dann ist es ja offensichtlich, dass damalige Menschen, ohne Schulung keine Chance hatten, etwas zu verstehen." Das Wesentliche hier ist das "offensichtlich". Für dich ist die Richtigkeit deiner Grundannahme (samt deinem Begriff "Schulung") so offensichtlich, dass du dir gar nicht vorstellen kannst, dass jemand auf die Idee kommen könnte, nicht davon auszugehen, sondern das Gegenteil für zutreffend zu halten. Deswegen wiederhole ich: Nein, für mich ist es keineswegs offensichtlich. Für mich ist genau das Gegenteil offensichtlich, und das habe ich begründet. Auf eine Antwort auf diese Begründung warte ich weiterhin.
Was du mit der "Schulung" meinst, ist weiterhin unbekannt und mysteriös. Da du es nicht erläutert hast, habe ich spekuliert, dass du vermutlich eine theologische Schulung meinst. Womit du dann aber in einen Selbstwiderspruch gerätst, denn von der katholischen und evangelischen Universitätstheologie hältst du ja sehr wenig und deine Privatreligion weicht von beiden stark ab. Also müsstest du sogar konsequenterweise die Ansicht vertreten, dass die angebliche Schulung eine Irreführung sei. Wenn das aber so ist, dann sind die Ungeschulten der authentischen Lehre näher als die Geschulten.
Ähnlich verhält es sich übrigens mit dem hier mehrfach angesprochenen Begriff "Erlösung". Auch hier wird aneinander vorbeigeredet. Die Menschheit zerfällt grob gesagt in zwei Gruppen: Für die einen ist Erlösung (im religiösen Sinn) ein existenzielles Bedürfnis, und sie halten es für sicher, dass jeder Mensch ein solches Bedürfnis hat, wenngleich vielleicht nur unbewusst, latent, verdrängt. Die anderen haben das Bedürfnis überhaupt nicht, und es ist ihnen so fremd, dass sie gar nicht verstehen, was das soll. Daher deren Frage: Erlösung wovon? Diese elementare Frage bleibt unbeantwortet, weil es dem Erlösungsbedürftigen nicht einmal begreiflich ist, wie man überhaupt im Ernst auf so eine Frage kommen kann, usw. Das Ergebnis des "Dialogs" ist also, dass die Kluft noch breiter wird, die jeweilige Gegenseite noch unbegreiflicher erscheint als zuvor. Da scheint dann nur noch psychologisch/psychiatrische Ferndiagnose als Erklärung in Betracht zu kommen. Was aber inhaltlich nicht weiterbringt, da von einem kommunikativen Diskurs keine Rede mehr sein kann.