(20-01-2022, 18:21)Farius schrieb: Wie ist denn Deine persönliche Meinung? Es kann doch nicht sein, dass Jesus als Erlöser kommt und seine Zuhörer nicht hat retten wollen. Da liegt doch ein Widerspruch vor. Ist es möglich, dass der Text von Markus nicht korrekt auf uns rüberkam?
Ich denke, der Text von Markus kommt dem Original noch am naechsten. Aber im Prinzip hatte ich doch versucht, genau diese Deine Frage zu beantworten? Gibt's da irgendwelche Nachfragen zu spezifischen Punkten?
Wenn man, wie die Neutestamentik fast einhellig, davon ausgeht, dass Mk im Jahr 70 (oder sehr kurz davor, als der Verlust des Krieges schon absehbar war) geschrieben wurde, macht das Evangelium Sinn. Die Zerstoerung von Jerusalem, dem Tempel und der Tod zigtausender Menschen wurden von den damaligen Christen als Strafgericht empfunden. Wenn das eine Strafe ist, so stellt sich doch automatisch die Frage, wofuer? Das Evangelium beantwortet dieses "Warum", naemlich, dass Gott seinen Boten, wie in Jesaja und Maleachi angekuendigt (beide Texte werden zu Beginn des Mk-Evangeliums zitiert, und man sollte dort nachschauen, worum es dabei eigentlich geht), schicken wird, um das Ende des Tempels und das kommende Strafgericht zu verkuenden. Der Text will uns sagen, dass dieser Bote tatsaechlich gekommen ist, nur dass das Urteil, wegen der Schwere der Verfehlungen, bereits gesprochen ist. Keiner der nun Toten oder Sterbenden hatte die Botschaft gehoert oder verstanden. Nur die, die die Botschaft Gottes schon kennen und beherzigen, verstehen den Boten, und sie leben.
Am Ende dieses Evangeliums verschwindet der Leichnam, was dem Text des Buches Daniel entspricht, wo der Tod des "Gesalbten" (Christos) gefolgt ist von der Aussage, dass dieser dann verschwand. Es macht Sinn, dass das Evangelium genau an diesem Punkt geschrieben wurde, weil Daniel ja davon ausgeht, dass hierauf ein Gesandter Gottes mit der Kavallerie einreitet und das Gottesreich errichtet.
Also, fuer mich - und wohl die meisten Neutestamentler - macht das so oder so aehnlich vollkommen Sinn. Als die Sache mit der Kavallerie in den naechsten Jahren dann ausblieb, wurde die Geschichte dann der neuen Situation angepasst (Mt und Lk als Ueberarbeitungen von Mk).