02-01-2022, 00:16
(01-01-2022, 16:21)Helmuth schrieb:Gern korrigiere ich einen Denkfehler, auf den ich hingewiesen werde, nur sehe ich nicht, wo der hier liegen soll. Zu (1): Da beziehe ich mich nicht speziell auf eine Meinungsäußerung von Helmuth, der ja nur eine Lukasstelle über Geheimnisse des Reiches Gottes zitiert hat, auf die er sich beruft. Ich beziehe mich generell auf meine bisherige Erfahrung im Dialog mit Christen. Da wird versucht, den Glauben rational zu erklären, man ist sogar stolz darauf, dass Glaube und Vernunft im Einklang seien, aber immer gerade dort, wo eine nicht auflösbare Unstimmigkeit auftritt, ein eklatanter innerer Widerspruch oder Widerspruch zu empirischen Tatsachen, kommt der Hinweis auf das Geheimnis. Der Hinweis kommt genau dort, wo der christliche Gesprächspartner nicht mehr weiterweiß, jeweils individuell abhängig von seiner Sachkenntnis und seinem Debattiergeschick. Und das hat Tradition; die Geheimnistuerei ist schon in den Evangelien reichlich zu finden. Damit komme ich zu (2). Ja, Geheimnisse und Gleichnisse sind nicht synonym. Die Gleichnisse der Evangelien sind ein Spezialfall von Geheimnissen: Es sind unnötig geschaffene, künstlich mit Absicht erzeugte Geheimnisse. Ich nenne das Geheimnistuerei oder Geheimniskrämerei, jetzt speziell auf Jesus bezogen, weil Jesus auch einfache, eigentlich allgemeinverständliche Sachverhalte unnötig verhüllt und unverständlich oder schwer verständlich vorträgt, und zwar zugegebenermaßen mit Absicht: Die Hörer sollen nicht aufgeklärt, sondern verwirrt und mit der Unverständlichkeit beeindruckt werden; sie sollen hören und nicht verstehen. Zu dieser Vorgehensweise bekennt sich Jesus, an Jesaja anknüpfend, sogar explizit. Auf diese Art verschafft sich der Schriftgelehrte Jesus Autorität beim einfachen Volk, das staunend dasteht.(01-01-2022, 13:59)Apollonios schrieb: Analoges geschieht im heutigen Diskurs. Christen argumentieren und versuchen zu überzeugen, ganz rational, und genau an dem Punkt, wo ihnen die Argumente ausgehen, sagen sie: Das ist Gottes Geheimnis, das können Normalsterbliche nicht verstehen. Das Geheimnis Gottes beginnt genau dort, wo die Argumentation scheitert. Kannst du nachvollziehen, dass mir das sehr verdächtig vorkommt?
Ich kann das nachvollziehen, aber du unterliegst einem, oder eigentlich sind es gleich zwei Denkfehler:
1) Nicht Helmuth weist auf ein Geheimnis hin, das er rational nicht erklären kann, sondern Jesus sagt, nicht jeder versteht seine Gleichnisse.
2) Geheimnisse und Gleichnisse sind nicht dasslebe.
Geheimnisse sind Geheimnisse und bleiben auch mir verborgen, wenn Gott sie nicht lüftet, sprich offenbart. Davon gibt es eine Menge. Aber anderseits verstehe ich heute sehr viel Gleichnisse Jesu in Bezug auf seine Lehre.
Gerade das Gleichnis vom Sämann ist ein gutes Beispiel. Der Inhalt ist einfach: Die Hörer des Predigers werden in vier Gruppen eingeteilt, die je nach ihrer Disposition unterschiedlich auf die Botschaft reagieren, so wie es Jesus den Jüngern in seiner Auslegung des Gleichnisses erklärt. Statt diesen einfachen Sachverhalt verständlich mitzuteilen, verhüllt er ihn in einem Gleichnis, das nicht einmal seine vertrauten Anhänger verstehen, weswegen er es ihnen später auslegt. Verstanden hat das Gleichnis überhaupt niemand. Er hat es einem großen Publikum einschließlich der Jünger vorgetragen im Wissen und in der Absicht, dass niemand es versteht. Der Inhalt ist keineswegs mystisch, sondern simpel; durch die Verhüllung im Gleichnis wird er mystifiziert. Mit solchen Mystifikationen arbeitet der Jesus der Evangelisten auch sonst. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ein guter Lehrer macht. Ein guter Lehrer klärt auf; Jesus verwirrt. Ein guter Lehrer enthüllt; Jesus verhüllt. Das bekräftigt die These meines Eröffnungsbeitrags: Jesus (gemeint: der Jesus der Evangelisten) ist ein miserabler Lehrer. Er predigt dem Volk, aber er versucht nicht einmal, sich verständlich zu machen, und das bedeutet: Er hat keinen Respekt vor seinen Hörern. Er nimmt sie nicht ernst, sondern hält sie zum Narren. Was das mit Nächstenliebe zu tun hat, bleibt sein Geheimnis.