10-12-2021, 17:14
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 10-12-2021, 21:31 von Ulan.
Bearbeitungsgrund: Tippfehler
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(10-12-2021, 14:39)Apollonios schrieb: Mir geht es um den Charakter der Persönlichkeit Jesus, so wie er sich aus den Schilderungen der Evangelisten ergibt. Ich will diesen Charakter einfach unbefangen anschauen, unabhängig von der unlösbaren Historizitätsfrage. Und dabei fällt mir auf, dass dieser Charakter - so wie er beschrieben wird - viel fragwürdiger ist, als Christen und auch viele Nichtchristen anzunehmen pflegen. Auch Leute, die ihn nicht für Gottes Sohn halten, sehen in ihm oft eine makellose Lichtgestalt. Dagegen richtet sich die Kritik in meinem Ausgangsbeitrag.
Im Prinzip hast Du da vier verschiedene Charaktere vor Dir. Meinst Du den fast schon brutal harschen Jesus des Markusevangeliums? Das wird verstaendlich, wenn man bedenkt, dass das nicht mehr der Mensch Jesus ist, der da spricht, sondern dieser Geist, der waehrend der Taufe am Jordan in in eingefahren ist und ihn von da an ferngesteuert hat (die Familie erkannte ihn folgerichtig gar nicht mehr wieder). Wo der Mensch mal kurz rausschaut, ist, wenn er Angst vorm Tod hat, und ganz zum Schluss, als der Geist - und Gott - ihn verlassen haben.
Als Matthaeus das Markus-Evangelium umgeschrieben hatte, hat er all diese Ecken und Kanten abgeschliffen und den Text mit ein paar mehr und oefter mal weniger kompetenten AT-Zitaten vollgestopft. Das ist dann die "Milchtoast"-Variante, aber immer noch erkennbar. Das wurde zum Lieblingsevangelium der alten Kirche, da es kaum irgendwo aneckte.
Die Bearbeitung von Lukas zeigt dann einen sanfteren Charakter, mehr im Reinen mit sich selbst, eher mitfuehlend mit Frauen und Armen, aber trotzdem getrieben, da er einem Endzeit-Drehbuch folgt, wo anscheinend aufgelistet ist, durch welche Moves er gehen muss, damit das mit der Endzeit auch funktioniert (Jesus spricht das aus, als er den Befehl zum Waffenkauf gibt).
Oder ist es der Jesus des Johannes? Arrogant, selbsterklaerter Gott, hat er natuerlich keine Angst vor dem Tod - schliesslich weiss er ja, was kommt - und auch sonst muss er diese graessliche Geschichte mit der Taufe am Jordan aus der Welt schaffen, denn das ging ja nun gar nicht und war mit der Theologie eines Johannes vollkommen unvereinbar. Dies ist natuerlich das Lieblings-Evangelium aller Evangelikalen.
Man hat die Auswahl. Aber ja, einen Kuschel-Jesus findet man beim genauen Lesen eher nicht. Am ehesten noch bei Lukas, der zwar fuer sein exzellentes Griechisch gelobt wird - was jetzt jemanden, der das Evangelium auf Deutsch liest, eher nicht interessiert - aber ansonsten ein eher langweiliges Werk abliefert.