Ein interessanter und spannender Artikel
Fälle von Kirchenasyl gegenüber 2024 deutlich angestiegen - domradio.de
16.06.2025
"Barmherzigkeit versus geltendes Recht, Kirchenasyl ist in der Migrationsdebatte ein Reizthema. Die Fallzahl ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen.
( . . . )
Zuletzt hatte der Fall von drei Somaliern für Schlagzeilen gesorgt . . . Inzwischen sind sie in einer evangelischen Kirche untergebracht . . . "
Was ist da unter Kirchenasyl genau zu verstehen? Im Mittelalter flüchteten sich viele Verfolgte in Kirchen
"Noch im Codex Iuris Canonici von 1917 hieß es in can. 1179: “Ecclesia iure asyli gaudet ita ut rei, qui ad illam confugerint, inde non sint extrahendi, nisi neccessitas urgeat, sine assensu Ordinarii, vel saltem rectoris ecclesiae.” (deutsch: „Die Kirche (= Kirchengebäude) genießt Asylrecht, so dass Angeklagte, die bei ihr Zuflucht suchen, nicht ohne Zustimmung des Ordinarius oder wenigstens des Kirchenrektors aus ihr herausgezerrt werden dürfen, wenn es nicht die Notwendigkeit erfordert.“)
Erst im Codex Iuris Canonici von 1983 ist das Asylrecht nicht mehr mit aufgenommen worden"
Kirchenasyl - Wikipedia
Was kann man sich darunter vorstellen? Sicher wird die Polizei nicht darauf pochen "wenn es nicht die Notwendigkeit erfordert" und in die Kirche eindringen und die drei Somalier herausholen. Aber die müssen auch einmal raus. Zahnarzt, spazieren gehen, usw.
________________
Wie war das früher?
"Eine lokale Besonderheit stellte die Regelung im Hochstift Freising dar, wo sich das Asylrecht spätestens ab dem 16. Jahrhundert nicht nur auf die Gebäude der Domherren, sondern auf das gesamte Gebiet der Residenzstadt erstreckte. Delinquenten, denen es gelang, sich vor ihren Verfolgern auf Freisinger Stadtgebiet zu retten, konnten beim Syndicus des Domkapitels den sogenannten Freiungszettel beantragen, ein besiegeltes Dokument, das unbefristetes Asylrecht gewährte. Davon profitierte z. B. um 1730 der wegen Totschlags gesuchte Wilhelm Sutor aus Landshut, der unbehelligt in Freising lebte und eine Tochter der Stadt schwängerte. Der Unmut über diesen und ähnliche Fälle und die resultierenden außenpolitischen Verstimmungen mit dem mächtigen bayerischen Nachbarn führten zur sukzessiven Einschränkung des weit reichenden Freisinger Asylrechts. Ab 1732 konnte das ursprüngliche Delikt verfolgt werden, wenn der Täter erneut straffällig wurde."
Kirchenasyl - Wikipedia
Derzeitige Entwicklung:
"In diesem gesellschaftlichen Klima kam es 1983 zum ersten Kirchenasyl in der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg. Drei palästinensische Familien aus dem Libanon baten um Unterstützung, weil sie in den vom Bürgerkrieg zerrütteten Libanon abgeschoben werden sollten. An die Heilig-Kreuz-Gemeinde wandten sie sich nicht ohne Grund. Bereits im Frühjahr desselben Jahres kam es dort zu einem Hungerstreik gegen die Auslieferung Cemal Kemal Altuns an die Türkei. Der junge Mann war vor der türkischen Militärdiktatur nach Berlin geflohen und hatte Asyl beantragt, weil ihm in der türkischen Presse zu Unrecht eine Beteiligung am Attentat auf den einstigen Zollminister Gün Sazak vorgeworfen wurde. Statt seinen Asylantrag zu bearbeiten, leitete man diese Angaben jedoch über Interpol nach Ankara weiter und fragte an, ob „entsprechende Anträge“ gestellt würden. Die Türkei forderte prompt die Auslieferung Altuns und die Bundesregierung zeigte sich willens, dem Auslieferungsgesuch zu entsprechen. Es begann ein Rechtsstreit, in dem die Bundesregierung unnachgiebig an Altuns Auslieferung festhielt und die Richter diese entweder selbst für zulässig erklärten oder keine Mittel fanden, sie auch nur zeitweilig auszusetzen. Bei einer dieser Verhandlungen entschied sich Altun selbst für eine Flucht in den Tod und sprang am 30. August 1983 aus einem Fenster des 6. Stocks des Berliner Oberverwaltungsgerichts."
Kirchenasyl - Wikipedia
Die Heilig-Kreuz-Kirche ist laut Wikipedia ebenfalls eine evangelische Kirche
Zur Lage in der Bundesrepublik Deutschland gibt Wikipedia folgende Auskunft:
"Die Akzeptanz von Ausländern und Asylsuchenden in der Bevölkerung nahm ab, Politiker unterschiedlicher Parteien bezeichneten Asylbewerber als „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Scheinasylanten“. Mit dem Asylkompromiss, der 1993 vom Bundestag und vom Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde und der 1996 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß eingestuft wurde, entstand eine Gesetzeslage, die teilweise als faktische Abschaffung des bis dahin in der Bundesrepublik geltenden Grundrechts auf Asyl bezeichnet wurde."
Kirchenasyl - Wikipedia
Es gibt auch geheime Kirchenasyle, die aber anders bezeichnet werden:
"Die sogenannten „geheimen“ Kirchenasyle, über die weder die Öffentlichkeit noch die staatlichen Behörden informiert werden, werden von der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl nicht als „Kirchenasyle“, sondern als „vorübergehende Aufnahmen“ oder „vorübergehende Unterbringungen“ bezeichnet."
Diese Bezeichnung ist auch im zitierten Artikel von domradio.de zu lesen:
"Kirchenasyl
Beim sogenannten Kirchenasyl nehmen Gemeinden oder Ordensgemeinschaften vorübergehend Asylbewerber auf, um eine Abschiebung abzuwenden, weil diese für den Flüchtling eine Bedrohung an Leib und Leben darstellt. Schon aus dem vierten Jahrhundert ist bekannt, dass Flüchtlinge in Kirchen Schutz suchten."
Na ja, Schutz suchen und Schutz finden ist nicht dasselbe
Spannend, wie das mit den drei Somaliern in der ev. Kirche weitergehen wird.
Erste entscheidende Frage: Genießen sie auch Schutz wenn sie rausgehen?
Zweite entscheidende Frage: Wie wird die deutsche Öffentlichkeit reagieren?
Fälle von Kirchenasyl gegenüber 2024 deutlich angestiegen - domradio.de
16.06.2025
"Barmherzigkeit versus geltendes Recht, Kirchenasyl ist in der Migrationsdebatte ein Reizthema. Die Fallzahl ist im vergangenen Jahr deutlich gestiegen.
( . . . )
Zuletzt hatte der Fall von drei Somaliern für Schlagzeilen gesorgt . . . Inzwischen sind sie in einer evangelischen Kirche untergebracht . . . "
Was ist da unter Kirchenasyl genau zu verstehen? Im Mittelalter flüchteten sich viele Verfolgte in Kirchen
"Noch im Codex Iuris Canonici von 1917 hieß es in can. 1179: “Ecclesia iure asyli gaudet ita ut rei, qui ad illam confugerint, inde non sint extrahendi, nisi neccessitas urgeat, sine assensu Ordinarii, vel saltem rectoris ecclesiae.” (deutsch: „Die Kirche (= Kirchengebäude) genießt Asylrecht, so dass Angeklagte, die bei ihr Zuflucht suchen, nicht ohne Zustimmung des Ordinarius oder wenigstens des Kirchenrektors aus ihr herausgezerrt werden dürfen, wenn es nicht die Notwendigkeit erfordert.“)
Erst im Codex Iuris Canonici von 1983 ist das Asylrecht nicht mehr mit aufgenommen worden"
Kirchenasyl - Wikipedia
Was kann man sich darunter vorstellen? Sicher wird die Polizei nicht darauf pochen "wenn es nicht die Notwendigkeit erfordert" und in die Kirche eindringen und die drei Somalier herausholen. Aber die müssen auch einmal raus. Zahnarzt, spazieren gehen, usw.
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Wie war das früher?
"Eine lokale Besonderheit stellte die Regelung im Hochstift Freising dar, wo sich das Asylrecht spätestens ab dem 16. Jahrhundert nicht nur auf die Gebäude der Domherren, sondern auf das gesamte Gebiet der Residenzstadt erstreckte. Delinquenten, denen es gelang, sich vor ihren Verfolgern auf Freisinger Stadtgebiet zu retten, konnten beim Syndicus des Domkapitels den sogenannten Freiungszettel beantragen, ein besiegeltes Dokument, das unbefristetes Asylrecht gewährte. Davon profitierte z. B. um 1730 der wegen Totschlags gesuchte Wilhelm Sutor aus Landshut, der unbehelligt in Freising lebte und eine Tochter der Stadt schwängerte. Der Unmut über diesen und ähnliche Fälle und die resultierenden außenpolitischen Verstimmungen mit dem mächtigen bayerischen Nachbarn führten zur sukzessiven Einschränkung des weit reichenden Freisinger Asylrechts. Ab 1732 konnte das ursprüngliche Delikt verfolgt werden, wenn der Täter erneut straffällig wurde."
Kirchenasyl - Wikipedia
Derzeitige Entwicklung:
"In diesem gesellschaftlichen Klima kam es 1983 zum ersten Kirchenasyl in der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg. Drei palästinensische Familien aus dem Libanon baten um Unterstützung, weil sie in den vom Bürgerkrieg zerrütteten Libanon abgeschoben werden sollten. An die Heilig-Kreuz-Gemeinde wandten sie sich nicht ohne Grund. Bereits im Frühjahr desselben Jahres kam es dort zu einem Hungerstreik gegen die Auslieferung Cemal Kemal Altuns an die Türkei. Der junge Mann war vor der türkischen Militärdiktatur nach Berlin geflohen und hatte Asyl beantragt, weil ihm in der türkischen Presse zu Unrecht eine Beteiligung am Attentat auf den einstigen Zollminister Gün Sazak vorgeworfen wurde. Statt seinen Asylantrag zu bearbeiten, leitete man diese Angaben jedoch über Interpol nach Ankara weiter und fragte an, ob „entsprechende Anträge“ gestellt würden. Die Türkei forderte prompt die Auslieferung Altuns und die Bundesregierung zeigte sich willens, dem Auslieferungsgesuch zu entsprechen. Es begann ein Rechtsstreit, in dem die Bundesregierung unnachgiebig an Altuns Auslieferung festhielt und die Richter diese entweder selbst für zulässig erklärten oder keine Mittel fanden, sie auch nur zeitweilig auszusetzen. Bei einer dieser Verhandlungen entschied sich Altun selbst für eine Flucht in den Tod und sprang am 30. August 1983 aus einem Fenster des 6. Stocks des Berliner Oberverwaltungsgerichts."
Kirchenasyl - Wikipedia
Die Heilig-Kreuz-Kirche ist laut Wikipedia ebenfalls eine evangelische Kirche
Zur Lage in der Bundesrepublik Deutschland gibt Wikipedia folgende Auskunft:
"Die Akzeptanz von Ausländern und Asylsuchenden in der Bevölkerung nahm ab, Politiker unterschiedlicher Parteien bezeichneten Asylbewerber als „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Scheinasylanten“. Mit dem Asylkompromiss, der 1993 vom Bundestag und vom Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde und der 1996 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß eingestuft wurde, entstand eine Gesetzeslage, die teilweise als faktische Abschaffung des bis dahin in der Bundesrepublik geltenden Grundrechts auf Asyl bezeichnet wurde."
Kirchenasyl - Wikipedia
Es gibt auch geheime Kirchenasyle, die aber anders bezeichnet werden:
"Die sogenannten „geheimen“ Kirchenasyle, über die weder die Öffentlichkeit noch die staatlichen Behörden informiert werden, werden von der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl nicht als „Kirchenasyle“, sondern als „vorübergehende Aufnahmen“ oder „vorübergehende Unterbringungen“ bezeichnet."
Diese Bezeichnung ist auch im zitierten Artikel von domradio.de zu lesen:
"Kirchenasyl
Beim sogenannten Kirchenasyl nehmen Gemeinden oder Ordensgemeinschaften vorübergehend Asylbewerber auf, um eine Abschiebung abzuwenden, weil diese für den Flüchtling eine Bedrohung an Leib und Leben darstellt. Schon aus dem vierten Jahrhundert ist bekannt, dass Flüchtlinge in Kirchen Schutz suchten."
Na ja, Schutz suchen und Schutz finden ist nicht dasselbe
Spannend, wie das mit den drei Somaliern in der ev. Kirche weitergehen wird.
Erste entscheidende Frage: Genießen sie auch Schutz wenn sie rausgehen?
Zweite entscheidende Frage: Wie wird die deutsche Öffentlichkeit reagieren?